Schweitzer Fachinformationen
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Das Auto rollt über schmale, kurvige Sträßchen und bringt uns zwischen Feldern und gut gepflegten Pferdekoppeln näher ans Ziel. Wir haben eine schier endlose Aussicht auf den Öresund, und inmitten all dem Blau liegt die Insel Ven wie ein grünes, horizontales Ausrufezeichen.
»Schön ist es hier«, sagt Nike und dreht sich nach einem Vierseithof um, der von knorrigen Obstbäumen umgeben ist. »Ich hätte nicht gedacht, dass dieser Teil von Schonen so viel zu bieten hat.«
Ich kann nicht antworten und habe Probleme, meine Lunge mit ausreichend Luft zu füllen. Je näher wir dem Schloss kommen, desto schwerer wird es.
»Du bist nervös«, stellt sie fest.
Ich schaue auf die Straße, aber ich merke trotzdem, dass Nike mich mustert, dass sie versucht, meine Mimik und meine Bewegungen zu interpretieren. Nach all den Jahren an meiner Seite beherrscht sie das ziemlich gut.
Ich würde gern etwas sagen, würde zum Beispiel gern ihre Behauptung dementieren. Aber jetzt gerade kann ich nur atmen und gleichzeitig versuchen, das Auto in der Spur zu halten. Das Blut rauscht in meinen Ohren.
Auf der linken Straßenseite taucht ein Schild auf. Ich bremse zu heftig ab und der Wagen schlingert. Nike ist still, aber ich kann ihre Gedanken hören. Sie fragt sich, warum ich ihr keine Antwort gebe. Sie fragt sich, warum ich fahre wie ein Idiot. Sie überlegt, ob ich ihr irgendwann mal etwas über meine Familie oder Freunde erzählt habe, Details, die mein Verhalten erklären würden.
Auf dem Weg die Allee hinunter überkommt mich das Gefühl, meinem eigenen Tod entgegenzufahren. Ich habe dieses Gefühl nicht zum ersten Mal. Vor acht Jahren habe ich exakt dasselbe erlebt. Damals wäre es fast ins Auge gegangen. Aber ich habe überlebt. Ob man alles, was danach kam, wirklich ein Leben nennen kann, ist eine ganz andere Frage. Ich habe mir sehr oft gewünscht, dass ich in jener Nacht gestorben wäre.
Die Allee schrumpft, die Bäume strecken ihre Äste aus wie lange, krumme Klauen. Sie greifen in die Luft, und ich gebe Gas. Nike klammert sich am Türgriff fest.
Als das Auto endlich auf dem Parkplatz steht, lehne ich den Kopf nach hinten und schließe die Augen.
»Willst du darüber reden?«
Ich schüttele den Kopf. Ich kann nicht darüber reden. Ich kann nur versuchen, das alles hier irgendwie zu überstehen. Aus irgendeinem Grund muss ich an ein Selbsthilfebuch denken, das Mama mir ein paar Jahre nach dem Unfall zu Weihnachten geschenkt hat: »Für die Freude entscheiden«. Der Autor vertritt die Ansicht, dass jeder Mensch die Wahl hat, ob er ein Opfer sein will oder das Kommando über sein Leben übernimmt. Was für ein Witz.
Als ich eine Minute später die Augen wieder aufmache, überquert gerade eine festlich gekleidete Frau den Parkplatz. Sie trägt ein großes Instrument.
»Wow.« Nike hat dieselbe Entdeckung gemacht. »Eine Harfe! Hast du eine Ahnung, was es kostet, eine Harfenistin zu engagieren? Wie viele gibt es in Schweden, was denkst du?«
Als meine Antwort ausbleibt, dreht sich Nike wieder zu mir um.
»Komm schon, Erik. Rede mit mir.« Sie hat eine Sorgenfalte auf der Stirn. »Du bist schon so komisch, seit wir getankt haben. Ist etwas passiert?«
Ich nehme die Mineralwasserdose aus dem Getränkehalter und drehe sie um, lasse den letzten abgestandenen Tropfen auf meine Zunge fallen, während mein Hirn nach einer Erklärung sucht, die in Nikes Ohren glaubwürdig klingt. Aber es gibt keine glaubwürdige Antwort, und ich hasse Lügen.
»Quatsch.« Ich stelle die Dose zurück und ringe mir ein Lächeln ab. »Es ist nichts passiert. Ich bin wahrscheinlich einfach nur ein bisschen überwältigt vom Ernst der Stunde.«
Sie schnaubt.
»Und das soll ich dir glauben? Vor Kurzem wolltest du nicht mal herkommen. Du hast dich darüber ausgelassen, wie sehr du William hasst und wie bescheuert Emily ist, dass sie auf so einen Idioten reingefallen ist.«
»Glaub, was du willst«, sage ich. »William ist ein Idiot. Aber das heißt ja nicht, dass ich nicht trotzdem ein bisschen sentimental werden kann. Mein Gott, meine kleine Schwester heiratet heute.«
Nike wechselt das Thema.
»Ihr seid in dieselbe Klasse gegangen?« Sie schnallt sich ab, macht aber keine Anstalten aus dem Auto auszusteigen. »William und du?«
Ich nicke.
