Kapitel 35
Mainz, Palast des Erzbischofs, März 1279 Der Palast des Erzbischofs lag inmitten der alten Römermetropole Mainz in unmittelbarer Nähe zum Dom. Es war ein mächtiges Gebäude aus rötlichen Ziegeln, zwei breite Türme flankierten die beeindruckende Stiege zum Hauptportal, vor dem zwei Männer der Palastwache in voller Rüstung standen, bewaffnet mit Spießen und kurzen Streitkolben.
Am Fuß der Treppe eilten Stallknechte herbei, um den Ankömmlingen die Pferde abzunehmen und in die nahen Stallungen zu führen. Als Simon und Michel hinter den Grafen Eberhard und Johann zum Eingang kamen, verwehrten die Wachen Michel den Eintritt.
Johann protestierte: »Dieser Mann gehört zu meinem Gefolge.«
Aus einer Nische trat der Wachhauptmann hervor, erkennbar an seinem Waffenrock aus kostbarem Tuch, das sich deutlich vom groben, gefärbten Leinen, welches seine Männer trugen, abhob.
»Nur Herren haben Zutritt zum Audienzsaal des ehrwürdigen Kurfürsten«, beschied er Graf Johann mit einer knappen Verbeugung. »Knechte sind nicht zugelassen.«
»Dieser Waffenknecht ist dem Erzbischof bekannt und ein getreuer Untertan König Rudolfs, dem er auf dem Marchfeld sogar das Leben gerettet hat«, empörte sich Simon.
Der Wachhauptmann blieb ungerührt. »Nur Herren, wurde mir befohlen.« Er hielt es offensichtlich nicht für nötig, sich auch vor Simon zu verbeugen.
»Schon gut«, gab Michel friedfertig nach, bevor sich Graf Johann und Simon aufs Neue erregten. »Ich sehe derweil nach den Pferden.«
Das beginnt ja keineswegs vielversprechend, dachte Simon, als er dem Wachhauptmann und den Grafen durch die mit kostbaren Teppichen anstatt der üblichen Binsen ausgelegte Halle folgte.
Staunend blickte er sich um. Alles war auf das Prächtigste ausgestattet. Wandbehänge mit gestickten Szenen aus dem Alten und Neuen Testament bedeckten die Wände, in einer Vielzahl goldener Kerzenleuchter und -halter brannten Wachskerzen, die einen betörenden Duft verbreiteten.
Ob König Rudolf den Luxus kennt, mit dem sich sein Erzkanzler umgibt?, schoss es ihm durch den Kopf. Rudolf war ja als sparsam bis hin zum Geiz verschrien. Trotzdem hatte er Werner von Eppstein zum mächtigsten Fürsten des römisch-deutschen Reiches gemacht.
Endlich erreichten sie das Ende der Halle und betraten einen kleineren Raum, der rechts davon abzweigte. Es war das Audienzzimmer des Erzbischofs.
In einem mächtigen Kamin, der mit Marmor ausgekleidet war, brannte ein großes Feuer, dem offensichtlich Dufthölzer beigemischt worden waren. Werner von Eppstein thronte auf einem prächtigen, mit rotem Samt bezogenen Stuhl mit verzierten Rücken- und Armlehnen. Er erhob sich nicht, um seine Gäste zu begrüßen, sondern reichte ihnen stattdessen seine Hand mit dem Bischofsring zum Kuss.
Widerwillig tat Simon es den Grafen gleich, kniete nieder und drückte seine Lippen auf den kalten, walnussgroßen Amethyst, der den Ring zierte. Dann nahmen alle drei auf den unbequemen Schemeln Platz, die vor dem Stuhl des Kurfürsten standen und die Ankömmlinge zwangen, zu ihm aufzublicken.
»Seid willkommen, Freunde!« Die Augen des Erzbischofs schimmerten schieferfarben und straften seine Worte Lügen. »Welchem Umstand verdanke ich die Ehre Eures Besuchs?«
Simon war empört. Neben ihm zog Graf Johann scharf den Atem ein. Selbst Graf Eberhard war indigniert.
