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Okay, ein bisschen Biologiegrundkurs. Nur zur Auffrischung, versprochen. Es wird auch nicht wehtun! Zunächst bestehen beide - Pflanzen und Tiere - aus Zellen (im Übrigen gibt es noch mehr sogenannte Königreiche des Lebens, zu denen zum Beispiel Pilze und Amöben zählen, aber hier geht es eben um den direkten Vergleich von Kraut und Tier). Schaut man sich die kleinste lebensfähige Einheit beider Organismen einmal unter dem Mikroskop an, sieht man im Großen und Ganzen das Gleiche: einen amorphen Sack, gefüllt mit einem Zellkern, mit Zellsaft und allerlei kleineren, ebenso sackartigen Strukturen (den »Organellen«). Bei den Tieren sieht die Zelle auf den ersten Blick eher rundlich aus, bei den Pflanzen eckig. Letzteres führt auch direkt zum ersten großen Unterschied, denn Pflanzenzellen sind von einer stabilen Zellwand umgeben, Tierzellen nicht. Zusammen mit einem weiteren großen Sack, der »Vakuole«, die es nur in Pflanzenzellen gibt, sorgt die Mauer um die Zelle für Schutz und Stabilität.
Beide Kandidatinnen, also sowohl Tier- als auch Pflanzenzellen, enthalten spezielle Organellen, die für die Energiegewinnung zuständig sind: Diese Mitochondrien sind die Kraftwerke der Zelle und machen, vereinfacht gesagt, aus Zucker Energie. In allen »höheren Lebensformen« (wir kommen noch dazu, wieso diese Bezeichnung irgendwie überheblich ist) sind es diese kleinen Supersäcke, die aus Spaltprodukten von Kohlenhydraten und unter Verbrauch von Sauerstoff (deshalb müssen wir atmen) kleine Energienuggets zaubern und dem Körper bereitstellen. Aber: Die Quelle für den Ausgangsstoff Zucker unterscheidet sich wiederum zwischen Pflanze und Tier. Während Leoparden, Bisamratten, der Schabrackentapir und wir Menschen essen müssen, können Kastanie und Brennnessel sich den Zucker dank Fotosynthese selbst herstellen. Wir sind auf externe Futterquellen angewiesen, sind heterotroph, während die meisten autotrophen Gewächse nur Licht, Wasser, Luft und Liebe zur Energiegewinnung brauchen.
Diese erste Superkraft der Pflanzen war nicht nur der Jackpot für ihre Evolution, sondern auch die wohl dramatischste Erfindung in der Erdgeschichte, die das Gesicht des Planeten für immer verändern sollte und ein nie gesehenes Massensterben zur Folge hatte. Angefixt? Keep reading.
Schauen wir uns zunächst weitere Unterschiede und Gemeinsamkeiten von Mensch - beziehungsweise Tier - und Pflanze an. Lange glaubte man, dass nur Pflanzen dazu imstande sind, sich ständig zu erneuern, abhandengekommene Organe zu ersetzen und somit praktisch unsterblich zu sein. Neueste Erkenntnisse aus der Stammzellforschung zeigen allerdings, dass das so nicht stimmt!2 Sowohl Pflanzen als auch Tiere besitzen sogenannte Stammzellnischen, die auf Abruf sind und jederzeit sowohl neue Stammzellen oder eben Zellen mit bestimmten Funktionen ausbilden können. »Jederzeit« stimmt nach jetzigem Wissensstand vor allem im Pflanzenreich: Man kann von einer 100-jährigen Buche ein Blatt abschneiden und aus dem Gewebe neue, pluripotente Stammzellen züchten (also quasi auf Reset drücken und das Buchenleben von vorn beginnen lassen). Bei Tieren und Menschen beschränken sich diese Verjüngungsaktionen auf Zellen im Embryo, aber na ja, immerhin. An der Fruchtfliege Drosophila wurde gezeigt, dass eine im Labor mit der Schrotflinte abgeschossene Stammzellnische (es war eine sehr kleine Schrotflinte) von umgebenden Zellen neu kolonisiert und schlussendlich vollständig regeneriert wurde!3 Da sich die Zellerneuerung in der Evolution von Pflanzen und Tieren unabhängig voneinander entwickelt hat, gehen Forschende nun davon aus, dass die Stammzellnischen eine zwingend notwendige Innovation auf dem Weg zur Mehrzelligkeit darstellten, die womöglich schon früh in der Erdgeschichte erfunden wurde.
Die Aufgabe der Stammzellen ist im Grunde vergleichbar mit der einer guten Fußballtrainerin oder eines guten Fußballtrainers: Es wird ständig analysiert, überprüft, Rücksprache gehalten, zurückgepfiffen, ausgewechselt, delegiert. Jedes Teammitglied kennt seine Aufgabe und gibt alles. Wenn mal jemand verletzt ist oder sich danebenbenimmt, wird getauscht. Und das Wichtigste: Eine gute Führung kümmert sich früh genug um die eigene Nachfolge. Denn die Kiste kann nur geschmeidig weiterlaufen, wenn auch an die nächste Generation gedacht wird. Genauso ist es bei Stammzellen. Es ist essenziell für die Funktion eines regenerativen Gewebes, dass sowohl spezialisierte Zellen mit einigen wenigen Aufgaben gebildet als auch die Stammzellen selbst erneuert werden (sich also teilen). Nur durch ein ausgewogenes, oft durch Hormone und Umwelteinflüsse reguliertes Geben und Nehmen bleibt der Gesamtorganismus intakt und anpassungsfähig. Und wenn es an der Zeit ist, tritt die Spitze ab und macht einer neuen, jüngeren Nachfolge Platz, nicht ohne ihr gute Tipps und Tricks mit auf den Weg zu geben. Schöne Vorstellung, oder?
