Schweitzer Fachinformationen
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Ein Mensch bleibt weise, solange er die Weisheit sucht; sobald er sie gefunden zu haben wähnt, wird er ein Narr. Talmud
Das Bewusstsein meiner Unzulänglichkeit erhält mich in der Einfachheit und erspart es mir, lächerlich zu werden. Papst Johannes XXIII
Finde heraus, was du nicht kannst, und lass das dann bleiben. ALF
Das Familienstellen entstand als eine ungewöhnlich intensive, extrem berührende und entsprechend effektive Therapiemethode, durch die innerhalb kurzer Zeit tiefgreifende und anhaltende Veränderungen möglich wurden. Begründet wurde sie in weiten Teilen vom deutschen Psychotherapeuten Bert Hellinger, der gleichwohl auf bedeutende Vorlagen und Pionierleistungen zurückgriff, die bis zu Sigmund Freud und weiter zurückreichen. Aus der Kombination dieser Einflüsse, vor allem in Verbindung mit Milton H. Ericksons Ansatz der Ressourcenorierierung und individuellen Anpassung der therapeutischen Strategie an den Klienten, entwickelte sich eine eigenständige Therapietechnik, die über die meisten bisherigen Methoden weit hinausgeht.
Man muss dabei unterscheiden zwischen dem »frühen« und dem »mittleren« bis »späten« Hellinger. Hellinger entwickelte das ursprüngliche, heute »klassisches« Familienstellen genannt, in den 70er bis 80er Jahren, und wurde dadurch in Expertenkreisen bereits bekannt. Für Klienten war es bereits damals schwierig, einen Platz in seinen Seminaren zu bekommen, denn der »Geheimtipp« hatte sich bereits weitläufig herumgesprochen. Diese klassische Technik berücksichtigte noch alle Regeln einer seriösen Psychotherapie in Bezug auf Sorgfalt, Wissenschaftlichkeit und Intimität, und wurde deshalb und wegen ihrer großen Effektivität auch in der Fachliteratur entsprechend gewürdigt (von Schlippe & Schweitzer, 1996). Auch wurde bereits relativ früh Wert darauf gelegt, die Effektivität, aber auch die Validität und Reliabilität des Verfahrens empirisch zu belegen - Letztere konnten in einer umfangreichen Studie verifiziert werden (Schlötter, 2004).
Mit dem Erscheinen des ersten Buches, das seinen Therapieansatz vorstellte (Weber, 1993), setzte ein beispielloser Boom ein, der Hellinger zunächst im deutschsprachigen Raum, später auch international sehr bekannt machte. Mit dem rasanten Anstieg seiner Karriere begann aber auch der Niedergang des Familienstellens - nicht, was die Popularität betrifft, wohl aber dessen Seriosität. Da immer mehr Interessierte diese neue »Therapieform« kennenlernen wollten, begann Hellinger, diese so sensible und persönliche Arbeit vor großem Publikum auf Bühnen zu praktizieren, und verkürzte zum Zweck der prägnanten Demonstration den ursprünglichen, sonst stets (und aus gutem Grund) eine ganze Woche dauernden Therapieprozess auf wenige Tage. Dadurch verkürzte sich die Explorationsarbeit, und auch der für die Klienten so wichtige Einarbeitungsprozess fiel vollständig weg.
Das Ergebnis war, dass der Therapeut nicht mehr über das nötige Hintergrundwissen verfügte, trotzdem aber sehr direktiv seine Vorstellungen in den therapeutischen Prozess einbrachte; der Klient seinerseits wurde in einen intensiven Prozess hineingeworfen wie ins kalte Wasser, ohne entsprechend vorbereitet zu werden. Zusammen mit Hellingers apodiktischer, zunehmend kritikresistenter Attitüde kam es zu zahlreichen »Schnellschüssen«, die sich sehr unangenehm bemerkbar machten: Der Therapeut machte aufgrund viel zu spekulativer und daher oft irriger Vorannahmen Fehler, die dann erst nach und nach, nur rudimentär oder auch gar nicht korrigiert wurden. Aufstellungen dauerten dadurch unnötig lange oder aber ließen den Klienten in unstimmigen, unfertigen oder gar ängstigenden Zuständen zurück. Besonders selbstunsichere Aufsteller hatten große Schwierigkeiten, Fehler einzugestehen. Viel einfacher war es, die Schuld dem Klienten zuzuschieben, der »noch nicht bereit« sei, oder der »alles erst einmal wirken lassen« solle.
