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Ein Gott namens Smolek
Anna Gemini zweifelte an ihren Fähigkeiten. So sehr, daß sie es weiterhin unterließ, sich um die ethische Frage zu kümmern. Sie war wie jemand, der angesichts einer ungeöffneten Weinflasche wenig Lust verspürt, einen möglichen Alkoholismus zu diskutieren. Zudem blieb völlig unklar, wie sie jemals an einen Auftrag herankommen sollte.
Aber wenn der einmal gedachte Gedanke ein Kobold war, dann war das nun folgende Schicksal ein Superkobold. Anna Gemini sollte einen Mann kennenlernen, mit dem sich alles veränderte. Und das, obgleich er weder ihr Lehrmeister noch ihr Mentor wurde und genaugenommen auch von einem Agenten nicht die Rede sein konnte. Denn dieser Mensch, der als mittlerer Beamter im Wiener Stadt- und Landesarchiv beschäftigt war, blieb an einem finanziellen Profit desinteressiert.
Will man ihm gerecht werden, so muß man ihn wohl als eine diabolische Figur bezeichnen. Wobei das Diabolische hier nicht mit dem Teuflischen oder eindeutig Negativen gleichgesetzt werden sollte. Es schien, als wollte dieser Mann aus purem Interesse am Leben den Tod fördern. Und zwar aus jener Distanz heraus, die einen vernünftigen Beobachter von einem unvernünftigen unterscheidet. Siehe Journalisten. Sein Name: Kurt Smolek.
Dieser Smolek gehörte zu jenen unauffälligen Leuten, welche die Unauffälligkeit aber nicht auf die Spitze treiben, also nicht etwa in ihr oder mit ihr explodieren und solcherart Lärm verursachen.
Eine solche Übertreibung der Unauffälligkeit hätte beispielsweise darin bestanden, nicht nur explizit unverheiratet auszusehen, sondern es auch zu sein. Smolek in seiner untersetzten, durch und durch gräulichen Gestalt - er badete geradezu im Grau -, mit seinem runden Gesicht, den wenigen Haaren, die seine Glatze schüchtern umkreisten, und der altväterischen Hornbrille wirkte zwar ziemlich unverheiratet, war es aber nicht. Vielmehr führte er eine Ehe ohne offenkundige Geheimnisse, und zwar mit einer Frau, die wie er selbst nicht den geringsten Anlaß bot, sich irgendeine Abartigkeit oder auch nur Abenteuerlichkeit vorzustellen. Das Ehepaar Smolek stand vor der Welt wie die beiden Figuren eines Wetterhäuschens, sich also im Einklang mit der Gesetzmäßigkeit des Wetters befindend, durch dieses Wetter gleichzeitig verbunden und getrennt.
Die Wirklichkeit freilich war eine andere. Aber die Wirklichkeit ist natürlich immer eine andere.
Kurt Smolek, der auf die Sechzig zuging wie auf einen ozonbedingten Klimawechsel, betrieb seinen Beruf mit großer Akribie und ohne Verzettelung. Von den Kollegen wurde er geachtet, aber nicht wirklich wahrgenommen. Bei Diskussionen gleich welcher Natur hielt er sich zwar nicht heraus, vertrat jedoch eine unpersönliche, eine statistische und mathematische Position. Dazu gehörte auch, in Gesellschaft ein, zwei Gläser Wein zu konsumieren, also jene Menge der Vernunft und der Mitte. Ja, er war ein Musterbeispiel für einen Vertreter der Mitte, in welcher er wie in einem bequemen, unverrückbaren, nicht zu großen und nicht zu kleinen Fauteuil saß. Er galt als langweilig und ungefährlich.
Was für ein Irrtum! Denn wenn Herr Kurt Smolek etwas durch und durch war, dann gefährlich.
Die, die von seiner Macht wußten, hatten nicht das geringste Interesse, sie publik zu machen. Wahrlich nicht. Es handelte sich um Leute, die Smolek zu größtem Dank verpflichtet waren und denen der Tod eines bestimmten Menschen irgendeine Form von Erleichterung verschafft hatte. Eine Erleichterung, die in der Regel ohne Gewissensbisse auskam, natürlich aber nicht ohne Furcht vor Enthüllung. In diesem Punkt stand Smolek wie ein Schutzpatron über der Sache. War ein Fall abgeschlossen, ein Mensch ermordet, ein anderer erleichtert, so verhielt sich Smolek wie der Archivar, der er war. Verschwiegen, unbestechlich, korrekt, die Fäden in Händen haltend, ohne sie wirklich zu regen. Mehr am Stillstand als an der Bewegung interessiert.
Begonnen hatte alles, nachdem ein großer Förderer des Stadt- und Landesarchivs sich mit seiner Not ausgerechnet an den subalternen Smolek gewandt hatte. Ohne freilich von Smolek eine Lösung des scheinbar unlösbaren Problems zu fordern. Der Mann hatte einfach reden wollen, über einen jüngeren Bruder, der trickreich das Familienerbe an sich zu reißen drohte. Eine dieser üblichen üblen Familiengeschichten, die dem Teufel mehr Freude bereiten als jeder politische Konflikt.
Smolek, der ja bei aller Unauffälligkeit auch überraschen konnte, erklärte nun, daß in einem solchen »juristisch ungünstigen Fall« man die Regeln in Richtung auf eine »freie Handhabung« verschieben müßte.
»Was meinen Sie, was ich tun soll?« zeigte sich der Hilfesuchende verwirrt.
