Schweitzer Fachinformationen
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Diese vibrierende Ruhe, die sich in den rauen Abenddunst legte. Noch hing der Tag hinter den Schattenrissen der kantigen Mauern und verweigerte der Nacht ihren Einsatz. Eine Kastanie atmete breitbrüstig im Wind, als ob sie denen, die ihr ausladendes Gewölbegrün durchschritten, Mut machen wollte. Wie die umstehenden gläsernen Riesen hielt sie ihre weißen Rispen keck zum Himmel. Vielleicht hätte ein anderer hieraus poetischen Gewinn schlagen können, wenn nicht alles zu sehr an die Wirklichkeit geknüpft gewesen wäre, zu wahrhaftig war. Immerhin mischte sie in die aus Trübheit gesättigte Luft einen fremdartig-herben Duft, vielleicht die einzige sinnliche Beiläufigkeit, die den Getriebenen zuteilwurde. Später, in den Abendstunden, ließ der Baum sein blättriges Gewand wie Seidenpapier rascheln, eine wohlgemeinte Geste, die aber vom Lärm der Zeit übertönt wurde. Manchmal immerhin spendierte ein vom Regen überraschter Gelegenheitsgast einen matten Blick hinauf in die verwachsene Krone. Dieses Jahr ließ der von der Trockenheit erlösende Regen jedoch so lange auf sich warten, dass manch einer an die Zeit zurückdachte, bevor die Demut vor dem Unberechenbaren im Rausch des Steuerbaren untergegangen war. Also vor dem großen Triumph, als es die Kanone noch nicht gab. Seitdem sie die Stratosphäre mit Schwefelpartikeln beschoss wie ein Krebsgeschwür, verschwanden die Wunden und mit ihnen das amorphe Schuldgefühl, seit Jahrzehnten über die Verhältnisse gelebt zu haben. Jetzt also dieser Sommer in bacchantischer Unbefangenheit, ein Tanz im gedimmten Licht, und selbst aus den geglätteten Fassaden der Schluchten aus Asphalt, Marmor und Glas schien die grelle Kühle zu weichen, so ergriffen waren alle von der Überlegenheit der menschlichen Spezies.
Abgeschirmt von den Launen der Natur und auf Distanz zu dem äußeren Wandel saß Karl in seinem klimatisierten Büro im siebzehnten Stockwerk des Glashauses. Sah man von der aufschneiderischen Kastanie vor dem Eingang einmal ab, lag in dem Anblick von außen eine konspirative Transparenz und schenkte im Innern seinen Tagesbewohnern das Gefühl höherer Zweckerfüllung. Glas und Gemeinschaft hoben hier alles Trennende auf, sodass Schritt und Tritt dem auf Mehrwerterzeugung geeichten Blick der anderen preisgegeben waren. Jetzt, abends, war Karl allein und rings um ihn troff der Raum in schwarzem Pech. Nichts blieb vom tagesfrischen Glamour, und in der rhythmuslosen Stille kam er sich vor wie ein abgeschminkter Zirkusclown. Von seinem Bürosessel aus ließ sich durch die Dunkelheit gerade noch das helle Beige des Glattleders im Teak erahnen, das als handbreite Fugen zwischen die Glaswände eingelassen war. Manchmal, wenn er durch die Flure schwebte und Kommandos in die Zimmer der Edelabsolventen rief, die aufgereiht hinter ihren Arbeitsstationen Peinflecken in Hemden und Blusen schwitzten, oder wenn er beschwingt aus einem der Besprechungsräume kam, in denen ergonomische Schalensitze um den wie ein zerlaufenes Spiegelei geformten Tisch standen, oder wenn er im Bogen vorbei an den in der Mitte des Stockwerks liegenden gläsernen Ovalen lief, dann glitt er mit den Fingerspitzen über diese Stellen der beige-ledernen Teakintarsien, so wie ein Baby das Fell eines Fühlbuchs ertastet, und für diesen Bruchteil eines Augenblicks brach der Takt, nach dem er so spielerisch-leicht durchs Leben tänzelte.
Beharrlich verrichtete Karl sein Tagewerk, das eigentlich jeder Art hätte sein können, ging es doch allein darum, messbare Vorsprünge herauszuarbeiten. Das Leben der anderen ging an ihm spurlos vorüber. Nur beim Anbruch der Nacht, wenn selbst den Getriebenen die Ermattung einholte, weil er noch nichts gegen diese Eigenart der Natur unternehmen konnte, und der Himmel wie an diesem Abend seine Schleusen öffnete und die Natur geräuschvoll auf sich aufmerksam machte, horchte er auf, lehnte sich in seinem Bürosessel zurück, lauschte dem Regen und der gleichmäßigen Melodie, die der Niederschlag auf den Fensterscheiben des Bürogebäudes trommelte. Rinnsale glitten wie feuchte Perlenketten die verglaste Fensterfront hinab in die Tiefe, als ob sie dort ein besseres Leben erwarten würde, wo es doch bloß menschengemachter Asphalt war, auf dem sie jämmerlich verdunsten würden. Vielleicht wollten sie aber auch den Blick verschleiern auf die in die Dunkelheit geritzten gegenüberliegenden Bürogebäude, die Schulter an Schulter jeden Zentimeter des raumschluckenden Molochs ausfüllten. Karl saß da, eingehüllt im Lichtkegel seines Monitors und getrennt von der Schwärze des raumgreifenden Abends, den Blick in das lichte Tief der taktgebenden Welt gezogen, die seine ganze Geisteskraft absorbierte, selbst die noch bei jedem Menschen dann und wann irrlichternden Ausläufer jener Gedanken, die nach dem Verborgenen und Ungreifbaren fragen - sie alle waren auf den Licht, Ordnung und Orientierung spendenden Monitor gerichtet. Was er ausspie, hielt Karl in den Bahnen der gleichmäßig pulsierenden Welt, und der sanfte Schlag, in dem das Metronom den Schritt der Arrivierten trieb, fiel so zwanglos mit dem eigenen, inneren Rhythmus zusammen, dass die Lebensfrüchte nur so von den Bäumen purzelten und ihm jedes Mal ein zufriedenes Glucksen entlockten. Gleichwohl hielt sich irgendwo im Dunkeln zählebig die Idee, doch noch einmal ein anderes Leben zu haben, ein Leben von anderer Beschaffenheit als das jetzige, ein Leben, in dem die Spuren des alten Lebens getilgt sein würden.
