Schweitzer Fachinformationen
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Kitty Weekes muss dringend untertauchen, und Portis House ist dafür der perfekte Ort. Sie fälscht ihren Lebenslauf und schafft es, als Krankenschwester eingestellt zu werden ... Das abgelegene Herrenhaus wurde in eine Einrichtung für »kriegsneurotische« Soldaten umgewandelt, die durch die Schrecken des Ersten Weltkriegs traumatisiert sind. Doch die junge Frau wird bald feststellen, dass sie nicht nur mit den Männern, die sie pflegen soll, alle Hände voll zu tun hat, sondern auch mit dem Haus selbst. Mächtige gespenstische Kräfte bewegen sich durch die Räume und suchen die Patienten mit Albträumen heim, die so grauenvoll sind, dass keiner wagt, darüber zu sprechen.
Publishers Weekly: »St. James verwebt geschickt das Paranormale mit dem, was man heute posttraumatische Belastungsstörung nennt, und schafft so eine angenehm gruselige Geschichte über die eindringliche Macht des Unsichtbaren.«
Library Journal: »Geisterhafte Erscheinungen, Schrecken und Rätsel ... Liebhaber klassischer Gothic-Romane in der Tradition von Victoria Holt werden sich diese atmosphärische Geschichte mit romantischer Spannung nicht entgehen lassen wollen.«
1
ENGLAND, 1919
Portis House tauchte aus dem Nebel auf, als wir uns ihm näherten. Nach und nach zeigte es sich als ein langer, tief stehender Schatten. Ich neigte meine Schläfe gegen das Fenster des Wagens und versuchte, es in dem schwindenden Licht genauer zu betrachten.
Der Fahrer sah, wie ich meinen Hals reckte. »Das ist es, zweifelsohne«, bestätigte er. »Man kann es gar nicht verwechseln. In der Gegend gibt es sonst nichts.«
Ich beäugte es weiter. Ich konnte nun gerade so die Gesimse erkennen, und auch die schmalen griechischen Säulen waren in der aufziehenden Dunkelheit nur schemenhaft auszumachen: ein breiter, kühler Portikus und dahinter Efeu, der an den blassen georgianischen Mauern emporkletterte. Seine Ränder verblassten im Nebel, als hätte ein Künstler sie mit seinem Daumen verwischt.
»Es ist ein guter Ort«, fuhr der Fahrer fort. Mein Schweigen schien ihm unbehaglich zu sein, seit vielen Meilen schon. »Ich meine, wofür sie das Haus benutzen. Ich selbst würde hier nicht leben wollen.« Er richtete die Mütze auf seinem grau melierten Kopf und fuhr sich dann mit einem rauen Finger über den Bart. »Das Land hier liegt tief, was heißt, dass es immer feucht ist. Der Nebel rührt vom Wasser her. Im Winter vereist alles ganz fürchterlich.«
Ich löste mich von dem Seitenfenster und lehnte meinen Kopf zurück an den Sitz, um durch die Windschutzscheibe zuzusehen, wie das Haus näher kam. Wir rumpelten über eine lange, schlammige Zufahrt. »Aber warum«, fragte ich, »ist es dann ein guter Ort?«
Er hielt überrascht inne. Ich versuchte, mich zu erinnern, wann ich ihn das letzte Mal angesprochen hatte, seit ich am Bahnhof in sein Taxi gestiegen war, und konnte es nicht. »Nun, für diese Burschen natürlich«, antwortete er nach einem Moment. »Für die Verrückten. Hält sie vom Rest der Welt fern, nicht wahr? Und die Brücke vom Festland sorgt dafür, dass sie nirgends hinkönnen.«
Das stimmte. Die Brücke war lang und schmal und einem Wind ausgesetzt, der uns schonungslos durchgeschüttelt hatte, als wir sie überquerten. Jeder, der versuchte, das Festland zu Fuß zu erreichen, riskierte Kopf und Kragen. Ich überlegte, ob es schon einmal jemand gewagt hatte und ob er dabei in das tosende Meer gestürzt und zu Tode gekommen war. Ich öffnete den Mund, um zu fragen, schloss ihn aber wieder.
