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Kapitel 1
"Schau mal, Basti, der Typ da", sagte Anna-Lena. "Der ist ja völlig ausgeflippt!"
Sebastian Frohnau drehte sich um und warf einen Blick aus dem Rückfenster des Omnibusses. "Der spinnt ja wirklich. Bei dieser Hitze mit grün-weißer Mütze und Schal rumzurennen . ein echter Werderfan." Der Sechzehnjährige lachte Anna-Lena zu, ergriff ihre Hand und drückte sie.
Der Maitag war, wie die letzten Tage auch, extrem heiß und die Schüler hatten an diesem Freitag mit Hitzefrei gerechnet. Vergebens. Jetzt freuten sie sich auf das bevorstehende Wochenende. Ausgelassen alberten sie im Schulbus herum.
Auch andere Insassen der Linie 315 bemühten sich, einen Blick auf den vorbeilaufenden Mann in Grün-Weiß zu erhaschen. Der weiße Bus mit der gelben Schnauze und der bunten, großflächig aufgebrachten Werbung einer Großbank hatte soeben an der Oldenburger Haltestelle Sandkruger Straße/Ecke Westerholtsweg gestoppt. Viele Gymnasiasten, die vor knapp einer Viertelstunde an der Graf-Anton-Günther-Schule eingestiegen waren, hatten das Fahrzeug an den letzten Haltestellen schon verlassen. Gerade waren erneut drei Jugendliche ausgestiegen. Trotzdem war der Bus noch immer gut gefüllt.
Anna-Lena lachte. "Der will wohl mit uns mitfahren?" Sebastian sah gerade noch, wie der schlanke Typ im ungewöhnlichen Outfit in der vorderen Tür des Oldenburger VWG-Busses verschwand. An den im Mittelgang stehenden Mitschülern vorbei konnte Sebastian nicht nach vorne in den Bus schauen, dafür waren es zu viele. So wandte er sich gelangweilt wieder seiner Freundin zu.
Josef Nortbrook war ein erfahrener Busfahrer. Seit der Schließung seines Drogeriemarktes in Sandkrug vor einundzwanzig Jahren war er ausschließlich für die Verkehr und Wasser GmbH, kurz VWG gefahren. Man hatte ihm vor einigen Jahren Altersteilzeit angeboten und der inzwischen Vierundsechzigjährige hatte damals dankbar zugestimmt. Normalerweise wurde er seit drei Monaten nur noch für die Rücktour der Oldenburger Schüler eingesetzt. Dazu hin und wieder etwas Linie.
An diesem Morgen aber war alles anders gelaufen. Sonnkamp, ein erst vierzigjähriger Kollege, hatte Nortbrook am Vorabend zu Hause angerufen und ihn gebeten, heute ausnahmsweise auch die morgendliche Tour mit zu übernehmen. "Josef, ich muss morgen dringend zur Zulassungsstelle, will den neuen Wagen schon am Wochenende nutzen. Wenn dir das recht ist, kann ich nachmittags wieder einsteigen und den Bus ab Sandkrug für den Rest des Tages übernehmen."
Nortbrook hatte Verständnis. Es passte ihm eigentlich auch ganz gut. Die Überstunden konnte er brauchen und wenn Kollege Sonnkamp bei der Fünfzehnuhrfünfundreißig-Tour an der Schule zustieg, konnte Nortbrook später in Sandkrug direkt vor seiner eigenen Haustür aussteigen. Er hatte sich also von seiner Ehefrau Hildegard in der Frühe dieses vierten Mai nach Oldenburg fahren lassen und den modernen Mercedes Benz Citaro gegen sechs Uhr auf dem Firmengelände in der Felix-Wankel-Straße übernommen.
Fünfzig Minuten später waren an der Haltestelle Hatterwüsting die ersten Schüler Richtung Oldenburg eingestiegen. Knapp dreißig Minuten danach war die erste Tour abgeschlossen gewesen und die Schüler sicher in den Klassenräumen des Graf-Anton-Günther-Gymnasiums angekommen.
