Teil 5:
Scheingefecht
Kapitel 27
Wien, Dezember 1276 Wie betäubt nahm Simon die Gratulationen der Festgäste entgegen. An seiner Seite strahlte Gisela von Sayn.
Wäre Simon nicht so in Gedanken versunken gewesen, hätte er bemerkt, dass die im Alltag oft unscheinbar wirkende junge Frau heute noch hübscher aussah als am Abend von Ottokars Huldigung. Das zartrosa Gewand aus schimmernder Seide stand ihr gut zu Gesicht und ließ ihre Augen hellblau erstrahlen. Die weißblonden Haare waren unter dem Schleier der verheirateten Frau zu einem kunstvollen Zopf gebunden und von einem Schappel aus fein ziseliertem Gold bekränzt. Es war ein Erbstück ihrer schon längst verstorbenen Mutter, das Gottfried von Sayn seiner einzigen Tochter an ihrem Ehrentag zum Geschenk gemacht hatte.
Trotz der milden Dezembersonne, die alles in ein weiches Licht tauchte, herrschte tiefste Finsternis in Simons Gemüt. Kaum drei Wochen war es her, seitdem er noch am Abend des Festes aus Gram und Enttäuschung über Christinas kühle Zurückweisung begonnen hatte, um Gisela zu werben. Er rechnete nicht ernsthaft damit, als Eidam in Betracht gezogen zu werden; ihn trieb vor allem der Wunsch, die demütigende Szene in der Kapelle zu vergessen.
Dann überschlugen sich die Ereignisse. Kaum hatte er sich Gisela erklärt und ihr in einer verschwiegenen Ecke einen schüchternen Kuss geraubt, war er bereits zu ihrem Vater befohlen worden. Der Graf von Sayn erwartete ihn im Beisein des Erzbischofs von Mainz und des Grafen von Katzenelnbogen.
»Ich höre von meiner Tochter, dass Ihr um sie werbt und dabei ihr Herz im Sturm erobert habt«, eröffnete Graf Gottfried das Gespräch. »Als Mann von Ehre frage ich Euch, ob Eure Absichten redlich sind.«
Obwohl sich alles in Simon sträubte, widersprach er nicht, sondern verneigte sich statt einer Antwort stumm.
Zu seiner Überraschung ergriff daraufhin Werner von Eppstein die Initiative. »Ich beglückwünsche Euch von ganzem Herzen, Graf Gottfried, einen solch tapferen und stattlichen Ritter als Gemahl für Eure Tochter gewonnen zu haben.«
Einen Wimpernschlag lang sah es so aus, als ob Giselas Vater etwas einwenden wollte. Doch schon die nächsten Worte des Erzbischofs machten Simons Hoffnung zunichte.
»Ich werde das Paar höchstpersönlich vor dem Portal der Stephanskirche einsegnen. Da König Ottokar es eilig hat, nach Prag zurückzukehren, sollte die Hochzeit in Bälde stattfinden. Der Sonntag Gaudete ist ein geeigneter Tag.«
»Aber es ist Fastenzeit, hoher Herr«, protestierte Graf Gottfried halbherzig. »Wie soll ich meiner Tochter in der heiligen Adventszeit ein prächtiges Fest ausrichten? Sollten wir nicht wenigstens bis zum Frühjahr warten?«
Der Erzbischof winkte ab. »Außergewöhnliche Zeiten erfordern außergewöhnliche Maßnahmen. Simon von Montfort steht in Ottokars Diensten. Wollt Ihr Eure Tochter unvermählt an den Prager Hof senden oder sie gar über Monate dorthin begleiten? Mich dünkt, Ihr werdet in Eurer Heimat gebraucht.«
Graf Gottfried nickte bedrückt. Erst gestern waren schlimme Nachrichten eingetroffen. In der Grafschaft Sayn hatte ein heftiger Schneesturm gewütet und viele Menschen mitten im Winter ihres Obdachs beraubt.
