Einführung
Am 11. September 2001 wurden die Vereinigten Staaten von Amerika auf ihrem eigenen Grund und Boden angegriffen. Tausende unschuldiger Menschen wurden durch eine sorgfältig geplante Serie von Flugzeugentführungen getötet, deren Intention es war, die vollbesetzten Passagierflugzeuge als Bomben einzusetzen. Dieser Plan wurde bis auf das letzte Kidnapping in die Tat umgesetzt, und die Flugzeuge wurden vorsätzlich ins World Trade Center und in das Pentagon hineingesteuert. Es war eine unfassbare, grauenvolle Machenschaft, angeblich ausgetragen im Namen des Islam.
Der Koran hingegen, das heilige Buch des Islam, verurteilt aggressive Angriffe, mit Ausnahme aus Gründen der Selbstverteidigung. Er verurteilt ebenfalls das Töten von Menschen, mit Ausnahme derer, die persönlich einen Mord oder wirklich entsetzliche Verbrechen begangen haben. Glücklicherweise ist die breite Öffentlichkeit zu der Überzeugung gelangt, dass die Terrorakte des 11. September nicht als "islamisch" bezeichnet werden können. Und es keimt nun ein allgemeines Interesse daran auf, zu verstehen, was Islam eigentlichwirklich ist.
Ich hatte gerade ein Buch über die Rechte der Frau im Islam für Glaubensschwestern und -brüder sowie für speziell am muslimischen Glauben interessierte Menschen fertiggeschrieben. Das, was Sie jetzt in den Händen halten, ist die Erweiterung jenes Buches für eine größere Leserschaft. Ich habe versucht, mehr persönliche Geschichten zu integrieren und zu spezifischen Fragen Vergleiche mit der Bibel aufzuzeigen. In der aktuellen Weltlage ist es nicht einfach zu vermitteln, dass der Islam nicht nur eine einzige Betrachtungsund Auslegungsweise zulässt. Die Vorstellungen über eine korrekte Praktizierung des Islams sind ebenso vielfältig, wie sie es hin sichtlich der Religionsausübung des Christen- und Judentums sind. Gleichwohl ist es gewagt, deutlich auszusprechen, dass Christen, Juden und Muslime wesentlich mehr Gemeinsamkeiten teilen als dass Unterschiede sie trennen. Ich persönlich glaube sogar, dass diese Aussage auf all jene Menschen zutrifft, die aufrichtig versuchen, einem spirituellen Pfad zu folgen. Unser Vokabular mag unterschiedlich klingen, aber die zugrundeliegende Essenz ist dieselbe.
Ich denke, dass durch hinreichend neues Material diese Buchrevision all denen Nutzen bringt, die bereits "Heart's Surprise" gelesen haben. Was die neuen Leser dieser Materie betrifft, so glaube ich, dass meine eigenen sowie die persönlichen Erfahrungen der Mitwirkenden genügend Hintergrundinformation bieten, um ein wirklich gutes Verständnis davon zu vermitteln, wie es aussehen kann, eine Frau im Islam zu sein. Nicht im Islam der Terroristen, sondern im Islam des Korans.
Eines der wundervollsten Dinge, die mir jemals passiert sind, ist, dass eine Freundin mir einen Koran gab, weil sie nicht wollte, dass ihr Hund ihn noch einmal zwischen die Zähne bekäme.
Natürlich war ich mir damals sicher, dass ich niemals eine Muslimin werden könnte. Es wäre zweifellos völlig verrückt für eine aufgeklärte westliche Frau, solch einen selbstzerstörerischen Akt auch nur in Erwägung zu ziehen.
Ich wusste an diesem schicksalhaften Tag Mitte der Siebzigerjahre noch nicht, dass das Frauenbild des Korans sich sehr von dem unterscheidet, was wir als das "islamische Frauenbild" kennen. Vielmehr ist unter allen Heiligen Schriften der Koran zweifellos der Fackelträger der Frauen.
Das hätten Sie nicht erwartet, nicht wahr? Und ebenso ist auch der Islam des Korans nicht das, was Sie erwarten würden. Das meiste, das wir als islamisch kennen, ist eher kulturell islamisch als spirituell islamisch. Es basiert auf arabischer Tradition und Kultur und nicht nur auf dem Koran. Die Araber vermischten ihre Kultur mit der göttlichen Offenbarung und lehrten das Ergebnis als den Islam. Genau diese Art von "Vermischung" ist natürlich auch in anderen religiösen Traditionen zu finden.
Wie hätten die Menschen auch anders gekonnt? Unser Verständnis von allem, was ist, wird stark von unserer Kultur geprägt, auch wenn wir glauben, unbefangen und unbeeinflusst zu sein. Die Art und Weise, wie wir göttliche Gebote in unser tägliches Leben übertragen, begründet sich also aus unserer Kultur heraus.
Dies trifft sowohl für die westliche Welt als auch für jeden anderen Teil der Erde zu. Alle menschlichen Wesen sehen die Welt durch die Zerrbrille ihrer eigenen Kultur.
