Schweitzer Fachinformationen
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KAPITEL 1 DIE HEILE WELT IST EINE SCHEIBE
Noch immer zitterten Ernst Groß die Hände. Er klammerte sie um den Kranz des Lenkrads, als gäbe der ihm Halt in der Not, in der er sich gerade befand. Die schwedischen Entführer von Alice Petterson würden nicht aufgeben, nach ihm zu suchen. Sicher saß die entführte junge Deutsch-Schwedin, aufgrund seines Einsatzes befreit, inzwischen bewacht von unzähligen muskelbepackten Bodyguards in ihrer schönen Villa und ließ es sich gut gehen. Während sich die Mörderbande auf ihn, einen mittellosen Hamburger auf der Flucht vor den Behörden, eingeschossen hatte.
"Ja, eingeschossen ist das richtige Wort!", rief er laut mit einem Blick nach hinten zu Hund Schnurres, der noch immer verängstigt unter dem Bett kauerte. Aufgrund der fehlenden Frontscheibe des Hymermobils machte ihm der Gegenwind bei höherer Geschwindigkeit schwer zu schaffen. Es fühlte sich an, als müsse er sich gegen einen starken Ventilator nach vorne bewegen. Zum Glück hatte das Projektil wenige Kilometer hinter der polnischen Grenze nur die Scheibe und nicht ihn getroffen. Doch was den Schaden am Fahrzeug anging, musste Ernst dringend etwas unternehmen. Weite Strecken kam er nicht ohne Frontscheibe. Wenn ihm dann noch die Polizei entgegenkam - nicht auszudenken!
Er musste sich erst einmal sammeln. Ernst lenkte das Fahrzeug weiter auf der Bundesstraße 110 und bog an der nächsten Abzweigung links ab. Dargen 1 Kilometer, informierte das Hinweisschild. Darüber am Pfosten zeigte ein verblasster Pfeil mit der Aufschrift DDR Museum in die gleiche Richtung. Egal, er musste von der Bundesstraße runter und sich dann Gedanken machen, wie er die zersplitterte Scheibe ersetzen könnte. Vielleicht sollte er Kumpel Schrader vom Autohaus in Dassow anrufen. Markus wusste stets Rat.
Papas Hymermobil aus den Siebzigern war gerade so etwas wie ein lila Pferd in der weiten Prärie. Er konnte sich verstecken, wo er wollte, überall würden sie ihn finden. Ernst lachte über seinen Vergleich mit dem Pferd und machte ein Wiehern nach. Schnurres traute seinen Ohren nicht und streckte den Kopf etwas nach vorne, in der Hoffnung, dem seltsamen Geräusch auf die Spur zu kommen. Nachdem Ernst die B110 verlassen hatte, spürte der Hamburger, dass auch das Zittern seiner Hände nachgelassen hatte. Sogar der Gegenwind schien die Richtung gewechselt zu haben. Hoffnung keimte in ihm auf.
*
Hier auf der ländlichen Strecke war wenig los. Kurz vor dem Ortsschild überholte ihn noch ein alter Trabant. Der Sachsenporsche tat sich schwer; letztendlich schaffte er es doch. Der Blick des Fahrers war stur nach vorne gerichtet. Ernst erinnerte sich an das Schild: DDR Museum. Ob es daran lag, hier auf einen Trabant zu treffen? Wer außer Sammlern sollte Ausflüge mit alten Ost-Fahrzeugen unternehmen? Dargen selbst sah nicht nach Ostseebad aus, obwohl die Gemeinde unweit vom Meer liegen dürfte, mutmaßte Ernst und folgte intuitiv dem Hinweis zum Museum. Sicher fiel der beschädigte Hymer dort zwischen den alten Ost-Relikten nicht auf. Seit Wochen war Saison, und Hunderte hochpreisiger Wohnmobile von sechs bis weit über zehn Meter Länge waren ihm während seiner Odyssee von Hamburg in Richtung Polen entgegengekommen. Andere hatten ihn trotz enger Alleen überholt. Hier abseits der Route würde er mit seinem alten Hymermobil eher alleine auf weiter Flur sein.
