Verkaufspsychologie, Dark Patterns - und wie Sparen Freude machen kann
Unser Gehirn ist auf das Jetzt ausgerichtet, wir wollen unsere Bedürfnisse oft sofort befriedigt haben. Das machen sich die Verkaufspsychologie und das Marketing zunutze. Mit ausgeklügelten Methoden und Kniffen, die zum Kaufen verführen sollen. Wer sie kennt, spart einfacher.
Wie würden Sie entscheiden? Man bietet Ihnen zehn Franken an. Wenn Sie Ja sagen, gehört das Geld Ihnen. Oder aber Sie warten drei Monate und erhalten fünfzig Franken. Das Vernünftigste der Welt wäre, erst zu verzichten und dann die 50er-Note einzustecken. Doch die meisten nehmen lieber sofort das Geld, auch wenn es viel weniger ist.
Dies haben wissenschaftliche Experimente immer wieder bestätigt. Wie kann das sein? Warum treffen viele von uns Entscheidungen, die bei nüchterner Betrachtung ganz offensichtlich unvernünftig sind?
Johanna Gollnhofer, Professorin für Marketing an der Universität St. Gallen, sagt: «Wir sind nicht gut darin, unser Handeln nach Ereignissen auszurichten, die erst in der Zukunft passieren werden.» Als der Mensch noch als Höhlenbewohner durch die Steppen zog, zählte bloss das Jetzt. Es galt, Nahrung zu finden für den knurrenden Magen und sinnvoll auf Bedrohungen durch wilde Tiere oder widriges Wetter zu reagieren. Was in einer Woche sein würde, war für Urmenschen in der Regel ohne grosse Bedeutung.
Auch wir modernen Menschen wollen elementare Bedürfnisse sofort befriedigt haben: Wir essen, wenn wir Hunger haben, wir trinken, wenn wir Durst verspüren - und fühlen uns danach glücklich. Wir lernen: Wenn wir unser Verlangen jetzt gleich befriedigen, werden wir dafür belohnt. Diese entwicklungsgeschichtliche Prägung spielt uns beim Sparen einen Streich. Es fällt uns schwer, die kurzfristige Belohnung für ein langfristiges Ziel aufzuschieben.
Ausgetrickster Sparwille
Nicht genug damit, dass sich unser Gehirn mit dem Sparen naturgegeben schwertut, wir werden auch durch die Kniffe der Verkaufspsychologie immer wieder neu herausgefordert. Wie sehr, erzählt die folgende Geschichte.
Es sollte nur ein Set Bettwäsche sein, Modell «Nattsvärmare». Samstagvormittag, Ikea Dietlikon. Vor dem Parkhaus stehen die Autos Schlange. Jemand hupt genervt. Kaum hat man einen der letzten Parkplätze ergattert, gehts aufwärts. Schier endlose Rolltreppen. Von der Höhle des Parkhauses hinauf ans Licht. Oben angekommen, steht man in einer Wohnung, die deutlich gemütlicher ist als die eigene. Warme Farben, abgestimmtes Licht, riesige Kissen, Kerzenständer, Bilderleisten mit Schwarz-Weiss-Drucken.
Langsam setzt die Vernebelung des Verstands ein. Was wollte man eigentlich kaufen? Egal, ein übergrosses Päckchen Teelichter wandert in die viel zu grosse gelbe Tasche. Fr. 5.95 für 100 Stück, ein Schnäppchen. Wer weiss, ob man an den Kerzen später noch einmal vorbeikommt? Weiter gehts durch designte Küchen mit riesigen Kochinseln, gemütliche Kinderzimmer mit Hochbetten, stylische Schlafzimmer mit ausladenden Boxspringbetten.
Hat man sich durch die Ausstellung gekämpft, den Bergen von Daim-Süssigkeiten an der Rolltreppe widerstanden und ist im Restaurant bei den Köttbullar stark geblieben, wird man erlöst. Die Markthalle. Endlich darf man zugreifen. Je mehr man in den Wagen legt, desto leerer erscheint er. Bis man schliesslich an der Kasse steht - leicht peinlich berührt ob all der Ware, die sich angesammelt hat. Biip, biip: «795 Franken, bitte.» Schluck. Schnell noch zum Ein-Franken-Hotdog-Stand. Bei dem Preis dürfen es auch zwei sein. Beim Beladen des Autos merkt man: Die Bettwäsche fehlt.
Gekonntes Spiel mit Emotionen
Vergesslichkeit ist die ideale Eigenschaft einer Konsumentin. Sie ist das Ergebnis eines ausgeklügelten Ladendesigns. Und hier gehört Ikea zu den Besten. Es ist fast unmöglich, sich den Verkaufsanreizen gänzlich zu entziehen. Die Filialen sind so gemacht, dass Kundinnen und Kunden extra lange in den Hallen verweilen. Wie Lemminge laufen sie einen Parcours ab, der sie durch ein System labyrinthartiger Gänge führt. Gesäumt ist er von günstigen Produkten, man muss nur noch zulangen. Der Ikea-Kreativdirektor in den USA sagte in einem Interview 2018 fast etwas zu stolz, nur 20 Prozent aller Käufe passierten, weil Kunden etwas bräuchten. 80 Prozent der Kaufentscheide würden emotional gefällt.
Was hier passiert, heisst in der Fachwelt Gruen-Effekt. Er ist nach dem Österreicher Victor Gruen benannt, der in den USA 1956 das erste Einkaufszentrum der Welt gebaut hat. Der Effekt beschreibt den Moment, in dem die Kundinnen und Kundinnen das Warenhaus betreten und von der Erlebniswelt überwältigt werden. Sie vergessen, was sie kaufen wollten, vergessen die Zeit, die sie sich dafür nehmen wollten, und werden anfällig für Spontankäufe.
