Schweitzer Fachinformationen
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Das Flugzeug kreiste über dem Meer, das die Farbe von Blaubeeren oder eines Türkis hatte, je nachdem, über welcher Stelle man sich gerade befand. Einen Moment lang wirkten die schaumigen Wellen beinahe wie nicht von dieser Welt, und alles, was sie sah, schien ihr entgegenzustreben. Sie dachte schon, das Flugzeug stürze ab. Aber das tat es nicht. Es lag an ihr.
Nach der Landung wurden die Passagiere in einen Kleinbus geleitet. Alle vermieden es, einander anzusehen. Johannas Kopf lehnte schwer an der Kopfstütze. Das Fahrzeug glitt sanft vom Flughafenparkplatz, aber als es auf eine Schnellstraße voller Schlaglöcher kam, legte sie die Hand an ihre Schläfe. Sie versuchte, sich auf einen Schwarm Vögel zu konzentrieren, der vollkommen synchron über den Himmel flog, und sich ihren Finger nicht als Bohrer vorzustellen, der den Druck mildern konnte.
«Wie machen sie das, was meinst du?», fragte sie.
«Wie macht wer was?»
«Die Vögel. Wie machen sie das, dass sie so harmonisch zusammen fliegen? Woher wissen sie, wie das geht?»
Das Handy ihres Mannes machte Ping. Er griff in seine Tasche und warf einen Blick auf das Display. Dann kicherte er und hielt es ihr hin. «Sieh dir das an», sagte er, aber sie wollte es sich nicht ansehen. Sie wollte mit jemandem darüber sprechen, wie Vögel auf eine Weise miteinander kommunizierten, die weit älter war als Radiowellen. Sie blinzelte und sah die Worte in Solidarität auf dem Display, fett. Sie wandte den Blick vom grellen Bildschirm.
Der Kleinbus wurde jetzt langsamer und fuhr durch ein Städtchen, dessen Gebäude sich am Straßenrand drängten. Geschäftsfassaden in Petrol, Gelb, Pink und Blau; Taco-Imbisse; strohgedeckte Lädchen; bunte Kleider und Hüte, die auf Stangen hingen; Hunde und Ziegen und Menschen. Johanna fing den Blick eines Mädchens in einem magentafarbenen Top auf, das an einer Bushaltestelle wartete, und fragte sich, wer das Mädchen wohl war, wo es wohnte und ob es glücklich oder traurig war. Sie würde es nie erfahren.
Früher waren sich Ben und sie einig gewesen, dass es falsch war, sich in einem Resort zu verkriechen, das dem Land, auf dem es stand, jegliche Wahrheit wegpoliert hatte, aber genau das würden sie in den nächsten beiden Wochen tun. Die Dinge, über die sie sich früher einig gewesen waren, waren jetzt so fremd, wie Johannas Gesicht dem Mädchen gewesen sein musste, als sie im Vorbeifahren stumm aus dem Busfenster geschaut hatte, in einem Dorf, das sie nie kennenlernen würde.
Sie spürte den Druck in den Ohren, als der Van eine steile Straße an den Klippen hinauffuhr. Die Räder sackten in ein Schlagloch. Der Bus befreite sich knatternd, und Ben nahm ihre Hand und drückte sie, als wären sie gerade knapp einer Gefahr entronnen - und vielleicht stimmte das auch. Der Abhang war schwindelerregend steil. Seine Hand war kühl und trocken, aber unter seiner Haut sah sie seinen nervösen Puls, bemerkte seinen ungleichmäßigen Atem, als wäre ein Orchester aus dem Takt geraten. Ihre eigene Hand war schweißnass. «Die fetten Buchstaben sind ein bisschen viel», bemerkte sie. Er lachte.
«Es wird bestimmt ziemlich intensiv.» Er drückte erneut ihre Hand, weil sie sich gegen eine Welle der Übelkeit krümmte. «Aber wir schaffen das.» Sie schaute nach links, wobei sie offenbar den unausgesprochenen Verhaltenskodex im Fahrzeug brach, denn die Frau auf der anderen Seite des Ganges schaute hastig weg. Ihr Haar war ein graubrauner Vorhang, der glänzte wie Glas. Wie bekam man so glänzendes Haar? Wurde einem das in die Wiege gelegt, oder musste man dafür bezahlen? Der Mann hatte silbernes Haar, das ebenfalls glänzte. Er tippte auf dem Display eines Smartphones herum.
«Nächstes Mal», sagte Ben, «machen wir etwas, was du möchtest. Vielleicht die Fahrradtour in Vietnam? Etwas ganz anderes. Versprochen. Nicht so etwas wie das hier.»
Es dauerte nicht lange, da kam ein Bauwerk in Sicht: eine Villa auf einem Hügel, von der Sonne beschienen, die ohne Vorwarnung begonnen hatte unterzugehen. Sie wirkte wie ein Stück orangefarbenes Papier, das in den Ozean glitt.
«Da ist sie», sagte Ben, und einen kurzen Augenblick lang dachte sie, er meine die Sonne.
Johanna sah, wie die hohen Fenster der Villa aufleuchteten. Es war, als wäre das Gebäude, das am Hang stand und in der Mitte von dampfenden Quellen umgeben war, eine riesige Sonnenuhr, die jetzt das Ende des Tages oder auch die wenige Zeit anzeigte, die ihnen noch blieb, um sie selbst und unbeobachtet zu sein. Die Auffahrt wand sich zwischen Bäumen hindurch, sodass die Villa, die Klippen und der Strand immer wieder auftauchten und wieder verschwanden, sie reizten, verschwanden, neckten, fort waren. In einem Moment konnte Johanna alles gleichzeitig sehen: die weiß getünchten Mauern, die Wellen, die gegen die Felsen schlugen, den weißen Sand, der zwischen den schwarzen Steinbrocken lag, zerklüftetes Mineral, das ins Meer ragte; im nächsten sah sie nichts außer Bäumen und Ranken und verspielten Vögeln.
