Schweitzer Fachinformationen
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Wir sind abgetaucht, allesamt. Du, ich, die Kinder, unsere Freunde, deren Kinder und alle anderen. Manchmal kommen wir heraus: zum Mittagessen, um zu lesen oder uns zu sonnen, lange ist es nie. Anschließend steigen wir alle wieder zurück in die Metapher. Der Lazy River, unser Fluss der Faulheit, ist kreisrund, voller Wasser und verfügt über eine künstliche Strömung. Selbst wenn man ganz stillhält, kommt man voran und kehrt schließlich wieder an den Ausgangspunkt zurück, und wenn wir hier auch einmal die Tiefe der Metapher thematisieren wollen, dann ist sie wohl einen knappen Meter tief, bis auf den kurzen Abschnitt, an dem sie auf fast zwei Meter anschwillt. Hier kreischen die Kinder, sie klammern sich an den Beckenrand oder den nächstgelegenen Erwachsenen, bis wir wieder bei dem knappen Meter sind. Immer rundherum. Das ganze Leben ist hier versammelt, und es fließt. Es fließt!
Die Reaktionen variieren. Die meisten von uns lassen sich mit der Strömung treiben, schwimmen ein Stück, gehen, treten Wasser. Viele bringen ein irgendwie geartetes Schwimmgerät zum Einsatz - Gummiringe, Schwimmnudeln oder -bretter - und platzieren den jeweiligen Gegenstand strategisch unter Armen, Nacken oder Rücken, um damit Auftrieb zu erzeugen und sich das ohnehin fast Mühelose noch einfacher zu machen. Das Leben ist ein Kampf! Aber wir machen Ferien, vom Leben ebenso wie vom Kampf. Wir »überlassen uns dem Flow«. Und sobald wir einmal im Fluss der Faulheit sind, muss auch ein Schwimmgerät her, obwohl unser Kopf uns sagt, dass die künstliche Strömung Auftrieb genug gibt. Egal, wir wollen eins. Markengeräte, viel zu große Geräte, lustig geformte Geräte. Sie sind neu für uns, sie sind Luxus: Sie vertreiben uns die Zeit. Wir werden zahllose Umdrehungen absolvieren müssen, bevor ihr Reiz nachlässt - und für ein paar glückliche Gemüter kommt dieser Moment nie. Für uns andere kommt er, wenn wir feststellen, dass der Bademeister recht hatte: Die Dinger sind viel zu groß, sie sind schwierig zu handhaben, lästig. Zurück bleibt die schlichte Tatsache, dass wir uns alle vom Fluss der Faulheit tragen lassen, im selben Tempo, unter derselben erbarmungslosen spanischen Sonne, in alle Ewigkeit, bis wir es irgendwann nicht mehr tun.
Manche treiben das Prinzip des universellen Flows auf die Spitze. Sie stellen sich tot - den Kopf nach hinten, die Glieder schlaff, ohne jede Anstrengung - und entdecken auf diese Weise, dass selbst ein Leichnam noch rundherum getragen wird. Ein paar Menschen - mit weniger Tattoos und häufig mit Studienabschluss - wenden sich demonstrativ in die Gegenrichtung, entschlossen, zum Schlag gegen die Strömung auszuholen, sie kommen nicht voran, halten aber die Stellung, und sei es nur für einen Augenblick, während die anderen vorbeitreiben. Das ist eine Pose: Sie hält nie lange vor. Einen Mann mit hochmodischem Haarschnitt hörte ich prahlen, er könne die ganze Runde rückwärtsschwimmen. Ich hörte, wie seine Hipster-Frau ihn dazu anstachelte. Sie hatten Zeit für solche Spielchen, sie hatten keine Kinder. Aber als er sich dann umdrehte und den Versuch startete, dauerte es keine Minute, bis es ihn forttrug.
Der Fluss der Faulheit ist eine Metapher, zugleich aber auch ein reales künstliches Gewässer in einem All-inclusive-Hotel in Almería, irgendwo im Süden Spaniens. Wir verlassen das Hotel nur, um Schwimmgeräte zu kaufen. Der Plan ist, unser Hotel mit seinen eigenen Waffen zu schlagen. Und das geht so: Man trinkt Alkohol in solchen Mengen, dass die Übernachtung praktisch gratis ist. (Nur die Schamlosesten unter uns äußern diesen Plan laut, aber wir sind alle mit an Bord.) Denn hier im Hotel sind wir unter Briten, wir sind Teil der Masse, wir kennen keine Scheu. Wir freuen uns an der Gesellschaft der anderen. Hier gibt es keine Franzosen oder Deutsche, die uns am Büfett dabei beobachten könnten, wie wir Paella und Schwertfisch zugunsten von Würstchen mit Pommes verschmähen, und auch sonst niemanden, der uns verurteilen würde, wenn wir uns auf unseren Liegestühlen vom Konzept der Literatur ab- und der Realität eines Sudokus zuwenden. Einer von unserem Stamm, ein älterer Herr, trägt auf jedem Schienbein ein Porträt von Amy Winehouse, und wir verurteilen ihn nicht dafür, kein bisschen, wie könnten wir auch? So viele Heilige von Amys Kaliber haben wir schließlich nicht zur Verfügung; wir halten sie in Ehren. Sie war eine der wenigen, die unseren Schmerz zum Ausdruck brachte, ohne ihn zu veralbern oder zu schmälern. Es ist also nur recht und billig, dass wir am Abend, während der kurzen Phase, für die wir dem Fluss der Faulheit entsteigen, beim Karaoke ihre bekanntesten Schnulzen schmettern - aus voller Kehle und bereits angetrunken -, in dem beruhigenden Wissen, dass ebendiese geliebten Zeilen später, viel später, wenn das alles hier einmal vorbei ist, bei unserer Beerdigung erklingen werden.
