Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
Karl Altner, der Leipziger Oberbürgermeister, warf genervt die Tageszeitung auf den imposanten Schreibtisch in seinem Dienstzimmer. Auch die große, schwarzumrandete Brille konnte die Strenge in seinem Blick nicht abmildern. Franz Bleck, sein Ordnungsamtsleiter, der ihm gegenübersaß, wusste genau, was seinen Chef störte. Auch er hatte den Artikel im LEIPZIGER TAGEBLATT, der die gesamte zweite Seite einnahm, gelesen.
»Konnten wir denn nicht verhindern, dass dieser Idiot nach Leipzig kommt?«
Franz Bleck war selbstbewusst. Er war 38 Jahre alt und hatte eine erstaunliche Karriere hingelegt: Jurastudium, Angestellter im Ordnungsamt Gelsenkirchen, Leiter Ordnungsamt Zwenkau und schließlich der Posten in Leipzig. Er hielt dem Blick seines Vorgesetzten mühelos stand. »Wir haben leider keine rechtliche Handhabe. Die öffentliche Sicherheit und Ordnung ist nicht gefährdet. Und wir haben Meinungsfreiheit in Deutschland.«
»Und die Gegendemonstranten?«
»Ist bei jeder rechten Kundgebung mindestens genauso schlimm. Von dem Aufwand bei einem Fußballspiel will ich gar nicht erst reden.«
Altner raufte sich die spärlichen grauen Haare, die ihm kurz vor der Pensionierung noch geblieben waren. »Und ausgerechnet in der Arena. Da kommen doch bestimmt 10.000 Leute.«
»Ja, die Arena ist schon seit Langem ausverkauft, obwohl die Eintrittspreise nicht gerade günstig sind. Die billigste Karte kostet 40 Euro, für den VIP-Bereich nimmt der sogar 150.« Bleck mühte sich ein Lächeln ab. »Die Karten gingen weg wie warme Semmeln.«
Altners Laune wurde nicht besser. »Dann macht der Typ auch noch richtig Kohle.«
»Darauf können Sie Gift nehmen. Der verdient nicht nur mit solchen Veranstaltungen, der schreibt auch Bücher ohne Ende. Die meisten sind ganz oben auf den Bestsellerlisten. Und dann die versteckte Werbung: Es ist bestimmt kein Zufall, dass der nur Boss-Klamotten trägt, auf denen der Markenname deutlich erkennbar ist, vor allem bei seinen Fernsehauftritten.«
Karl Altner legte die Brille auf den Schreibtisch und rieb sich die Augen. »Was finden die Leute nur an dem? Ich dachte, Religion ist out. Die Kirchenaustritte nehmen doch ständig zu.«
»Das ist es ja gerade«, antwortete Bleck spontan. »Die Menschen treten aus den Kirchen aus, weil sie unzufrieden mit den Amtskirchen sind. Sexualmoral, Rolle der Frau, langweilige Gottesdienste, Moralpredigten, Steuern und so weiter. Sie treten aus, haben aber ihren Glauben nicht verloren und suchen nach Gemeinschaft oder zumindest Erlebnissen in Gemeinschaft. Das sind die Teiche, in denen Luther fischt. Er nimmt deren enttäuschte Erwartungen auf und erfüllt sie steuerfrei. Der Mann ist rhetorisch ein Genie. Veranstaltungen mit ihm sind extrem kurzweilig und amüsant. Er spricht den Menschen, die zu ihm kommen, aus der Seele. Schauen Sie doch nur nach Amerika. Dort gibt es eine Vielzahl von Predigern wie Martin Luther, mit zum Teil noch größerem Erfolg. Er war lange in den Staaten und hat sich genau angeschaut, wie man dort arbeitet und mit religiösen Themen zum Menschenfänger wird.«
»Heißt der wirklich Martin Luther?«
