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Nicht alles, was unter dem Namen "Predigt" läuft, muss deswegen auch schon schriftgemäße Predigt sein. Eine Rede - auch eine religiöse Rede! - wird nicht schon deshalb schriftgemäße Predigt sein, weil sie sonntagmorgens zwischen 10 und 11 Uhr gehalten wurde. Wo der Prediger um sein Bibelwort kreist wie die Katze um den heißen Brei und doch nie zur Sache kommt, wo die Darbietungen in die Breite des weltpolitischen Tagesgeschehens und sozialpolitischen Engagements führen, aber nicht in die Tiefe des biblischen Wortes, ist von Auslegungspredigt keine Rede. Solche Predigten bleiben geistlich flach. Manchmal können solche Reden nicht einmal als Predigten, sondern allenfalls als Ansprachen gelten.
Es wird nun gewiss nicht immer an der mangelnden Begabung oder Berufung der Verkündiger liegen, wenn seichte, wenig schriftbezogene und folglich vollmachtlose Predigten zu hören sind. Vielfach liegt die Ursache vielmehr in einem verkehrten Verständnis dessen, was Predigt eigentlich ist oder sein soll.
Es mag hilfreich sein, hier zunächst einmal zu versuchen, in einer Definition (Begriffsbestimmung) Rechenschaft davon zu geben, was in diesem Buch unter "Predigt" verstanden wird. Mir ist dabei bewusst, dass es in der heutigen Situation durchaus umstritten ist, ob eine angemessene theologische Predigtdefinition überhaupt möglich und nützlich ist.
Soll eine Definition nur rein praktisch beschreiben, was beim Predigen geschieht beziehungsweise geschehen soll? Oder soll systematischtheologisch - und damit von der Bibel her - definiert werden, was rechte Predigt von ihrem Wesen her ausmacht? Der jüngere Karl Barth hat in seinem homiletischen Seminar 1932/33 in einer Doppeldefinition noch beides versucht:
1. Die Predigt ist Gottes Wort, gesprochen von ihm selbst unter Inanspruchnahme des Dienstes der in freier Rede stattfindenden, Menschen der Gegenwart angehenden Erklärung eines biblischen Textes durch einen in der ihrem Auftrag gehorsamen Kirche dazu Berufenen. 2. Die Predigt ist der der Kirche befohlene Versuch, dem Worte Gottes selbst durch einen dazu Berufenen so zu dienen, dass ein biblischer Text Menschen der Gegenwart als gerade sie angehend in freier Rede erklärt wird als Ankündigung dessen, was sie von Gott selbst zu hören haben.49
Später, in der Kirchlichen Dogmatik, formuliert Barth relativ pragmatisch:
Predigt ist im Lauschen auf die Aussage der Schrift selbstständig vollzogene Aussage und Erklärung des Evangeliums, selbstständig gewagter evangelischer Anruf: insofern nicht mehr, nicht etwas Besseres, aber deutlich etwas anderes als einfach Schriftauslegung.50
Der Barth-Schüler Rudolf Bohren hat in seiner Predigtlehre vollständig auf eine Definition verzichtet. Diese würde für ihn von vornherein das Wunder der unzählbaren Sagensweisen des Wortes begrenzen und kanalisieren. Und das faktische Predigtgeschehen könne nur im Einzelfall beschrieben oder grundsätzlich rühmend "besungen" werden.51 Immerhin möchte er die reformatorische Formel "Die Verkündigung des Wortes Gottes ist Gottes Wort" im Auge behalten und in seiner von der Pneumatologie (Lehre vom Heiligen Geist) her entworfenen Homiletik entfalten, wie jenes "ist" - und damit das Wunder der Predigt - zu verstehen sei.
Ernst Lange schließlich lehnt eine theologische Definition der Predigt ganz ab. Sie trägt seines Ermessens für den Vollzug der Predigt nichts ein:
Der Predigtbegriff, der dabei zustande kommt, ist als solcher für die Praktische Theologie, für die Homiletik, untauglich. Denn er entsteht, wie er auch aussieht, angesichts der Frage nach der Verheißung, die die Kirche mit ihrem Predigtauftrag hat, ohne ihn sich - das steckt schon im Begriff der Verheißung - selbst erfüllen zu können.52
Demgegenüber befürchte ich eher, dass sich der Verzicht auf eine theologische Predigtbestimmung negativ auf die Predigtpraxis auswirken und zur Beliebigkeit führen wird. Eine an der Grundlage und dem Auftrag des Predigens orientierte Predigtdefinition wird dagegen keineswegs die Verheißung der Predigt beeinträchtigen, sondern vielmehr dazu beitragen, dass die dem Wort Gottes in seiner geoffenbarten und verkündigten Form gegebene Zusage in Erfüllung geht. Ein biblisch-theologisch verantwortetes Predigtverständnis mindert nicht das Wirken des Geistes im Predigtvollzug, es wehrt aber dem homiletischen Wildwuchs.
