1 - Polaris
Mit dem faulsten Stern des Himmels die Grundlagen verstehen
Beginnen wir mit einem einfachen Stern: Polaris, der Polarstern, ist wohl der berühmteste Stern des Himmels, obwohl er nicht der hellste ist. Wenn Sie sich auf der Nordhalbkugel der Erde befinden, können Sie ihn in jeder Nacht des Jahres sehen. Stehen Sie dagegen südlich des Äquators, ist Polaris der Stern in diesem Buch, bei dessen Suche Sie mit Sicherheit kein Glück haben. Halten Sie trotzdem durch, wir kommen gleich auf Ihre Situation zurück .
Den Polarstern kann man auf verschiedene Arten finden. Ganz bequem geht es mit einer Kompass-App auf Ihrem Smartphone: Suchen Sie einen durchschnittlich hellen Stern auf der Linie zwischen der Nordrichtung am Horizont und dem Zenit (dem Punkt am Himmel genau über Ihrem Kopf). Sollte Ihr Smartphone-Akku leer sein oder Sie es einfach gern auf die herkömmliche Art versuchen, ist der traditionelle Weg, sich hellerer, bekannter Sterngruppen zu bedienen, die bei der Orientierung helfen. Der Große Wagen, eine Figur aus sieben Sternen, steht für weite Teile der Nordhalbkugel ständig am Himmel. An Herbst- und Winterabenden ist er tief am Nordhorizont zu finden, im Sommer hoch über unseren Köpfen. Der Große Wagen ist kein offizielles Sternbild, sondern nur der hellste Teil des ausgedehnten Sternbilds Ursa Major (Großer Bär). Drei der sieben Sterne bilden die Deichsel, die anderen vier ein schiefes Rechteck (den Wagenkasten). Die beiden Kastensterne, die am weitesten von der Deichsel entfernt liegen, werden als "Polweiser" bezeichnet. Wenn Sie auf die "aufrechtstehende" Wagenfigur schauen, liegt Merak unten und Dubhe oben. Verlängern Sie die Verbindungslinie zwischen den beiden etwa fünfmal über Dubhe hinaus, dann gelangen Sie zu einem etwas schwächeren Stern - das ist der Polarstern (Abbildung unten).
Alle Abbildungen von folgender Quelle, sofern nicht anders angegeben: Laura Barnes (L.B. Illustration, www.lbillustration.co.uk)
Wenn Sie das ein paar Mal gemacht haben, geht es Ihnen in Fleisch und Blut über. Sie werden den Polweiser bald nicht mehr benötigen, um das Sternbild Ursa Minor (Kleiner Bär) zu erkennen, zu dem der Polarstern gehört. Wie der Name schon vermuten lässt, sieht dieses Sternbild wie eine kleinere und schwächere Ausgabe des Großen Wagens aus: eine Deichsel aus drei Sternen an einem Rechteck aus vier Sternen. Günstigerweise steht Polaris am Ende der Deichsel und ist auch der hellste Stern im Kleinen Bären. Offiziell wird er als Alpha Ursae Minoris bezeichnet, gemäß einem Schema, das die hellsten Sterne eines Sternbilds mit Buchstaben in der Reihenfolge des griechischen Alphabets benennt. Erfunden hat es der deutsche Astronom Johann Bayer für seinen Sternatlas Uranometria aus dem Jahr 1603.
Die Sonderstellung von Polaris unter den Sternen ergibt sich daraus, dass er ein Fixpunkt am Himmel ist. Er verändert seine Position kaum, denn er liegt praktisch direkt über dem Nordpol der Erde. Wenn Sie die Erde von außen betrachten könnten und eine Linie durch beide Pole zeichneten, würde diese auf einen Punkt am Himmel zeigen, der nahe bei Polaris liegt: den nördlichen Himmelspol. Der Himmelspol steht still, denn die auffälligsten Bewegungen der Sterne und anderer Objekte sowie auch der Sonne und der Planeten haben nichts mit diesen Objekten an sich zu tun. Vielmehr rotiert die Erde und bewegt sich durchs All. Sie dreht sich um ihre Achse (was 23 Stunden und 56 Minuten bei einer vollen Umdrehung dauert), aber aus unserer Perspektive sieht es so aus, als ob sich der Himmel in die entgegengesetzte Richtung dreht. (Derweil wandert die Sonne um etwa vier Minuten weiter, woraus der 24-Stunden-Tag resultiert.) Wenn Sie einige Minuten nach oben schauen, werden Sie bemerken, dass sich die Sterne langsam von Ost nach West bewegen - weil Ihr eigener Aufenthaltsort auf der Erde sich unaufhaltsam nach Osten dreht. Langbelichtete Bilder des Nachthimmels zeigen dies schön. Die Spuren der Sterne sind darauf als helle Kreisbögen zu sehen. Die meisten Sterne tauchen am Osthorizont auf, erreichen ihren höchsten Punkt am Himmel, wenn sie die Nord-Süd-Linie (den Meridian) überqueren, und gehen im Westen unter. Sterne jedoch, die nahe am Himmelspol liegen, sind "zirkumpolar": Sie gehen weder auf noch unter, sondern beschreiben einen vollen Kreis über dem Horizont. Für Beobachter auf der Nordhalbkugel markiert der Polarstern das Zentrum dieser Kreise. Der gleiche Effekt ist aber auch auf der Südhalbkugel zu sehen.