Inzwischen hatte Josef Nortbrook weitere drei Touren hinter sich gebracht. Alles Linie. Diese Schülerfahrt jetzt war die Letzte für heute, und als Sportbegeisterter freute er sich schon auf ein sonniges Fußballwochenende. Kollege Sonnkamp hatte, wie versprochen, vor wenigen Minuten auf einem Sitz nahe des hinteren Ausganges Platz genommen. Er unterhielt sich, wie Nortbrook im Spiegel sah, lebhaft mit einer Schülerin.
Drei Jugendliche hatten an der Haltestelle Westerholtsweg vor wenigen Augenblicken den Bus aus dem vorderen Ausgang verlassen. Nortbrook schaute kurz auf die Uhr: 15 Uhr 47, sie lagen gut in der Zeit. Er drückte den Knopf, der die Tür schloss. Doch als die Pneumatik den Vorgang einleitete, sprang ein Mann herein, und Nortbrook stoppte sie sofort. Der Blutdruck des Fahrers stieg leicht an. Wahrscheinlich verwechselte ihn der grün-weiß Gekleidete mit einem Linienbus, war sein erster Gedanke, obwohl ja draußen am Fahrzeug groß genug Schülerbus stand. Das wäre nichts Neues. Dieses Versehen erlebte Nortbrook öfters und meist gab es lange Diskussionen, bis der Fahrer die oft uneinsichtigen Fahrgäste wieder hinauskomplimentiert hatte.
"Hallo, das ist kein Linienbus. Ich befördere ." Er starrte auf die Pistole, die der Mann auf ihn richtete. Nortbrook wich auf seinem Fahrersessel zurück.
"Tür zu", brüllte der Bewaffnete ihn an, und da es in den lautstarken Unterhaltungen der Jugendlichen unterzugehen drohte, noch einmal: "Tür zu!"
Nortbrook versuchte, den Adrenalinschub, der durch seinen Körper schoss, zu unterdrücken, und gehorchte. Er schaute noch wie gewöhnlich zur Sicherheit in den Gangspiegel, bevor er den Knopf zum Verschließen der Tür drückte. Dabei sah er, wie sein Kollege aufsprang und sich durch die Schüler im Mittelgang nach vorne drängte.
"Was soll das?!", brüllte Sonnkamp den Mann in WeißGrün an. Der drehte sich erschrocken um.
Dann gab es einen lauten Knall.
Sebastian und Anna-Lena hatten den Werder-Fan längst vergessen.
"Wollen wir uns morgen treffen und etwas unternehmen?", fragte sie ihren Freund, der mit seinen schulterlangen Haaren und seiner eher feingliedrigen Figur ein wenig feminin wirkte.
"Sicher, Leni - wir könnten ins Schwimmbad gehen, die haben seit ein paar Tagen geöffnet."
"Eine gute Idee, lass uns ."
Der Rest des Satzes ging in einem ohrenbetäubenden Knall unter. Einige Schüler griffen sich, die Gesichter schmerzverzerrt, mit beiden Händen an die Ohren. Sebastian dachte sofort an einen Verkehrsunfall, aber dann fiel ihm ein, dass der Bus ja stand.
"Sebastian, was war das?" Auch Anna-Lena hielt sich eine Hand ans Ohr.
Wolle - er hieß eigentlich Wolfgang und ging mit den beiden in dieselbe Klasse - rief: "Da vorne hat einer geschossen!" Sebastian sprang von der Rückbank hoch. Vorn schrien die Jugendlichen laut auf.
"Der Typ im Werder-Dress läuft Amok", schluchzte ein Mädchen aus der Parallelklasse.
