Schweitzer Fachinformationen
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Schweißgebadet rollte sich Pau Ribera im Bett zur Seite und wollte sich gerade wohliger Entspannung hingeben, als sein Mobiltelefon klingelte. »Nicht jetzt, bitte, Scheiß-Handys.« Er seufzte, während seine Hand auf dem Nachttisch nach der Quelle des Lärms tastete.
Normalerweise hätte er die Störung einfach ignoriert, zumal er die ständige Erreichbarkeit ohnehin hasste. Aber diesen Anruf musste er annehmen, wie er beim Blick aufs Display feststellte.
Es war Cristina Blum, eine zuweilen, wie er fand, etwas übereifrige Kollegin, die denn auch sofort atemlos lossprudelte, kaum dass er sich gemeldet hatte: Leiche beim Zentralfriedhof von Palma gefunden, Spurensicherung bereits auf dem Weg, entnahm er ihrem wie üblich präzisen Informationsschwall.
»Verdammter Mist«, entfuhr es Ribera, als das kurze Gespräch beendet war.
Für einen Augenblick, in dem er an die Zimmerdecke starrte, schien er unschlüssig, was er tun sollte. Dann drehte er sich mit einem Seufzen zu der Frau mit den brünetten, halblangen Haaren um, die neben ihm im Bett lag und ihn mit fragenden Augen anschaute.
»Ich fürchte, ich muss dich verlassen, meine Hübsche.«
Verständnisloser Blick und schließlich vehemente Entrüstung. »Das ist jetzt nicht dein Ernst. Gehörst du etwa zu diesen Typen, die sich nach dem Sex einfach aus dem Staub machen - vielen Dank für die Nacht, Schätzchen, ciao, ich melde mich, und dann kommt nichts mehr?«
Ribera atmete tief durch. »Ich weiß ja selbst, dass das beschissen rüberkommt«, entgegnete er nach einigen Sekunden verlegenen Schweigens. »Es ist nicht das, wonach es aussieht. Aber ich habe jetzt wirklich keine Zeit für weitere Erklärungen. Nur so viel für den Moment: In meinem Job kann so etwas immer wieder passieren.«
Die Nachfrage kam prompt. »Und was machst du so Wichtiges, dass du mir nichts, dir nichts von einer Minute auf die andere verschwinden musst?«
»Ich bin Chefinspektor bei der Policía Nacional in Palma - bei der Mordkommission«, antwortete Ribera, während er in Hemd und Hose schlüpfte, Socken und Schuhe anzog. Anschließend holte er noch ein braunes Pistolenhalfter aus einer Schublade des Wandschranks, schnallte es sich um und zog ein abgewetztes dunkelblaues Sakko darüber.
Verblüfftes Schweigen im Bett, dem »Na super, das hat mir gerade noch gefehlt, ein Bulle« folgte.
»So sieht's aus«, entgegnete Ribera. »Aber es gibt Schlimmeres. Du kannst übrigens ruhig noch eine Weile hierbleiben und es dir gemütlich machen. Das Zimmermädchen kommt sowieso nicht vor zwölf, das habe ich mit der Pensionsleitung so ausgemacht.«
Er schickte sich zum Gehen an und hatte bereits die Türklinke in der Hand, als ihm noch etwas einfiel. Er drehte sich um und meinte mit einem schiefen Lächeln: »Und ich denke doch, dass wir uns wiedersehen, falls du das nach meinem überstürzten Abgang überhaupt noch möchtest.«
Als er die Pension »Costa Dorada« verließ, warf er einen Blick auf seine Armbanduhr. Noch nicht einmal acht. Zu dieser Stunde hatte er die Stadt noch nie erlebt, seit er vor knapp sechs Monaten nach Mallorca gekommen war.
Einsam und verlassen lag der Carrer Can Martí Feliu im dämmrigen Morgenlicht. Kein Mensch außer ihm schien in dieser Ecke der Altstadt unterwegs zu sein. Lediglich aus einem geöffneten Fenster in der Nähe drangen Stimmen und Geschirrgeklapper, was ihn daran erinnerte, dass er wieder einmal nichts gefrühstückt hatte.
Er schlug fröstelnd den Kragen seiner Jacke hoch und wollte schon losgehen, als ein Mann aus einem benachbarten Haus auf die Straße trat. Den schmuddelig wirkenden Alten hatte Ribera schon des Öfteren im Viertel gesehen. Er musste bereits über achtzig sein, schätzte er. Mit sich führte er einen winzigen braunweißen Hund mit Schlappohren an der Leine, der beinahe so betagt und wackelig auf den Beinen war wie sein Besitzer.
Die beiden Männer schauten sich kurz an und nickten sich wortlos zu. Dann schlurfte der Alte davon, im Schlepptau den Hund, der ihm mit trippelnden Schritten folgte. Die Stelle, an der zuvor das zitternde Tier gestanden hatte, zierte nun eine kleine Pfütze.
In zügigem Tempo eilte Ribera durch die handtuchschmalen, düsteren Gassen. Seine Schritte hallten von den Wänden der Stadtpaläste und der anderen in die Jahre gekommenen Gebäude wider, die der Gegend einen musealen Charakter verliehen. Fast zum Greifen nah lagen sich die Häuser gegenüber. An vielen Stellen waren die alten, von schwarzer Patina vieler Jahrhunderte gezeichneten Mauern mit bunten Graffiti und Parolen besprüht.
Ribera passierte die Plaça Major. Der rechteckige Hauptplatz der Innenstadt war vollständig von gelben Häuserfassaden und Arkadengängen umschlossen und normalerweise fest in der Hand von Touristen sowie allerlei Straßenkünstlern. Aber um diese Uhrzeit herrschte auch hier gähnende Leere, und die Stühle der zahlreichen Cafés und Restaurants, die sich hier dicht an dicht drängten, waren noch verwaist.