Jedoch bin ich davon überzeugt, dass wir in eine neue Ära des Verstehens gleiten. Globale Kommunikationsformen erlauben uns, unsere "Nachbarschaft" in wesentlich größerem Ausmaß zu betrachten. Wir können uns per E-Mail mit neuen Freunden auf der ganzen Welt austauschen und können Chatrooms beiwohnen, zusammen mit Menschen, die sich geografisch weit von uns entfernt befinden, beispielsweise in China, Norwegen oder Australien. Nun beginnen wir wirklich die Wahrhaftigkeit der Bezeichnung "The Global Village" ("Das globale Dorf") zu begreifen.
Gerade in der jetzigen Zeit wird uns mehr als jemals zuvor bewusst, wie sehr wir schon in einem globalen Dorf leben. Die Ereignisse in einem so fernen Land wie Afghanistan haben heute direkten Einfluss auf uns. Ich habe einige beunruhigte Frauen fragen gehört, wie es nur geduldet werden kann, dass die Rechte der Frauen in Afghanistan unter den Taliban vollkommen erodiert werden. Hätte es sich hier um eine ethnische Gruppe wie die Juden gehandelt, hätte dann die Welt einfach nur danebengestanden und zugesehen? Ich kenne die Antwort auf diese Fragen nicht. Ich glau be aber, dass es für uns im Westen gefährlich werden kann, wenn man anfängt zu verstehen, dass vieles von dem, was man uns als echte muslimisch-religiöse Haltung gegenüber Frauen weismachen will, gar NICHT ISLAMISCH ist. Vieles davon geht gegen die eindeutigen Lehren des Korans.
Am aktuellen Punkt der Geschichte wird es für uns kritisch, diese Unterscheidungen zu machen, da wir uns einer Auferstehung des "islamischen Fundamentalismus" in weiten Teilen der muslimischen Welt gegenübersehen. Ich persönlich glaube, dass repressive und terroristische Gruppen wie die Taliban und Al-Kaida diese Auferstehung ganz wesentlich vorantreiben. Die Werte dieser Bewegung gründen sich auf kulturelle Traditionen, nicht auf den Koran. Es sind diese Werte, die nicht nur die Existenz, sondern auch das Gedeihen terroristischer Randgruppen eines sogenannten Islams erlauben.
Vielleicht wird diese fundamentalistische Bewegung getrieben von einer Angst vor dem gegenwärtigen Zusammenbruch von Grenzen und Barrieren zwischen Kulturen und Gesellschaften. Im Grunde genommen ist der Prozess dieser Bewegung schon seit langer Zeit im Gange, begonnen in geschriebener Sprache, beschleunigt zunächst durch die Einführung gedruckter Medien und viel später durch Filmmaterial, Radio und Fernsehen. Jetzt wird die Geschwindigkeit des Prozesses noch stärker vorangetrieben durch das Internet und die Globalisation.
Mit einem neuen Verständnis geht auch die Möglichkeit einher, die eigene Kultur mit ein wenig mehr Objektivität zu betrachten. Mir scheint, dass dies auf der ganzen Welt gerade geschieht, und dies nirgends dramatischer als in der muslimischen Welt. Innerhalb der Zeitspanne einer einzigen Generation begannen sich für die meisten muslimischen Frauen enorme Veränderungen zu vollziehen.
An einigen Orten gab und gibt es heftige Rückschläge und verstärkte Unterdrückung der Frauen, alles im Bestreben, die althergebrachte Ordnung aufrechtzuerhalten. Afghanistan unter den Taliban ist das Musterbeispiel dafür. Der allgemeine Trend verläuft aber immer noch zum Positiven hin, obwohl das Wiederaufleben des Fundamentalismus es eventuell schaffen kann, diesem Fortschritt entgegenzuwirken.
Vielleicht ist ein wesentlicher Faktor dieses Fortschritts eine scheinbar wachsende Entwicklung hin dazu, wieder verstärkt den Koran als die Quelle des Islam zu betrachten und weniger die in Hadith und Sunna aufgezeichneten, mündlich überlieferten Traditionen. (Hadith ist die Sammlung der Aussprüche und Weisheiten, die man dem Propheten Mohammed zugeordnet hat. Sunna ist die Überlieferung dessen, was man als seine Verhaltensweisen und Praktiken verstanden hat. Beides wurde erst Generationen nach Mohammeds Tod niedergeschrieben.)
Ich erhebe keinesfalls den Anspruch, eine vorurteilsfreie Quelle zu sein. Für mich steht es außer Frage, dass der Koran das Wort Gottes offenbart, erstmals vor 1400 Jahren in Schriftform gebracht. Selbst die Leser, die nicht meine Ansicht teilen, werden im Koran einige nachdenklich stimmende Aussagenkonzepte finden. Für Muslime und Nicht-Muslime ist es gleichermaßen lohnend, das Frauenbild des Korans zu erforschen.
Dies ist Sinn und Zweckmeines Buches, das nun vor Ihnen liegt. Ich hoffe, Sie haben Freude damit und Spaß beim Lesen, so Gott will!
Anmerkung der Übersetzerin:
In den folgenden Kapiteln werden alle von der Autorin herangezogenen Bibel-, Thora- und Koranverse im englischen Original mit Quellenangabe gemeinsam mit ihrer deutschen Entsprechung abgedruckt.
Bei den deutschen Übersetzungen...