Der Fahrer schien es nicht bemerkt zu haben. »Wissen Sie, es ist nicht als ein Krankenhaus errichtet worden. Es war ein Wohnhaus, vor nicht allzu langer Zeit. Um die 20 Jahre muss es her sein. Eine Familie mit Kindern. Gersbach hießen sie. Weiß der Himmel, wie sie es hierher geschafft haben. Vier Stunden mit dem Zug von Newcastle bis in die Stadt, und dann noch über die Brücke. Es ist kein Ort für ein Kind, sage ich Ihnen. Oft hat man sie nicht gesehen, und das ist kein Wunder - einen anderen Weg gab es nicht, um sich Vorräte vom Festland zu beschaffen, und kein Dienstbote hielt es lange bei ihnen aus. Ich schätze, so sind die Reichen eben. Sie gingen wieder, als der Krieg ausbrach. Wie ich hörte, waren sie recht unnahbar, was ganz typisch für Deutsche ist.«
Wir erreichten das Haus, und er lenkte das Fahrzeug über die Auffahrt hin zum Haupteingang. Wir umkreisten eine Rasenfläche, in deren Mitte ein unbenutzter Steinbrunnen trocken und verdreckt in einem leeren Blumenbeet stand. Nebelwolken schoben sich über ihn hinweg und glitten lautlos an einer Marienstatue mit traurigen Augen vorbei, die ihre segnenden Arme über das leere Becken ausstreckte. An ihren Seiten standen Engelsfiguren mit ausdruckslosen Gesichtern.
»Sie müssen sich keine Sorgen machen.« Der Fahrer stellte den Motor an der Vordertreppe ab. »Es ist abgelegen, das ist wohl wahr, doch ich habe noch nie gehört, dass jemand in dem Krankenhaus schlecht behandelt wurde. Ihrem Burschen geht's bestimmt gut. Heute Abend werde ich nicht zurückkommen können, dafür ist's zu spät, aber hier gibt es schöne Gästezimmer für die Angehörigen. Ich könnte gleich morgen früh wieder hier sein, wenn Sie möchten.«
Ich sah ihn einen Augenblick lang an, bevor mir bewusst wurde, dass er mich für eine Besucherin hielt. »Ich werde bleiben«, erklärte ich.
Er zog seine Augenbrauen hoch, als hätte ich behauptet, dass ich mich selbst einweisen würde. Dann senkte er sie wieder. »Eine Krankenschwester? Ich dachte .« Sein verdutzter Blick fand den Laderaum im Heck, wo meine Reisetasche lag. Sie war so klein, dass sie nicht für mehr als eine Nacht zu reichen schien. Als er sich mir wieder zuwandte, blickte ich ihm in die Augen und sah zu, wie er langsam begriff, dass all meine Habseligkeiten in der Tasche steckten.
»Nun«, verkündete er dann. Die Stille hing einen Moment lang zwischen uns. »Dann werde ich Ihnen nur Ihre Tasche holen.«
Er stieg aus dem Wagen. Ich öffnete meine Tür, bevor er es tun konnte, und erhob mich aus dem schmerzhaft harten Sitz. Er hob die Hände vor lauter Frust und machte sich daran, meine Tasche zu holen. »Seien Sie bloß vorsichtig«, warnte er mich, als er sie mir reichte. Sein wohlwollender Tonfall war verschwunden. »Das sind alles Verrückte, wissen Sie? Ein paar davon sind richtige Unmenschen. Und Sie, Sie sind nur ein kleines Ding und auch noch so jung. Ich wusste ja nicht, dass Sie eine Krankenschwester sind, sonst hätte ich schon eher etwas gesagt. Die meisten Schwestern halten es nicht lange aus. Das macht die Einsamkeit.«
Ich reichte ihm sein Fahrgeld. Es war das letzte Geld, das ich noch hatte. »Die Einsamkeit ist, was ich brauche.«
»Manchmal werde ich hergerufen, um die Mädchen abzuholen, die wieder wegwollen. Sie sind so still wie Geister, und in der Stadt sehen wir nie eine von ihnen. Vielleicht dürfen sie nicht in die Stadt, wer weiß. Ich weiß nicht einmal, ob sie überhaupt Urlaub bekommen.«
»Ich brauche keinen Urlaub.«
»Welche Krankenschwester braucht denn keinen Urlaub?«
Nun klang er fast erbost. Ich wandte mich von ihm ab und schritt die Treppe hinauf.