Das Museum selbst lag in der Bahnhofstraße. Während Ernst im Schritttempo auf das Grundstück zurollte, suchte er vergeblich nach einem Bahnhof. Sicher war es Jahrzehnte her, dass hier ein Zug fuhr. Gleise konnte er auch keine erblicken. Sicher hatte das auch etwas Gutes: Über das, was man nicht besaß, konnte man sich auch nicht aufregen.
Von Weitem schien es, als habe das Museum geschlossen. Ernst wunderte sich, wer überhaupt an solch altem Krempel Freude haben konnte. Seine Ex-Frau hatte ihn vor langer Zeit in ein Museumsdorf im Kreis Stormarn geschleppt. Horsdorf oder Heusdorf. Er erinnerte sich nicht mehr genau an den Namen. Aber es war das Langweiligste, was er je erlebt hatte. Während Hilde wie unter Drogen von einem Stand mit hässlichem, selbst gebranntem Geschirr zum nächsten, diesmal mit Unterwäsche aus fusseliger Schafswolle, rannte, genehmigte er sich dort das teuerste Bier seines Lebens. Der Bierbrauer selbst hatte es laut einem Schild neben der Zapfsäule auf dem Gelände hergestellt. Es würden insgesamt nur hundert Liter der Brühe ausgeschenkt, machte ihn ein Hinweis schlauer. Aber diesen Hektoliter ließ sich der Braumeister teuer bezahlen. Wenn die Plörre denn noch geschmeckt hätte! Ernst erinnerte sich, auf die Frage der Dame hinter dem Tresen, ob es lecker sei, nur ausweichend geantwortet zu haben.
Der Hamburger stellte sein Wohnmobil auf einem unbefestigten Platz ab. Siedend heiß fiel ihm ein, dass die Verbrecher ihn vielleicht über das Handy orten konnten. Er musste seine SIM-Karte vernichten. Wie oft hatte er in Filmen gesehen, dass Menschen so ihre Spuren beseitigten. Doch nie hätte er gedacht, dass es auch ihn einmal treffen könnte. Er griff nach dem Handy, fummelte das kleine Plastikteil aus dem Rücken des Mobiltelefons. Außerhalb des Hymers zerstörte er die SIM-Karte durch Tritte mit dem Absatz des Schuhs. Da gab es diesen blöden Witz, wo der Mann auf der Packung mit Kondomen herumtrat und argumentierte, so habe er sich das Rauchen auch abgewöhnt. Aber hier ging es nicht um Spaß und Lebensfreude, hier ging es ihm an den Kragen.
Die wenigen wichtigen Rufnummern, die er gesammelt hatte, waren, so hoffte er, im Handy gespeichert. Er musste alle infrage kommenden Kontakte baldigst über seine neue Rufnummer informieren. Beruhigt spazierte Ernst auf ein Gebäude zu. Hinter ihm erschien Schnurres' Kopf in der Tür des Hymermobils. Das Tier schaute nach rechts, dann nach links. Wie ein Schulkind, das von der Mama auf die Gefahren der Straße hingewiesen worden war und es jetzt am Fußgängerweg übte. Endlich sprang Schnurres mutig auf den Boden und trottete hinter seinem Herrchen her.
Am Eingang des Museums wurde auf eine Bar mit Kaffee & Kuchen hingewiesen. In blauem Schriftzug war Zum Cognac Bär zu lesen. Ernst konnte wenig mit dieser Aussage anfangen. Sein Magen knurrte plötzlich, und er glaubte, das gleiche Geräusch auch von seinem Hund gehört zu haben. Mist, sie hatten nichts mehr zu futtern dabei! Es musste schon nach 17 Uhr sein. Irgendwo sollten sie vor dem Dunkelwerden noch an etwas Essbares kommen.