»Ja, das ist sein richtiger Name. Die Eltern heißen Luther, überzeugte Christen und haben ihren Sohn Martin genannt. Hinzu kommt, dass er auch am 10. November geboren wurde, genauso wie sein berühmter Namensvetter. Und er hat aus seinem Namen eine Berufung gemacht. Nicht ohne Erfolg, wie man sieht. Er stammt übrigens aus ganz ärmlichen Verhältnissen, was er auf jeder seiner Veranstaltungen betont. Seine Eltern hatten angeblich nur einen kleinen Bauernhof, irgendwo in Bayern, und er hatte sieben Geschwister. Ob das mit den ärmlichen Verhältnissen stimmt, darf angezweifelt werden. Da gibt es ganz andere Aussagen aus seiner bayerischen Heimat.«
Altner griff nach seiner Brille und putzte sie mit seiner Krawatte. Dann setzte er sie wieder auf. Er stöhnte leise. »O.K. Dann müssen wir da wohl durch. Was haben Sie unternommen?«
»Wir haben natürlich mit der Polizei ein Sicherheitskonzept erarbeitet. Das Problem ist nicht die Veranstaltung an sich, da kommen nur Besucher rein, die eine Eintrittskarte haben. Natürlich ist auch Security in der Halle, aber wir rechnen dort nicht mit Ärger. Den einschlägigen Foren im Internet nach zu urteilen, sollen am Ende der Veranstaltung massive Gegendemonstrationen stattfinden. Aber ich gehe davon aus, dass wir die Sache im Griff haben. Die Polizei wird die Parkplätze und den Zugang zur Straßenbahn am Sportforum abriegeln. Wir werden die jeweiligen Anhänger strikt trennen. Es sind zwei Hundertschaften vor Ort. Eigentlich dürfte nichts passieren. Ich und meine Leute werden natürlich vor Ort sein.«
Die Worte seines Amtsleiters beruhigten den Oberbürgermeister nicht. »Wenn ich nur an Limburg in der letzten Woche denke.«
»Limburg war eine besondere Situation, wegen diesem Tebartz van Elst. Da gingen natürlich die Emotionen hoch. Selbstverständlich habe ich mich mit meinem Kollegen in Limburg in Verbindung gesetzt. Wir wissen, welche Fehler gemacht wurden, und wir werden besser vorbereitet sein.«
»Was sind das für Menschen, die gegen diesen Luther so extrem opponieren?«
»Überwiegend konservative Kreise. Gar nicht mal so sehr aus der katholischen Kirche, aber auch. Das ist ein Gemisch aus allen Kreisen, die die herkömmlichen Werte hochhalten, rechte Gruppierungen der politischen Parteien, aber keine Neonazis, Burschenschaften - oder einfach Menschen, die das ständige Geschrei nach Veränderungen und Moderne leid sind. Die Religion spielt eine entscheidende Rolle, aber noch mal, soviel wir wissen, ist die katholische Kirche zumindest nicht direkt beteiligt. Die logistische Organisation läuft über eine Gruppierung, die sich MANUS DEI, also die Hand Gottes, nennt.«
»MANUS DEI, was hat das zu bedeuten?«
»Wie ich bereits sagte. Eine erzkonservative Organisation, die der katholischen Kirche sehr nahesteht. Es gibt Meldungen, dass die aus Rom finanziert werden. Aber diese Berichte sind durch nichts belegt. Aber natürlich ist die Frage erlaubt, woher das Geld stammt. Die Finanzbehörden verzeichnen ein extrem hohes Spendenaufkommen, meist aus dem Ausland. Wer hinter den Spendern steckt, ist überwiegend unklar. Offiziell sind die extrem sauber. Haben auch nicht einen Cent Steuerrückstand.«
»Wo sitzen die, diese MANUS DEI-Leute?«
»Der Hauptsitz der Organisation ist in Köln. Das führte man zurück auf den damaligen Kardinal Meißner, der als einer der konservativsten Köpfe der Katholischen Kirche in Deutschland gilt, was wieder für eine gewisse Nähe zur Amtskirche spricht. Die haben auch eine Niederlassung in Leipzig. Beste Lage, altes Gründerzeithaus in der Nähe des Gohliser Schlösschens. Wenn Sie da reingehen, legen Sie die Ohren an. Die Sanierung hat mit Sicherheit 5.000 Euro pro Quadratmeter gekostet. Vom Kaufpreis ganz zu schweigen.«