«Wow», machte Ben.
«Ja, wirklich. Wunderschön.»
Aber er schaute nicht aus dem Fenster. Er nickte zur Seite, in Richtung der Frau mit dem polierten Haar und ihrem Mann mit dem silbernen Schopf. «Die gesamte Fahrt über.»
Johanna drückte sich die Fingerspitzen auf die Lider. «Wovon sprichst du?»
«Er ist am Handy. Wir sollten unsere Handys doch wegstecken.»
Johanna hörte, dass der Mann etwas von einer Sicherheitskontrolle sagte. «Wir sind für diese Leute verantwortlich», sagte er in drängendem Tonfall. «Abkürzungen können wir uns nicht leisten. Macht es noch einmal. Ja, die ganze Sache. Ich warte.»
«Na ja, wir sind ja noch nicht im Resort», gab Johanna zu bedenken. «Du hattest deins ja auch in der Hand.»
«Workaholic», flüsterte Ben. Sie verstand. Er brauchte das Gefühl, irgendwie weiter zu sein als die anderen. Zu glauben, dass ihre Eheprobleme im Vergleich zu denen der anderen geringfügig waren. Wir wussten immer, dass er einmal Jura studieren würde, sagte seine Mutter gern. Er kennt die Regeln für alles. Er stritt außerdem gern - aber das war eine andere Sache.
Der Kleinbus war jetzt an einem Kreisel vor der weißen Villa angekommen. Der Motor wurde ausgeschaltet. Türmchen, Kuppeln, Balkone, weiße Geländer, ein steiles Terrakotta-Dach und die einzelnen kleinen Bungalows, die darum herum wie Diamanten bis hinunter zum Strand verteilt waren. So viele Häuser. Mehr als nötig, so schien es, für nur zwölf Paare.
«Laden Sie die Energien Ihrer Ehe in einer überwältigenden und intimen Märchenumgebung wieder auf», hieß es in den Broschüren, die Ben an dem Morgen mitgebracht hatte, als er mit seinen Eltern zur Kirche gegangen und mit einem verzweifelten Flehen im Blick wiedergekommen war. Bitte, lass uns das hier versuchen. Verlass mich nicht. Lass uns daran arbeiten.
Dieser Ort hier war wirklich wie im Märchen. Johanna erinnerte sich an die eingestaubten Märchenbücher, die sie als Kind im Regal ihrer Großmutter gefunden hatte, Geschichten, die sie voll kindlichem Schrecken gelesen hatte - einem Schrecken voller Entzücken über Dinge, die nicht für leicht zu beeindruckende Geister gedacht waren - und in denen es um herausgepickte Augen und eine tote Bestie oder um eine verliebte Meerjungfrau ging, die sich in Meerschaum verwandelte, um ihrem Geliebten nicht im Wege zu stehen. Wahre Liebe, hatte Johanna schon sehr früh gelernt, hatte Konsequenzen. Ein Happy End hatte seinen Preis.
«Lass uns aussteigen», sagte Ben.
Vor dem Kleinbus standen in weißes Leinen gekleidete Resortmitarbeiter, die das Gepäck ausluden. Johanna roch das Salz in der Luft, den in der Sonne erwärmten Seetang, gebratenen Knoblauch und Chili aus einer weit entfernten Küche. Jemand drückte ihr eine Champagnerflöte mit Mangosaft in die Hand. Sie hielt das kalte Glas an ihre Stirn und dachte an ihren Hochzeitsempfang im MacArthur vor nur zwei Jahren. Die Bläschen im Champagner waren ihr an jenem Tag sofort zu Kopf gestiegen. Johanna hatte ihre Schwiegermutter dabei erwischt, wie sie sich auf der Toilette an der Schulter einer Freundin ausheulte. «Ich bin nur so glücklich», hatte sie gelogen, als sie Johanna gesehen hatte.
«Sie hätte auch ein Kleid wählen können, bei dem man diese Tattoos nicht so sieht», flüsterte die Freundin, als Johanna wieder ging. An diesem Abend hatte Johanna ihren ersten Migräneanfall gehabt. Kein besonders guter Start für ihre Flitterwochen.
Sie nahm einen Schluck Saft. Weit entfernt hörte sie das Meer, in der Nähe plätscherte Lounge-Musik aus Lautsprechern, die in den Felsen eingelassen waren. Ben ging voran, sein Glas in der Hand, und Johanna musste sich beeilen, um ihn einzuholen. Eine Frau trat vor, um ihn zu begrüßen, eine Frau, die Johanna kannte - wobei es ein wenig befremdlich war, jemanden zu kennen, den man noch nie zuvor gesehen hatte. Das hier war die Frau, die auf den Büchern abgebildet war, die Ben mit nach Hause gebracht hatte, die Frau aus den TED-Talks, die er für sie auf seinem Laptop abgespielt hatte, die Stimme aus den Podcasts, die sie sich beim Kochen angehört hatten. Dies war das strahlende Lächeln, das sie in den Ausschnitten der Sendungen Dr. Oz und The View gesehen hatte.
«Du musst Johanna sein», sagte Grace Markell.
Grace nahm ihre Hand, und Johanna vergaß ihre Kopfschmerzen. Aber Grace schüttelte...
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