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Wie hoch Polaris am Himmel steht und welche Sterne und Sternbilder zirkumpolar sind, hängt von Ihrer geografischen Breite ab, das heißt, von Ihrer Position auf der Erdoberfläche, gemessen in Grad nördlich oder südlich des Äquators. Stehen Sie unmittelbar am Nordpol (geografische Breite 90 Grad Nord), dann befindet sich der nördliche Himmelspol direkt über Ihnen und alle Sterne am Himmel sind zirkumpolar; sie beschreiben also Kreise parallel zum Horizont, ohne auf- oder unterzugehen. Bewegen Sie sich jedoch nach Süden, sinken Polaris und der nördliche Himmelspol allmählich Richtung Nordhorizont und der Bereich der Zirkumpolarsterne wird kleiner. (Hilfreicher Hinweis: Unabhängig von der jeweiligen Halbkugel gilt, dass Ihr Himmelspol in einem Winkel über dem Horizont steht, der Ihrer geografischen Breite entspricht.)
An dieser Stelle müssen wir kurz über Winkel am Himmel sprechen. Sie werden genauso gemessen wie Winkel auf der Erde. Wie Sie vielleicht noch aus dem Geometrieunterricht wissen, entsprechen einer vollständigen Umrundung des Himmels 360 Grad, einem rechten Winkel 90 Grad (zum Beispiel zwischen Horizont und dem Zenit genau über Ihnen). Jedes Grad wird wiederum in 60 Bogenminuten unterteilt und jede Bogenminute in 60 Bogensekunden, eine Bogensekunde entspricht damit 1/3600 Grad. Wenn Sie eine Winkelangabe wie zum Beispiel 5°32'15'' sehen, bedeutet das fünf Grad, 32 Minuten und 15 Sekunden. Dieses System hatte seinen Ursprung vor etwa 4000 Jahren in Mesopotamien, wo Vielfache von 60 sehr beliebt waren, weil 60 mathematisch formuliert "multifaktoriell" ist, das heißt, man kann es auf viele verschiedene Arten teilen und erhält trotzdem eine ganze Zahl. Bevor es Taschenrechner gab, war das wichtig, um viele Rechnungen im Kopf ausführen zu können (oder auf einer Tontafel).
Strecken Sie Ihren Arm nun Richtung Himmel aus und spreizen Sie Ihre Finger: So überdecken Sie etwa zehn Grad (ungefähr die Spanne des Wagenkastens). Machen Sie eine Faust, dann haben Sie etwa fünf Grad (ungefähr den Abstand zwischen Dubhe und Merak). Ihr ausgestreckter Daumen ist rund ein Grad breit. Die Sonne und der Vollmond haben beide einen mittleren Durchmesser von einem halben Grad. Die Auflösung (die Fähigkeit, feine Details zu trennen) eines guten menschlichen Auges erreicht etwa eine Bogenminute. Polaris steht rund ein halbes Grad vom nördlichen Himmelspol entfernt, er beschreibt also einen sehr kleinen Kreis um ihn. Angesichts seiner Entfernung von Billiarden Kilometern können wir uns glücklich schätzen, eine so helle Markierung für die Drehachse des Himmels zu haben.
Auf der Suche nach dem südlichen Himmelspol
Der Bereich um den südlichen Himmelspol unterscheidet sich deutlich von seinem nördlichen Pendant, denn dort gibt es nur schwache Sterne und ziemlich unscheinbare Sternbilder. Diese Bilder hat der französische Astronom Nicolas-Louis de Lacaille Mitte des 18. Jahrhunderts während eines Aufenthalts am Kap der guten Hoffnung erfunden. Der südliche Himmelspol liegt im Sternbild Octans, dem Oktanten (einem Navigationsinstrument, das nicht mehr in Gebrauch ist). Ein schwacher Stern namens Sigma Octantis steht dem Pol am nächsten, jedoch in mehr als einem Grad Abstand. Zum Glück gibt es einige andere Wege, um den südlichen Himmelspol zu finden.
1. Folgen Sie dem Kreuz des Südens (vgl. Abb.): Die klassische Methode, um den südlichen Polarstern zu finden, nutzt die berühmte kleine Figur Crux, das Kreuz des Südens (Achtung, es gibt ein paar kreuzähnliche Figuren, die Unachtsame in die Irre führen können). Ziehen Sie eine Linie entlang der Achse des Kreuzes, von Gacrux oben bis zum hellsten Stern Acrux unten. Dann verlängern Sie diese Linie etwa viereinhalbmal (Sie werden den Pol zwar um ein paar Grad verfehlen, aber in der richtigen Gegend sein).
2. Denken Sie sich ein Dreieck aus hellen Sternen: Identifizieren Sie dazu die beiden Sterne Canopus (den zweithellsten Stern des gesamten Himmels im Sternbild Carina oder Schiffskiel) und Achernar (den hellen Stern am Ende der Figur des Sternbilds Eridanus). Stellen Sie sich nun ein gleichseitiges Dreieck mit diesen beiden Sternen Richtung Süden vor: Der südliche Himmelspol bildet dann die "fehlende" Ecke.
In den letzten Jahrhunderten vor Christus haben griechische Gelehrte die Methode der Winkelmessungen am Himmel in ein theoretisches Modell des Universums überführt. Darin war die Erde von einer Reihe konzentrischer, ineinander verschachtelter Kugeln umgeben, auf denen Sonne, Mond, Planeten und Sterne lagen. Dieses Sphärenmodell hatte seinen Ursprung im vierten Jahrhundert vor Christus beim großen griechischen Denker Platon. Er liebte schwierige Probleme und überlegte, dass sich die scheinbar nicht vorhersagbaren Bewegungen von Sonne, Mond und Planeten durch eine Reihe von Kreisen erklären ließen, die zueinander in Beziehung standen. Auf diesen Kreisen wanderten die Gestirne gleichförmig (für die Griechen erleichterten Annahmen wie Kreise und Gleichförmigkeit nicht nur die Berechnungen, sie passten auch in ihre Vorstellung...