Das Wort Amok war eigentlich seit Winnenden ein NoGo in Schülerkreisen. Sebastian allerdings konnte sich seine Späße nicht verkneifen, ein Reflex, mit dem er sich zu beruhigen versuchte. "Warum sollte der so etwas tun? Werder steht hinter Bayern auf dem zweiten Tabellenplatz. Wenn Bremen morgen zu Hause gegen Bayern gewinnt, ist Werder Deutscher Meister. Der Typ müsste uns also eher einen ausgeben ." Er merkte selbst, dass sein Scherz nicht ankam, und verstummte.
Josef Nortbrooks Kopf dröhnte und das laute Fiepen in den Ohren machte ihm Angst. Vor Jahren hatte er sich bei einem Unfall mit einem Silvesterkracher einen Tinnitus zugezogen. Es hatte trotz Infusionen und Tabletten Monate gedauert, bis die Beschwerden nachgelassen hatten. Damals war er lange krankgeschrieben gewesen und hatte erst nach einem halben Jahr seinen Fahrdienst wieder aufnehmen können. Nun war dieses unselige Geräusch im Kopf wieder da und er konnte sich nicht konzentrieren. Dazu kamen die verzweifelten Schreie und Rufe der Jugendlichen im Wagen. Nur langsam fand er zurück ins Geschehen. Plötzlich begriff er: Der laute Knall stammte von einem Schuss aus der Waffe dieses seltsamen Mannes, und sein Kollege Sonnkamp lag ausgestreckt auf dem Boden des Busses. Neben ihm bildete sich eine Blutlache und er bewegte sich nicht mehr.
Nortbrook verstand: Der Grün-Weiße war kein Fahrgast. Da lief eine schlimme Sache. Er schloss eingeschüchtert die Bustür und betete, dass sein Kollege nicht tot war.
Der Mann mit der Pistole hatte die verlorene Fassung wiedergewonnen und gab lautstark Befehle. "Die Schüler, die vorne stehen: sofort nach hinten! Und alle, die keinen Sitzplatz haben: sofort hinsetzen! Auf den Boden. Und aufrücken, ganz nach hinten!"
Nortbrook nutzte die Zeit, sich den Mann anzuschauen. Er konnte sich jetzt wieder besser konzentrieren, und auch das Pfeifen in seinem Kopf ließ langsam nach. Das Alter des Typs war schlecht zu schätzen. Er war nicht sonderlich groß. Vielleicht einen Meter fünfundsiebzig, und eher schlank. Durfte so um die fünfzig sein. Der Mann war glatt rasiert und das war auch schon das Einzige, was der Busfahrer unter der tief heruntergezogenen Werdermütze von dessen Gesicht erkennen konnte. Den grün-weißen Schal hatte der Mann lässig um den Hals geschlungen und sein Oberkörper war durch eine grüne Warnweste verdeckt. Nortbrook wunderte sich, er kannte nur gelbe oder orangefarbene Warnwesten. Die Beine des Mannes steckten in einer dreiviertellangen Jeansshorts, dazu trug er weiße Socken und Tennisschuhe. Es waren wohl keine Markenschuhe. Zumindest konnte Nortbrook kein Logo erkennen. Aber dafür stand der Mann auch zu nah an seinem Tresen.
Den Schülerinnen und Schüler im Fahrzeug sah man ihre Fassungslosigkeit an. Starr vor Angst, konnten sie ihre Augen kaum von dem am Boden liegenden Sonnkamp abwenden.
"Habt ihr nicht gehört, was ich sage?", brüllte der Mann mit der Pistole. "Durchrücken! Und der Rest setzt sich auf den Boden. Ich möchte im vorderen Busbereich keinen mehr sehen."
In Panik sprangen die Jungen und Mädchen von den vorderen Sitzen auf und flüchteten nach hinten. Einer stolperte, prallte gegen die vor ihm laufenden Mitschüler und brachte sie fast zu Fall. Der Junge sah sich um und schrie verzweifelt auf, als ihm bewusst wurde, dass er auf...
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