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Otto Frank tippte die Unterlagen seiner Tochter in Amsterdam ab. Einzelne Partien übersetzte er für seine Mutter in Basel ins Deutsche. Die zuerst von ihm angefertigte Abschrift ist nach Otto Franks Auskunft verlorengegangen. Auf der Grundlage der überarbeiteten Fassung von Anne Frank selbst (Version b) erstellte Otto Frank mit der Schreibmaschine eine neue Abschrift. Die Kommentierte Fassung des NIOD nennt es das Typoskript I. Während des Abschreibens verbesserte Otto Frank. Das ursprünglich korrekte Wort »pogromen« (Pogrome) wurde etwa zum falschen Wort »progrooms«, »Noord-Amerika« zu »U.S.A.« - Veränderungen, die keine Verbesserungen sind.
Otto Frank übergab sein Typoskript schließlich Albert Cauvern, dem Ehemann seiner früheren Sekretärin Isa Cauvern, um es auf grammatische Fehler und auf »Germanismen« durchzusehen, die seiner Tochter bei der Niederschrift unterlaufen seien. Albert Cauvern, der 1945 für eine Rundfunkanstalt in Hilversum arbeitete, wurde fündig und verbesserte Ausdrücke im Niederländischen und erweiterte an einzelnen Stellen. Aus »maar nog moeilijker is het om alleen te staan met karakter en ziel« (»aber noch schwieriger ist es allein zu stehen mit Charakter und Seele«) wurde auf Niederländisch »maar nog moelijker is het om op eigen benen te staan als bewustlevend mens. Want als je dat bent, is het dubbel zwaar de weg te vinden door de zee van problemen«, zu Deutsch: »aber noch schwerer ist es auf eigenen Füßen zu stehen als bewusst lebender Mensch. Denn wenn du das bist, ist es doppelt schwer, den Weg durch das Meer von Problemen zu finden.« Albert Cauvern erweitert einen ursprünglich ganz einfachen Satz. Auch auf Auslassungen weist die Kommentierte Ausgabe hin.
Das Typoskript I zeigt eine Reihe von Änderungen mit Bleistift und Tinte, die später Albert Cauvern vorgelegt wurden, der sie nicht als seine identifizierte und beteuerte, nur »die allernötigsten Korrekturen« vorgenommen zu haben, »Tippfehler und Verstöße gegen Idiom, Grammatik und Interpunktion«. Er sagt Jahre später: »Von mir ist keine einzige Passage gestrichen worden.«
Auf der Basis von Veränderungen, Eingriffen und dem ordnenden Zusammenfügen entsteht allmählich so etwas wie eine Lesefassung: Version c.
Anhand von Typoskript I schreibt Isa Cauvern vermutlich im Januar 1946 eine neue Abschrift mit der Schreibmaschine, das Typoskript II, wie sie die Kommentierte Ausgabe nennt. Diese Fassung gab Otto Frank Freunden und Bekannten zu lesen, etwa Siegfried Kurt Baschwitz oder Werner Cahn, gleich ihm Emigranten aus Deutschland, deren Lektüre überaus positiv ausfiel. Baschwitz schrieb am 10. Februar 1946 an seine Tochter:
Zur Zeit habe ich hier das Tagebuch der Anne Frank, der jüngsten Tochter von Freund Frank. Du kanntest sie wohl. Sie waren, wie Du weisst, 2 Jahre lang untergetaucht. Das Mädchen, 14, dann 15 Jahre alt, hat ein Tagebuch geführt, das wie durch ein Wunder den Deutschen entgangen ist. Es ist das erschütterndste Dokument dieser Zeit, das ich kenne, auch literarisch ein verwunderliches Meisterstück. Es sind die innerlichen Erlebnisse des zur Reife erwachsenden Mädchens, seine Eindrücke in der engen Haft zusammen mit Vater - der sie zärtlich liebt, Mutter - mit der sie in Konflikte kommt, der Schwester - die sie als Freundin entdeckt, mit der anderen Familie, die mit im Versteck haust, und mit deren Sohn, in den sie sich zu verlieben beginnt. Ich denke, dass es in Druck erscheinen muss.
Das ist wohl das früheste, doch schon konzise Urteil über das Tagebuch, das Siegfried Kurt Baschwitz gerade las. Der 1886 in Offenburg geborene Journalist war in frühen Jahren Korrespondent des Hamburger Fremdenblatts in den Niederlanden, sein Buch über den Massenwahn von 1923 machte ihn bekannt. Als Jude war Baschwitz, mittlerweile in Berlin, im April 1933 zur Emigration mit seiner Familie gezwungen. Er wählte das ihm vertraute Amsterdam. Als die Deutschen das Land besetzten, tauchte Baschwitz unter und veröffentlichte unter einem Pseudonym. Er verließ kaum das Versteck, geriet aber dennoch bei einem seiner wenigen Gänge durch die Straßen von Amsterdam in eine Razzia, wurde verhaftet und schließlich ins Durchgangslager Westerbork verbracht. Dort gelang ihm mit Hilfe seiner ältesten Tochter Isa die Flucht.
Ein zweiter Gewährsmann für das Tagebuch der Anne Frank war Werner Cahn, auch er ein deutsch-jüdischer Emigrant, 1903 in Solingen geboren, und so wie Familie Baschwitz waren die Cahns ebenfalls mit Familie Frank bekannt. Otto Frank hatte ihm aus dem Tagebuch seiner Tochter vorgelesen und damit »großen Eindruck« bei Cahn hinterlassen. Diese Verbindung sollte sich als besonders folgenreich für die Veröffentlichung des Tagebuchs erweisen.
