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. Als Christoph seine Augen wieder öffnete, sah er gerade noch den alten Golf hinter den Dünen verschwinden. Was musste ihn die verdammte Sonne auch gerade in diesem Augenblick blenden?
Genau so einen hatte Désirées Vater seinerzeit besessen. Er musste vorsichtig sein. Zwar würde ihn mit der neuen Frisur und der modischen Brille so schnell keiner erkennen, aber man hatte schon Pferde kotzen sehen.
Extra deshalb hatte er ja Sylt gewählt: Die Frau, die jeden seiner Züge und jede seiner Bewegungen kannte, würde mit absoluter Sicherheit niemals auch nur einen Schritt auf die Insel setzen. Wie dumm wäre es da, wenn ihn ein weit entfernter Bekannter oder ein fast vergessener Verwandter von Désirée enttarnen würde?
Er schloss seinen Wagen ab, den er zuvor auf dem Sandparkplatz abgestellt hatte, und ging den Sandweg zur Sansibar hinauf.
In seinem neuen Leben musste er zwar auf alles Bekannte verzichten, aber einen gewissen Luxus hatte er sich, dank einer kleinen Verschiebung seines Vermögens, bewahren können. Aus Erfahrung wusste er, dass sich das erste Problem damit schnell selbst beheben würde. Und so furchtbar war der Verlust nun auch wieder nicht.
Klar, mit Désirée verbanden ihn viele Jahre und schöne Erinnerungen. Aber im Bett herrschte schon lange Flaute. Um zu bekommen, was ein Mann so brauchte, hatte er schon des öfteren auswärts essen gehen müssen. Und das, obwohl er ihr immer ein gutes Leben ermöglicht hatte. Da durfte sie sich nicht wundern, wenn er sich aus dem Staub machte . obwohl ihm das "Wie" schon ein wenig leid tat. Aber als sich die Schlinge immer weiter zuzog, war er froh gewesen, sich auf Arno und seinen kühlen Kopf verlassen zu können.
Er nahm an einem der Holztische Platz, an dem bereits einige Gäste vor ihren gut gekühlten Weißweingläsern saßen. Ein Kellner nahm in dem saloppen Umgangston eines guten Bekannten seine Champagner-Bestellung auf. Was machte es schon, dass es noch früher Nachmittag war, hier gehörte der ein oder andere Tropfen auch tagsüber zum guten Ton.
Seine Gedanken schweiften wieder ab. Gerade mal ein halbes Jahr war es her, dass Arno ihn ins Vertrauen gezogen hatte. Zuerst war er geschockt gewesen, immerhin haftete er als Miteigentümer für die Machenschaften seines Kompagnons. Zumal wohl auch die ein oder andere seiner Unterschriften - wer las schon alles, was er signierte - unter nicht ganz koscheren Dokumenten gelandet war. Was hatte sich dieser Idiot bloß dabei gedacht? Es war doch vorprogrammiert, dass so ein Betrug auffliegen würde!
Als Arno ihm dann seinen Notfall-Plan präsentierte, hatte er sich aus Mangel an Alternativen, die nicht hinter schwedischen Gardinen enden würden, seinem Schicksal gefügt. Gelder sichern, Bootsunglück vortäuschen, an einem schönen Ort ein neues Leben beginnen - er auf Sylt, Arno in Thailand.
Ob sein Kollege jetzt wohl auch in der Sonne saß und das süße Leben ohne jegliche Verpflichtungen genoss? Christoph wusste, dass Arno ein Faible für exotische Frauen hatte, und in Thailand bekam man bekanntermaßen viel für sein Geld. Fragen konnte er ihn nicht, Arno hatte zur Sicherheit eine Kontaktsperre verhängt. Und er hatte recht. Sämtliche Verbindungen zum alten Leben mussten gekappt werden, alles andere war viel zu risikoreich.
Bisher schien auch alles nach Plan zu laufen. Im Internet berichteten Zeitungsartikel von seinem Verschwinden und der Suchaktion. Sollten die Trupps von Wasserschutzpolizei und DGzRS mal alles aufbieten, was sie an Ausrüstung hatten, keine Spur würden sie von Arno, geschweige denn von Christoph, finden! Schließlich war er in Timmendorfer Strand gar nicht erst wieder mit Arno in See gestochen, sondern hatte sich in neuem Look und mit gefälschten Papieren vom nahe gelegenen Sportflughafen aus auf den Weg gen Nordsee gemacht.
Gestatten: Gregor Bittler, Privatier aus dem Rheinland. Zugegeben, der neue Name und der Dialekt gingen ihm noch ein wenig schwer über die Lippen, aber das neue Dasein, so viel freier als es das Leben in wirklicher Freiheit je gewesen war, gefiel ihm.
Nur eines machte ihn stutzig: In den Artikeln war immer nur von einem Vermissten die Rede. Dabei war es Arnos Plan gewesen, sich mit Hilfe eines Komplizen in Höhe des Fehmarnbelts vom Schiff abzusetzen, um danach gleich zum Flughafen nach Hamburg durchzustarten. War etwas schiefgelaufen? Oder war die Berichterstattung einfach missverständlich?
Ach, was zerbrach er sich eigentlich den Kopf? Er war in Sicherheit, der Champagner perlte herrlich auf der Zunge und die Süße am Tisch nebenan warf ihm eindeutige Blicke zu. Sollte Arno seine Suppe doch selber auslöffeln, schließlich hatte er sie Christoph und sich auch nur zu großzügig eingeschenkt.