»So sei es denn«, stimmte er zu.
Nun hielt es Graf Eberhard nicht mehr auf seinem Sitz. Freudestrahlend umarmte er Simon. »So habt Ihr am Ende doch noch Euer Glück gemacht und werdet dereinst Eure eigene Grafschaft regieren. Aber wen sollte es wundern? Fortuna ist mit den Tüchtigen.«
Die Göttin ist leider blind, schoss es Simon durch den Kopf. Während Graf Eberhard nach neuem Wein schicken ließ, bemühte er sich, eine heitere Miene aufzusetzen.
Vollends elend fühlte er sich, als ihm Gisela am nächsten Tag ganz wider ihre schüchterne Art entgegenlief, sobald er das Haus betrat, in dem sie mit ihrem Vater logierte. »Wie wunderbar«, strahlte sie und ergriff seine beiden Hände. »Ich hätte niemals gedacht, dass ich einmal so glücklich sein würde. Nun preise ich die Jungfrau Maria, dass sie meinem Vater eingab, mir den Eintritt ins Kloster zu verwehren.«
Nur Michel durchschaute Simon. Ihr Verhältnis war seit ihrer Auseinandersetzung kurz nach Christinas Ankunft unterkühlt. Doch nun schnitt Simons Kummer dem Getreuen ins Herz. »Gisela von Sayn ist eine ehrenwerte und bescheidene Frau. Jedermann kann sehen, dass sie Euch von Herzen zugetan ist. Ich bete darum, dass Ihr Christina vergessen könnt und dereinst Euer Glück mit Eurer Gattin findet.«
Es war das erste Mal, dass Simon die Fassung verlor. Michel wiegte den Schluchzenden wie ein kleines Kind.
In den Tagen bis zur Hochzeit fühlte sich Simon wie ein Schlafwandler. Er lächelte mechanisch und mimte den verliebten Bräutigam, bis er sich vor sich selbst zu ekeln begann. Weder die Glückwünsche der Könige Rudolf und Ottokar noch die großzügigen Hochzeitsgaben der Grafen Eberhard und Johann vermochten ihn aufzumuntern.
Eberhard hatte Johann mit einem Eilkurier über die Ereignisse unterrichtet. Als sein Antwortschreiben eintraf, erlosch Simons letztes Hoffnungsfünkchen, Graf Johann könne als sein Ziehvater einen Einwand gegen die Vermählung vorbringen. Stattdessen gratulierte ihm Johann von Herzen, auch im Namen seiner mittlerweile genesenen Gattin Adelheid.
Und nun stand er hier an Giselas Seite und versuchte verzweifelt, aus dem Alptraum zu erwachen, der ihn gefangen hielt.
Plötzlich erblickte er Christina. Sie stand neben Heinrich in der Schlange der Gratulanten, die Züge starr wie die einer Statue, die Augen tot und leer. Brennender Schmerz durchfuhr ihn wie ein Dolchstoß.
Immer wieder hatte Simon darüber gegrübelt, was sie dazu bewogen haben mochte, ihn erst in die Kapelle zu bestellen und dann so grausam zurückzuweisen. Doch er wusste sich keinen Reim darauf zu machen. Er befragte sogar noch einmal die kleine Magd. Das Mädchen bestätigte, dass die Herrin ihn damals zu sprechen gewünscht hätte. Nein, die Dame sei keineswegs zornig gewesen, eher in Sorge, ob er denn käme. Ja, die Herrin habe gelächelt, als sie ihr Simons Antwort überbrachte, er würde um Mitternacht auf sie warten.
Nur als er das Mädchen fragte, ob sie jemandem von dem Treffen erzählt hätte, huschte ein ängstlicher Ausdruck über ihr Gesicht. Doch als er ihr Heinrich beschrieb, wich ihre Zurückhaltung. Sie wirkte ehrlich, als sie ihm versicherte, nie mit Christinas Gemahl gesprochen zu haben. Trotzdem glaubte er, dass sie ihm etwas verschwieg. Denn sie beteuerte auf seine eindringlichen Fragen eine Spur zu hastig, auch niemandem sonst von Christinas Auftrag erzählt zu haben.