Bei Ikea sagt man zum Ladendesign, es gebe durchaus «sehr viele Abkürzungen» in den Einkaufshäusern. Sie seien in den letzten Jahren sogar noch ausgeweitet worden. Während der Pandemie hätten die Leute schnell von A nach B kommen wollen. Allerdings müssten Kundinnen und Kunden «aufmerksam der Beschilderung folgen».
Kaufknopf im Gehirn?
Jeder Supermarkt, jedes Kleidergeschäft, jeder Baumarkt setzt auf die Kniffe der Verkaufspsychologie. Bereits Michael Cullen, der 1930 im New Yorker Stadtteil Queens den ersten modernen Supermarkt «King Kullen» eröffnete, wusste sich zu helfen. «Pile it high, sell it low» war seine Devise: viel Ware stapeln und zu günstigen Preisen verkaufen. Die Verkaufstricks sind seither immer ausgeklügelter geworden. Das Prinzip blieb dasselbe.
Ganz so einfach sei es dann aber doch nicht, sagt Christian Fichter, Wirtschaftspsychologe an der privaten Fachhochschule Kalaidos. Es gebe einen Haufen Schundliteratur, der Händlern vermittle: «Wenn du diese Regeln einhältst, aktivierst du den Kaufknopf im Gehirn des Konsumenten.» Einen solchen Kaufknopf gebe es nicht. Gewisse Faktoren gälten aber überall. Wenn diese richtig bespielt würden, animierten sie fast immer zum Kaufen.
- Prinzip 1: Man erkennt im Kunden ein soziales Wesen. Ein Geschäft oder auch eine Website präsentiert sich deshalb optimalerweise als eine Art Marktplatz. Einen Ort, an dem man sich trifft, an dem man eine Community findet. Der soziale Aspekt könne aber auch negativ ausgelegt werden, sagt Wirtschaftspsychologe Fichter. Etwa in Form von Wühltischen oder zeitlich begrenzten Aktionen. «Diese triggern den Wettbewerbs- und Konkurrenztrieb und animieren zum Zuschlagen.»
- Prinzip 2: Die Kundschaft will Übersichtlichkeit. Das Prinzip geht zurück auf die Savannenhypothese in der Psychologie. Danach haben Menschen eine angeborene Vorliebe für gut überschaubare Landschaften. Also ein Gebiet, das beides bietet: Orientierung und Schutz, gern mit etwas Wasser und Pflanzen. Fast jedes Shoppingcenter und Kaufhaus setzt auf solche Zutaten.
- Prinzip 3: Konsumenten wollen durch Konsum ein Problem lösen. Dieses Problem müsse der Händler kennen, und die Lösung müsse einfach sein, so Fichter. Zu viele Optionen schreckten ab. Ein Prinzip, das der Psychologe Barry Schwartz «paradox of choice» nannte. Demnach kauften Kunden bei kleinerer Auswahl mehr als bei einer grösseren. Schwartz beruft sich auf ein Marmeladen-Experiment: Ein Supermarkt bot Gratisproben von Konfis an, einmal 6 Sorten, einmal 24. Kaufen konnte man immer alle 24 Sorten und erhielt einen Rabatt. Wenn nur 6 Gratispröbli bereitstanden, wurden auffällig mehr Konfis verkauft.
Immer mehr, immer schneller
Im Online-Handel tritt ein anderes Prinzip häufig zutage: Dark Patterns, deutsch «dunkle Muster». Die Bezeichnung wurde von Harry Brignull, einem User-Experience-Spezialisten, geprägt. Dark Patterns sind manipulativ designte Bedienungsoberflächen auf Webseiten und Apps. Eine Website kann man so aufbauen, Angebote so darstellen und den Bestellvorgang so gestalten, dass Kundinnen beeinflusst werden, mehr und schneller zu kaufen - und dabei ihre Daten preiszugeben. Das freut die Anbieter. Denn grosse Datensammlungen erlauben es, das Konsumverhalten noch genauer und individualisierter abzubilden. Firmen verwenden diese Daten, um Verhaltensmuster und Schwächen besser zu erkennen und zu analysieren und so unsere Kaufentscheidungen weiter zu beeinflussen.
Zu Dark Patterns gehören etwa Pop-up-Fenster mit Rabattcodes, die eine sehr kurze Laufzeit haben, Extravorteile, die man ab einem bestimmten Einkaufswert geboten bekommt, ungefragtes Hinzufügen von Artikeln oder Dienstleistungen in den Warenkorb und Hinweise wie «10 Personen sehen sich dieses Zimmer auch gerade an». Auch die unterschiedlichen und unübersichtlichen Optionen bei den Cookie-Einstellungen sind ein Dark Pattern. Meist ist der Button «Alle Cookies akzeptieren» gut sichtbar farbig hinterlegt, die datensparsame Option «Einstellungen anpassen» hingegen grau. So nimmt man sie weniger gut wahr - das ist gewollt. Wer den Knopf «Einstellungen anpassen» anklickt, findet sich je nach Anbieter in einem Chaos von Optionen wieder. Bis alle Einstellungen angepasst sind, brauchts viele Mausklicks (siehe Click-Fatigue, www.dapde.de Dark Patterns). «Alles akzeptieren» nur einen. Die Folge: Viele geben auf, andere akzeptieren die Cookies aus Versehen. Und erlauben so der digitalen Werbeindustrie, sie zu tracken. Die präzise personalisierten Werbungen führen zu höheren Erträgen für Konzerne wie Google und Meta (früher Facebook).
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