Trotzdem sollten wir uns nicht allzu viel Hoffnung machen, dass wir in naher Zukunft ganze Gliedmaßen nachwachsen lassen können. Um beim obigen Bild zu bleiben: Unsere körpereigenen Fußballtrainer*innen gehen schon kurz nach der Embryonalentwicklung in Rente und sind nur schwer zu motivieren, doch auch mal auf ehrenamtlicher Basis die lokalen Kicker zu trainieren. Bei Pflanzen sieht das anders aus. Mindestens zwei Trainingslager gibt es auch im hohen Alter noch: Das shoot-apical meristem (SAM) und das root-apical meristem (RAM). Wie der Name schon sagt, befinden sie sich maximal weit voneinander entfernt: das eine in der Spitze des Sprosses, das andere an der Wurzelspitze (da können, wie beim Riesenmammutbaum Sequoiadendron giganteum, gut und gern mal hundert Meter dazwischenliegen). Während SAM für die Ausbildung von Seitenästen und Blättern zuständig ist, betreibt RAM bei ganz und gar unterirdischen Bedingungen das Survivalcamp für zukünftige Wurzelhärchen und aufstrebende Wasserleitungen. Die Ausgangslagen für beide Lager könnten verschiedener nicht sein: Die einen trainieren bei Wind und Wetter, werden regelmäßig von doofen Heterotrophen angeknabbert, die anderen pumpen sich in völliger Dunkelheit und mit knapper Atemluft durch dichtes Erdreich und Gestein. Und trotzdem: Stellt man eine Pflanze auf den Kopf, können aus den SAM-Sprösslingen mit wenigen genetischen Tricks4 RAM-Azubis werden - und umgekehrt! Eine Pflanze kann also unter bestimmten Bedingungen ganze Organfunktionen umkrempeln, an den Wurzeln Blattwerk ausbilden und an den Blättern Wurzeln. Ich finde das äußerst abgefahren. Hätten wir also ein Szenario wie beim Blockbuster Upside Down mit Kirsten Dunst von 2012, in dem zwei Zwillingserden bedenklich nah aneinander im All herumschweben, könnte der Mammutbaum theoretisch in beiden Welten wurzeln! Ebenfalls eine tolle Vorstellung.
Zurück auf dem irdischen Boden der Tatsachen, können wir zumindest das von den Pflanzen lernen: Es gibt Mittel und Wege, um Stammzellen zu triezen und sie auch bei uns Menschen nach jahrelanger Inaktivität dazu zu bewegen, wenigstens einmal von der gemütlich-fleischigen Couch der Darmwand oder des Knochenmarks aufzustehen und doch noch etwas Gutes zu tun. Für die Altersforschung sind auch noch ein paar Erkenntnisse drin (aber mal ehrlich, wer will schon ewig leben?) - wir werden uns diesem Thema im nächsten Kapitel widmen. Bis hierhin soll es erst einmal ausreichen, wenn wir die Unterschiede - aber eben auch die Gemeinsamkeiten - zwischen uns und der krautigen Welt grob vor Augen haben, bevor wir auf die eigentliche, evolutionäre Reise gehen.
Es gibt neben der zellulären Ebene noch unzählige, offensichtliche Beispiele für den doch sehr anderen Lifestyle der Pflanzen, die wir zu gegebener Zeit durchgehen werden. Zuallererst bin ich euch noch ein letztes, mikroskopisches Merkmal schuldig, das in Pflanzenzellen erkennbar ist, jedoch nicht in Tieren. Wie es aussieht? Na ja, eben wieder wie ein kleines Säckchen. Nur diesmal ist etwas anders: Das Säckchen ist grün. Die sogenannten Chloroplasten enthalten das Blattgrün oder Chlorophyll, das wir auch mit bloßem Auge erkennen und mit wohligem Gefühl begehren, wenn wir »ins Grüne« fahren. Ohne Chlorophyll keine Fotosynthese. Ohne Fotosynthese keine Pflanzen. Ohne Pflanzen keine Tiere, somit auch keine Menschen, so einfach ist die Rechnung.
Aber woher kommt diese wundersame Kraft, die es dem Kraut ermöglicht, Sonnenlicht in Essen umzuwandeln? Um uns da reinzuwuseln (reinzunerden, wie meine Kollegin Mai Thi sagen würde), müssen wir ein paar Jahre in der Erdgeschichte zurückreisen. Ein paar Milliarden Jahre, um genau zu sein. In eine Zeit, in der »Grün wählen« ein wirklicher Game Changer war, der ein Überleben auf einer sich gerade abkühlenden Erdkugel wahrscheinlicher machte. Übrigens: Das Blattgrün erscheint uns nur aufgrund seiner physikalischen Eigenschaften grün. Es absorbiert für seine chemische Superpower vor allem Licht in den Wellenlängen Rot und Blau, während Grün weniger geeignet ist und reflektiert wird, weshalb wir Blätter in Grün sehen, obwohl sie es eigentlich nicht sind. Reisen wir also in der Zeit zurück bis an die Stelle, als die Fotosynthese das erste Mal auf den Plan trat. Was wir hier finden werden, ist eine farbenfrohe Geschichte mit...
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