Schweitzer Fachinformationen
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In Moskau kaufte die Großfürstin Katharina Alexejewna Geschenke.
Ein Stück Musselin für die Gräfin Rumjanzewa, ein marmornes Ei auf einem goldenen Sockel für ihre Mutter.
Eine chinesische Vase, eine Ballerina aus Porzellan. Ein Halsband mit Pfauenfedern. Ein Kästchen aus Birkenrinde, das ein kleineres Kästchen enthielt und dieses wieder eines und so weiter bis zum allerkleinsten. Wenn man daran schnupperte, roch man den Duft von Pilzen. Ein Reitkostüm mit spitz zulaufenden Rockschößen und Manschetten an den langen Ärmeln.
Eine Muskete für den Großfürsten, eine Miniaturkanone, eine Anzahl Gipsbäumchen, die er rund um seine Modellfestungen aufstellen konnte.
Einen Helmständer.
Die Kaufleute von Moskau mit ihren Ladendienern, schwer beladen mit Paketen und Kisten, standen vor ihrem Schlafzimmer Schlange. Sie führten ihr Puppen vor, die nach der neuesten Pariser Mode gekleidet waren, lockten sie mit Straußenfedern, Brüsseler Spitzen, mit hauchdünnen Seidenstoffen und eleganten Hauben. Sie machten sie darauf aufmerksam, dass die Kaiserin den Pariser Schick über alles schätzte. Sie ließen sie Stoffmuster betasten, rühmten den Schimmer von Perlen, die imposante Pracht von Rubinen, das Glitzern von Saphiren auf der Haut, das in seiner ganzen Subtilität dem Flügelschlag des Schmetterlings gleicht.
Schätzte der Großfürst nicht das dunkle Preußisch-Blau vor allen Farben?, fragten sie, wenn sie ihre schimmernden Stoffe auf dem Boden ausbreiteten. Sie sprachen davon, dass jede Frau ein bisschen Hilfe gebrauchen könne, wenn sie einen Mann an sich binden wolle – verbergen und enthüllen, das sei die Kunst, auf die es ankomme. Sie boten Pomaden und Parfüms an, Feuchtigkeit spendende Lotionen, Essenzen mit dem Duft von Rosen, Narzissen, Orangenblüten.
»Das russische Volk blickt auf Sie, Hoheit. Sie dürfen nicht zweimal dasselbe Kleid tragen. Gerade geschnittene Ärmel sind nicht mehr in Mode.«
Sie konnte es sich nicht leisten, übertrumpft zu werden oder als knickrig zu gelten. Ihre neuen Freunde erwarteten Zeichen ihrer Wertschätzung. Und auch die Loyalität ihrer Dienerschaft musste erkauft werden. Wenn sie die Leute nicht bei der Stange hielt, würden andere sie bezahlen.
Also kaufte sie Nähkörbchen, Puderquasten, Schönheitspflaster, Schnupftabaksdosen, Duftkissen und weiße Handschuhe im Dutzend. Das sei keine Verschwendung, redete man ihr ein, es sei notwendig. Stimmte es, was man von dem preußischen König Friedrich erzählte? Dass er immer genau aufpasste, wie viel Käse vom Abendessen übrig blieb, und darüber Buch führte? Dass er Kerzenstümpfe sammeln und einschmelzen ließ, um das Wachs zu verkaufen?
Wenn ein Kaufmann ein gutes Geschäft machen kann, ist er gern bereit, ein paar Wochen auf sein Geld zu warten. Um alte Schulden zu tilgen, kann man neue Kredite aufnehmen – aber das geht nicht endlos so weiter.
»Die Bankiers reiben sich die Hände«, sagte der Kanzler gut gelaunt. »Und ich begann schon zu fürchten, unsere kleine Hausfrau würde uns einen harten Kampf liefern.«
Schulden können leicht zu Streit führen, zu Vorwürfen, die Kaiserin sei geizig. Katharina war zwar mit dem Thronprinzen verlobt, aber sie war noch nicht seine Frau.
Ich sah sie an und dachte: Ich kann nichts für dich tun.
Aber dann wurde alles anders.
Mitte Dezember zog der Hof von Moskau wieder nach Sankt Petersburg um. Als man in Chotilowo Station machte, wurde der Großfürst während des Essens ohnmächtig. Nachdem man ihn mit Riechsalz wieder zu Bewusstsein erweckt hatte, klagte er über Gliederschmerzen. Zuerst nahm man an, er habe Masern, aber dann bekam er Fieber und musste erbrechen, und da stand fest, dass es die Pocken waren.
Die Kaiserin, die sich bereits in Sankt Petersburg befand, fuhr in aller Eile zurück, um ihrem Neffen beizustehen.
Alle hielten den Atem an.
In den ärztlichen Bulletins aus Chotilowo war von unruhigen Nächten und hohem Fieber die Rede und von dem starken Lebenswillen des Patienten. In allen Kirchen Russlands beteten Priester für Peter Fjodorowitsch und die Kaiserin. Sie pflegte das Kind ihrer geliebten Schwester, als wäre es ihr eigenes, saß Tag und Nacht an seinem Bett, wusch mit eigener Hand die Wunden in seinem Gesicht und an seinem Körper, fütterte ihn mit Fleischbrühe und gab ihm Medizin, redete ihm beruhigend zu, wenn er vor Schmerzen schrie und weinte.
Im Palast erörterte man tuschelnd die Möglichkeiten. Der Tod konnte die Karten neu mischen. Kam jetzt der andere Thronfolger wieder ins Spiel, Iwan VI., jenes Kind, das seit dem Tag, an dem die russische Tochter Peters des Großen die Macht an sich gerissen hatte, sein Leben in einer Gefängniszelle zubringen musste?