»Sie sollen gar nichts tun. Zumindest nicht viel mehr, als einen angemessenen Geldbetrag investieren, um das Problem für alle Zeit aus der Welt zu schaffen.«
»Um Himmels willen, Herr Smolek .«
»Den Himmel kümmert nicht, wie der Mensch sich aus einem Dilemma befreit. Die Welt wäre eine andere, wollte der Himmel, daß wir etwas Bestimmtes tun oder etwas Bestimmtes unterlassen.«
»Das mag Ihre Meinung sein .«
»Sie haben mich, denke ich, um einen Rat gebeten«, sagte Smolek. »Und es wäre unstatthaft, Ihnen einen zu geben, der sich zwar als korrekt, aber wenig effektiv herausstellt. Was soll ich Ihnen denn vorschlagen? In die Kirche gehen und beten? Einen weiteren inkompetenten Anwalt engagieren? Ihre Füße in kaltes Wasser tauchen? Mit dem Bauch atmen? Auch habe ich nicht gesagt, Sie sollen Ihren Bruder eigenhändig erwürgen, um für den Rest Ihres Lebens eingesperrt zu werden.«
»Aber ich bitte Sie! Auch einem Anstifter droht Gefängnis.«
»Wer stiftet hier wen an?« fragte Smolek. »Ich bin es doch. Es handelt sich um meine Idee.«
»Ich wäre mein Lebtag an Ihre Verschwiegenheit gebunden«, stellte der irritierte Mann fest.
»Manche Bindung geht man ein«, erklärte Smolek, »um nicht eine andere eingehen zu müssen. Es ist wie mit dem Heiraten. Wir heiraten jemanden, um nicht jemand anders zu heiraten. Wir handeln in einer Weise, um nicht in einer anderen zu handeln. Wir bestellen Gemüse, um nicht Fleisch zu bestellen. Gehen in die Fremde, um nicht in der Heimat zu bleiben. Alles was wir tun, bedeutet eine Verhinderung oder Unterdrückung von etwas anderem.«
»Großer Gott, Smolek. Seit wann sind Sie Philosoph?«
»Eine Unart«, meinte der Archivar, »die es eigentlich zu unterdrücken gilt. Aber wenn man schon mal so weit ist, über einen Mord zu sprechen .«
»Wovon ich nichts mehr hören will.«
Smolek nickte auf seine graue, steinerne Art und wandte sich ab. Aber der andere war natürlich so wenig konsequent wie die meisten, die eine große Sorge gepackt hat. Nach einer kurzen, einer sehr kurzen Pause, kam er hinterhergelaufen und fragte: »Wie genau, Herr Smolek, stellen Sie sich das eigentlich vor? Sie wären doch wohl kaum bereit, das selbst in die Hand zu nehmen.«
»Wo denken Sie hin? Ich würde jemand engagieren.«
»Wen?«
»Das ist genau das, was Sie nicht zu interessieren braucht.«
»Und worin bestünde Ihr eigener Nutzen?«
»Kein Nutzen.«
»Das ist nicht Ihr Ernst.«
»Kein Nutzen im klassischen Sinn. Vor allem nichts, was zwischen uns beiden stehen würde. Kein Geld, keine Versprechungen, keine Schuld.«
»Den . Killer . müßte man aber wohl bezahlen. Nur einmal angenommen.«
»Das ist etwas anders«, erklärte Smolek, »einem Profi seine Arbeit abzugelten. Das gehört schließlich dazu. Bleibt aber folgenlos, womit ich meine, daß solche Leute sich niemals auf nachfolgende Erpressungen einlassen. Zumindest nicht, wenn sie einen guten Ruf zu gewinnen oder zu verlieren haben. Derartiges ist zu beachten: ein guter Arzt, ein guter Installateur, ein guter Killer.«
»Sagen Sie nicht, Sie kennen einen guten Arzt. Das wäre dann ein kleines Wunder.«
»Nein. Aber einen hervorragenden Installateur. Und von einem Wunder zu sprechen, wäre übertrieben. Man muß sich umsehen und zu vergleichen wissen.«
Was Smolek bei alldem verschwieg, war der Umstand, über einen solchen Killer gar nicht zu verfügen. So überlegt und überlegen er sich auch gab, als spreche er von etwas längst Vertrautem, so bestand die Wahrheit darin, daß ihm jener ungewöhnliche Vorschlag gleichsam als Laune über die Lippen gekommen war. Wobei der Einfall an sich seine Geschichte besaß. Smolek hatte also nicht über etwas gesprochen, was ihm nicht schon mehrmals durch den Kopf gegangen war. Er stand in diesem Thema mit festen Beinen. Doch ein Killer, wie gesagt, fehlte. Andererseits hatte bislang auch der Anlaß gefehlt, einen solchen zu engagieren.
Und dabei blieb es zunächst auch. Denn jener hilfesuchende Mann beendete unversehens die Unterhaltung und erklärte in einem übertrieben distanzierten, geradezu kindischen Ton, alles Gesagte aus seinem Gedächtnis verbannen zu wollen. Nie und nimmer hier gestanden und mit Smolek gesprochen zu haben.
Der Ton aber überholte sich. Wie auch die Distanz. Wenige Tage später erschien derselbe Mann erneut bei Smolek, diesmal wütend und entschlossen.
»Ihr Bruder treibt's auf die Spitze, nicht wahr?« schätzte der Archivar.
»Er kennt kein Pardon.«
»Ja, diese Pardonlosigkeit ist es, die die Menschen in ihr Unglück stürzt. Sie wollen einfach nicht aufhören. Wenn es dann zu spät ist, können sie es kaum fassen.«
»Sie werden es also übernehmen .?«
»Ich halte mich an mein Angebot«, sagte Smolek.
»Aber der Verdacht .«
»Es wird keinen Verdacht geben,...
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