Schweitzer Fachinformationen
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What do we want? Climate Justice! Die Forderung nach Klimagerechtigkeit wird im Rahmen der anhaltenden Klimaproteste immer mehr zur grundsätzlichen Forderung einer ganzen Generation. Hier stellen sich komplexe und drängende Fragen: Wie genau hängen die Klimakrise und diverse Strukturen der Marginalisierung zusammen? Wer steht in der Verantwortung, diese Krise zu bewältigen? Was schulden wir zukünftigen Generationen? Die internationale Debatte, inklusive feministischer und indigener Diskurse, bietet hierzu facettenreiche Ansätze, u. a. von Henry Shue, Stephen M. Gardiner, Anil Agarwal und Sunita Narain, Derek Parfit sowie Catriona McKinnon, die dieser Band - größtenteils erstmals in deutscher Sprache - zugänglich macht.
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Lukas Sparenborg und Darrel Moellendorf
Wir befinden uns am Rande einer unumkehrbaren Klimakatastrophe. Es handelt sich hierbei zweifellos um einen globalen Notfall. Ein Großteil der Lebensgrundlagen auf der Erde ist gefährdet. Wir treten in eine kritische und unvorhersehbare neue Phase der Klimakrise ein.[1]
Häufig beginnen Bücher über die Klimakrise mit dramatischen Szenarien von zukünftigen Naturkatastrophen, dem Aussterben ganzer Spezies oder drohenden humanitären Ausnahmezuständen. Doch inzwischen werden die Szenarien nicht nur konkreter, sie rücken auch immer näher - dies zeigt auch das Eingangszitat eines vor kurzem veröffentlichten Berichts zum Stand der Klimakrise. Diese Krise ist allgegenwärtig und für sehr viele bereits deutlich spürbar. Während politische Fortschritte immer noch auf sich warten lassen - und oft auch bewusst blockiert werden -, gehören Nachrichten von Extremwetterereignissen inzwischen zum Alltag. Klar ist also, dass es nicht mehr um ein reines Zukunftsproblem geht - wir leben bereits inmitten der sich entfaltenden Klimakrise.
Der Klimawandel ist ein vielschichtiges Problem, das Fragen für viele akademische Disziplinen aufwirft. Lange Zeit wurde die Klimakrise als naturwissenschaftlich-technisches Problem verstanden, doch sie bedarf auch der Aufmerksamkeit der Philosophie und Politischen Theorie. In diesem Band haben wir einige der bisher wichtigsten Beiträge von Moralphilosoph:innen, politischen Philosoph:innen und politischen Theoretiker:innen zur Klimaethik zusammengestellt. Obwohl es in der Moralphilosophie und der politischen Philosophie eine Tradition gibt, die zwischen Ethik und Gerechtigkeit unterscheidet,[2] haben wir uns bei der Auswahl der Beiträge nicht von dieser Unterscheidung leiten lassen, sondern uns 8allgemein auf normative Beiträge zur aktuellen Klimakrise konzentriert. Einige der Beiträge, wie Dale Jamiesons klassischer Aufsatz »Wann Utilitarist:innen Tugendtheoretiker:innen sein sollten«, befassen sich mit Fragen individuellen Verhaltens und Verantwortung; andere, wie Anil Agarwals und Sunita Narains »Globale Erwärmung in einer ungleichen Welt. Ein Fall von Öko-Kolonialismus«, mit Gerechtigkeitsfragen hinsichtlich sozialer Prozesse und Strukturen sowie der moralischen Bedeutung von historischem Erbe. Wir verstehen den Titel dieses Bandes weit genug, um Beiträge einzubeziehen, die von individueller Moral und Verantwortung bis hin zur Gerechtigkeit von Institutionen reichen.
Die Beiträge haben einen normativen Schwerpunkt. Es geht um Argumente, Theorien und Schlussfolgerungen darüber, wie wir Sachverhalte und Handlungsbedarfe verstehen sollten, und nicht um empirische Theorien, wie beispielsweise Erklärungen über die Entstehung und Funktionsweise von Institutionen oder welche Rolle Interessen bei deren Gestaltung spielen. Der Fokus auf normative Argumente schließt natürlich vieles aus, das interessant und wichtig ist. Wir sind jedoch der Überzeugung, dass normative Überlegungen zentral sind und in öffentlichen Debatten oft nicht gründlich diskutiert werden. Wir hoffen, dass die in diesem Band enthaltenen Beiträge eine Einführung in die Vielfalt der normativen Analysen bieten, die die Klimakrise in den Mittelpunkt stellen. Die meisten Aufsätze wurden ursprünglich auf Englisch verfasst. Viele von ihnen erscheinen hier zum ersten Mal in deutscher Sprache, was wir den Übersetzer:innen zu verdanken haben, die an diesem Projekt mitgewirkt haben. Unser Anliegen ist es, diese Beiträge einem deutschsprachigen Publikum zugänglich zu machen.
