Schweitzer Fachinformationen
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Ich habe mein Boot. Um es zu finden, bin ich extra aus der Bretagne nach Südfrankreich, genauer gesagt Martigues, gefahren. Ich, Guirec, geboren in Plougrescant im Departement Côtes-d'Armor, kaufe mir am Mittelmeer ein Boot. Unglaublich! Am Telefon hatten mich die Besitzer vorgewarnt: »Du wohnst ja weit weg, wir wollen nicht, dass du den langen Weg umsonst machst: Der Preis ist 40 000 Euro. Weiter runter gehen wir nicht.« Ja, ich weiß, habe ich gesagt und bin losgefahren. Was die beiden jedoch nicht wissen: Ich habe diese 40 000 nicht. Wenn ich all meine Ersparnisse und das, was ich in Australien verdient habe, zusammenkratze, komme ich gerade mal auf 31 000 Euro. Egal, ich will dieses Boot.
Zuvor hatte ich alle Kleinanzeigen für Boote in der Bretagne durchforstet und alle Hafenstädte in den Departements Côtes-d'Armor, Finistère, Morbihan und Ille-et-Vilaine abgeklappert. Ich habe mir Dutzende Segelboote angesehen, aber da war nichts dabei, was meinen Vorstellungen entsprach - und was ich mir mit meinem schmalen Budget leisten konnte: nämlich ein Boot, das stabil genug war, um damit die Weltmeere zu besegeln.
Dort unten in Südfrankreich wartete nun die Loungta auf mich. Der Name war schon ein gutes Omen: »Windpferd«, wie der tibetische Glücksbringer. Als ich die Loungta zum ersten Mal sah, lag sie auf ihren Unterstellböcken außerhalb des Wassers und machte sich großartig unter dem tiefblauen Himmel der Provence. Sie gefiel mir auf den ersten Blick. Zehn Meter lang, solide gebaut, scheinbar alles heil, von innen genauso schön wie von außen, obwohl ich von dem Orangeton des Rumpfs nicht gerade begeistert war. Aber zwei Schichten Farbe sollten eigentlich genügen, um das zu beheben. Auf mehr als den »ersten Blick« konnte ich mich auch nicht verlassen - denn von Segelbooten für die Hochsee habe ich nicht den geringsten Schimmer. Das war absolutes Neuland für mich, und als die Sprache auf die technischen Details kam, war ich vollends aufgeschmissen. Daher setzte ich ein kundiges Gesicht auf und tat so, als könnte ich allem folgen.
Mit Damien, einem der beiden jungen Besitzer, habe ich mich sofort gut verstanden. Als ich ihm von meinen Plänen erzählte - allein den Atlantik zu überqueren, ins ewige Eis an den Nordpol zu segeln -, habe ich bemerkt, dass ich ihn zum Träumen brachte.
Warum sollten die beiden mich auch nicht ernst nehmen? Ich war schließlich einmal quer durch ganz Frankreich gefahren, um dieses Boot zu besichtigen. Wie ein erfahrener Skipper habe ich den Rumpf inspiziert, auf zwei oder drei Macken hingewiesen und so getan, als wäre ich in der Lage, kritische Punkte zu erkennen. Außerdem habe ich mir den Motor angehört, gecheckt, ob er verdreckt war, das Spiel des Ruderblatts überprüft, liebevoll den Mast getätschelt, die Segel entfaltet und die Beschläge kontrolliert.
Dann habe ich gesagt, um nach meinen Plänen auf große Fahrt zu gehen, würden bestimmt etliche Reparaturen anfallen, man müsste einige Teile austauschen, die Stabilität des Bootes begutachten lassen . Kurz, ich habe dick aufgetragen. Und dabei anscheinend gut verhandelt: Zum Schluss sind sie auf 29 000 runtergegangen. So war ich endlich Besitzer eines schönen Segelboots.
Ein paar Wochen später kehrte ich nach Martigues zurück, um das Boot zum ersten Mal zu Wasser zu lassen, drei Freunde im Schlepptau: Romain und zwei routinierte Seeleute, Kiki und Étienne. Zwar kann mir auf dem Wasser keiner etwas vormachen, solange es ums Surfen geht, aber wie man ein Segelboot steuert, davon hatte ich null Ahnung. Um die Loungta in die Nordbretagne zu bringen, brauchte ich daher unbedingt ihre Hilfe.
Die Wettervorhersage verhieß nichts Gutes, als wir Mitte Dezember ausliefen. Aber das konnte uns nicht schrecken - so würden wir das Boot zumindest unter realistischen Bedingungen testen können.
Von Martigues bis in die Bretagne ist es ein ziemliches Stück. Erst muss man an der spanischen Küste das Mittelmeer runter, dann einmal südlich um Gibraltar herum, anschließend geht es an ganz Portugal entlang nordwärts, ehe man die Biskaya durchquert. Mit zwei Zwischenstopps haben wir im Mittelmeer den Zauber des neuen Jahres genossen. Doch hinter Gibraltar begannen die Probleme. Kiki und Étienne mussten zurück nach Hause, daher gingen sie in Cádiz von Bord. Romain und ich spuckten große Töne, wir würden das schon allein hinkriegen, aber uns war nicht ganz wohl in unserer Haut.