»Sie scheinen mir einfach nicht der Typ dafür zu sein«, rief er mir hinterher.
Ich drehte mich um. »Sie müssen sich um mich keine Sorgen machen.« Ich überlegte einen Augenblick lang. »Es ist kein deutscher Name, Gersbach«, bemerkte ich noch, als er zu mir heraufblickte. »Er kommt aus der Schweiz.« Ich sah über seine Schulter zum Brunnen, zur Mariengestalt mit ihren zarten drapierten Schultern und eleganten Armen. Dann nahm ich die letzten Stufen bis zur Eingangstür von Portis House.
»Katharine Weekes.« Die Frau überflog die Unterlagen in ihrer Hand und blätterte geschickt mit ihren langen Fingern darin. Sie hatte die Mundwinkel konzentriert nach unten gezogen.
»Kitty«, verbesserte ich.
Sie blickte scharf zu mir auf. Wir befanden uns in einem behelfsmäßigen Büro, in dem früher vielleicht ein Butler oder die Haushälterin ihre Schreibstube hatte. Das Zimmer befand sich ganz hinten im Gebäude und war nur mit einem alten verkratzten Schreibtisch und einem nicht dazu passenden Aktenschrank aus Holz möbliert. Jenseits des Fensters zog der Nebel vorüber.
Sie war eine groß gewachsene Frau mit kräftigen Schultern. Ihr Haar war zu einem stumpfen Pony geschnitten, der beinahe männlich wirkte. Sie trug eine dicke Wolljacke über ihrer Uniform; an einer Kette um ihren Hals hing eine Halbmondbrille, die sie nicht zum Lesen benutzte. Die weiße Haube auf ihrem Kopf wirkte fehl am Platz und fast schon lächerlich. Ihre Augen wurden schmal, als sie mich betrachtete. »Wir werden Sie nicht Kitty nennen«, verkündete sie. »Sie werden Schwester Weekes sein. Ich bin hier die Oberschwester, Mrs. Hilder. Sie werden mich Schwester Oberin nennen.«
Ich prägte mir diese Auskunft ein. Sie war albern und dumm, aber ich würde sie brauchen. »Ja, Schwester Oberin.«
Wieder verengten sich ihre Augen. Sogar wenn ich mir Mühe gab, schaffte ich es kaum, gehorsam zu klingen, und etwas in meinem Tonfall musste das preisgegeben haben. Die Schwester Oberin schien eine jener Frauen zu sein, denen nicht einmal der Anflug einer Unverfrorenheit entgeht. »Hier steht«, fuhr sie einen Moment später fort, »dass Sie ein Jahr lang im Belling Wood Hospital in London tätig waren.«
»Das stimmt, Schwester Oberin.«
»Es ist ein schwieriges Krankenhaus, das Belling Wood. Unzählige Verwundete wurden dort behandelt. Viele fordernde Fälle.«
Ich nickte stumm. Woher wusste sie das? Woher konnte sie es wissen?
»Normalerweise bevorzugen wir Schwestern mit mehr Erfahrung, aber da Sie im Belling Wood waren, ist anzunehmen, dass Ihre Fähigkeiten die Ansprüche hier im Portis übertreffen dürften.«
»Ich bin mir sicher, dass es genügen wird«, murmelte ich. Ich hatte meine Hände sorgsam in den Schoß meines dicken Rocks gelegt und richtete meinen Blick auf sie. Ich trug mein einziges Paar Handschuhe. Ich hasste Handschuhe, doch den Anblick meiner Hände hasste ich noch mehr. Wenigstens verbargen die Handschuhe die Narbe, die sich von dem sanften Gewebe zwischen meinem Daumen und den Fingern bis hinunter zu meiner Handwurzel zog.
»Ist das so?«, fragte Mrs. Hilder, die Schwester Oberin. Etwas an der verhaltenen Neutralität in ihrer Stimme ließ ein Gefühl der Panik wie einen Puls in meiner Kehle pochen.
Ich wagte einen kurzen Blick zu ihr hinauf. Sie betrachtete mich mit steten Augen, die nichts preisgaben. Ich würde etwas sagen müssen und wühlte rasch in meinen Erinnerungen.
»Das Belling Wood war beschwerlich«, erklärte ich. »Ich war kaum zu Hause. Mit der Zeit...
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