Schweitzer Fachinformationen
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Hannah
Wie bei vielen etwas fragwürdigen Entscheidungen in Hannahs Leben war auch bei dieser Wein im Spiel.
Rotwein, um genau zu sein; bestens geeignet, um ganz nebenbei ein Leben zu zerstören. Hannah holte eine Flasche Merlot, die Hausmarke des Supermarkts, aus der zerknitterten Einkaufstüte. Eigentlich fing es jedes Mal ganz harmlos an. Mit den besten Absichten nahm man sich vor, nur ein Glas zu trinken, und ehe man sichs versah, hatte man eine ganze Flasche billigen Supermarktwein geleert und rettete mal eben die Welt. Nebenbei vertilgte man eine Packung Cadbury Chocolate Fingers, die eigentlich für das Geburtstagsbüffet des Chefs bestimmt gewesen war.
Hannah sah den Ablauf des Abends bereits deutlich vor sich, noch bevor die rubinrote Flüssigkeit über den Glasrand zu schwappen drohte. Sie betrachtete sie aufmerksam und rechnete: Acht Wochen, drei Tage und ungefähr zwei Stunden war es her, seit Dan überstürzt das Haus verlassen hatte und sehr wahrscheinlich ihr Leben. Seitdem war aus dem gelegentlichen Glas Wein oder Gin Tonic zum Feierabend schnell ein kostspieliges allabendliches Ritual geworden. Dieser Hauch von Glück an einem ansonsten einsamen Abend war tröstlich.
Hannah ging in den Flur und schleuderte die abgenutzten schwarzen Schuhe von sich. Nach einem Neunstundentag in diesen Dingern bei Travel Town fühlten sich ihre Füße ähnlich gequält an wie ihr Lächeln. Ihr Job war es, maßgeschneiderte Urlaubspakete für glückliche Jetsetter zusammenzustellen. Wenn sie aufgeregt zu ihr kamen und von Infinitypools und Insta-würdigen Cocktails träumten, war es nicht ganz leicht, nicht neidisch zu werden.
Die Weinflasche in der einen, das Glas in der anderen Hand ging Hannah ins Wohnzimmer und ließ sich auf das Sofa fallen. Der kratzige blaue Stoff erinnerte sie sofort wieder an Dan. Er hatte ihn unbedingt haben wollen - sie fand ihn furchtbar -, und jetzt zahlten sie immer noch den Kredit für das blöde Ding ab. Hannah stellte den Fernseher an und schaltete zu dem Krimi, den sie auf Netflix angefangen hatte, froh, dass sich das Haus durch das Hintergrundrauschen etwas weniger leer anfühlte. Sie trank den lang ersehnten Schluck Wein, der warm ihre Kehle hinunterfloss.
Die Sonne schien noch auf die von Reihenhäusern gesäumte Straße. In letzter Zeit sorgte die sommerliche Hitze für eine hohe Luftfeuchtigkeit, die andere nach draußen lockte. Es war zu heiß, um die Fenster geschlossen zu lassen, sodass Hannah notgedrungen das Glück der anderen mitanhören musste. Die Geräusche von spielenden Kindern, Familien und Freunden, die sich in den Nachbargärten trafen, ihr helles Lachen, schlichen sich wie ein ungebetener Gast an den Vorhängen vorbei ins Haus. Hannah konnte nichts anderes tun, als im Wohnzimmer zu sitzen, das für sie allein zu groß war, und es irgendwie zu ertragen.
Auf dem Bildschirm lief der Krimi: Eine Polizistin machte sich bereit, in die heruntergekommene Wohnung eines Verdächtigen einzubrechen, aber Hannah war nicht wirklich bei der Sache. Sie versuchte, der Geschichte zu folgen, verlor aber den Faden. Seit Stunden hatte sie sich darauf gefreut, nach Hause zu kommen und sich auf ihr bequemes Sofa zurückzuziehen, nur um jetzt festzustellen, dass sie überall lieber wäre als hier. Es genügte eine kleine Erinnerung - ein verliebtes Paar vielleicht, das mit verträumtem Blick ins Reisebüro schwebte, um die Flitterwochen zu buchen -, schon wurde Hannah nur wenige Monate zurückkatapultiert, als in ihrem Leben noch alles in Ordnung zu sein schien. Hier war sie von Erinnerungen umgeben. Überall im Haus waren noch Dans Sachen - im Regal standen seine Bücher, im Schrank hing seine Kleidung, und in der Garage waren seine Golfschläger. Sie waren Überbleibsel von einem seiner zahlreichen Versuche, ein Hobby zu beginnen, das er nur wenige Wochen später wieder aufgab. Er hatte nur mitgenommen, was in einen Koffer passte. Das konnte doch nicht reichen, oder?
Sicher würde er noch einmal zurückkommen müssen.
Die Erinnerung an jenen Abend, an dem er es ihr gesagt hatte, war noch so lebendig, als hätte er ihr diesen Schlag erst gestern versetzt. Darüber kam sie nicht so leicht hinweg. Selbst wenn Hannah bei Sirenengeheul, orangefarbenem Himmel und dem beginnenden Weltuntergang aufwachte, würde sie Dans jämmerlichen Gesichtsausdruck an jenem Abend vor sich sehen. Wie ein wiederkehrender Albtraum hatte er sich in ihr Gedächtnis eingebrannt, noch schlimmer als der Nackt-im-Supermarkt-Traum, der sie jahrelang verfolgt hatte.
