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Star-Club Teil I
31.12.1969 - Das Ende!
Die Kellnerin Marie Deneuve stand im Hof des alten Gebäudes Große Freiheit 39 auf St. Pauli und sog an ihrer filterlosen Zigarette. Die Nebelschwaden des Tages waren auch der Nacht treu geblieben. Es roch nach Schwarzpulver und Verbranntem. Noch immer zerbarsten letzte Feuerwerksraketen am Himmel über Hamburg und vereinzelte Böllerschläge zeugten von der sich verabschiedenden Silvesternacht. Musikfetzen erreichten Maries Ohr, während grelle Lichterblitze zwischen den Häuserschluchten aus Richtung Reeperbahn zuckten. Der Körper der 27-jährigen Hamburgerin zitterte, denn ihr war gerade bewusst geworden, dass ihre Bekleidung, was die Außentemperaturen an diesem Jahreswechsel 1969 auf 1970 anging, keineswegs verhältnismäßig war. Hinter ihr grölten Hunderte von Gästen, die in diesen frühen Morgenstunden aufbrachen, das letzte Konzert des legendären Hamburger Star-Clubs zu verlassen. Die bekannte englische Band ,The Beatles' hatte es sich nicht nehmen lassen, mit ihrem aktuellen Repertoire auf der Star-Club-Bühne aufzutreten, bevor der Club schon knapp zehn Jahre nach seiner Eröffnung in wenigen Minuten seine Pforten schloss. Erneut zog Marie an der Reval. Ein Hustenanfall bahnte sich an, als der Zigarettenrauch - gepaart mit der kühl-feuchten Außenluft - auf ihre Lungenbläschen traf. Sie klopfte sich genervt auf die Brust, das brachte nichts, wieder musste sie husten. Der weltweit bekannte Star-Club sollte nach kurzer Umbauzeit dem Salambo, einem Sex-Schuppen, weichen. Marie trat frustriert mit dem Fuß gegen eine leere Bierflasche, die wohl ein besoffener Gast vor Kurzem in der Dunkelheit des Hofes abgestellt hatte. Zum Glück war sie dabei nicht zerbrochen. Ein lautes Klirren zeigte der Frau an, dass sie diesen Akt gerade übernommen hatte. Auch hatte sie irgendein Tier aufgeschreckt. Das tapste seitlich an ihr vorbei und machte ihr Angst. Doch schon Sekunden später erkannte sie im Schein einer Funzel, dass es sich um eine Katze handelte. Diese war wohl noch unterwegs, um per Jagd ihr Überleben zu sichern. Jagd! Überleben! Adrenalin strömte durch den Körper der Frau. Ja, eigentlich war es gut, dass es nun vorbei war! Die Jahre als Kellnerin hier im Hamburger Star-Club hatten ihr zwar eine Menge Ersparnisse eingebracht, aber auch extrem an ihrer körperlichen Substanz gezehrt. Doch morgen würde für sie ein neuer Lebensabschnitt beginnen. Aber nicht nur für sie, für alle Mitarbeiter, die unter dem letzten Star-Club-Inhaber und Geschäftsführer Richard Sanders so leiden mussten. Dabei war Ritchie Sanders Maries leiblicher Bruder. Gut, eigentlich ihr Halbbruder, nachdem die Mutter sich im hohen Alter noch einmal von einem Fremden hatte schwängern lassen.
Wenige Meter von der Frau entfernt auf der Reeperbahn zogen johlend Gestalten vorbei. Marie nahm nur ihre Schatten wahr, aber schon daran glaubte sie erkennen zu können, dass es sich um Seeleute handelte. Sicher hatte man ihnen eben erst Landgang gewährt und nun waren sie dabei, ihre Heuer zu versaufen oder diese - hier auf der sündigsten Meile der Welt, St. Pauli - in Bordellen und Strip-Clubs an billige Huren zu verteilen. In wenigen Stunden würden die Kopfschmerzen der Männer schwer, der Katzenjammer groß sein, wusste Marie und grinste voller Schadenfreude in sich hinein. Sie hatte es so satt und trat aus diesem Frustgefühl heraus gegen eine imaginäre Flasche. Die filterlose Zigarette war bis auf den Stummel aufgeraucht. Marie zog ein letztes Mal daran, bevor sie die Kippe im hohen Bogen in Richtung der verschwindenden Matrosen schnippste. Ab der nächsten Woche würde sie die Schulbank drücken und etwas aus ihrem Leben machen. Nie wieder hinter einer Bar-Theke arbeiten, nie wieder sich von betrunkenen Musikern begrapschen lassen! Wie oft hatte sie - erstarrt mit einer Flasche in der Hand - hinter dem Tresen gestanden, während Ritchie sie angeschrien hatte, und nur den einen Wunsch gehegt: die sonore laute Stimme des Bruders mit einem Schlag verstummen zu lassen! Aber das eigene Fleisch und Blut töten? Andererseits wurden durch die langen Nächte im Club, Abend für Abend - seit Ritchie die Schwester eingestellt hatte - ihr Überleben gesichert. Jedoch gab es auch weitere Lichtblicke, wenn sie genauer und ohne Frust darüber nachdachte: die schönen Zeiten mit den jungen Musikern, den Beatles, den Rattles, Tony Sheridan und vielen Hundert weiteren Gruppen. Die meisten davon waren heute Stars und würden sich nicht mehr an sie, die kleine Kellnerin, und den Club, der sie großgemacht hatte, erinnern. Mehr als einmal hatte sie sich verliebt in einen Drummer, einen Bassisten oder einen Sänger. Bis ihr letztendlich klar geworden war: Sie war stets nur eine Episode auf dem vermeintlichen Weg der Band zum musikalischen Olymp, der sich Erfolg nannte. Der Schauer, der sie gerade durchlief, fühlte sich an wie der Vorbote eines Infarktes. Doch er wurde eher durch ihre guten Erinnerungen - hier im Star-Club - ausgelöst, glaubte die Hamburgerin zu wissen, während sie kehrt und einen Schritt nach vorne machte. Ein letztes Mal abwaschen, Theke putzen, die Bühne fegen, dann war die Ära Star-Club vorbei. Viele nette Kollegen, viele sympathische Musiker würden ihr fehlen, die Arbeit nicht. Der Feuerwerkslärm hatte nachgelassen und Marie atmete aufs Neue die rauchgeschwängerte Luft unzähliger Hamburger Kamine tief ein. Hustend betrat sie das Gebäude des Star-Clubs durch die enge Hoftür.
