Schweitzer Fachinformationen
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Als die ersten Vögel den neuen Tag ankündigten, erwachte Bianca, blinzelte gegen die letzten Reste der Müdigkeit, schlug die Leinendecke mit den kunstvollen Stickereien zurück und schwang energisch die Füße aus dem Bett. Sie ging zu einem Holztischchen, das exakt nach ihren Wünschen und Vorstellungen angefertigt worden war, nahm den Tonbecher, den ihre ehemalige Amme Giovanna erst vor kurzem frisch gefüllt hatte, und trank einen Schluck kühles Wasser. Bianca wählte einen einfachen Rock, dazu eine Leinenbluse, und zog sich an.
Ihr langes blondes Haar, das ihr wie ein seidiger Vorhang bis auf die Hüften fiel, flocht sie zu einem Zopf und steckte ihn mit Nadeln und Kämmen am Kopf fest. Giovanna würde sie später frisieren, aber jetzt blieb dazu keine Zeit.
Bianca beeilte sich, denn im Osten schob sich schon die Sonne wie eine rote Scheibe über den Horizont, und sie wollte um keinen Preis das frühe Morgenlicht, das den Garten auf eine besondere Art verzauberte, versäumen.
Die Mägde und Knechte waren alle schon auf den Beinen, und als Bianca durch den Innenhof der Burg lief, hatten sie die Pferde für den Grafen Lancia und seine Ritter bereits gesattelt.
Wie jeden Morgen stank der Innenhof nach frischem Pferdemist, und die Jagdhunde ihres Bruders gruben im Dreck nach Knochen und anderen Küchenabfällen. Der schwere Pferdegeruch überlagerte den feinen Duft von frischgebackenem Brot, der aus der warmen Küche in den Hof zog.
Bianca lächelte und dachte an das knusprige Brot, das sie später mit etwas Butter essen würde. Sie liebte die einfachen Speisen - Brot, Obst, Gemüse. Die fetten Braten, die die Ritter ihres Bruders mit Vorliebe verschlangen, verursachten ihr Übelkeit. Wenn es nach ihr ginge, würde sie überhaupt kein Fleisch anrühren - aber Bianca wusste sehr wohl, dass so ein Bekenntnis nicht ganz ungefährlich war. Nur Ketzer aßen kein Fleisch. Und der Ketzerei verdächtig zu sein konnte den Tod bedeuten. Ein Gedanke, den sie an diesem perfekten Morgen schnell verscheuchte.
Bianca durchquerte den Burghof mit schnellen Schritten und betrat den Garten durch ein Holztor mit filigranen Schnitzereien. Sobald sie sich vor neugierigen Blicken sicher fühlte, setzte sie sich ins Gras und betrachtete eine Rose. Die Blätter waren noch feucht vom Tau, die samtigen Blüten zu dieser frühen Stunde fest geschlossen. Am Himmel zeigte sich schon hier und da ein perfektes Blau, und Bianca ahnte, dass ihr ein weiterer heißer Julitag bevorstand.
Ihre schmalen Finger strichen zärtlich über die Knospen. »Du bist die Schönste von allen«, flüsterte sie der Blume zu, und ihre Augen folgten dem gewundenen Pfad durch den Rosengarten. Links und rechts sah sie Alba- und Gallicarosen in den zartesten Cremetönen.
Der Rosengarten war nur klein, denn die Blumen waren zu kostspielig, um sie in großen Mengen anzupflanzen. Aber man hatte ihn so geschickt angelegt, dass niemandem seine geringen Ausmaße auffielen. Biancas Großmutter hatte mit der Rosenzucht begonnen und ihr Wissen für alle nächsten Generationen in einem kunstvoll bemalten Buch festgehalten.
Bianca liebte den Garten. Es gab keinen Rosenstock, den sie nicht kannte, und besonders jetzt im Juli konnte sie sich keinen schöneren Platz vorstellen. Es duftete betörend, und sie spürte hier eine Art von Sinnlichkeit, die sie nicht in Worte zu fassen vermochte. Dieses Gefühl gab ihr Ruhe und war zugleich Kraftquelle für einen Alltag, der nur wenige glückliche Momente für sie bereithielt.
Gleich hinter dem Rosengarten lagen die Obstwiesen, daran grenzte der Gemüsegarten mit seinen Beeten für Lauch, Endivien, Kresse, Gurken, Schalotten, Kohl und Rauke, und noch ein kleines Stück weiter gelangte man in den Kräutergarten, wo es würzig nach Minze, Basilikum, Thymian, Rosmarin und Majoran roch.
Bianca raffte ihren weiten Leinenrock, stand auf und sah sich lächelnd um. Mein kleines Paradies nannte sie ihren Garten, und hier fühlte sie sich wie die Königin eines verwunschenen Landes. Sie saß oft allein und ungestört auf einer Bank und versank in den wenigen Mußestunden, die ihr blieben, in romantischen Tagträumen.
Ihre Lieblingsgeschichte war die traurige Liebe von Tristan und Isolde, die der Minnesänger Gottfried von Straßburg an den Höfen erzählte.
Viele Troubadoure kannten inzwischen die Sage von der schönen Isolde und dem tapferen Tristan, die voneinander nicht lassen konnten, weil sie verzauberten Wein getrunken hatten, und trugen sie von Land zu Land und von Hof zu Hof über die Alpen in den Süden.
Als Bianca das erste Mal einen Sänger gehört hatte, der das Schicksal der beiden Liebenden zu seiner Laute vorgetragen hatte, waren ihr gegen ihren Willen die Tränen gekommen.
Normalerweise weinte sie selten und wenn, dann niemals in Anwesenheit ihres zehn Jahre älteren Bruders, des Grafen Manfred Lancia. Aber an jenem Abend war ihr zum ersten Mal bewusst geworden, was in ihrem Leben fehlte - die Liebe.