Werner Cahn, auch Privatsekretär des Autors Lion Feuchtwanger, verfügte nämlich über Kontakte zur niederländischen Verlagswelt, einer nach den Kriegsjahren kleinen überschaubaren Welt, die ein eigenes Gepräge hatte. 1933 gründete Emanuel Querido in Amsterdam den gleichnamigen Verlag als Tochtergesellschaft der niederländischen Querido Uitgeverij mit dem aus Deutschland geflohenen Fritz Landshoff als Leiter. Der Querido Verlag wurde zur ersten Adresse für deutschsprachige Literatur im Exil: Zu den Autoren gehörten Klaus Mann, die Brüder Heinrich und Thomas Mann, Anna Seghers, Arnold Zweig und Lion Feuchtwanger. Hier erschien, von Klaus Mann herausgebracht, Die Sammlung, die wichtigste Zeitschrift der emigrierten deutschsprachigen Autoren und Autorinnen. Mit der deutschen Besetzung wurde dieses verlegerische Rückgrat zerschlagen, Fritz Landshoff blieb in London, wo er sich zufällig aufhielt.
Der Neubeginn war auch hier 1945 schwierig, an deutschsprachige Veröffentlichungen war nicht mehr zu denken. Werner Cahn arbeitete 1945 als Lektor für das Mutterhaus, den Querido Verlag, und für die Erste Niederländische Enzyklopädie, die der Historiker Jan Romein verantwortete. Sie waren Freunde und Kollegen. Cahn und Romein sowie dessen Ehefrau Annie Romein-Verschoor arbeiteten für die linke Zeitschrift De Nieuwe Stem, Die neue Stimme. Zu Beginn des Jahres 1946 gab Cahn Annie Romein-Verschoor seine Abschrift des Typoskripts II, die ebenfalls positiv auf das Gelesene reagierte und ihrerseits versuchte, das Tagebuch in einem Verlag unterzubringen, unter anderem bei Querido, wo, wie wir vermuten können, Werner Cahn auch schon seine Fühler ausgestreckt haben dürfte. Aber dort schien »das Interesse für alles, was den Krieg betraf, vollkommen erstorben zu sein«, wie sich Annie Romein später erinnerte. Nicht nur Querido lehnte ab, sondern wohl auch der renommierte J.M. Meulenhoff Verlag und De Bezige Bij. Der Lektor O. Noordenbos hatte seinem Verlag H. Meulenhoff (nicht zu verwechseln mit J.M. Meulenhoff) vorgeschlagen, das Tagebuch zu veröffentlichen. Er lehnte »wegen des sehr persönlichen Charakters des Tagebuchs und der darin enthaltenen sexuellen Bekenntnisse« ab.
Schließlich las Jan Romein die Aufzeichnungen und veröffentlichte am 3. April 1946 in der Zeitung Het Parool den Aufsatz »Kinderstimme«:
Durch einen Zufall habe ich ein Tagebuch in die Hände bekommen, das während der Kriegsjahre geschrieben wurde. Das Rijksinstituut voor Oorlogsdocumentatie besitzt schon ungefähr 200 solcher Tagebücher, aber es würde mich erstaunen, wenn noch ein einziges dieser Art darunter wäre, so rein, so intelligent und doch so menschlich wie dieses, das ich, die Gegenwart mit ihren vielen Verpflichtungen für einen Abend vergessend, in einem Rutsch gelesen habe. Als ich es fertiggelesen hatte, war es Nacht, und ich wunderte mich, dass das Licht noch brannte, dass noch Brot und Tee da waren, dass ich keine Flugzeuge brummen hörte und keine Soldatenstiefel auf der Straße hallten, so sehr hatte mich die Lektüre gefangengenommen und zurückgeführt in die unwirkliche Welt, die nun schon wieder fast ein Jahr hinter uns liegt.
Es ist von einem jüdischen Mädchen geschrieben worden, das 13 Jahre alt war, als es mit seinen Eltern und einer älteren Schwester untertauchte und dieses Tagebuch anfing, und es endet gut zwei Jahre später, als die Gestapo die Familie eines unglücklichen Tages entdeckte. Einen Monat vor der Befreiung ist sie in einem der schlimmsten deutschen Konzentrationslager umgekommen, noch vor ihrem 16. Geburtstag.
Wie, dahinein möchte ich mich nicht vertiefen. Aber es wird wohl, steht zu befürchten, ungefähr so gewesen sein, wie es in nun schon so vielen Lagererinnerungen nachzulesen ist, wie es in der unlängst erschienenen Broschüre »Tussen leven en dood in Auschwitz« (»Zwischen Leben und Tod in Auschwitz«) beschrieben wurde, auch wenn es sich um ein anderes Lager handelte.
Der erste Aufsatz über das Tagebuch der Anne Frank enthält schon eine politische Stoßrichtung, die seine Lektüre seitdem begleitet: die politische Aufklärung durch den Kampf gegen den »Faschismus«, wie ihn Jan Romein in dem 1946 geläufigen Terminus nennt:
Für mich ist allerdings in diesem scheinbar unbedeutenden Tagebuch eines Kindes, in diesem Stammeln einer Kinderstimme, »de profundis« alle Abscheulichkeit des Faschismus verkörpert, mehr als in allen Akten der Nürnberger Prozesse zusammen. Für mich ist im Schicksal dieses jüdischen Mädchens das größte Verbrechen zusammengefasst, das der auf...
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