Als Definition der Auslegungspredigt, die dem Anliegen schriftgemäßer Verkündigung verpflichtet ist, möchte ich folgenden Grund-Satz anbieten:
Auslegungspredigt ist die autoritative und motivierende Entfaltung
einer biblischen Aussage,
die in demütiger Hochachtung vor dem biblischen Wort
durch eine genaue Auslegung des Textes erarbeitet wurde
und durch den Heiligen Geist auf den Prediger
sowie durch ihn in liebevoller Bemühung
auf seine Hörer angewandt wird.
Diesen Satz gilt es im Folgenden näher zu erläutern und zu entfalten.
"Predige das Wort [.]!", so hatte der Apostel es seinem Schüler befohlen. Was anderes sollte Predigt auch sein, als die Verkündigung des biblischen Wortes? Und so hört es sich in der Theorie auch ganz selbstverständlich an: "Auslegungspredigt ist die [.] Entfaltung einer biblischen Aussage." So selbstverständlich klingt der Satz, dass man ihn nur allzu schnell überliest und das Programmatische seines Inhalts als etwas schon immer Gegebenes - und nicht als Maßstab, als Herausforderung - hinnimmt.
Oft wird übersehen, dass Predigten immer wieder in der Gefahr stehen, etwas anderes oder weniger zu sein als "die Entfaltung einer biblischen Aussage". Weder dem Prediger noch seinem Hörer ist das immer bewusst. Denn vielfach gibt man sich schon zufrieden, wenn die sonntägliche Ansprache an der Bibel anknüpft und gewisse Bezugnahmen auf den verlesenen Text Heiliger Schrift aufweist.
In der Homiletik war es sogar immer wieder umstritten, ob der Predigt ein konkreter Bibeltext zugrunde gelegt werden müsse. Nach Friedrich Schleiermacher (1768-1834) darf zwar "der Text nicht verschwinden, weil er die äußere Gewährleistung für die Kirchlichkeit der Rede liefert"53. Und doch prägt nicht der Text die Predigt, vielmehr spricht in der wahren Kirche der von der freien Regung des Geistes bewegte Virtuose der Religiosität das gemeinsame religiöse Gefühl aus: "Er tritt hervor, um seine eigne Anschauung hinzustellen, als Objekt für die Übrigen, sie hinzuführen in die Gegend der Religion, wo er heimisch ist, und seine heiligen Gefühle ihnen einzuimpfen: er spricht das Universum aus, und im heiligen Schweigen folgt die Gemeinde seiner begeisterten Rede."54 Selbst A. Tholuck wollte die "Unmöglichkeitserklärung einer Predigt ohne biblischen Text" nicht akzeptieren und meinte: "Die Einrede, dass ihr dann der Name Predigt nicht gebühre, möchte auf bloßen Wortstreit hinauslaufen."55 Gegenüber diesen Tendenzen des 19. Jahrhunderts kam es im Zuge der "Dialektischen Theologie" (K. Barth) zu einer erneuten Textbindung der Predigt. So betont K. Fezer:
Gewiss! Ein Vortrag über religiöse Fragen, ja, eine religiöse Ansprache ist selbstverständlich möglich auch ohne Text. Aber eine Predigt, die zur Aufgabe hat, die Gemeinde vor den lebendigen Gott zu stellen, gibt es nicht ohne das Wort, in dem der lebendige Gott uns seine Gemeinschaft schenkt, ohne den Text. Hier ersetzen unsere schönsten, unsere christlichsten Gedanken das Wort nicht, das nicht von uns, sondern von ihm stammt.56
Diese Bindung an den Text der Heiligen Schrift erscheint uns unerlässlich. Denn aus diesem Wort schöpft die Predigt ihre Kraft und ihre Legitimation.
Es könnte auch die Frage gestellt werden, ob Predigt - selbst wenn sie es wollte! - im Wesentlichen überhaupt die textgemäße Entfaltung eines biblischen Wortes sein kann. Gert Otto weist darauf hin, dass der Ausleger in seine Beschäftigung mit Text und Predigt eine ganze Reihe subjektiver Faktoren mit einbringt - seine psychisch-emotionale Struktur, seine Biografie, seine theologischen Positionen und politischen Einstellungen, sein Verständnis von Kirche und Pfarramt, aktuelle Ereignisse in Familie, Politik und Kirche sowie sein Verhältnis zur Gemeinde -, und er folgert...
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