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Andrea Breimann
Der Begriff der musikalischen Gattung verliert im 20. Jahrhundert umso schneller an Bedeutung, je mehr sich die Ideen von Individualität, Autonomie und Differenzierung durchsetzen. Nach einer Phase absoluter Vermeidung jeglicher Gattungskategorien in der Neuen Musik lassen sich seit den 1980er Jahren in vielen Kompositionen wieder Bezüge zu Gattungsaspekten und -perspektiven finden, welche im Prozess des postmodernen Zugriffs auf den >historischen Fundus< der Musiktradition unwillkürlich in den Blick geraten.
Stefan Heucke gehört nicht zu denjenigen Komponisten, die solche Gattungsbezüge lediglich als isolierte Fremdkörper in den Kompositionsprozess mitaufnehmen. Wie bereits der erste Blick auf sein Werkverzeichnis zeigt, komponiert er konsequent in >klassischen< Gattungen.1 Listet man alle in seinen Kompositionen verwendeten gängigen Gattungsbezeichnungen nach ihrer Häufigkeit auf, zeigt sich eine klare Präferenz der Sonate.
Verwendung von Gattungsbezeichnungen in den Titeln der Werke op. 1 bis op. 97:2
16 Mal
Sonate/Sonata
10 Mal
Variationen
6 Mal
Lieder
5 Mal
Konzert/Concerto
4 Mal
Sinfonie, Quartett
2 Mal
Kammersinfonie, Quintett, Suite, Oratorium, Kantate, Ode
1 Mal
Sinfonische Dichtung, Concerto grosso, Bühnenmusik, Trio, Etüden, Préludes, Choral und Passacaglia, Choralvorspiele, Kanons, Musiktheater, Musikdrama, Deutsche Messe, Choralmotette
Neben der Sonate sind in Heuckes Werkverzeichnis auch die musikhistorisch formverwandten Gattungen Konzert, Sinfonie und Quartett überdurchschnittlich stark vertreten. Diese vier Gattungen eint nicht nur die entwicklungsgeschichtliche Bindung an die Sonatenhauptsatzform und an standardisierte Satzfolgen, sondern auch das >traditionelle< Stigma des Konservativen und Akademischen, das in besonderem Maße der Sonate anhaftet. Sie gilt bereits den Komponisten der Romantik als formal einschränkend, als irrelevant für den musikalischen Fortschritt und, wie es Robert Schumann 1839 formuliert, als eine >tote Gattung<.3 Spätestens mit der Auflösung der Tonalität - und damit des Tonartenkontrasts und der Modulation als strukturgebenden Merkmalen der Sonatenhauptsatzform - scheint sie ihre musikalische Berechtigung endgültig verloren zu haben. Wer eine Sonate komponiert, steht in den folgenden Jahrzehnten grundsätzlich im Verdacht doktrinären Festhaltens an überkommenen musikalischen Formen, denn »(.) eine Sonate zu schreiben, deren Ablauf vom Hörer aufgrund seiner jahrzehntelangen Hörerfahrungen vorausgesehen werden kann, entbehrt jeder künstlerischen Originalität«.4
Nichtsdestotrotz hat es im 20. Jahrhundert abseits der tonangebenden Avantgardemusik stets eine durchgängige Praxis der Sonatenkomposition gegeben, sei es als bloße Formstudie, als eklektisch-postmoderne Erscheinung, als historistisches Musikwerk oder im wortwörtlichen Sinne eines >Klangstücks<.5 Seit der Postmoderne, spätestens jedoch seit ihrem stets aufs Neue beschworenen Ende steht dem heutigen Komponisten ein unübersichtlicher künstlerischer Freiraum zur Verfügung. Eine reflexhafte Diskreditierung der Sonate ist heute obsolet geworden. Musik kann »in alten oder neuen Medien, als Werk oder Antiwerk, als offenes oder geschlossenes Kunstwerk, im ironischen oder ernsten Rückgriff auf die Formensprache der Tradition erzeugt werden (.)«.6
Heuckes kompositorischer Umgang mit klassischen Musikgattungen und deren vielfältigen Bezügen entspricht ohne Zweifel dem im Zitat genannten >ernsten Rückgriff< und grenzt damit sein Gesamtwerk von der ironisch-postmodernen Ästhetik ab. Seine stets mit Ernsthaftigkeit durchgeführte Hinterfragung, Transformation und Neubestimmung musikalischer Traditionszusammenhänge soll im Folgenden anhand seiner Sonaten exemplifiziert werden, einer musikhistorisch also extrem >vorbelasteten< und vielleicht gerade deshalb für Heuckes Anliegen besonders gut geeigneten Gattung. Nach einigen allgemeinen Erläuterungen werden drei Kompositionsstrategien vorgestellt, mit denen Heucke Altes und Neues in Zusammenhang bringt. Wie sich zeigen wird, setzen diese Strategien die Narrativität als eine wesentliche Dimension der Musik voraus und rücken die musiksemantische Ausdrucksfähigkeit historischer und gegenwärtiger Klangphänomene in den Fokus.
Tabelle: Stefan Heuckes Sonaten im Überblick
op. 11a
1989/2004, UA 2005
Sonate für Klavier zu vier Händen,
Bearbeitung des Trios für Violine, Violoncello und Klavier op. 11
op. 23
1995, UA 1996
Sonate für Bassklarinette und Klavier,
auch als Fassung für Violoncello und Klavier op. 23a
op. 38
2000, UA 2001
I. Sonate für Violine und Klavier
op. 43
2002, UA 2009
I. Klaviersonate »Esbozos de Tenerife«
op. 48
2006, UA 2006
Sonata minima für Bassklarinette und Klavier
op. 55
2009, UA 2010
Sonate für Oboe und Klavier mit Männerchor
»Den homosexuellen Opfern des Nationalsozialismus zum Gedenken«
op. 56
Sonate für Trompete und Klavier »Wo die schönen Trompeten blasen«
op. 58
II. Sonata per Violino e Pianoforte
op. 66
2011/12, UA 2013
Sonate für zwei Klaviere und Orgel,
auch als Fassung für zwei Klaviere und Streichquartett op. 66a
op. 78
2015, UA 2016
Sonate »Komm, Gott Schöpfer, Heiliger Geist« für Orgel
op. 79
2015, UA 2017
II. Klaviersonate »Nun danket alle Gott«
op. 86
2017, UA 2018
III. Klaviersonate
op. 89,1
2017
Sonate für Violine solo
op. 89,2
Sonate für Viola solo
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