Mit letzter Kraft schaffte es der alte Wagen den steilen Dünenweg hinauf. Das kleine weiße, mit dunklen Schindeln bedeckte Haus der Familie Clausen trotzte seit Jahrzehnten dort, ganz oben auf dem Kamm, den Stürmen, die in verlässlicher Regelmäßigkeit über die Insel tobten. Stöhnend stieg Désirée aus dem Auto und streckte sich erst einmal ausgiebig. Auch eine gerade mal zwanzigminütige Fahrt war mit den Knien an den Ohren mehr als ungemütlich. Zumindest, wenn man nicht mehr vierzehn war.
Irma, mit ihren fünfundsechzig Lenzen, schien die Fahrt besser bekommen zu sein. Zumindest machte sie gerade ungezügelt ihrer Begeisterung über die Aussicht Luft:
"Hinnerk, das ist ja wirklich traumhaft hier! Ich komm mir vor wie bei Rosamunde Pilcher", kicherte sie und erntete dafür von ihrem Gastgeber einen verständnislosen Blick. Man konnte sich denken, dass Herzschmerzromane nicht zu Hinnerks liebsten Themengebieten gehörten. Doch Irma schenkte der Reaktion keine Aufmerksamkeit. Sie war euphorisch und ließ sich das auch nicht madig machen. Schnell holte sie ihre Kamera heraus und verknipste mit einem Mal große Teile ihres neu eingelegten Films. Man konnte es ihr nicht verdenken.
Vor ihnen lag das allein durch den Himmel gerahmte Insel- und Halligpanorama, das Désirée ihre ganze Kindheit über begleitet hatte, wie andere Kinder die Ligusterhecke im heimischen Vorgarten. Föhr, Amrum und die Halligen dahinter lagen ihnen zu Füßen.
Schon damals hatte sich Hinnerk vor Anfragen von Immobilienbüros kaum retten können, die ihm horrende Summen für das Grundstück samt Haus boten. Betrachtete man die Entwicklung, der der Sylter Immobilienmarkt seitdem unterlag, hatte sich der Wert des Eigentums bis heute wohl noch deutlich gesteigert.
Aber Hinnerk war keiner, der Wert auf Reichtum legte. Alles, was er brauchte, hatte er an diesem Ort. Alles, bis auf seine Frau, und die konnte er auch mit allem Geld der Welt nicht zurückholen.
Désirée erinnerte sich daran zurück, wie ihr Vater damals die in Anzug und Krawatte gehüllten Immobilienfritzen angebrummt hatte: "Dat Haus holt irgendwann dat Meer. Und bis dat soweit is, habt ihr Haie hier nix zu such'n." Danach hatte er den verdutzten Maklern gerne die Tür vor der Nase zugeschlagen. Den Schneid hatte sie von ihm geerbt. Sagen ließ sich ein Clausen nichts.
"Deetje! Steh da nich so rum. Schnapp dir die Koffer und zeig Irma dat Zimmer. Sie schläft inner Gästekammer."
Tja, dumm nur, wenn zwei Clausens aufeinander trafen. Da hatte wohl im Zweifel ihr Vater das Sagen. Zumindest, solange er seiner erwachsenen Pleite-Tochter Obdach bot.
"Désirée", korrigierte sie trotzdem, trollte sich dann aber und stieß schwer bepackt die quietschende Eingangstür unter dem gemauerten weißen Bogen auf.
Gleich trat ihr der unvergleichbare Geruch des Hauses in die Nase. Eine Mischung aus altem Holz, Pfeife und Räucherfisch, ein Ergebnis des alten Räucherofens im Garten. Neben der Tür führte eine enge hölzerne Treppe in die erste Etage.
"Ich zeig dir gleich das Haus, Irma. Lass uns erstmal hochgehen und auspacken."
Die Räume oben waren klein und hatten jeweils nur ein winziges Sprossenfenster.
"So, das ist dein Reich", wies Désirée Irma in ihr vorübergehendes Domizil ein. Außer einem Bett gab es lediglich einen Einbauschrank und ein kleines Nachttischchen.
"Nichts zum Tanzen", gab Irma zu, "aber für mich wird es schon reichen." Mit Schwung ließ sie sich aufs Bett sinken. Es knarzte bedrohlich.
"Dann pack doch kurz aus. Ich mach das auch, und dann können wir ja runter gehen zum Kaffee."
"Mach das, Kindchen. Viel hab ich ja nicht." Und schon begann Irma summend, ihre Kleider in den Schrank zu sortieren.
Blechern drehte Désirée sich um. Was jetzt kam, behagte ihr gar nicht. Zögernd ging sie über den Flur, drückte die Klinke zu ihrem ehemaligen Kinderzimmer herunter und warf vorsichtig einen Blick hinein. Sie erstarrte. Hinnerk hatte nichts, aber auch rein gar nichts verändert. Auf den acht Quadratmetern standen noch immer ihr Bett mit der Patchwork-Decke, die ihre Mutter einst für sie angefertigt hatte, der alte Schaukelstuhl mit dem Schokoladenfleck auf dem Polster, der über und über mit Aufklebern versehene Kleiderschrank und die Gitarre, auf der sie als Jugendliche gespielt hatte. An der Wand hingen verblichene Poster von Oasis.
"And after all, you're my wonderwall." Lichtjahre schien das alles her zu sein!
Hier sollte sie die nächste Zeit leben? In einem Kabuff für Jugendliche aus dem Jahre 1995? So hatten sie nicht gewettet. Wütend stapfte sie die knarrenden Stufen wieder hinunter.
Sie fand ihren Vater da, wo er fast immer zu finden war, wenn er nicht gerade arbeitete. Auf seiner alten Bank, direkt vor dem kleinen Zaun, der den Garten vom Dünenhang trennte. Breitbeinig und in aller Ruhe rauchte er seine Pfeife, fast so, als hätte nichts seine tägliche Routine...
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