Dan war nach Hause gekommen - an einem Dienstag, einem Bolognese-Abend - und hatte das von Hannah liebevoll zubereitete Essen hinuntergeschlungen. Erst danach war er mit der schäbigen Geschichte herausgerückt. Verlassen. Ohne es zu bemerken, hatte sie die Gabel fallen lassen und ihren Mann angestarrt, der Dinge sagte, die irgendwie keinen Sinn ergaben. Sein Mund bewegte sich, aber die Worte verstand sie nicht. Es war, als hätte man ihn irgendwie durch jemand anderen ersetzt. Durch wen wusste sie nicht - vielleicht war es so eine Art umgekehrte Version von Die Frauen von Stepford -, jedenfalls klang er nicht wie der Dan, den sie kannte.
Also hatte sie stumm zugehört. Gewartet, bis er fertig war. Geblinzelt, ihn angesehen und noch etwas weiter zugehört, während die Worte über seine mit Soße verschmierten Lippen kamen.
»Nicht glücklich.«
»Will eine Pause.«
Wie betäubt hatte Hannah dagesessen. Die sinnlosen Sätze hingen in der Luft und warteten darauf, dass sie sie verstand.
»Ziehe eine Weile aus.«
»Das Beste für uns.«
Und dann der absolute Clou, bei dem Hannah das Gefühl hatte, ihre Seele würde schlagartig ihren Körper verlassen:
»Ich habe mich in eine andere verliebt.«
Wie gelähmt hatte sie am Tisch gesessen und vergeblich versucht, einen zusammenhängenden Satz zustande zu bringen, während das Leben, das sie dreiundzwanzig Jahre lang geführt hatte - sieben Jahre als unverheiratetes, dann sechzehn Jahre als verheiratetes Paar - um sie zusammenbrach.
»Warum?«, murmelte sie schließlich.
Sie brachte das Wort kaum heraus. Hannah hörte, dass sie wie ein Mäuschen klang, und das war ihr zuwider.
Dan konnte ihr nicht in die Augen sehen. »Es ist einfach passiert«, gestand er kleinlaut. »Man kann nichts dafür, in wen man sich verliebt, oder?«
Fast hätte Hannah gelacht, hätte die Situation sie nicht vollkommen gelähmt.
»Im Ernst, Dan? Man kann nichts dafür, in wen man sich verliebt? Das ist das dämlichste Klischee, das ich seit Langem gehört habe. Du kannst sehr wohl etwas dafür. Vor allem musst du deine Frau nicht betrügen. Warum hast du nicht mit mir geredet?«
Dan zuckte mit den Schultern. »Ich hatte das nicht geplant.«
»Wer ist sie?«
Dan hatte den Anstand, leicht verlegen zu wirken. »Sie ist eine Trainerin«, gestand er. »Aus dem Fitnessstudio.«
Hannah war innerlich zu Stein erstarrt. Eine Personal Trainerin. Ist das so eine Art Midlife-Crisis? Die meisten Opfer kamen mit einem peinlichen Sportwagen nach Hause, doch ihr Dan, ihr liebenswerter, zuverlässiger, attraktiver Dan, brannte mit einer Trainerin aus dem Gym4Less Studio durch. Kein Wunder, dass er in letzter Zeit so oft dort gewesen war. Und Hannah hatte gedacht, er würde das Training endlich ernst nehmen, nachdem er sich nach einem Wellnesstag in der Firma erschrocken vorgenommen hatte, mehr auf seine Gesundheit zu achten. Ganz offensichtlich hatte sie sich getäuscht.
Dan sah merklich fitter aus, überlegte Hannah und bedauerte es sogleich.
Er hat mich für eine sportliche Frau verlassen. Für das Gegenteil von mir.
Dann waren ihr die Tränen gekommen, und alles war verschwommen - die Küche, die sie gemeinsam eingerichtet hatten. Ihr Zuhause. Ihre Träume.
Natürlich hatten sich nicht all ihre Träume erfüllt. Aber damit hatte Hannah nicht gerechnet.
»Dann packe ich mal meine Sachen«, hatte Dan gesagt, den Teller in die Spüle gestellt und war die Treppe hinaufgegangen.
Das ist nur vorübergehend, hatte Hannah sich gesagt und sich ins Bad zurückgezogen. Sie stellte die Dusche an, damit Dan ihr Schluchzen nicht hörte, während er so viele Habseligkeiten wie möglich in ihren Lieblingsurlaubskoffer warf. So etwas kommt vor. Das dauert nicht lange.
Traurigerweise dauerte es nun schon über zwei Monate.
Hannah trank noch einen Schluck Wein. Die TV-Polizistin hatte den Verdächtigen festgenommen. Hannah war unruhig. Inzwischen war sie leicht beschwipst, und ihr Blick wanderte zu ihrem Smartphone. Nur einmal kurz, dachte sie, unfähig der Verlockung zu widerstehen, und öffnete Facebook.
Sie gab seinen Namen ein. Dan hatte sie zwar blockiert - ist leichter so, hatte er gesagt -, doch ihm war nicht klar, wie viele seiner Fotos für alle sichtbar waren.
Da war er. Dan Saunders. Auf seinem Profilbild saß er in einem T-Shirt, das sie nicht kannte, in einem sonnigen Biergarten. Hannah klickte das Foto an und vergrößerte es.
Bei Dans Lächeln ging Hannah vor Sehnsucht das Herz über, bis sie einen Arm und kastanienbraune Haarsträhnen über einer gebräunten Schulter bemerkte. Dan mochte sie abgeschnitten haben, doch Hannah war sofort klar, dass der straffe glänzende Arm Sophia...
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