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Teil 1:
Charlotte musste sich auf die Zehenspitzen stellen, um den Einzug der Täuflinge und der königlichen Familie in die Schlosskapelle zu beobachten. Ihr Platz wie auch der ihrer Familie befand sich in einem Winkel des prächtigen Raumes und war dazu noch halb hinter einer der stuckverzierten, mit goldenen Ornamenten geschmückten Säulen verborgen.
Sie verlor in ihren hochhackigen Seidenschuhen das Gleichgewicht und taumelte gegen ihren älteren Bruder Charles, der sie unsanft zurückstieß. »Pass doch auf!«, zischte er ihr zu. »Oder willst du Aufsehen erregen und uns alle in noch mehr Misskredit bringen?«
Charlotte verzog unwillig die Lippen, verbiss sich aber die schnippische Antwort, die ihr auf der Zunge lag. Unwillkürlich schweifte ihr Blick nach vorne, wo Vincent von Carignan in der vordersten Reihe an der linken Seite des Altars neben seiner Patin und Adoptivmutter, der Prinzessin von Lamballe, saß. Sie bekleidete als Obersthofmeisterin eines der wichtigsten Ämter in Versailles und war die beste Freundin der Königin Marie-Antoinette.
Charlotte seufzte leise. Dort hätten wir vor einem Jahr auch noch gesessen. Denn das Geschlecht der Familie Rohan gehörte zum französischen Hochadel, leitete es seine Herkunft doch unmittelbar von den bretonischen Königen ab. Auch durften sich seine Mitglieder Prinzen und Prinzessinnen nennen. Im Rang kamen die Rohans ebenso wie die Prinzessin von Lamballe gleich hinter den Prinzen königlichen Geblüts, den Orléans und den Bourbon-Condés. Zwei Knaben aus diesen Geschlechtern würden heute durch ihre zweite Taufe feierlich in die königliche Familie aufgenommen werden.
Doch das mächtigste Mitglied der Familie Rohan, ihr Großonkel Kardinal Louis, fehlte bei dieser Zeremonie. Noch vor einem Jahr hätte er diese als einstiger Großalmosenier und damit mächtigster Kleriker in Frankreich sogar geleitet. Aber nun war ihr geliebter Onkel tiefer gesunken, als es Charlotte je für möglich gehalten hätte.
Als »Kardinal Collier« verspottet, war er einer der Hauptangeklagten in der mittlerweile nicht nur in ganz Frankreich, sondern sogar dem benachbarten Ausland bekannten »Halsbandaffäre«. In deren Mittelpunkt stand ein ungemein wertvolles Diamantcollier, das die Königin vorgeblich durch seine Vermittlung erwerben wollte. Als sich dies im vergangenen Sommer als inszeniertes Täuschungsmanöver der Hochstaplerin Jeanne von La Motte, einer Gräfin von höchst zweifelhaftem Ruf, herausstellte, die den Kardinal belogen und Marie-Antoinettes Interesse nur vorgetäuscht hatte, war es bereits zu spät gewesen. Die Gräfin La Motte hatte die Steine des von ihm erworbenen Halsbands bereits größtenteils heimlich verkauft, um an Geld zu kommen. Charlottes Onkel geriet dennoch mit in den Strudel der Verdächtigungen. Man hatte ihn am 15. August, dem Fest von Maria Himmelfahrt, vom Altar des Hochamts hinweg verhaftet. Nun wartete er in der Bastille auf seinen Prozess.
Mit ihm zusammen war die ganze Familie von Rohan in königliche Ungnade gefallen. Denn Marie-Antoinette, die bereits vorher nicht gut auf den Kardinal zu sprechen gewesen war, schäumte vor Wut, als sie vom Missbrauch ihres Namens im Rahmen dieses gigantischen Schwindels erfuhr, für den sie vor allem Louis von Rohan verantwortlich machte. Zumal das französische Volk die »Autrichiènne«, wie man die Österreicherin noch immer verächtlich nannte, schon vorher für die Zerrüttung der Staatsfinanzen verantwortlich gemacht hatte und die Lügen nun Wort für Wort glaubte, die man über sie verbreitete. Sowohl in Paris als auch in den Provinzen prangerten Schmähpamphlete und Spottlieder die Verschwendungssucht der Königin an, mochte die Geheimpolizei auch noch so eifrig bemüht sein, die Lage wieder unter Kontrolle zu bringen.
»Wir können von Glück sagen, dass wir überhaupt eingeladen worden sind«, beschwichtigte Charlottes Vater Jules den Zorn seines ältesten Sohnes Charles, nachdem der Platzanweiser in der Livree des Versailler Hofs die Familie daran gehindert hatte, ihre gewohnten Plätze in der Nähe des Altars einzunehmen, und sie stattdessen zu den Stehplätzen in diesem Winkel geführt hatte.
Doch Charlotte quälte noch eine ganz andere Sorge. Ihr Lebensglück hing vom Freispruch ihres Onkels im Halsband-Prozess ab, der in weniger als einem Monat beginnen würde. »Sonst wird meine Tante ihre Zustimmung zu unserer Verbindung mit Sicherheit verweigern«, hatte ihr Vincent noch vor wenigen Tagen bei einem heimlichen Treffen erklärt.
Jetzt spürte der Geliebte ihren Blick, wandte den Kopf suchend um und lächelte ihr fast unmerklich zu, als er sie entdeckte. Trotz ihrer Freude fühlte Charlotte einen heftigen Stich in der Brust.
Ich liebe ihn so sehr, dass es schmerzt. Wir dürfen uns nicht verlieren.