Ihr Großvater väterlicherseits war ein berühmter »trovatore« gewesen und hatte am Hof des Kaisers Barbarossa vor den Großen und Mächtigen des Reiches gesungen. Er hatte wunderschöne Gedichte geschrieben, und Bianca verehrte diesen Mann, seit sie eines seiner Bücher entdeckt hatte. Auch er war auf den Namen Manfred getauft worden und beklagte mit zärtlichen Worten Gefühle zu einer Frau, die seine Liebe nicht erwidert hatte.
Bianca hatte ihren Großvater nie kennengelernt, aber in ihren Träumen sprach sie oft mit ihm und hoffte, dass er stolz auf seine Enkelin sein würde, denn sie schrieb selbst gelegentlich Gedichte, achtete aber sorgfältig darauf, dass dies ihrem Bruder verborgen blieb. Manfred hatte nicht das geringste Verständnis für irgendeine Art von Zeitverschwendung. Und Gedichte schreiben zählte für ihn zu einer der schlimmsten.
Bianca schlenderte nachdenklich an den Rosen vorbei. Ihr Bruder hatte ihr schon gestern Abend in seiner gewohnt herrischen Art eine Nachricht bringen lassen. Er erwarte Gäste für den heutigen Tag, einen mächtigen Ritter mit seinem Gefolge. Bianca solle sich bereithalten. Sobald er, Manfred, von dem morgendlichen Jagdausflug zurück sei, habe er mit ihr zu sprechen.
Bianca lächelte wehmütig. Man brauchte keine große Vorstellungskraft, um zu ahnen, was er ihr sagen würde. Im vergangenen Monat war sie siebzehn Jahre alt geworden, und nach Manfreds Meinung war es höchste Zeit, sie zu verheiraten. Im Prinzip sei sie längst überfällig, hatte er erst vor kurzem schonungslos vor den Ohren der Dienerschaft behauptet.
Bianca wusste, dass Manfred schon seit geraumer Zeit nach einem Mann suchte, dem er seine Schwester zur Frau geben konnte. Nach einem reichen, setzte sie in Gedanken dazu, denn die Familie Lancia war so gut wie bankrott.
Einst hatte das Geschlecht der Lancias zu den wohlhabendsten Familien im Piemont gehört. Bianca kannte alle Geschichten über den Großvater, der zwar als Troubadour einer der besten, als Verwalter seiner Ländereien jedoch ein Versager gewesen war. Es war ihm nicht gelungen, den Reichtum der Familie zusammenzuhalten. Stück für Stück hatte er den Besitz verkauft, und von der früheren Pracht war wenig geblieben.
Bianca und Manfred waren die Letzten der Lancias, ihre Eltern seit Jahren tot. Ihre Mutter starb bei Biancas Geburt. Ein ungewöhnlich großer Blutverlust und ein nachfolgendes hohes Fieber hatten die Gräfin Lancia so geschwächt, dass sie den nächsten Tag nicht überlebt hatte. Ihr Vater fiel im Kampf gegen marodierende Soldaten.
Bianca war von ihrer Amme Giovanna aufgezogen worden, und niemand stand der jungen Gräfin Lancia so nah wie diese Dienerin. Die beiden Geschwister respektierten sich zwar, aber zärtliche Gefühle hatten Manfred und Bianca nie füreinander gehabt.
Bianca blickte auf und entdeckte Giovanna auf dem Weg in den Kräutergarten. Wie immer trug die Amme ein dunkles Gewand und eine helle Haube, die das gesamte Haar bedeckte. Und wie immer war sie in Eile. Sie hob ihren Rock bis zur Wade und lief in dieselbe Richtung. Das kühle, weiche Gras unter ihren nackten Füßen schluckte das Geräusch ihrer Schritte.
»Giovanna, ist mein Bruder schon zurück?«
»Nein, meine Liebe, aber er wird bald kommen. Beeil dich, du kannst ihm nicht barfuß und voller Grasflecke gegenübertreten.« Die Amme sah ihre Ziehtochter traurig an. »Es ist so weit, Süße, Manfred hat einen Mann für dich gefunden, und wir beide werden Lebewohl sagen müssen.«
»Unsinn, Giovanna. Wir werden uns nie trennen. Wenn ich die Burg verlassen muss, gehst du mit mir. Ich werde ganz sicher nicht ohne ein vertrautes Gesicht mit einem fremden Mann in einen fremden Palast ziehen.«
»Aber Bianca, das ist der Lauf der Welt und das Schicksal der Frauen. So ist es schon immer gewesen. Sagt nicht der Herr, das Weib soll dem Manne untertan sein?«
Bianca seufzte und schwieg. Heute Morgen wollte sie nicht streiten. Und schon gar nicht mit Giovanna. Aus Liebe zu ihrer Amme gab sie oft nach. Doch so sanftmütig sie Giovanna begegnete, so starrsinnig benahm sie sich gegenüber Manfred. Auch wenn sie ihm Gehorsam schuldete - Bianca dachte nicht daran, seine Wünsche oder auch Befehle widerspruchslos hinzunehmen.
Giovanna, die das aufbrausende Temperament ihrer Ziehtochter kannte, zog Bianca fest in die Arme.
»Was auch immer passiert, glaube an deine Träume, und bleibe so, wie du bist.«
»Gestern ist mir im Schlaf ein Engel begegnet«, erwiderte Bianca zögernd. »Um mich herum tobte ein schreckliches Feuer. Menschen schrien, und die Luft roch nach verbranntem Fleisch. Der Engel sah mich an, dann war er fort.«
Giovanna wurde blass.
»Glaubst du an Träume, Giovanna?«
»Träume sind Bilder, nach...
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