Oft wurde die Erinnerung an jene Novembernacht vor drei Jahren heraufbeschworen, in der die Garden Prinzessin Elisabeth in den Winterpalast heimführten: Schön wie eine Madonna auf einer Ikone saß sie in einem Schlitten, ein russisches Kreuz in den Händen, einen ledernen Panzer um die Brust – triumphierend, aber schutzbedürftig, stark, aber hungernd nach Liebe. Einer nach dem anderen waren die Soldaten der Leibregimenter vor ihr niedergekniet, hatten den Saum ihres Gewands geküsst und geschworen, sie mit ihrem Leben zu verteidigen.
Elisabeth hätte Iwan töten lassen können, aber sie hatte ihn verschont. Vielleicht aus einem bestimmten Grund?
Während der Großfürst mit dem Tod rang, nahm das Getuschel zu. Die Kaiserin konnte das Ruder immer noch herumwerfen und Iwan zum Kronprinzen machen.
Die Kaiserin und der Großfürst weilten fern von Sankt Petersburg, das höfische Leben im Palast stand still, politische Entscheidungen wurden vertagt. Es fanden keine Empfänge und Audienzen mehr statt, die Türen blieben geschlossen, keine festliche Musik drang mehr durch die Fenster. Den Audienzsaal bevölkerten nur noch Katzen. Sie streckten sich auf Polstermöbeln aus oder jagten einander durch den Raum.
Lakaien und Zofen saßen stundenlang untätig auf den Stufen der Dienstbotentreppen herum, schwatzten und kicherten und kümmerten sich nicht darum, wenn sie anderen Leuten den Weg versperrten. In den Ställen spielten die Wachsoldaten Karten, schnupften, tranken Wodka und versuchten jedes Mädchen zu betatschen, das in ihre Nähe kam.
Alles wartete.
Katharina und ihre Mutter wohnten nicht im Winterpalast, sondern hatten ein Haus in der Millionnajastraße. Das Interesse an ihnen ebbte rasch ab, in den Spekulationen der Höflinge spielten sie kaum noch eine Rolle. Wenn der Großfürst starb, würde die Kaiserin keine Verwendung mehr für sie haben. Die Fenster des zweigeschossigen Hauses waren immer geschlossen, die Vorhänge zugezogen. Der deutsche Tuchhändler Leibnitz und die anderen Nachbarn, zumeist Gardeoffiziere und ihre Familien, hatten viel unter dem Lärm von Gläubigern zu leiden, die tags und nachts an die Tür hämmerten, sich lautstark selbst verfluchten, weil sie so dumm gewesen waren, diesen Ausländerinnen zu trauen, und darüber lamentierten, dass die Mächtigen dieser Welt ihre Schulden nicht bezahlten.
Ich dachte an die beiden Bienen in dem Stück Bernstein, das Katharina mir geschenkt hatte. Wir sind beide fremd hier, hatte sie gesagt.
Bald würde sie gehen müssen. Was wäre Schlimmes daran, wenn ich ein bisschen nett zu ihr wäre?
Ich ging zu dem Haus in der Millionnajastraße und läutete. Es war kalt und windig, bald würde es schneien. Ein Schlitten fuhr mit klingelnden Glöckchen vorbei. Ein schmaler Streifen neben der Straße war für Fußgänger geräumt und mit Sand und Asche bestreut.
Das Mädchen, das mich einließ, konnte der Versuchung nicht widerstehen, mich zu fragen, ob ich etwas davon gehört hätte, wann die Großfürstin wieder im Palast wohnen dürfe.
Ich schüttelte den Kopf. Auf dem Flur roch es nach Rauch und Schimmel.
Sie führte mich ins Obergeschoss in einen kleinen Salon. Der mit Holz getäfelte Raum wirkte ziemlich düster, die Samtvorhänge vor den Fenstern, die zur Straße hinausgingen, waren zugezogen. Es war billiger Samt aus Baumwolle, nicht aus Seide. Nur durch ein schmales Fenster zur Hofseite hin fiel Licht ein. In einer Ecke stand ein großer Kachelofen, der angenehme Wärme ausstrahlte. Auf einem Tisch neben einem Clavichord entdeckte ich einen Stapel schlicht gebundener Bücher. Ich schlug einige davon auf; es waren Abenteuergeschichten von Piraten, Schiffbrüchen und Entführungen.
Ich sah mich um: Ein abgewetzter Sessel, ein trüber Spiegel, ein glänzend lackiertes Nähkästchen, auf dessen Deckel ein prächtiger Feuervogel prangte, über der Lehne eines Stuhls am Fenster ein wollenes Umschlagtuch, an der Wand ein Bärenfell, darüber zwei gekreuzte Säbel. Vom Korridor klangen das Klappern von Töpfen, das Tappen von Schritten, und es kam ein Geruch von Seifenlauge herein.
Ich musste an unser Haus auf der Wasiljewskiinsel denken, hörte Papas gemessene Schritte, Mamas helle, heitere Stimme. Die Erinnerung war so lebhaft, dass ich das Gefühl hatte, sie stünde direkt vor mir, um mich in die Arme zu schließen.
Abrupt ging die Tür auf. Die Bewohner dieses Hauses hatten wohl nur selten das Vergnügen, Besuch zu empfangen.
»Ach, du bist es.« Die Fürstin bemühte sich nicht, ihre Enttäuschung zu verbergen.
»Ich hoffe, ich störe nicht«, sagte ich.
Katharina kam herein, das Haar in aller Eile zurechtgemacht und halb unter einer...
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