Das Museum hatte tatsächlich mittwochs ganztägig geschlossen. Ernst war noch etwas durcheinander, glaubte aber sicher zu sein, dass heute Mittwoch war. Na super! Sieben Tage hatte die Woche. Also standen die Chancen 6:1, dass ihm das Glück hold war, das Museum offen zu erleben. Aber nein! Obwohl sich die Depressionen der Wochen zuvor in etwas Freude und Lebensqualität gewandelt hatten, kam es ihm gerade wieder vor, als verschwöre sich die ganze Welt gegen ihn. Schnurres neben ihm winselte. So, als wollte er ihm sagen, ich bin bei dir, du bist nicht alleine. Ernst war sich sicher, das Geräusch kam eher davon, dass der Hund langsam etwas zwischen die Beißerchen bekommen musste. Er drehte sich um und lief nach links in Richtung des großen Gebäudes. Das Ganze hatte etwas von einem Bauernhof. Nur statt Viechern standen auf unbefestigten Flächen und unter Carports alte Vehikel aus der ehemaligen DDR. Der oder die Besitzer schienen sich große Mühe gegeben zu haben, alles zusammenzutragen. Sicher hofften sie Tag für Tag, dass Touristen vorbeikämen und die angegebenen acht Euro Eintritt zahlten. Ernst schwankte zwischen Sinn und Unsinn. Sicher musste man das Gestern erhalten. Aber nicht alles. Und nicht um jedem Preis.
"Hallo, Sie da! Heute hat das Museum geschlossen. Haben Sie das nicht gelesen, Sie waren doch beim Eingang?"
Die Stimme klang männlich und genervt. Schnurres hatte mit zwei schnellen Sätzen das Hymermobil erreicht und war darin verschwunden. Bestimmt lag er wieder unter dem Bett der Eltern, der alte Hosenschisser.
"Ja, ja, hab ich gelesen. Wir machen nur kurz Rast, dann sind wir weg."
Ernst hatte sich nicht umgedreht und folgte seinem Hund. Die Welt war arm geworden. Überall nur Wut und Misstrauen.
"Warten Sie!" Die Stimme wurde freundlicher, und jetzt trat hinter einem DDR-Feuerwehrwagen ein Herr in den Siebzigern heraus. Er trug eine Schiebermütze und einen Arbeitsoverall. Ernst hatte angehalten und sich in Richtung des Unbekannten gedreht.
"Hatten Sie einen Unfall? Mein Gott, bin ich dämlich! Sicher hatten Sie einen Unfall. Die Frontscheibe fehlt ja. Und ich meckere Sie noch an. Sorry, alte Angewohnheit aus meiner Zeit bei der . ach vergessen Sie es. Hamburger Nummer? Sie kommen von weit her! Also, ich wollte gerade in die Küche. Mia hat Abendessen gemacht. Wir sind mittwochs nur zu zweit, aber sie kann es sich nicht merken und kocht für die ganze Belegschaft. Drinnen können wir uns unterhalten!" Er machte eine Handbewegung vor dem Gesicht, und Ernst wusste, was genau er damit meinte. Ablehnen ging nicht. Ernst war klar, alles war besser und sicherer, als in das Wohnmobil zu steigen und wegzufahren.
"Stellen Sie das Fahrzeug auf den Hof. Dort unter den Carport!", wies ihn der Mann an, als ob er von Ernsts Problemen wusste. Der Unbekannte wurde ihm immer sympathischer.
Mia war auch weit über sechzig und besaß ein rundes, gutmütiges Gesicht. Sie zuckte nicht einmal mit den Wimpern, als der Mann mit einem unbekannten Gast plus Vierbeiner die gute Stube betrat. Sie flüsterte nur ein "Willkommen", stellte einen Teller mehr auf den Tisch...
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