Anstatt wieder zu der bewährten, seriösen Technik des ausführlichen Explorierens und der sorgfältigen Einarbeitung in die zu behandelnde Dynamik zurückzukehren, verzichtete Hellinger nach und nach vollständig sowohl auf jede Art der Datenerhebung als auch der Erklärung. Stattdessen führte er die »Bewegungen der Seele« ein: Die Familie, minimalistisch auf »wesentliche« Personen reduziert, wurde aufgestellt; die Stellvertreter bewegten sich dann stumm, von inneren Impulsen geleitet, im Raum umher, kamen irgendwann zum Stillstand oder sanken in sich zusammen. Anschließend wurde betont, dass man daran nicht rühren solle, da man damit womöglich die Wirkung zerstöre.
Es gab sogar Aufstellungen, bei denen nur eine einzige Person im Raum stand; es gab also gar keine Konstellationen mehr, sondern die »Energie« bzw. der seelische Zustand sollte allein durch das Einfühlen in das unterstellte »wissende Feld« oder durch eine Art Inbesitznahme durch die dargestellte Seele sichtbar gemacht werden.
In extremen Fällen stellte Hellinger noch nicht einmal mehr auf. Der Klient setzte sich nur neben ihn, sein Anliegen sollte er auch gar nicht äußern. Schweigend saßen sie so manchmal fünf Minuten nebeneinander, manchmal nahm er die Hand des Klienten, manchmal auch nicht. Nach der stummen »Meditation« (oder wie man es auch immer nennen mag) war die Intervention beendet. »Doing by Non-Doing« nannte er das.
Das ursprüngliche Familienstellen hatte sich damit von jeder seriösen Therapietradition entfernt und war zu einem quasi-religiösen, esoterischen Ritual geworden, was ein entsprechendes Publikum anzog. Schamanen, Wunderheiler, Reinkarnationstherapeuten, Heilpraktiker der halbgebildeten Sorte, Anthroposophen und allzu oft auch schlicht Spinner ohne jede Ausbildung oder gar Heilerlaubnis stellten bald einen großen Teil der »Hellingerianer«. Es etablierte sich eine sektenhafte Struktur mit Hellinger als dem Guru, der seit 2001 behauptet, eine eigenständige Wissenschaft namens »Hellinger sciencia« (die aber keinerlei Merkmale naturwissenschaftlichen Vorgehens aufweist) begründet zu haben, die der »bewiesenen Wissenschaft in der Zeit um zehn oder mehr Jahre voraus« sei. Er gab eine gleichnamige Zeitschrift heraus, die größtenteils Portraitfotos von ihm selbst enthielten. Seine zweite Frau Sophie kündigt ihn bei seinen Seminaren zeitweilig sogar als »Prophet« an. Charakteristisch ist die Unantastbarkeit von Hellingers Weisheiten, sowie das völlige Fehlen jeder Andeutung von Humor.
Passenderweise haben einige von Hellingers umtriebigsten Nachahmern eine Karriere als Osho/Baghwan-Jünger hinter sich bzw. engagieren sich noch immer missionarisch. Aus dieser Tradition stammt womöglich auch die inquisitorische Taktik, den Klienten Unfertigkeit und Unvollständigkeit zu bescheinigen, um sie so an sich zu binden und in ein Seminar nach dem anderen zu drängen.
Für einen Therapeuten, der sich ebenso den humanistischen wie wissenschaftlichen Grundlagen therapeutischen Arbeitens verpflichtet fühlt, war es geradezu schmerzhaft, erleben zu müssen, wie jemand wie Bert Hellinger, der eine geradezu geniale Therapietechnik entwickelt hatte, ebendiese wieder ruinierte. Er selbst sieht das anders - er bezeichnet sein ursprüngliches Therapiekonzept als »stehengeblieben«, seine pseudowissenschaftliche Degeneration sei dagegen als etwas Reineres und Besseres. Seine ursprüngliche Errungenschaft, therapeutische Möglichkeiten erschlossen zu haben, die in anderen Therapieformen nicht oder nur rudimentär vorkommen, und durch die es möglich ist, innerhalb kurzer Zeit selbst bei schweren und hartnäckigen Symptomatiken Heilerfolge zu bewirken, die andernfalls so kaum möglich sind, ist daher in Fachkreisen nahezu vergessen.
Dies liegt vermutlich daran, dass die meisten Therapeuten die ursprüngliche Form des Familienstellens gar nicht kennengelernt haben. Infolgedessen war es nicht möglich, eine Ausbildung darin zu absolvieren, es war noch nicht einmal ein besonderes Bewusstsein dafür vorhanden. Vielen Therapeuten nämlich erschien die Methode so simpel, dass sich die allgemeine Auffassung verbreitete, selbst nach einmaligem Zuschauen (manchmal nur dem Anschauen eines Videos) sei man befähigt, Aufstellungsarbeit leitend durchzuführen.
Die hohe Komplexität der Methode wurde dabei völlig ignoriert, ja nicht einmal begriffen. Nicht wenige behaupteten sogar allen Ernstes, der Therapeut brauche nicht die geringste therapeutische Vorbildung, weil die »große Seele« alles erledigen würde, und man ja lediglich...
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