»Bevor wir Euch unser Anliegen schildern, edler Herr, hättet Ihr wohl die Güte, uns einen Trunk zu reichen? Wir sind nach der langen Reise durstig.«
Ohne auf die eklatante Verletzung der Regeln der Gastfreundschaft einzugehen, die ihm Eberhard auf diese Weise vorhielt, schnippte Werner mit dem Finger. Ein Knecht erschien, der bereits ein Tragebrett mit einer Karaffe Weißwein und einigen Silberpokalen trug.
Während er den Trunk kredenzte, herrschte Schweigen. Simon beobachtete seine Reisegefährten. Graf Eberhard sah verwirrt aus, Graf Johann stand bereits die Zornesröte im Gesicht. Während Eberhard nur am Wein nippte, stellte Johann seinen gefüllten Becher, ohne gekostet zu haben, demonstrativ auf einem kleinen, offensichtlich aus dem Morgenland stammenden Tischchen ab. Simon tat es ihm nach.
Die Augen Werners wurden noch um eine Schattierung dunkler. »Ich sehe, Ihr schätzt meinen Wein nicht, edle Herren«, sagte er. »Er stammt aus der besten Lage von meinen Gütern am Rhein.« Er lächelte süffisant. »Noch kann ich Euch nicht mit den köstlichen Tropfen aus dem Nahegau dienen. Doch das wird sich in Bälde ändern.«
Nun hielt es Johann nicht mehr auf seinem Sitz. Er sprang auf. »Wir sind gekommen, Euch um die Auflösung des Handels zu bitten, den Ihr mit meinem missratenen Bruder abgeschlossen habt, Herr von Eppstein. Burg Böckelheim gehört zu meinem väterlichen Erbe und hätte nie veräußert werden dürfen.«
»So ist Euer Bruder nicht Eures Vaters leiblicher Sohn?«
Der Pfeil traf ins Schwarze. Einen Augenblick lang fehlten Graf Johann die Worte.
Nun stand auch Simon auf und mischte sich ein. »Ihr wisst, hoher Herr, dass es darum nicht geht. Heinrich von Sponheim hat den Erbvertrag schmählich gebrochen, der meinem geschätzten Ziehvater das Vorkaufsrecht auf die Burg zusprach, falls Heinrich sie je veräußern sollte.«
Werner von Eppstein ignorierte ihn vollkommen. Er sprach weiter zu Johann.
»Wenn auch Heinrich ein rechtmäßiger Sohn Eures Vaters ist, steht ihm ein Teil des Erbes zu. Damit kann er tun, was er möchte.«
Bevor Graf Johann antworten konnte, ergriff Eberhard das Wort.
»Werner, ich beschwöre Euch bei unserer jahrelangen innigen Freundschaft. Ich selbst war es, der Graf Johann bat, Heinrich die Burg Böckelheim zu Lehen zu geben. Ihrer beider Vater, Graf Simon von Sponheim, hatte es seinem ältesten Sohn überlassen, über das Erbe zu entscheiden. Heinrich stand rein gar nichts zu, hätte Graf Johann ihm die Burg nicht überlassen.«
Der Kurfürst fixierte Graf Eberhard. »So habt Ihr Eurem Schwager damals gut geraten, mein Freund«, antwortete er, ohne auf den Einwand einzugehen. »Besser, als Ihr nun beraten seid, da Ihr das heilige Sakrament der Ehe missachtet und Eurer ungehorsamen Tochter erlaubt, ihren Gemahl zu verlassen.«
»Heinrich hat sie fast zu Tode geprügelt«, warf Simon wütend ein.