Doch es war müßig, darüber zu grübeln. Was geschehen war, war geschehen und konnte nicht rückgängig gemacht werden. Er zwang sich zu lächeln, als Heinrich und Christina herantraten.
»Ich gratuliere Euch, Simon.« Ausnahmsweise wirkte Heinrich einmal aufrichtig. Er grinste jovial. »Nun, da auch Ihr die Freuden der Ehe genießen könnt, werden wir wohl besser miteinander auskommen. Ein treues Weib ist der sichere Hafen, in dem das unstete Herz eines Mannes zur Ruhe kommt. Nicht wahr, vielliebe Dame Christina?«
Christina nickte mit versteinerter Miene. Mit blutleeren Lippen küsste sie Giselas rosige Wangen und wünschte ihr mit tonloser Stimme Glück. Sie wirkte wie ein lebender Leichnam, als sie sich abwandte und an Heinrichs Arm davonschritt. Selbst Gisela war betroffen und blickte ihr einen Augenblick lang verwirrt nach.
Dann gewann ihre überschäumende Freude wieder die Oberhand. »Ich kann es kaum erwarten, Euch in diesem Hafen zu empfangen«, raunte sie Simon ins Ohr, um gleich danach verschämt zu erröten. Sein Magen fühlte sich an wie ein Stein.
Bei der Jungfrau Maria und allen Heiligen! Was habe ich nur getan?, haderte er im Stillen mit sich selbst.
Zufrieden rieb sich Graf Eberhard den in den letzten Wochen rundlich gewordenen Bauch. Ein Fest hatte das andere gejagt, und überall reichte man fette Speisen und schwere Weine im Überfluss.
»Die Tunke zur Wildschweinkeule war die köstlichste, die ich je genossen habe. Ich muss Gottfried von Sayn unbedingt nach dem Namen des Kochs fragen, den er gedungen hat. Er soll mir das Rezept verraten.«
Werner von Eppstein lächelte. Wie immer hatte er Speisen und Wein nur mäßig zugesprochen.
»Ich glaube, sie war mit Zimt und Ingwer gewürzt. Auch mir hat das Gericht vorzüglich gemundet.«
Eberhard blickte zur Mitte der hohen Tafel, an der das Brautpaar saß. Einen Moment trafen sich Simons und seine Blicke. Eberhard stutzte.
»Kommt es Euch auch so vor, edler Freund, als ob der Bräutigam nicht sehr glücklich wirkt?«, fragte er stirnrunzelnd. »Man sollte doch meinen, dass er zu schätzen weiß, was ihm da an Gut und Ansehen in den Schoß gefallen ist. Selbst die unscheinbare Jungfer ist aufgeblüht wie eine Rose.«
Der Erzbischof wiegte den Kopf. »Vielleicht hat Simon Furcht vor der Hochzeitsnacht?«
Eberhard lachte laut auf. »Das glaube ich nun weniger. Es gibt kaum ein Frauenhaus in Wien, das er noch nicht unsicher gemacht hat.«
Er trank einen Schluck Wein. »Auch dieser Burgunder ist erlesen. Graf Gottfried hat sich wahrlich nicht lumpen lassen.« Plötzlich fiel ihm etwas ein.
»Ich wollte Euch schon lange etwas fragen, werter Freund. Warum wart Ihr so überaus erpicht darauf, diese Ehe zu stiften? Und warum diese Eile bezüglich der Vermählung?«
Der Mainzer wiegte erneut den Kopf. »Das sind gleich zwei Fragen auf einmal, lieber Graf.« Auch er trank einen Schluck Wein.
»Nun, Gottfried von Sayn ist mein Lehnsmann und hat keinen männlichen Erben. Obwohl...