Ein Puff in die Seite, diesmal vom Ellenbogen ihrer Mutter, riss sie aus ihren Gedanken. »Lächele gefälligst und folge der Zeremonie, anstatt Löcher in die Luft zu starren. Was sollen der König oder gar die Königin von dir denken, wenn sie das bemerken?«
Ergeben senkte Charlotte zum Zeichen ihrer Zustimmung den Kopf und richtete den Blick auf das Geschehen rund um den Altar. Mit etwas Glück würde sie Vincent beim anschließenden Ball im Spiegelsaal sprechen können. Vielleicht sogar mit ihm tanzen, erlaubte sie sich einen weiteren Augenblick der Träumerei, bevor sie sich auf die Zeremonie konzentrierte.
Die Orgeltöne, die den festlichen Einzug der Täuflinge begleitet hatten, verklangen. Der Erzbischof von Paris hob segnend die Hände über den beiden halbwüchsigen Knaben, die vor ihm knieten.
Erst als sich die beiden erhoben, konnte Charlotte ihre Gesichter erkennen. Zuerst trat Louis-Philippe, der Sohn des Herzogs von Orléans, mit seinen Eltern vor, um dem königlichen Paar vorgestellt zu werden. Er war zwar der jüngere der beiden Knaben, doch die Familie der Orléans stand dem Thron noch ein wenig näher als die Familie der Bourbon-Condé, aus der der zweite Täufling stammte.
Da Charlotte die Worte von ihrem entfernten Platz aus kaum verstand, nutzte sie ihre freie Sicht auf die Königin, um Marie-Antoinette genauer zu betrachten.
Selbst aus dieser Entfernung wirkten die Wangen der Königin unnatürlich rot in ihrem ansonst bleichen Gesicht. Auch ihre Augen waren trotz des aufgetragenen Puders umschattet. Man munkelte, dass Marie-Antoinette kaum mehr schlief, seit die Halsbandaffäre sie derart in Verruf gebracht hatte.
Ihre sonstige Erscheinung war allerdings so prächtig wie eh und je. Die Königin trug eine weiße, golddurchwirkte Robe unter einem mit den königlichen Lilien bestickten, ärmellosen Überwurf aus blauem Samt. Der Stoff über dem überweiten querovalen Reifrock lief in Volants aus kostbaren Spitzen aus, mit denen auch die Halbärmel verbrämt waren. Eine kostbare Brosche mit einem riesigen, rautenförmigen Saphir zierte den ebenfalls aus Spitzen bestehenden Brusteinsatz des Festkleides.
Weiteren Schmuck konnte Charlotte nicht erkennen, sah man einmal von der pompösen Frisur ab. Das Haar der Königin war zu einem Gebilde von sicherlich anderthalb Ellen Höhe aufgetürmt. In ihm steckten blaue und weiße Federn in gleichfarbigen Haarbändern, um die eine Perlenschnur gewunden war.
Charles war Charlottes Blick gefolgt und betrachtete die Königin nun ebenfalls mit gerunzelter Stirn. »Wenn das einfache Volk Ihre Majestät so sieht, glaubt es auf jeden Fall, dass sie aus den leeren Staatskassen mehr als eineinhalb Millionen Livres für dieses Diamantcollier genommen hat. Kein Wunder, dass unser Onkel ebenfalls davon ausging.« Trotz der nur leise geflüsterten Worte hörte sie den Ingrimm in seiner Stimme.
Auch Charlotte plagte außer der Sorge um ihre Beziehung zu Vincent die Befürchtung, dass die Halsbandaffäre ihren Onkel selbst im Falle eines Freispruchs um den größten Teil seines beträchtlichen Vermögens bringen würde. Schließlich bürgte er gegenüber den Juwelieren Böhmer und Bassenge für die ungeheure Summe von eins Komma sechs Millionen Livres, die das Halsband kosten sollte und von der noch kein Sou entrichtet worden war.
Das Wohl der Rohan-Rocheforts hing aber von der Großzügigkeit ihres Onkels ab, der diesen verarmten Zweig der Familie bislang immer unterstützt hatte. Verlöre er nun sein Vermögen, würden ihre Brüder Charles und Henri weder ein Offizierspatent erwerben können, noch sie und ihre kleine Schwester Clémentine eine Mitgift erhalten.
Selbst wenn die Lamballe meinem Onkel verzeihen sollte, wird sie Vincent noch lange nicht erlauben, ein mittelloses Mädchen zu heiraten!
Schon jetzt machten sich die fehlenden Zuwendungen des Kardinals schmerzlich bemerkbar. Charlotte und ihre Mutter trugen die Roben des Vorjahres zu diesem Fest, eigentlich undenkbar am modebewussten Hof von Versailles. Hoffentlich fällt es wenigstens Vincent nicht auf.
Wieder puffte ihre Mutter sie leicht, und wieder zwang sich Charlotte, der Taufzeremonie zu folgen. Nun trat der zweite Knabe vor, Louis-Antoine, der Herzog von Enghien - wie in dieser Familie der Titel für den Ältesten der dritten lebenden männlichen Generation lautete. Ihm folgten sein Großvater, der Prinz von Bourbon-Condé, und sein Vater, der Herzog von Bourbon. An dessen Seite schritt seine Frau, Bathilde von Orléans, von der man munkelte, dass ihr Gatte ihrem Bett seit der Geburt seines einzigen Sohnes fernblieb. Somit hing nun das Überleben des mächtigen Geschlechts mit seiner ruhmreichen Vergangenheit einzig von diesem Jüngling ab, der in diesem Moment vor dem...
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