Zehn Tage später erreichten wir nach einer extrem anstrengenden Segelfahrt Galicien und waren vollkommen erledigt. Das schlechte Wetter und unsere mangelnde Erfahrung waren eine gefährliche Kombination. Zwischendrin war es richtig kritisch geworden, und wir fürchteten schon, wir würden das Boot verlieren. Auf einmal war alles voll Wasser, und wir konnten das Leck nicht finden! Romain - genauso ahnungslos wie ich - rief: »Wir saufen ab, Guirec, wir saufen ab!« In Galicien sahen wir daher keine Möglichkeit mehr, die Fahrt fortzusetzen und den Golf von Biskaya zu durchqueren, der für seine heftigen Winde und mehrere Meter hohen Wellen berüchtigt ist. Wir waren total erschöpft, und außerdem war ich so gut wie pleite. Also beschlossen wir, das Boot vorübergehend in Spanien zu lassen und nach Hause zu fahren, er nach Annecy und ich nach Paris. Dort konnte ich bei Valentine, meiner älteren Schwester, wohnen. Weil ich dringend Geld brauchte, verdingte ich mich als Fensterverkäufer. Eine Kleinanzeige in Le Bon Coin brachte mich zu diesem Job. Dort stand: »Hilfe im Verkauf gesucht. Gute Bezahlung.« Das hatte mich sofort angesprochen. Bezahlt wurde nach Umsatz. Ich war so motiviert, dass ich schon bald der beste Verkäufer im ganzen Laden war. Bestimmt hätte ich es sogar geschafft, das Schloss von Versailles komplett neu verglasen zu lassen, wenn ich es nur versucht hätte.
Fünf Monate später hatte ich meine Bordkasse wieder aufgefüllt, und das schöne Wetter war auch zurückgekehrt. Mit einem Freund aus Kindertagen legte ich von Spanien ab, und am Ende schafften wir das Boot heil nach Yvinec.
Zum Glück konnte ich mich auf ihn verlassen, denn wir wurden ordentlich durchgeschüttelt. Obwohl es Sommer war, hatten wir Wellen von sechs Meter Höhe. Und ziemlich bald gab es Probleme mit der Batterie. In der Bretagne ging gar nichts mehr mit dem Motor, wir konnten nicht einmal mehr das GPS einschalten! Vor der Inselgruppe Sept-Îles, es war eine mondlose Nacht, hatten wir die Hosen gestrichen voll. Die Strömung war so stark, dass wir mehr abgetrieben wurden als vorwärtszukommen. Bei Tagesanbruch sahen wir, dass nur noch ein paar Zentimeter gefehlt hatten, und wir wären an den Klippen zerschellt. Flut, Wind und Strömungen trugen uns schließlich doch ostwärts zu meiner Insel, wo wir am Abend anlegten. Wir waren mehr als zufrieden, es geschafft zu haben, und warfen bei Yvinec direkt vor meinem Zuhause den Anker. Es war der 5. Juli. Ich war stolz und glücklich.
Yvinec ist der schönste Ort auf der Welt. Auf der Insel steht nur ein Haus, nämlich unseres. Das Festland ist nicht weit weg, gerade mal einen Kilometer, bei Ebbe kann man es trotzdem nicht zu Fuß erreichen, und bei Flut sind sowieso nur wir auf diesem Kiesel im weiten Meer. Von der fantastischen Landschaft rund um meine Insel kann ich nie genug bekommen. Die Szenerie ändert sich ständig mit den Gezeiten und den Jahreszeiten, genauso wie das Licht und das Geräusch der Wellen, die uns jeden Tag in den Schlaf wiegen. Von klein auf ist das Meer mein Spielplatz gewesen. Ich war bei Wind und Wetter draußen. Wir hatten mehrere Ruderboote, mit denen ich aufs Meer hinausfuhr und meine Reusen und Angeln auslegte. Um fünf Uhr früh stand ich auf und kehrte erst bei Sonnenuntergang zurück. Ich konnte mehr als zehn Stunden des Tages auf dem Wasser verbringen. Schon mit vier oder fünf Jahren baute ich mir Flöße aus Holzbrettern . Dazu sollte man erwähnen, dass ich einen Vater hatte, der mir voll und ganz vertraute. Natürlich hat man ihm oft vorgeworfen, er würde mir zu viel Freiheit lassen. Vor allem an stürmischen Tagen, wenn sonst keine Boote draußen waren, schimpften meine Schwestern: »Du bist komplett verrückt, er wird noch umkommen, und dann wirst du es dein ganzes Leben bereuen.« Doch er hörte nicht darauf und ließ mir weiterhin meinen Willen. Ich scherte mich den Teufel ums Wetter - wenn ich meine Hummerreusen einholen musste, kümmerte es mich nicht, wie sehr es stürmte. Ich war ja nie weit von der Küste entfernt, schlimmstenfalls hätte ich schwimmen müssen. Wenn ich nicht fischte, surfte ich - mit allem, was mir unterkam, Board, Surfsegel oder Kite -, oder ich trainierte Apnoetauchen. Ich hatte wohl so etwas wie eine Meeres-Hyperaktivität. Übrigens trug ich immer nur T-Shirt und Shorts und lief sommers wie winters barfuß rum. Man nannte mich den »kleinen Insulaner mit den nackten Füßen«. Wenn ich zum Arzt oder in den Supermarkt musste, erzählte ich oft, dass man mir die Schuhe geklaut hätte. Ich erinnere mich an einen Winter, der etwas strenger als andere war, da war Eis in meinem kleinen Boot und ich zerhackte es mit meiner Ferse. Ich sprang noch bei sieben Grad Celsius ins Wasser, nichts konnte mich aufhalten, weder Angst noch der Wind, noch die Kälte.
Yvinec hat mich ganz und gar geprägt. Meine Insel hat aus mir einen Einzelgänger gemacht, einen Meeresliebhaber, nein, einen Meeresbegeisterten. So einen, wie mein Vater einer war.
Nach der Scheidung von meiner Mutter beschloss er, auf Yvinec zu leben, das war ein Kindheitstraum von ihm gewesen. Er segelte...
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