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Sonntag, 26. Januar 1969
Sie hatten schon die ganze Woche lang diese Band gespielt. Beide Seiten des Albums in voller Länge. Das FM-Radio, das freie Ausdruckskanalsystem des Underground, war ein Gottesgeschenk. Er hatte WNEW-FM gehört, New Yorks führendes Alternativradio, als es losging: »Dazed and Confused«, »Communication Breakdown«, »You Shook Me«, sogar »Babe, I'm Gonna Leave You«, eine Nummer von Joan Baez, unter Starkstrom gesetzt und auf Touren gebracht. Scott Muni, der Nachmittags-DJ des Senders, war außer sich vor Begeisterung. Er schabte förmlich die Rillen aus dieser Platte. Alison Steele, die Nachteule von NEW, spielte sie wie in einer Wiederholungsschleife.1
Led Zeppelin.
Schon der Name allein hatte unmittelbare sinnliche Power. Klar, er war unpassend. Ein Bleizeppelin war nun wirklich der letzte üble Scherz, aber ihr »Led« zu buchstabieren, zeigte, dass sie Mumm hatten. Es verriet dir alles, was du über diese Band wissen musstest - sie war dynamisch, respektlos, subversiv, extrem - geschaffen um zu rocken, nicht als Speichellecker für die Massentauglichkeit der Top 40. Led Zeppelin würden nicht dein Händchen halten oder den T-Bird deines Daddys für eine Spritztour nehmen. Sie gingen zur Sache. Das war ernsthafter, heftiger Stoff.
Er liebte, was er gehört hatte. Nun kam es darauf an, sie auch zu sehen.
Wie der Zufall es wollte, schleppte sein Freund Henry Smith an diesem Wochenende Led Zeppelins Anlage in einen Club in Boston. Wenn er zu dem Auftritt kommen würde, hatte Smith ihm versprochen, ihn in die Show zu schleusen. Aber wie? Er war praktisch pleite. Sie hatten im Apartment seiner Eltern in Yonkers campiert, wo seine Band Chain Reaction sich durchzuschlagen versuchte. Wenn er nach Boston wollte, ging das nur per Anhalter.
Der Verkehr am Sonntagnachmittag auf der I-95 war spärlich. Das Wetter war nicht hilfreich. Ein Tiefdruckgebiet war von Oklahoma aus ostwärts gekrochen und ließ die Temperaturen entlang der Atlantikküste unter den Gefrierpunkt fallen. Der Himmel sah finster aus. Der Wetterbericht sagte einen Sturm aus Nordosten voraus, der Boston später in der Nacht oder am folgenden Morgen erreichen würde. Mit ein bisschen Glück könnte er sich bis zu dem Konzert durchschlagen.
Eine Mitfahrt . dann noch eine in der Abfolge von Autos, die die Interstate füllten wie ein nahtloses Band von Stamford über Bridgeport und New Haven und Providence und weiter. Die Lieder in seinem Kopf trugen ihn über Dutzende von Meilen hinweg. Dieser Tage konntest du gar nicht einatmen, ohne einen Killer-Song zu inhalieren. »Jumpin' Jack Flash«, »Dock Of The Bay«, »All Along the Watchtower«, »White Room«, »Hey Jude«, »I Heard It Through the Grapevine«, »Hurdy Gurdy Man«, »Fire« . man konnte sich den ganzen Tag an diesen Leckerbissen gütlich tun, Hunger ausgeschlossen. Aber Led Zeppelin hatten ihn emotional aus dem Gleichgewicht gebracht. Ihre Songs hatten ihn ganz tief drinnen getroffen. Sie hatten etwas Dunkles, Bedrohliches, etwas fremdartig reizvoll Provokatives in ihrem Wesen. Sie überrollten ihn, ließen seine Phantasie ausbrechen.
Kein Wunder, dass ihre Explosion durch Jimmy Page ausgelöst worden war. Er wusste alles über Page, ein Gitarrenvirtuose in der Tradition von Clapton, Stills und Jimmys kratzbürstigem Alter Ego Jeff Beck, mit dem Page eine kurze, aber stürmische gemeinsame Zeit bei den Yardbirds verbracht hatte, als diese bedeutende Band erste Auflösungserscheinungen zeigte. Page war bereits von einem sagendurchwobenen Nimbus umgeben. Er hatte ungenannterweise Licks zu Unmengen von Hits beigesteuert, nicht zuletzt bei Sessions mit The Who, The Kinks und Them. Aber Led Zeppelin hatten Page in eine andere Dimension geführt, in einen Landstrich des Rock 'n' Roll, der schwer zu beschreiben war. Manchmal war es geerdet und bluesig, manchmal frei improvisiert, manchmal eine Mischform, die sie Heavy Metal nannten, und all das gewürzt mit genug Folk, Funk und Rockabilly-Elementen, um sämtliche Grenzen zu verwischen. Da gab es eine Menge zu verarbeiten für einen angehenden Rock 'n' Roller. Page und seine Band live zu erleben würde helfen, die Dinge klarer zu sehen.