Ruhelos flimmerte Karls Aura als treues Abbild jener schwerelosen Zugeneigtheit, mit der sonst nur der Berufspolitiker betört. Wangen und Kinn wölbten sich sanft unter jungenhaftstraffer Haut, der Nasenbogen schwang sich in künstlerischer Zufälligkeit als kühner Bogen zur Stirn, ins Lebhafte mischte sich hellenisches Ideal. Unter fast durchsichtigen Brauen ruhten zwei Augen, die dem wendigen Geist ihres Herrn folgten. Die Zähne taugten als Beweiszeichen dessen, was als gesund und ausbalanciert galt, und die Mikrobegradigungen hatten sie zur Quelle positiver Lebenseinstellung werden lassen. Gerade jetzt, im Zeitalter der Berührungslosen, als das Gesicht durch pixellierten Kristall ohnehin viel angenehmer anzusehen war, blieb das Lächeln eines der wenigen sinnlichen Angebote an diejenigen, mit denen man sich Raum teilte. Karls Wirkung lebte dank seines Auravorteils von der Nähe, so verschwenderisch verströmte er Ausgeglichenheit und vermittelte eine Leichtigkeit, nach der sich jeder Zweifler sehnt. Doch so, wie ein Weinstock die gute Frucht nur am gesunden Trieb hervorbringt, muss anderes Leben getilgt werden. Eine entbehrungsreiche Jugend hatte die mütterlicherseits in ihm angelegte Sanftheit überformt, hatte Ehrgeiz und Beharrlichkeit zum Antrieb werden lassen, ihn zäh gemacht. Die beschränkten Mittel daheim ließen den Jungen mit bitterem Geschmack auf das schauen, was andere, er aber nicht besaß. Mangel war auch die unbewusste Auslagerung einer Fremdheit gegenüber dem Vater, der sich unter einem Stapel an Büchern und Schriften verbarg, die in seinem Inneren wie auf ausgetrockneter Erde zu versickern schienen, ohne dass darauf irgendein Pflänzlein gedieh und ohne dass ihn, was für den Knaben viel tragischer war, eine Mitteilsamkeit von der inneren Beschäftigung ins Leben der anderen zurückführte. Nichts konnte den Vater dazu bewegen, die finanziell unauskömmlichen Freiheiten einzutauschen gegen irgendeinen solide bezahlten Job. Nicht einmal wenn die Mutter, Pflegerin in einem städtischen Krankenhaus, deren Tauschgeschäft von körperlichem Einsatz und monetärer Entschädigung himmelschreiend war, ihn wieder und wieder bekniete, und sei es nur, um möglich zu machen, dem Jungen nicht immer Nein sagen zu müssen.
Subkutaner Groll gebar den Gegenentwurf: getrieben statt versunken, lüstern nach Profanem als Mittelfinger gegenüber dem entsagenden Rückzug. Sein Loft atmete den Zeitgeist mit verschwenderischer Lust. Mit dem Aufzug stieg er empor ins Penthouse, und wenngleich er auch die Namen der Künstler, deren Werke er auf seinen Wochenendstreifzügen erworben hatte, immer wieder vergaß, war es doch ein sättigendes Gefühl, das ihn ergriff, wenn er im Kamin die groben Scheite lodern sah und auf ihr Knallen wartete, wobei das Knallen auch zerplatzte Träume hätten sein können, die sich durch den Schlot gemeinsam mit dem Gefühl verflüchtigten, dass mit ihm, dass mit der Welt etwas nicht stimmte. Sein neues Heim war so glatt wie sein Smartphone, und dass sich in ihm kein einziges Buch befand, musste mit den mit Bücherregalen ausstaffierten Zimmern zu tun haben, in denen der Knabe und Heranwachsende die erdrückende Präsenz seiner stummen Feinde ertragen musste, mit denen er um die Aufmerksamkeit des Vaters konkurrierte und die ihm jahrelang mitleidslos den Rücken zugewandt hatten.
Die Außenwelt bekam, was sie von einem Emporkömmling erwartete. Er beugte sich den Usancen der Profession, traf und trällerte den Ton in allen Lagen, schwieg oder scherzte je nach Bedarf und wurde umso sicherer, je mehr er feststellte, dass der Anzug seinem Wuchs wie angegossen entsprach. Die...
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