Wieder sah Werner ihn gar nicht an. »Es ist die Pflicht eines tugendhaften Ehemanns, sein Weib zu züchtigen, wenn es den Pfad der Bescheidenheit und des Gehorsams verlässt, den unser allmächtiger Herrgott ihm zugewiesen hat. Er ist für ihr Seelenheil verantwortlich.«
Simon erstickte beinahe an seiner Wut. Doch eine Handbewegung Johanns hielt ihn zurück.
»So seid Ihr nicht bereit, den unrechtmäßigen Kauf rückgängig zu machen?«
Werners Augen wurden noch dunkler. Dennoch blieb seine Stimme ruhig. »Ich kann nichts Unrechtmäßiges an diesem Kauf erkennen, Graf von Sponheim. Auch die Summe von tausendvierzig Mark Silber erscheint mir mehr als angemessen für diese relativ kleine Burg.«
»So verdoppele ich den Rückkaufpreis, werter Freund.« Auch Graf Eberhard erhob sich nun ächzend von dem niedrigen Schemel. »Ich verdreifache ihn sogar. Nur erspart uns eine Fehde zwischen alten Weggefährten.«
»Ich selbst sehe keinen Anlass zu einer Fehde.«
Johann zerrte an seinem feinen Lederhandschuh, den er vor dem Betreten des Bischofspalastes gegen den stählernen eingetauscht hatte.
Verzweifelt legte ihm Eberhard eine Hand auf den Arm. »Eine solche Fehde würde das ganze Land verwüsten, geschätzter Herr. Der Rheingraf wird sich uns anschließen und eine Reihe von weiteren Rittern aus dem Nahegau.«
»Auch ich bin nicht ganz ohne Unterstützung, mein Freund.« Simon wusste, dass der Erzbischof den Veldenzer meinte. »Und nach den im Rheingau gelegenen Ländereien des Grafen vom Stein gelüstet es mich schon seit langem.«
Mit einem Ruck zog Graf Johann sich den linken Handschuh aus und schleuderte ihn dem Kurfürsten vor die Füße. »So sei es denn, Herr von Eppstein. Einen Erzbischof, der Recht nicht von Unrecht zu unterscheiden vermag, erkenne ich weder als weltlichen noch als geistlichen Fürsten an. Mit dem heutigen Tage kündige ich den Frieden in unseren Landen auf und erkläre Euch die Fehde. Möge der Allmächtige entscheiden, wem er den Sieg zuerkennt.«
Ungerührt starrte Werner ihn an. Dann wandte er sich an Graf Eberhard. »Und Ihr, alter Freund, wie entscheidet Ihr? Wem werden die Mannen von Katzenelnbogen folgen?«
Zu Simons Erstaunen hielt Graf Eberhard dem Blick des Erzbischofs stand. Zum ersten Mal trat ein Flackern in dessen Augen.
Der alte Mann richtete sich hoch auf. Plötzlich wirkte er zehn Jahre jünger als bei ihrer Ankunft und glich wieder dem kraftvollen Ritter, der er einst gewesen war.
»Ich werde dem folgen, dem Treue und Ehre noch etwas gelten, hoher Herr.« Die letzten Worte betonte er verächtlich. Dann zog auch er seinen linken Handschuh aus. »Ich sehe nun, dass mein verdorbener Eidam in Euch, den ich jahrzehntelang meinen Freund nannte, seinen Meister in Verschlagenheit und Täuschung gefunden hat.«
Er warf den Handschuh neben den Johanns. »Mit dem heutigen Tag seid Ihr mein Feind.«
Der Erzbischof erhob sich bedächtig von seinem kostbaren Stuhl und bückte sich nach den Handschuhen. Er hielt sie fest in der Hand und blickte den beiden Grafen nacheinander ins Gesicht. Seine Augen waren nun so schwarz wie die Nacht.
»So sei es denn, meine Herren. Ich nehme die Fehde an.«
Ockenheim bei Bingen, Juni 1279 »Ich fürchte, wir kommen zu spät, Herr.«
Michel hatte den Satz noch nicht zu Ende gesprochen, als Simon seinem Fuchs die Sporen in die Seiten...