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Frustrationsintoleranz, Ärgerstörung, Prokrastination oder pathologisches Aufschieben sind Begriffe, die uns sowohl in der therapeutischen und Beratungspraxis als auch in der Forschung immer häufiger begegnen, wenn es um das Beschreiben von Problemen geht, die emotionale Turbulenzen verursachen. Unterschiedliche klinische Beobachtungen und Erfahrungen in den letzten Jahrzehnten haben gezeigt, dass Frustrationsintoleranzprobleme (FIP) zu erheblichem psychischen Leid führen können. Zudem steigt im klinischen Bereich, in Therapien, Seminaren und Supervisionen die Zahl derjenigen, bei denen sich in der Therapie oder Beratung ein FIP als Ursache für die beklagten Symptome identifizieren lässt.
Obwohl durch das psychische Leiden von einem Therapiebedarf ausgegangen werden kann, gibt es bisher hierzu kaum problemspezifische Behandlungsansätze. Bevor im zweiten Kapitel auf den Behandlungsansatz der Integrativen KVT eingegangen wird, betrachten wir zunächst einige Definitionen und bereits vorhandene Modelle zur Erklärung und Therapie von Ärgerstörungen und Prokrastination, den beiden Varianten eines FIP.
In der wissenschaftlichen Literatur findet sich zunächst der Begriff der Frustrationstoleranz.
Frustrationstoleranz. Rosenzweig (1978) meint mit Frustrationstoleranz die Fähigkeit, psychische Spannungen zu ertragen, die aus dem Nichtbefriedigen von Triebwünschen herrühren. Die Frustrationstoleranz werde zu einem gewissen Grad im Zuge des Individualisierungsprozesses erworben und könne durch Rosenzweigs Picture-Frustrationstest (Hörmann & Moog, 1957) ermittelt werden. Was heute unter diesem Begriff verstanden wird, zeigen die folgenden Definitionen in nicht analytischer Diktion.
Definitionen
Frustrationstoleranz bezeichnet die individuelle Fähigkeit, mit Enttäuschungen oder Frustrationen angemessen (d. h. ohne unnötige zusätzliche negative Konsequenzen) umzugehen. Sie wird einerseits als Persönlichkeitseigenschaft angesehen, d. h. als Disposition, in bestimmten Situationen häufig entsprechend typisch zu reagieren. Andererseits kann Frustrationstoleranz vor allem in der frühen Sozialisation vermittelt und erlernt werden und ist in gewissem Maße auch noch im Alter trainierbar.
Geringe Frustrationstoleranz. Menschen mit geringer Frustrationstoleranz neigen dazu, Vorsätze und Ziele aufzugeben, wenn etwas nicht erwartungsgemäß und problemlos verläuft. Sie geraten dann in emotionale Turbulenzen: Manche werden ärgerlich und aggressiv, andere geben deprimiert auf. Sie können mit Misserfolgen nicht adäquat umgehen und ihre Motivation für neue Anläufe oder neue Ziele wird ebenso wie ihre Selbsteffizienzerwartung ständig geringer. Bei Frustrationen reagiert der Fordernde-Typ mit Arousalanstieg und erhöhter Anstrengung, um seine Ziele oder Meinung durchzusetzen, der Vermeidende-Typ mit Ausweich- und Vermeidungsverhalten. Beide Problemtypen leiden unter erheblichen negativen sozialen, ökonomischen und beruflichen Konsequenzen, die in der Regel der Anlass dafür sind, weshalb die Betroffenen um Hilfe nachsuchen.
Vorhandene Ansätze zur "geringen Frustrationstoleranz" in der Literatur. Die Termini "geringe Frustrationstoleranz" (GFT) oder "low frustration tolerance" (LFT) werden in der wissenschaftlichen Literatur durchaus unterschiedlich verwendet.
Ellis. Frustrationsintoleranz wird in der kognitiven Therapie von Ellis bereits seit 1979 - damals noch als "discomfort anxiety" bezeichnet (Ellis, 1979) - als Problemursache erkannt und behandelt. Seit den 1970er-Jahren gibt es erste Forschungen in einem Bereich von FIP: der Prokrastination (Höcker, Engberding & Rist, 2013). Nachfolgend wurden in mehr als 2000 Studien Wirksamkeitsnachweise für KVT-Behandlungsstrategien - auch für die Therapie von FIP - erbracht (Ellis & Joffe Ellis, 2012). Die wohl elaborierteste Darstellung zur Diagnose und Behandlung der Auswirkungen von GFT liefert Ellis (2003a, 2003b). Auf diesen Ansatz wird in Kapitel 2 ausführlicher eingegangen.
Beck. Auch Beck, Wright, Newman und Liese (1997) sehen in GFT die Ursache für diverse psychische Störungen und für Suchtverhalten, beschreiben deren Auswirkungen und legen einen Behandlungsansatz dar.
Freeman (2000) versteht unter GFT ein Merkmal bei Persönlichkeitsstörungen.
Lauth und Schlottke (2000) finden GFT auch im Rahmen von Aufmerksamkeits- und Konzentrationsstörungen, die durch neurologische Schädigungen bedingt sind (zerebrovaskuläre Erkrankungen, Alkoholmissbrauch, Alterserkrankungen), und bei psychiatrischen Erkrankungen wie Schizophrenie und Demenz. Bei Kindern mit Aufmerksamkeits- und Konzentrationsstörungen seien die sozialen Erfahrungen und Misserfolgserfahrungen u. a. auf eine niedrige Frustrationstoleranz, Aggressivität, Trotzverhalten o Ä. zurückzuführen. Durch diese ungünstigen reaktiven Verarbeitungen verschärfe sich auch die Aufmerksamkeitsproblematik (a. a. O.).