»Von der ersten Klasse bis zum Gymnasium.«
»Fandst du ihn immer schon doof?«
Ich denke kurz nach.
»Nein«, sage ich.
»Was hat sich geändert?«
»Nichts Besonderes.« Ich winke ab. »Wir haben uns auseinanderentwickelt.«
»Ich freue mich so unglaublich für euch.« Amanda sucht über den Rückspiegel Blickkontakt zu mir. »Und wie toll das für Milo wird. In ein paar Jahren können sie miteinander spielen, unsere Mäuse.«
Sie fährt wie immer zu schnell. Es ist ungewohnt, sie am Steuer eines kinderfreundlichen Kombis zu sehen. Amanda hat eine Schwäche für Sportwagen.
»Genau das habe ich auch schon gedacht.« Ich fahre sacht mit den Fingern über den weißen Seidenstoff, streiche eine Falte glatt. »Es wird Zeit, dass Milo einen Kumpel bekommt.«
Was für ein merkwürdiges Gefühl, laut über das kleine Würmchen in meinem Bauch zu reden. Über mein Kind. Unser Baby.
Als die beiden Streifen auf dem Schwangerschaftstest Realität wurden, stand ich allein zu Hause im Badezimmer. Es war früh am Morgen, aber William war schon ins Büro gefahren. Mein erster Impuls war, ihn anzurufen und die Neuigkeit sofort herauszuschreien. Aber dann beherrschte ich mich und kam zu dem Schluss, dass es viel schöner ist, eine solche Nachricht persönlich zu überbringen. Und da kam mir die Idee, ihn an unserem Hochzeitstag damit zu überraschen. Alkoholfreier Sekt und rote Rosen sind für unsere Suite bestellt - nach Mitternacht, damit das Eis im Sektkühler nicht schon geschmolzen ist. Ich kann es kaum noch erwarten!
William scheint noch keinen Verdacht geschöpft zu haben. Bisher geht es mir gut, aber jetzt, um die siebte Woche herum, setzt wohl normalerweise die Übelkeit ein. Zumindest steht das überall so im Internet.
Amanda fährt von der E6 ab. Wir sind fast da. Ich will gerade etwas darüber sagen, aber ich beiße mir auf die Zunge, als ich mich zu Cissi umdrehe. Sie war schon die ganze Fahrt über ungewöhnlich still, und ich kann mir vorstellen, in welche Richtung ihre Gedanken gehen. Cissi ist erst seit kurzem Single, und auch wenn ihr Typ eine echte Schlaftablette war, weiß ich, dass sie wirklich verliebt in ihn war. Bestimmt freut sie sich für mich, aber natürlich tut es weh, dass sie jetzt wieder bei null anfangen muss. Und ich bin nicht so dumm, ihr jetzt einen Vortrag darüber zu halten, dass sie doch noch jung ist und alle Zeit der Welt hat. So etwas will man als frisch Verlassene nicht hören.
»Es kommen übrigens auch ein paar Singles heute Abend.« Ich stupse Cissi mit dem Finger in den Oberarm. »Williams jüngster Cousin wäre ein richtig guter Fang.«
Sie lächelt, aber sie wirkt abwesend.
Es heißt ja immer: Pech in der Liebe, Glück im Spiel, also reichlich Geld. Bei Cissi trifft das absolut zu. Ihr Salon läuft blendend, aber bei Männern hat sie deutlich weniger Erfolg. Manchmal, aber nur manchmal, kommt mir mein eigenes Glück unverdient vor. Cissi hat so hart für ihren Traum gearbeitet, sich selbstständig zu machen. Ich dagegen hatte nie große Träume, was meine berufliche Laufbahn betrifft. Ich wusste nur, dass ich eine vernünftige Ausbildung haben will. Trotzdem sitze ich heute hier und habe alles, was man sich nur wünschen kann. Dank William.
Amanda biegt ab, und wir fahren zwischen den Bäumen die schattige Allee hinunter.
»Ich setze dich direkt vor dem Eingang ab«, sagt sie. »Wir sind spät dran.«
Der Parkplatz ist fast voll. Ich sehe Ibbes Mercedes und atme auf - wenn Ibbe da ist, dann ist William auch da. Papas Toyota parkt neben Kristers und Gittans SUV, aber Mamas Auto kann ich nirgends entdecken. Ist sie noch nicht gekommen?
Ich schaue mich um. Nein, es steht wirklich kein silberner kleiner Renault zwischen den anderen Autos. Ein Stich von Enttäuschung. Hat sie sich im Datum geirrt? Ist etwas passiert? Oder hat sie ein neues Auto? Nein, Letzteres ist völlig abwegig. Mama ist geizig, und Autos interessieren sie nicht. Sie würde sich niemals ein neues kaufen, solange das alte noch fährt.
Ich ziehe mein Handy aus der Tasche und sehe sofort, dass sie sich nicht bei mir gemeldet hat. Mein Herz sinkt wie ein Stein. Ich hätte sie niemals einladen sollen. Das ist mal wieder so typisch Annika Brandt. Im letzten Moment zu kneifen, ohne ein Wort zu sagen. So feige. So unglaublich feige.
Hätte Erik heute geheiratet, dann wäre Mama...
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