Die Boston Tea Party im Januar 1969 - wo alles sich für immer änderte
Als er bei dem Gig ankam, war es bereits dunkel. Es war ein Club namens Tea Party in einem umgebauten unitarischen Gemeindehaus samt Synagoge, das auf halber Höhe einer verlassenen Straße stand.2 Eine halluzinatorische Düsternis hatte sich über das South End von Boston gesenkt und nahm die East Berkeley Street in eine trostlose Umarmung. Das war nicht das Boston wohlhabender Brahmanen, kultiviert und Teil der feinen Gesellschaft. »Es war eine raue Gegend, ein Ort wo du nachts nicht herumhängen wolltest«3, so Don Law, der den Laden führte. Es gab keine Anzeichen von Leben in den Wohnblocks der Umgebung, abgesehen von einer Bodega nebenan, deren Licht einen wächsernen Schimmer auf den löchrigen Bürgersteig warf. In den Silhouetten, die sie warfen, konnte er Umrisse von Köpfen erkennen, die Schultern gegen die Kälte zusammengezogen, eine Schlange, die sich die Straße entlang und um die Ecke zog. Es müssen - tja, wie viele? - mehrere hundert Leute gewesen sein, die aufgereiht darauf warteten, hineinzukommen. Mehr noch.
Woher zur Hölle kamen die alle?
Led Zeppelin waren keineswegs schon ein allgemein bekannter Begriff. Bis vor kurzem waren sie noch unter dem Namen The New Yardbirds aufgetreten. Ihr Debütalbum war erst vor zwei Wochen erschienen. Sicher hatte er erwartet, hier ein paar Freaks und Hartgesottene zu treffen, aber dieser Andrang war absolut erstaunlich. Offensichtlich hatten die Buschtrommeln funktioniert. Und das nicht zum ersten Mal. »Wir hatten hier völlig unbekannte britische Acts, die am Donnerstag anfingen«, erinnert sich Don Law, »und bereits am Samstag standen sie Schlange die ganze Straße runter.« Er hatte es mit Jethro Tull, Humble Pie und Ten Years After erlebt, die alle in den vergangenen Monaten in diesem Club gespielt hatten. Das Radio half dabei enorm. Bostons FM-Rocksender WBCN steckte noch in den Kinderschuhen. Die meisten Sendungen wurden direkt aus einem Vorraum der Tea Party ausgestrahlt, die Moderatoren waren ein bunter Haufen von Ex-College-Jugendlichen aus der Kommunikationsabteilung von Tufts und Emerson. Die Bands kamen von der Bühne und gaben direkt Interviews. Radio-Airplay eines guten Albums war die beste Waffe, um einem neuen Act zum Durchbruch zu verhelfen. Der Beweis sammelte sich in Massen auf dem Bürgersteig - wie hier im Fall von Led Zeppelin.
In die Tea Party hineinzugelangen, um ihren letzten Auftritt zu sehen, würde nicht ganz einfach sein. Die Schlange wirkte einschüchternd; der Anhalter fürchtete, er sei zu spät angekommen. Zum Glück hatte Henry Smith nahe der Tür nach ihm Ausschau gehalten, und die beiden Männer schlüpften hinein, ehe das Management oder die Feuerwehr sie daran hindern konnten.
Etwas Besonderes lag in der Luft. Der Raum pulsierte vor gespannter Erwartung. Die Menge war erregt. Sie waren bereit.
Die Tea Party war nicht unbedingt der geeignetste Ort, um eine Band wie diese auftreten zu lassen. Es war schwer, den Charakter eines Hauses der Anbetung loszuwerden. Die Bühne war eine frühere Kanzel mit dem über dem Altar eingemeißelten legendären Sinnspruch »Preiset den Herrn«, die Tanzfläche sah nach dem Entfernen der Kirchenbänke pockennarbig aus, und ein mächtiges Buntglasfenster präsentierte den Davidstern. Wenn schon die Musik, die aus dem PA-System dröhnte, nicht direkt liturgisch zu nennen war, so war die psychedelische Lightshow, die ineinanderfließende Formen und Muster vom Balkon herunterstrahlte, ausgesprochen weltlich. Kein Gottesdienst hatte je eine Gemeinde wie diese zusammengebracht, die den Saal fast bersten ließ. 700 Besucher waren die zulässige Höchstgrenze für den Club, aber diese Zahl war längst überschritten. Die Menge stand Kopf an Kopf.
Drei gute Abende hatte die Band tapfer zum Aufwärmen hinter sich gebracht. Die Shows am Donnerstag, Freitag und Samstag waren so verlaufen, wie sie gehofft hatten, sie hatten wuchtige Sets abgeliefert, die, wie ein Kritiker bemerkte, »ihrem Ruf als Gruppe mit außergewöhnlich viel Power und Drive gerecht wurden«4. Hauptsächlich spielten Led Zeppelin die Highlights ihrer ersten Platte, und ab und zu wurden Nummern der Yardbirds oder von Chuck Berry eingestreut. Lange, ausschweifende Solos enthielten improvisierte Fragmente von...
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