Ribera schlängelte sich weiter durch das Labyrinth im historischen Zentrum der Vierhunderttausend-Einwohner-Stadt. Die Straßen verströmten noch morgendliche Jungfräulichkeit, bevor der tägliche Ansturm einsetzte und sich Tausende durch das Calatrava-Viertel drängten, wie die Gegend im Osten Palmas hieß. Vor allem wenn mal wieder ein Kreuzfahrtschiff im Hafen angelegt hatte. Lediglich in einigen Bars herrschte Betriebsamkeit, während die kleinen Läden, Werkstätten und Restaurants noch hinter heruntergelassenen schweren Metallrollläden schlummerten.
Schließlich erreichte Ribera La Seu, die gotische Kathedrale und das Wahrzeichen der Balearenmetropole. Er ließ den Königspalast Almudaina, vor dem der wachhabende Soldat gelangweilt neben seinem Häuschen stand, rechts liegen und überquerte den schmalen Vorplatz des Kirchenareals. Einen kurzen Moment verharrte er auf der obersten Stufe der breiten Treppe, die Richtung Parkhaus Parc de la Mar führte. In der großen Tiefgarage zwischen Meer und Altstadt hatte er seinen Wagen abgestellt, nachdem er in der vorigen Nacht mit seiner späteren Gespielin in einer Bar in der Nähe versumpft war und sich nicht mehr ans Steuer hatte setzen wollen.
Mist, dachte Ribera, eine ganze Nacht im Parkhaus, das wird verdammt teuer werden, und das bei meiner chronisch leeren Kasse.
Er verdrängte den unangenehmen Gedanken schnell wieder und ließ seinen Blick über die breite Hafenpromenade Passeig Marítim hinaus aufs Mittelmeer schweifen. Immer noch war er, der die meiste Zeit seines Lebens fernab der Küste gelebt hatte, fasziniert vom Anblick von so viel Wasser. Es hatte für ihn, je nach Gemütszustand, etwas Beängstigendes oder auch Beruhigendes.
Heute war Letzteres der Fall, zumal es draußen auf dem Ozean auch wesentlich gemächlicher zuging als auf der ständig verkehrsumtosten Avinguda Gabriel Roca, wie die Promenade offiziell hieß. Lediglich zwei große Containerschiffe kreuzten in der Ferne, eine Fähre hatte eben im Hafen von Palma abgelegt und steuerte in Richtung der offenen See. Der Uferboulevard ächzte dagegen unter der üblichen Blechlawine des täglichen Berufsverkehrs.
Ribera sog die frische Morgenluft in sich auf, genoss den salzigen Geschmack der leichten Brise und lauschte dem lang gezogenen »Srii, Srii« der Mauersegler, die unermüdlich auf Insektenjagd um das mächtige Kirchenschiff kreisten. Schließlich musste er sich gewaltsam aus seiner Sekunden-Kontemplation reißen.
Er setzte seinen Weg fort, nachdem er sich einen Zimtkaugummi in den Mund gesteckt hatte - eine Angewohnheit, seit er vor ein paar Jahren mit dem Rauchen aufgehört hatte. Ein Freund, der ein ähnliches Martyrium durchgemacht hatte, empfahl ihm damals das Kaugummikauen als Ablenkung. Die Methode funktionierte, bis auf die Tatsache, dass er letztlich eine Sucht gegen die andere, wenngleich wesentlich gesündere, eingetauscht hatte.
***
Der Kopf klebte schlaff auf der Brust. Der Oberkörper hing zusammengesackt auf dem Holzstuhl. Die Hände waren hinter der Lehne mit einem Kabelbinder zusammengebunden.
Nicht dass Ribera über diesen Anblick entsetzt gewesen wäre, schließlich hatte er sich im Laufe seiner Polizistenkarriere an Leichen gewöhnt. Ungewöhnlich, ja regelrecht bizarr mutete aber der Schauplatz des Geschehens an. Es handelte sich um eine kleine, gepflegt wirkende Anlage an der nördlichen Seite des Cementeri Municipal, des Zentralfriedhofs von Palma. Genauer gesagt war es eine Art schmaler, länglicher Platz, erreichbar durch ein Eisentor und eingezwängt zwischen der hohen Friedhofsmauer und dem Torrent de Sa Riera, einem meist ausgetrockneten Sturzbach, wie es auf Mallorca viele gab.
Der Ort war offensichtlich bewusst reduziert gestaltet: nackte, rötlich braune Erde, eine hohe, schlanke Zypresse und ein junger, schwächlich wirkender Olivenbaum, der noch nichts von der Würde der uralten Ölbäume hatte, die vielerorts die mallorquinische Landschaft prägten. Kontrastiert wurde dies von einer langen, rechteckigen Metallplatte auf dem Boden. Zahlreiche Namen waren darauf eingraviert, auf die jemand Blumen gestreut hatte. Schließlich gab es noch eine Plastik, die eine stilisierte Figur mit ausgebreiteten Armen zierte. Ribera kam das Motiv bekannt vor, aber er kam einfach nicht drauf, woher.
Sein Blick wanderte weiter zu einer schlichten grauen Steinplatte, die neben der Skulptur stand und auf der ebenfalls Blumen lagen. Außerdem gab es eine Inschrift, auf der er »Mur de la Memòria«, Mauer der Erinnerung, las.
Er hatte zu wenig Zeit, sich seinen Beobachtungen lange hinzugeben. Das lag weniger an dem Gewusel von Uniformierten und Nichtuniformierten, das hier herrschte, als an...
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