Aber Karaoke war gestern; heute haben wir einen Zauberer da. Er zieht überall Kaninchen hervor, an den unerwartetsten Orten. Wir gehen schlafen und träumen von Kaninchen, dann wachen wir wieder auf und steigen zurück in den Fluss der Faulheit. Schon mal vom Kreislauf des Lebens gehört? So ist das hier. Immer rundherum. Nein, die maurischen Ruinen haben wir nicht besichtigt. Und wir werden auch nicht in diese öden, dürren Berge fahren. Nicht ein Mensch unter uns hat den aktuellen Roman gelesen, der genau hier, in Almería, spielt, und wir haben das auch nicht vor. Wir lassen uns nicht verurteilen. Der Fluss der Faulheit ist eine urteilsfreie Zone. Das heißt allerdings nicht, dass wir blind wären. Auch wir haben die Folientunnel gesehen - vom Bus aus, auf der Fahrt vom Flughafen hierher -, und wir haben die Menschen aus Afrika gesehen, die dort arbeiten, allein oder zu zweit, die mit ihren Fahrrädern durch die sengende Sonne fahren, von Folientunnel zu Folientunnel. Während ich sie betrachtete, lehnte ich den Kopf an die bebende Scheibe meines Fensters und erblickte, wie in der Geschichte vom Brennenden Dornbusch, statt der Afrikaner eine Fata Morgana. Das Traumbild eines kleinen Schälchens Cherrytomaten, in Plastik verpackt. Es schwebte, dort in der Halbwüste, direkt vor meinem Fenster, zwischen den maurischen Ruinen. Der Anblick war mir so vertraut, so wirklich wie meine eigene Hand. Und oben auf dem Schälchen erblickte ich einen Barcode, und über diesem Barcode stand geschrieben: herkunftsland spa- nien - almería. Das Traumbild schwand. Es war weder mir noch sonst wem von Nutzen, in diesem Moment, während wir in Ferien waren. Denn was glauben wir . und was glaubt ihr . und was glauben die von uns zu verlangen . und wer ohne, der werfe den ersten .
Es trifft durchaus zu, dass wir in unserer Eigenschaft als Briten den Fluss der Faulheit auf keiner Landkarte Spaniens finden könnten, aber es trifft auch zu, dass wir das gar nicht nötig haben, denn wie oben bereits erwähnt, verlassen wir das Wasser nur, um Schwimmgeräte zu kaufen. Weiterhin trifft zu, dass die meisten von uns für den Brexit gestimmt haben und wir folglich gar nicht wissen können, ob wir nächsten Sommer nicht irgendwelche aufwendigen Visa brauchen, um wieder in den Fluss der Faulheit zu steigen. Darum machen wir uns nächsten Sommer Sorgen. Ein paar wenige gibt es unter uns, die kommen aus London, haben studiert und eine Vorliebe für Dinge wie Metaphern, Teil von Europa bleiben und gegen den Strom schwimmen. Wenn die Angehörigen dieser deutlichen Minderheit mal nicht im Fluss der Faulheit sind, verbieten sie ihren Kindern das ständige Pommes-Futtern und tragen Sonnenmilch mit dem höchstmöglichen Lichtschutzfaktor auf. Sogar im Wasser legen sie noch Wert auf bestimmte Abgrenzungen. Sie tanzen nie den Macarena. Sie machen nicht bei den Zumba-Stunden mit. Manche halten sie für Spaßbremsen, andere glauben, sie hätten Angst, sich zu blamieren. Aber ehrlicherweise muss man auch sagen, dass es wirklich nicht leicht ist, im Wasser zu tanzen. Jedenfalls klettern sie, nachdem sie (gesund) gegessen oder ein Schwimmgerät gekauft haben (kein Markenprodukt), sowieso wieder zu uns anderen in die Metapher zurück, zurück in diesen Uroboros aus Wasser, der, im Gegensatz zu Heraklits Fluss, immer derselbe bleibt, ganz gleich, wo man gerade hineinsteigt.
Gestern war der Fluss der Faulheit grün. Warum, weiß niemand. Theorien gibt es viele. Bei allen spielt Urin eine Rolle. Entweder ist die Farbe durch Urin entstanden, oder es handelt sich um die Farbe der Chemikalien, die zur Tarnung des Urins zugefügt wurden, oder um die Reaktion von Urin mit Chlor oder einem anderen chemischen Wirkstoff. Ich habe keinen Zweifel daran, dass Urin hier eine Rolle spielt. Ich habe selbst schon da reingepinkelt. Aber der Urin an sich stört uns gar nicht so sehr. Nein, die traurige Folge der grünen Farbe besteht darin, dass sie das Denken in höchst unschöner Weise auf das grundsätzlich Künstliche am Fluss der Faulheit fokussiert. Plötzlich wirkt, was ganz natürlich aussah - langsam im endlosen Kreis herumtreiben und dabei dem Hit dieses Sommers lauschen, der rein zufällig auch noch »Slowly« heißt -, nicht bloß unnatürlich, sondern seltsam im Übermaß. Nicht mehr wie Ferien vom Leben, sondern vielmehr wie eine grausige Metapher dafür. Dieser Eindruck beschränkt sich übrigens nicht auf die wenigen anwesenden Metaphern-Fans. Alle teilen ihn. Müsste ich ihn mit etwas vergleichen, dann mit der Scham, die Adam und Eva überkam, als sie an sich heruntersahen und ihnen zum ersten Mal klar wurde, dass sie vor aller Augen nackt dastanden.
Welche Lösung gibt es für das Leben? Wie...
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