Schweitzer Fachinformationen
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Ich steige in den Lift und verlasse das Gebäude. Bevor ich ins Freie trete, schließen meine Hände das Sakko - und behalten recht. Der Frühling macht noch keinen Sommer, die Luft ist kühl geworden und kriecht mir in die Ärmel, über den Dächern hängt ein grauer Schirm. Er wird den Regen nicht aufhalten. Ich folge der Donaulände und spüre die Müdigkeit, die mir den Atem nimmt. Noch könnte ich umkehren, doch ich höre die beiden Stimmen, sie schlagen Wellen entlang des Weges. Ihr Wogen macht ein vertrauliches Geräusch.
Ich bin nicht mehr »Keller«, neben mir geht Christof, der mich Adrian nennt. Er ist nun nicht mehr »König«. Er sagt, er kenne meinen Vater von früher, und fragt mich, wie es ihm gehe. Bestimmt, fügt er hinzu, könne ich eine Menge über ihn erzählen. Vor uns geht die Marketingleiterin, die jetzt Beate heißt, sie kennt den Weg - und hat es eilig. In ihrer Hand schwingt ein weißer Schirm, er macht einen versöhnlichen Eindruck. Ich sehe Christof von der Seite an, das Licht verleiht ihm ein altes Gesicht. Mein Mund ist trocken. Da spült es mir ein paar Silben auf die Zunge, doch sie sind zu leise. Der Regen hat eingesetzt und Beates Schirm schießt laut in unser Gespräch. Dann keucht sie »geradeaus« und die gelben Schuhe lotsen uns weiter. Die Hausfassaden tauchen langsam in die Nässe des Abends.
Ich wende mich dem Ufer zu, lasse meinen Blick eine Weile im Gewässer treiben. Der Regen sticht den Fluss mit feinen langen Nadeln. In einiger Entfernung liegt eine Brücke, die Strömung treibt meinen Blick darauf zu. Laut wiederhole ich meine Antwort.
»Vater geht es gut, vielen Dank.«
Christof entgegnet mit einem Lächeln, es trägt einen pflichtbewussten Zug. Erst jetzt erinnere ich mich an den versäumten Anruf. Ich entschuldige mich und greife in mein Sakko, ziehe das Handy aus der linken Innentasche und erwarte Annas Namen auf dem Display zu sehen. Ich höre Beates Stimme:
»Wir sind da.«
Als ich aufschaue, zeigt ihre Schirmspitze nach rechts. Ich bedeute Christof, vorauszugehen, und bleibe noch einen Moment im Regen stehen.
Der Anruf kam von Tante Grete. Die feinen Nadelstiche im Genick starre ich auf die Rufnummer. Dann landen Regentropfen auf den Ziffern und ich wische sie mit den Tropfen zur Seite. Im Schutz des Sakkos schreibe ich Anna eine Nachricht.
Ich unterrichte, erwidert Anna prompt und fügt das explodierende Feuerwerk an. Ich lasse ihr keine Wahl. Den gelben Gesichtern, die ich zurückschicke, hängt die Zunge heraus, doch es fehlt der Hals. Es gibt nur einen Satz, den Anna mir darauf antworten kann. Schmunzelnd lasse ich ein paar Sekunden verstreichen, dann stecke ich das Handy ein, wende mich nach rechts, wohin Beates Schirm gewiesen hat, und drücke den Unterarm gegen die Holztür des Restaurants.
Im Inneren des Lampedusa ist es warm. Das Licht taucht die Wände in goldgelbe Felder, hinter der Bar wachen zwei Fässer, davor versammeln dunkle Tische die Menschen um sich im Kreis. Ihre Köpfe beugen sich zu deren Mitte hin, zwischen den Körpern glänzt es silbern, da und dort lösen sich Messer und folgen den Gabeln in die Höhe - Handlanger, die für einen Moment aufblitzen -, die Teller auf den Tischen aber sind breit und stattlich und zwingen die Ausreißer wieder hinab. Nur die Gläser steigen höher und verbleiben länger in der Luft. Man spült sich die Bürostunden fort, heischt um Mitleid oder fischt nach Komplimenten, später zieht man neue Geschäfte an Land. Auf den hinteren Tischen stehen gelbe Tulpen. Auch unser Tisch floriert. Er ist gedeckt - für vier.
Beate, die mich kommen sieht, krümmt ein paar Finger und winkt mich zu sich. Sodann hebt sie das Kinn und deutet auf einen Aperitif.
»Mach es dir bequem.«
Ich nicke und nehme gegenüber von ihr Platz. Christof blickt vom Rand einer Zeitung auf, steckt kurz den Kopf aus dem sandfarbenen Papier.
»Noch bleibt Zeit.«
Auf dem Tisch vor Beate liegt eine zweite Zeitung: ein Revolverblatt.
»Der Häusermann verspätet sich«, setzt Beate hinzu.
Ich nicke erneut, aber sie hat bereits zu tun, das Handy in der linken Hand, die Finger der anderen tippen und wischen im Stakkato über das Display. Darunter glitzert es. Beate trägt jetzt eine Uhr aus dem Sortiment. Ich bin kein Uhrenkenner, die Website von G&B ist mir jedoch vertraut. Es muss eine der Ausführungen sein über zwölftausend Euro. Die Topase, die man anstelle der Stunden eingesetzt hat, sind blau.