Bohus und Stieglitz (2012) sehen geringe Frustrationstoleranz als typisches Verhaltensmuster bei der dissozialen Persönlichkeitsstörung. Menschen mit dissozialer Persönlichkeitsstörung handeln demnach manchmal planlos und ungestüm, um kurzfristige Vorteile und Vergnügungen zu erlangen. Langfristige Konsequenzen oder Alternativen werden dabei kaum bedacht.
Rückert (2014) sowie Bohus und Stieglitz (2012) erkennen auch bei Menschen mit histrionischer Persönlichkeitsstörung eine geringe Spannungs- und Frustrationstoleranz und eine ausgeprägte Tendenz zu kurzfristigen Abwechslungen und Vergnügungen.
Kanfer. Eine Parallele zum Konzept der Frustrationsintoleranz finden wir in der verhaltenstherapeutischen Literatur u. a. im Selbstmanagementansatz von Kanfer, Reinecker und Schmelzer (2011a). Als Spezialfall der Selbstregulation wird die Selbstkontrolle beschrieben, die sich darauf bezieht, ob jemand in der Lage ist, kurzfristig auf Positives zu verzichten oder einen aversiven Zustand auszuhalten, um langfristig einen größeren positiven Effekt zu erreichen. Menschen mit geringer Frustrationstoleranz besitzen demnach eine geringe Selbstkontrolle (Kanfer et al., 2011b).
Diagnose von geringer Frustrationstoleranz. Beck et al. (1997) haben eine Checkliste zur Diagnose von geringer Frustrationstoleranz erstellt. Einen Frustrationsintoleranz-Test hat Wolf (2018) veröffentlicht. Dieser Test steht online zur Verfügung: http://www.palverlag.de/frustrationsintoleranz-test.html.
Ärger als psychische Störung. Ärger wird nicht per se als inadäquat oder als problematisch angesehen, dies wird vielmehr von seiner Häufigkeit und Intensität abhängig gemacht sowie von den Bewältigungsstrategien, die für den Ärgerabbau eingesetzt werden. Es gibt bisher wenige epidemiologische Studien zu Ärgerreaktionen. Die vorhandenen Studien zeigen jedoch, dass Ärger eine der häufigsten emotionalen Reaktionen ist, ohne dass Ärgerstörungen in der ICD-10 oder im DSM-5 als eigenständige Störung aufgeführt werden.
Bei vielen psychischen Störungsbildern spielen Ärgerreaktionen in Genese und Ätiologie eine bedeutsame Rolle. Daher sehen einige Autoren (z. B. DiGiuseppe & Tafrate, 2010) - unter Berücksichtigen spezieller Kriterien - Ärger durchaus als klinisch relevante Störung an und fordern, ihn als Störungsbild in die Diagnosesysteme aufzunehmen. Andere definieren ärgerbezogene Störungen als Krankheitsbilder, in denen Ärgerreaktionen eine relevante Rolle spielen, wie beispielsweise bei psychotischen Störungen, Demenz, PTBS, Impuls- und Kontrollstörungen oder Depressionen, und sie machen die klinische Relevanz und Behandlungsbedürftigkeit von Ärgerreaktionen davon abhängig, wie adaptiv oder angemessen diese in gegebenen Situationen sind (z. B. Novaco, 2010; Steffgen, de Boer & Vögele, 2014). DiGuiseppe und Tafrante (2010) fordern, Ärger als eigenständige klinische Störungskategorie zu etablieren, wenn häufige, intensive oder anhaltende Ärgerepisoden, nach außen gerichteter Ärger und regelmäßige negative Konsequenzen in sozialen und beruflichen Beziehungen sowie ein subjektiver Leidensdruck bestehen. Auch bei chronischen körperlichen Erkrankungen spielt Ärger eine bedeutsame Rolle. So sind Ärger und Feindseligkeit als Risikofaktoren bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen bestätigt (Steffgen et al., 2014). Allein aufgrund von häufigen Ärgerepisoden können Herzinfarkte ausgelöst werden (Mittelmann et al., 1995). Die Autoren vermuten, dass Ärger einen relevanten Einfluss bei der Ätiologie von Herz-Kreislauf-Erkrankungen besitzt. Die Erstmanifestation erfolge erst nach Jahren und Ärger sowie die damit zusammenhängenden Konsequenzen spielten vermutlich eine entscheidende Rolle. So könne die mit Ärger einhergehende psychophysiologische Erregung krankheitsrelevante physiologische Prozesse begünstigen. Dieser Faktor allein reiche jedoch nicht aus, sondern es seien ebenfalls genetisch-konstitutionelle Faktoren zu berücksichtigen (d. h. das Zusammenwirken von genetischer Prädisposition für Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Ärgerneigung sowie Umweltfaktoren wie die Erfahrungen in der frühen Sozialisation). Bunde und Suls (2006) beschreiben einen Zusammenhang zwischen Ärger und gesundheitsgefährdendem Verhalten (wie z. B. übermäßigem Genussmittelkonsum), falscher Ernährung...
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