Bei der Auswahl haben wir uns von zwei Gedanken leiten lassen. Zum einen wollten wir eine repräsentative Auswahl einiger der einflussreichsten Arbeiten und Theoretiker:innen auf diesem Gebiet zusammenstellen. Zum anderen wollten wir Beiträge aufnehmen, die unserer Meinung nach wichtige Fragen aufwerfen, die bisher jedoch nicht im Zentrum der Debatten über Klimaethik stehen - beispielweise solche, die Kolonialismus, Rassismus und Sexismus im Zusammenhang mit der Klimakrise diskutieren. Auch nach dieser Schwerpunktsetzung waren natürlich noch schwierige Entscheidungen zu treffen. Es gibt eine Menge hervorragender Beiträge, die diese Kriterien erfüllen. Die Auswahl, die wir getroffen haben, ist 9also nur ein kleiner Teil der vielen ausgezeichneten Arbeiten auf diesem Gebiet, wird aber vielleicht die Neugierde der Leser:innen wecken. Das zumindest hoffen wir.
Während wir dieses Projekt abschließen, sind die Aussichten auf Klimagerechtigkeit ernüchternd. Der Planet brennt. Auf der ganzen Welt werden Temperaturrekorde gebrochen, und von Juni 2023 bis Juni 2024 wurde jeden Monat ein neuer globaler Rekord aufgestellt.[3] Im Pariser Abkommen von 2015 hat sich die Staatengemeinschaft auf eine Bestandsaufnahme geeinigt, um die Fortschritte bei der Umsetzung von Klimaschutzmaßnahmen zu überprüfen. Das Klimasekretariat der Vereinten Nationen hat die erste dieser Bestandsaufnahmen im Jahr 2023 abgeschlossen und festgestellt, dass die Welt hinter dem Zeitplan zurückliegt:
Die globalen Emissionen entsprechen nicht den modellierten globalen Mitigationspfaden, die mit dem Temperaturziel des Pariser Abkommens vereinbar sind, und es gibt ein sich rasch verkleinerndes Zeitfenster, um die Ambitionen zu erhöhen und bestehende Verpflichtungen umzusetzen, um die Erwärmung auf 1,5 Grad Celsius über dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen.[4]
Eine renommierte private Forschungsgruppe namens Climate Action Tracker konstatiert, dass kein einziges Land derzeit auf dem Weg ist, seinen vereinbarten Beitrag dazu zu leisten, die Erwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen.[5]
Es ist also dringend nötig, die Klimaschutzmaßnahmen zu verstärken. Wir sind davon überzeugt, dass die politische Debatte, der Aktivismus und die Entwicklung von Strategien zur Bewältigung der Klimakrise davon profitieren können, wenn die in diesem Reader vorgestellten normativen Theorien und Diskussionen eingehend berücksichtigt werden. Denn Klimagerechtigkeit lässt sich am besten im Lichte sorgfältiger Überlegungen und intelligenter 10Diskussionen über die auf dem Spiel stehenden Werte verwirklichen. Wir werden im Folgenden das Feld der Klimaethik und -gerechtigkeit anhand der vier Teile dieses Readers kontextualisieren und so in die Thematik einführen.
Der Klimawandel stellt die Menschheit vor eine Vielzahl praktischer und theoretischer Herausforderungen. Im ersten Teil des Bandes soll es zunächst um einige klassische Analysen zu den Dynamiken des Klimawandels als Gerechtigkeitskrise gehen. Als Ausgangspunkt für Fragen internationaler Gerechtigkeit lässt sich die allgemein bekannte Feststellung anführen, dass der sogenannte Globale Norden historisch das Problem des Klimawandels durch das exzessive Ausstoßen von Treibhausgasen verursacht und von dem damit einhergegangenen Wohlstand profitiert hat, während Staaten des sogenannten Globalen Südens kurz- und mittelfristig deutlich stärker den Folgen der Klimakrise ausgesetzt sind. Was genau folgt daraus? Welche Gerechtigkeitsansprüche lassen sich daraus hinsichtlich der Abmilderung (mitigation)[6] des und der Anpassung (adaptation) an den Klimawandel ableiten? Gleichzeitig sind Klimavulnerabilitäten auch innerhalb nationaler Grenzen oft sehr ungerecht verteilt, sodass bereits benachteiligte soziale Gruppen den Effekten der Klimakrise häufig besonders schutzlos ausgesetzt sind. Es gilt dabei auch zu betonen, dass Fragen der Klimagerechtigkeit nicht auf Verteilungsfragen begrenzt sind. In vielerlei Hinsicht, wie auch einige Texte in diesem ersten Teil betonen, geht es auch um politische Gerechtigkeit, also um Fragen des Empowerments marginalisierter Gruppen im Kontext der Klimakrise.[7]
11Stephen M. Gardiners Analyse des Klimawandels als »perfekter moralischer Sturm« gehört zu den zentralen Referenzpunkten der analytischen Klimagerechtigkeitsdebatte. Aufgrund seiner Wirkmächtigkeit eröffnet dieser Text den ersten Teil. Gardiner erarbeitet eine ...
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