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Es ist schwer zu sagen, wann diese Geschichte eigentlich begann. Wie die Blumen werden auch wir mit der Sehnsucht geboren, dem Licht zuzustreben. Ich spürte diese Sehnsucht wohl zum ersten Mal an einem strahlenden Sommermorgen, als ich nördlich von Tyrus im Sand am Meer lag und mich Hassgefühle gegen meine Schwester Illyrika erfüllten. Dann hasste ich mich selbst, weil ich sie hasste, denn schließlich war es ja nicht ihre Schuld, dass sie krank oder, wie die Leute einander zuflüsterten, von einem Dämon besessen war.
Ich hasste sie nicht wegen der rasenden Tobsuchtsanfälle, die sie von Zeit zu Zeit plötzlich überkamen. Dann knirschte sie mit den Zähnen, riss sich das Haar aus und warf sich auf den Boden oder ins Feuer - je nachdem, wo sie gerade stand. Das geschah seit Jahren immer wieder gelegentlich und ich hatte mich daran gewöhnt. Außerdem hatte sie Zeiten, in denen sie manchmal fast normal war, obwohl sie immer ein wenig merkwürdig und abwesend wirkte. Sie saß dann mit gefalteten Händen da und starrte Löcher in die Luft. Dabei hatte sie einen unkindlichen, alten Gesichtsausdruck und wenn sie sprach, schien ihre Stimme von weit, weit her zu kommen. Aber sie sagte nur ganz selten etwas.
Ich hasste sie, weil sich meine Mutter nur um sie drehte. Sonst zählte niemand, dachte ich verbittert und grub meine bloßen Zehen in den Sand ein. Ich war der einzige Sohn, aber wenn der Fischfang nicht reichlich und somit das Essen spärlich war, mussten ich und meine jüngere Schwester Ione hungern, damit Illyrika genug zu essen hatte. Manchmal glaubte ich, dass meine Mutter Angst vor ihr hatte. Doch dann wieder hatte ich den Eindruck, dass sie vor lauter Liebe zu ihr kaum einen anderen Menschen wahrnahm. Ich seufzte, spuckte aus und wünschte mir, alt genug zu sein, um mit meinem Vater nachts auf Fischfang gehen zu dürfen. Aber er wollte mich erst mitnehmen, wenn ich zwölf wäre. Es fehlten noch zwei volle Monate, bis ich dieses Mannesalter erreicht hatte.
Es war sehr still am Strand. Die Sonne war über dem schnee bedeckten Gipfel des Hermon aufgegangen und wärmte meinen Rücken, aber der Dunstschleier lag immer noch über Land und Meer, sodass man nicht sagen konnte, wo die See aufhörte und wo der Himmel begann. Nicht die kleinste Welle brach sich im Sand. Das glatte Wasser leuchtete safrangelb und verschmolz mit dem hellen Dunst. Jeden Augenblick würde nun ein dunkler Fleck auftauchen, der beim Näherkommen immer größer würde.
Es war schon spät, was gewöhnlich auf einen guten Fang hinwies. Angestrengt blickte ich aufs Meer hinaus und entdeckte das Boot. Bald konnte ich auch das Netz entdecken, das auf und ab schlingerte, wie das Spiegelbild der Wellen. Ich rannte bis ans Wasser und winkte und mein starker, stiller Vater stand am Bug und winkte zurück. Obwohl wir uns, solange ich den ken konnte, fast jeden Morgen auf diese Weise begrüßten, war es immer wieder ein besonderer Augenblick für mich, denn ich liebte meinen Vater und nicht alle Fischer, die nachts hinausfuhren, kehrten am Morgen wieder zurück.
Ich holte die Körbe und war rechtzeitig zurück, um den Kiel auf dem Sand auflaufen zu hören. Da spürte ich auch schon die breite Hand meines Vaters auf der Schulter, als er aus dem Boot sprang. Die Männer waren gut gelaunt, das Boot war vollgeladen und das Netz schwer. Als eingespieltes Team nahmen wir schweigend unsere Stellungen am Seil ein. Ich, ein kleiner Statist, rannte ans Ende, denn obwohl ich ein kräftiger Junge war, hätte ich nicht mit den starken braunen Armen und der ganzen Energie der Fischer mithalten können. Jeder Muskel war angespannt, als sie sich gleichzeitig zurücklehnten, sich für den Bruchteil einer Sekunde entspannten, tief Luft holten und erneut die Muskeln anspannten, bis das Netz auf dem Strand lag. Wir stürzten uns alle gleichzeitig darauf, um die Fische zu sortieren.
Ich ging gern mit den Fischen um. Einige davon warfen wir wieder ins Wasser zurück. Aber heute waren die meisten genießbar. Die Männer legten sie, tropfend und silbrig glänzend, in die Körbe, hievten diese auf ihre Schultern und gingen damit zum Markt. Ich rannte zuerst noch einmal zurück und sprang ins Meer, denn obgleich die Schatten immer noch lang waren, brannte die Sonne bereits heiß herab und die Erfrischung tat mir gut nach der harten Arbeit. Dann nahm ich meinen etwas kleineren Korb und holte meinen Vater bald ein. Die Fisch verkäufer erwarteten uns schon im Schatten der Zelte und das Feilschen und Handeln begann. Ich war stolz auf meinen Vater, denn es gelang keinem, seine Preise wesentlich herunterzuhandeln, und unser Boot war heute morgen das erste. Als der Preis festgelegt war, wurde der Fisch gewogen und zu großen, glänzenden Haufen auf die Steinfliesen geschüttet. Dann wandte sich mein Vater mir zu.