Der Oberbürgermeister sah auf seine Uhr. »Nun gut, oder auch nicht. Ich muss jetzt zur Einweihung der neuen Kindertagesstätte in Thekla. Halten Sie mich bitte auf dem Laufenden. Ich verlasse mich auf Sie.«
Am Vorabend der Martin Luther-Show fand man sich zusammen in den Räumlichkeiten des MANUS DEI in der Trufanowstraße in Leipzig, um die letzten Abstimmungen der Aktionen gegen den Auftritt zu treffen. Pius Ratzenburg, der Vorsitzende, war schon vor Tagen von Köln nach Leipzig angereist. Er war extrem schlank und hoch aufgeschossen. Obwohl er erst 55 Jahre alt war, sah er wesentlich älter aus. Die steten Zweifel, Sorgen und eine wohl nie endende Unzufriedenheit mit dem aktuellen Zustand des aus seiner Sicht einzigen und wahren Glaubens, hatten ihn alt werden lassen. Das Leben, oder besser gesagt, sein Leben, hatte ihn gezeichnet. Sein dunkles Haar, das er gescheitelt trug, schien vollständig vorhanden zu sein. Seine Gesichtszüge waren markant. Die Wangenknochen wölbten sich leicht hervor, und wenn er lachte, was er höchst selten tat, zerfurchten die sich bildenden Falten sein ganzes Gesicht. Den hellblauen Augen, ungewöhnlich für Menschen mit dunklen Haaren, konnte niemand ausweichen. Zudem hatte er eine Eigenschaft, die seine schon fast inquisitorische Dominanz verstärkte: Wenn er mit jemandem redete, drehte er ihm nie sein Gesicht zu. Sein Kopf schien in eine andere Richtung zu schauen, nur seine Augen suchten den Blick des Gesprächspartners. »Mit wie vielen Brüdern und Schwestern im Glauben können wir morgen rechnen?«
Birk Ehrenthaler, der Vorsitzende der Leipziger Gemeinde, war äußerlich eher das Gegenteil von Ratzenburg. Er war untersetzt und achtete wenig auf sein Äußeres: Sein Anzug war zerschlissen, die Haare schrien nach einem Friseur und einer Wäsche. Jede Rasur, bei der er nie alle Bartstoppeln erwischte, hinterließ kleine blutige Stellen, die verkrustet waren. Aber er war ein heller Kopf. Er war ein ehemaliger katholischer Priester, der seinen Beruf an den Nagel gehängt hatte, weil er sich mit den für ihn antichristlichen Veränderungen seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil im Laufe seines zunehmenden Alters immer weniger anfreunden konnte. Er war Mitglied der Gemeinschaft der Piusbruderschaft und ein Bewunderer ihres Gründers, Erzbischof Marcel Lefebvre, die noch immer Messen in der lateinischen Sprache abhalten wollte und es für richtig hielt, dass der Priester nicht zur Gemeinde sprach, sondern nur vor das Altarbild. Der damalige Streit zwischen Papst Benedikt und dem Holocaustleugner Richard Williamson hatte die Differenzen zur Katholischen Amtskirche offen zu Tage treten lassen und zu einem Zerwürfnis mit Rom geführt. Dies war letztendlich der Anlass,...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.
Dateiformat: PDFKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Das Dateiformat PDF zeigt auf jeder Hardware eine Buchseite stets identisch an. Daher ist eine PDF auch für ein komplexes Layout geeignet, wie es bei Lehr- und Fachbüchern verwendet wird (Bilder, Tabellen, Spalten, Fußnoten). Bei kleinen Displays von E-Readern oder Smartphones sind PDF leider eher nervig, weil zu viel Scrollen notwendig ist. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.