*
"My Höfner-Bass was stolen!"
Marie mochte den jungen Bassisten der Band ,The Beatles'. Der Engländer Paul McCartney hatte wunderschöne Augen, die blitzten, wenn er aufgeregt war, und eher sanft schimmerten, wenn er verträumt auf der Bühne sang und dabei seinen Bass bearbeitete. Paul hatte ihre vor Jahren aufkeimenden Gefühle nie erwidert, dafür aber etwa zur gleichen Zeit eine Liaison mit Cory, der achtzehnjährigen Tochter des Wirts der Blockhütte, einem Lokal am oberen Ende der Großen Freiheit, begonnen. Schon lange war Marie über den Liebeskummer hinweg. Und es war über die Jahre nicht der einzige Kummer geblieben. Was rief Paul da? Sein Höfner-Bass sei gestohlen worden? Marie schob den Vorhang, der die Bühne von der Bar trennte, etwas beiseite und blinzelte durch die Ritzenecke zu den Personen dort oben. Die Scheinwerfer blendeten sie nach den Minuten auf dem dunklen Hof. Endlich hatten sich ihre Augen an das Licht gewöhnt. Sie erkannte ihren Bruder Ritchie, der kleinwüchsig neben Paul McCartney auf der Bühne zwischen Instrumenten und Boxen vor der blau gestrichenen Wand stand. Ihr hatte die Manhattan-Skyline, die man vor wenigen Jahren entfernte, besser gefallen als Hintergrund der ständig wechselnden Rock- und Pop-Bands. Dahinter konnte sie auf einem Stuhl Beatle John Lennon sitzen sehen, der - eine Zigarette im Mundwinkel, eine Bierflasche in der Hand - dem Treiben vor sich gelangweilt zuschaute. Bassist Paul selbst wedelte wild mit den Armen, wie ein auf niedrig gestellter Ventilator. Seitlich hatten Gäste das Durcheinander genutzt und waren auf die Bühne geschlichen. Einer hing regelrecht am rechten Vorhang und war bemüht, diesen von der Decke zu reißen. Sicher suchte der Angetrunkene ein letztes Souvenir, bevor der Club dauerhaft Vergangenheit war. Doch Clubbesitzer Ritchie Sanders hatte den geplanten Diebstahl mitbekommen, trat einen Schritt zu ihnen hin und brüllte die Typen in jahrelang gewohnter Manier nieder. Verängstigt und schmollend trollten sich die Männer schleunigst in Richtung Ausgang.
Wenn der Bass des Beatles tatsächlich verschwunden war, wunderte das Marie nicht. Instrumentendiebstähle waren hier im Star-Club nichts Ungewöhnliches. Der Club war oft bis auf die letzten Plätze gefüllt und als Gast hatte man dann meist nur die Wahl zwischen Erstickungs- oder Zerquetschungstod. Nicht selten kam es vor, dass auf der Bühne getanzt wurde, und nach dem Auftritt kämpften die überwiegend weiblichen Gäste darum, Kontakt mit den Musikern aufzunehmen. Dabei konnte im Gedränge schnell etwas vom Equipment verschwinden. Ob Mikrofon, Instrumentenkabel oder Verstärker, nichts war vor Dieben sicher. Auch den Verlust einiger Gitarren hatte sie während ihrer Arbeit hier schon einige Male erleben müssen. Aber das Instrument des jungen Beatle-Bassisten zu stehlen, war da schon eine andere Hausnummer, und die Frau litt irgendwie mit dem smarten, aufgelösten Engländer. Marie schaute in die sanften Augen des jungen Bassisten und glaubte eine Träne zu entdecken. Laut schreiend bahnten sich zwei Polizisten der Davidwache den umgekehrten Weg durch die Menge, die noch immer bemüht war, durch die aufgeklappten Türen das ehemalige Stern-Kino zu verlassen. Als Paul McCartney die Uniformierten bemerkte, verlagerte er seine Armbewegung in deren Richtung, und Marie sah, wie die Beamten Schritt aufnahmen. Sportlich erklommen sie die Bühne, was die Frau anerkennend registrierte. Marie konnte hören, wie ihr Bruder die Vermutung aussprach, ein fremder Gast könne womöglich den Bass, versteckt unter seinem Mantel, hinausgeschleppt haben. Paul, der bestohlene Engländer, stand fassungslos daneben und es schien, als warte er auf ein Wunder. Eines, das den verschwundenen Höfner-Bass wieder in den leeren Instrumentenständer zurückzauberte. Einer der beiden Polizeibeamten hatte einen Stift und einen Block gezogen und machte Anstalten, alles aufzuschreiben. Der zweite schaute interessiert auf John und das Schlagzeug des vierten Beatles, Ringo Starr. Aber so war es immer, die Polizisten schrieben alles auf Zettelchen, doch dann blieb das gestohlene Instrument dauerhaft verschwunden. Und natürlich hatten die Musiker keinerlei Versicherung, die den Schaden abdeckte. Marie drehte...
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