Kurz darauf schwebt die sandfarbene Zeitung wie ein Schutzschild vor Christofs Brust, Insignien gleich drängen sich mir die Lettern der Schlagzeile auf: Waffenkäufe im Steigen. Das Geschäft mit den Uhren dagegen - so viel ist sicher - läuft schlecht.
Ich hole mein Handy aus dem Sakko und lege es vor mich auf den Tisch. Dabei streife ich Beates Zeitung. Das Revolverblatt titelt: Wellen der Angst. Wieder spüre ich die Müdigkeit. Ich versuche sie abzuschütteln, trinke den Aperitif. Als der Kellner kommt, bestellt Beate eine Flasche Rotwein. Ich bin durstig und bitte um eine Flasche Wasser. Der Kellner, ein groß gewachsener, breitschultriger Bursche, grinst.
Beate vertreibt sich mit Arbeit die Zeit, das Panopticon teilt es mir mit: Beate Gelb möchte mit dir befreundet sein. Eine Sekunde später: Beate Gelb hat dich eingeladen, die Seite G&B Watches and Jewels mit »Gefällt mir« zu markieren. Ich reibe mir die Wange, dann schließe ich das Fenster, öffne die Nachrichten-App, den Chat mit Anna. Ich betrachte die halslosen Smileys, die mit herausgestreckten Zungen auf Annas Einspruch warten, vorfreudig, die Augen nach oben verdreht. Schließlich räuspere ich mich, gehe in meine Zelle im Panopticon, befreunde mich mit Beate und komme ihrer Einladung nach.
Die Wand von G&B Watches and Jewels ist mit Fotos bespickt. Ich wische mit dem Finger nach oben. Eine Reihe von Uhren taucht vor mir auf, die Modelle zieren allesamt Frauenarme, eine Hand fasst ein Rotweinglas am Hals, eine zweite liegt auf dem Steuerrad eines Schiffs. Die Frauenhände sind gespannt und kräftig, Sonnenbräune schimmert auf ihrer Haut - Kollektion »Freedom«. Die Schiffshand nimmt mich gefangen, doch da tritt Beates Stimme an Bord.
»Twitter?«
Ich sehe auf und nicke. Als ich bemerke, dass sie keine Notiz davon nimmt, bejahe ich. Beate hält den Kopf schief, ihre Handykamera schwebt über dem Tisch, ihr linker Uhrenarm arrangiert sich, richtet die blauen Topase ins Licht. Die rechte Hand setzt an, die Szenerie einzufangen, doch der Zeigefinger zögert. Die Vase mit den gelben Tulpen stört offenbar das Bild. Beate rückt das Gefäß zur Seite und will fortfahren, im letzten Moment besinnt sie sich und kehrt zum Auswahlmenü zurück, tippt noch einige Male aufs Handy, dann bleiben ihre Finger stehen.
»Adrian Keller«, sagt sie. »Mal sehen.«
»Storyteller«, fügt sie nach einer Weile an.
Satzbauer, denke ich und mustere die Tulpen, die ihre noch verschlossenen Köpfe nun zur anderen Seite drehen. Bald legt sich ein langer Schatten über die Pflanzen. Der groß gewachsene Kellner ist an den Tisch zurückgekehrt, er reicht uns Wasser und Wein.
Ich hebe dankend die Hand. Mein Kopf ist schwer, erleichtert greife ich nach meinem Glas Wasser. Danach sehe ich Beate wieder bei der Arbeit zu. Ihre Augenbrauen haben sich zusammengezogen, sie trifft gerade die Vorbereitungen zum »Getwitter«.
Die Uhr mit den Topasen hat sich zum Weinglas gesellt. Beates rechte Hand betätigt den Auslöser, es klackt, dann vervielfältigt sich das Geräusch, versetzt Beate in eine Art Rausch. Ich ziehe mein Handy zu mir, zehn vor sechs, der Zeitpunkt ist gut. Gleich wird sie das Bild zuschneiden, den G&B-Filter darüberlegen und es mit einem Hashtag versehen, um es - rechtzeitig zum Anbruch des Feierabends - zu zwitschern, ins Panopticon und ins Album der Eitelkeiten - auf Instagram - zu stellen. Ich gehe die möglichen Titelanwärter für den Hashtag durch: #wineporn würde in die falsche Richtung führen, #watchporn dagegen - die Bezeichnung käme Beate am Ende noch gelegen. Ich lächle in mich hinein, während ich mir ausmale, wie Beate der Kollektion »Freedom« mit dem Hashtag #watchporn unfreiwillig zu Millionen von Klicks verhilft. Amüsiert denke ich daran, Anna später am Abend davon zu erzählen, es würde sie erheitern.
Anna, die Uhren mag, solange man sie auf Tischen, an Wänden, auf Bahnsteigen oder Flughäfen lässt, auf breiten Bildschirmen und handlichen Displays. Solange sie den Menschen nicht auf den Leib rücken, indes die Zeit an...
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