»Bring den Rest in deinem Korb nach Hause«, sagte er, »und bitte Mutter, den Fisch zuzubereiten! Ich werde bald nachkommen.«
Wie die Fischer lediglich mit einem Lendentuch bekleidet, ging ich die Straße hinauf, die zu unserem Haus führte. Aller Kummer war vergessen. Ich war sehr hungrig und heute hatten wir genug zu essen. Meine Mutter würde mit meiner kleinen Schwester zusammen den Fisch ausnehmen und das Feuer entfachen. Bald darauf würden herrliche Düfte das Haus erfüllen: brutzelndes Öl, gebratener Fisch, würzige Kräuter und frisches Brot. Dann würde mein Vater kommen und wir würden uns um die volle Schüssel versammeln. Welch gemütliche Runde wäre das ohne die unheimliche Gegenwart meiner älteren Schwester! Gewöhnlich nahm sie ihr Essen etwas abseits ein. Ihr Teller war angefüllt mit dem Besten, was es gab. Manchmal setzte sie sich auch in unsere Familienrunde. Dann verstummten wir meistens, als hätten wir einen Fremden in unserer Mitte. Meine Mutter hörte auf zu essen und starrte sie mit jenem erschrockenen, sehnsuchts- und liebevollen Gesichtsausdruck an. Ich stopfte mir den Rest des Essens in den Mund und machte, dass ich hinaus ins Freie kam.
Der Tag würde heiß werden. Einer von Vaters Gehilfen stand in seiner Haustür und rief mich zu sich. Ich trat durch den weinumrankten Eingang und er gab mir Buttermilch zu trinken, während wir plauderten. Ich besuchte gern die anderen Fischerjungen, aber ich schämte mich gleichzeitig, denn ich konnte sie nie zu mir einladen. Ich wusste ja nie, wann meine Schwester wieder einen Anfall hatte. Tagsüber verließ Illyrika das Haus äußerst selten, aber jeder kannte sie und redete hinter vorgehaltener Hand über sie. Und wir bekamen ganz selten Besuch.
Die Buttermilch stillte vorübergehend meinen Hunger und ich blieb noch ein wenig da. Mein Vater würde nicht so schnell nach Hause kommen. Er hatte auf dem Marktplatz Geschäftliches zu besprechen. Außerdem saß er gern mit den anderen Fischern zusammen und plauderte über die Gezeiten, das Wett er und den Fang. Manchmal fragte ich mich, ob es ihm ebenso schwerfiel wie mir, die Freiheit des Morgenhimmels und die Weite des Meeres zurückzulassen, um unter dem schwarzen Schatten, der über unserem Haus lag, zu leben. Aber er war ein guter Ehemann und pflichtbewusster Vater und wenn er meine Gedanken teilte, so hatte er sie nie geäußert.
Ich verließ meinen Freund und eilte die Straße hinauf, denn jetzt war ich wirklich spät dran. Als ich um die Ecke bog, war ich aber doch überrascht, dass meine Mutter mitten auf der Straße stand und nach mir Ausschau hielt. Als sie mich entdeckte, lief sie mir entgegen. Sie war so vergnügt, wie ich sie seit langem nicht mehr gesehen hatte.
»Beeil dich, Junge!«, rief sie ungeduldig. »Gib mir den Fisch, wasch dich und zieh die Tunika an! Dein Onkel Adoram aus Galiläa ist hier, er wartet auf sein Frühstück.«
Ich rannte ihr voraus, denn das war tatsächlich eine gute Nach richt. Ich hatte meinen Onkel aus Galiläa sehr gern und wir hatt en ihn schon länger nicht mehr gesehen. Er war der ältere Bruder meiner Mutter, der sich in ein Mädchen aus Kapernaum verliebt hatte. Da die Familie seiner Braut strikt dagegen war, dass die Tochter Israel verließ, hatte er sein Fischerboot zum See Genezareth gebracht und übte seither seinen Beruf in Galiläa aus. Um seinen Schwiegervater vollends zu versöhnen, war er sogar zum Judentum übergetreten. Doch hatte er die Verbindung zu meiner Mutter nicht abgebrochen und von Zeit zu Zeit besuchte er uns.
Onkel Adoram war ein großer, schwarzbärtiger Mann mit der breiten Statur und den starken Muskeln eines Fischers. Er ruhte sich nach der langen Wanderung auf einer Matte aus und neckte meine kleine Schwester, die vergnügt kicherte. Er sprach auch höflich mit meiner älteren Schwester, aber er machte keine Späße mit ihr. Auch sah er sie kaum an, denn keiner wollte ihrem wilden, starren Blick begegnen. Wenn ich mit ihr sprach, sah ich immer in die entgegengesetzte Richtung.
Sauber und bekleidet platzte ich in das Zimmer und begrüßte fröhlich meinen Onkel. Ich glaube, er hatte mich besonders gern und jetzt redete er mit mir von Mann zu Mann.
»Na, warst du mit dem Boot draußen?«, fragte er zwanglos.
»Nein, ich darf erst mitfahren, wenn ich zwölf bin. Aber das dauert nicht mehr lange. Ich helfe jeden Morgen beim Einholen des Netzes und beim Fischeverlesen.«
»Freust du dich schon darauf, mitfahren zu dürfen?«
Ich nickte.
Er lächelte. »Es liegt uns im Blut, Junge, schon seit Generationen. Wenn meine Zeit gekommen ist und ich von der Erde wegmuss, will ich in einem Sturm untergehen. Die Stürme auf dem See Genezareth haben etwas herrlich Gewaltiges an sich. Sie kommen ganz plötzlich aus dem Faltengebirge her untergebraust, wenn man sie am wenigsten erwartet, und peitschen das Wasser auf, dass man meint, das letzte Stündlein habe geschlagen. Aber ich wollte es um nichts in...
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