Schweitzer Fachinformationen
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Eine von wahren Begebenheiten inspirierte Familiengeschichte aus Böhmen
Nach der dramatischen Vertreibung aus ihrer böhmischen Heimat Hohenfurth verschlägt es Erika und ihre Tante Mimi 1945 mittellos nach Wien, wo sie bei Verwandten unterkommen. In der Stadt hat niemand auf die "Ausländer" gewartet, doch Erika sucht fest entschlossen nach einer Anstellung, um ihren Traum von einem selbstbestimmten Leben zu verwirklichen. Bei einer Geburtstagsfeier lernt sie den schneidigen Studenten Erich kennen, und die beiden verlieben sich Hals über Kopf. Als Erich ihr einen Heiratsantrag macht, ist Erika im siebten Himmel - endlich scheint das Glück zum Greifen nahe. Doch schon bald zeigen sich erste Risse. Erich hat kein Verständnis für Erikas künstlerische Neigungen und ihren Freiheitsdrang. Als sich für sie die Möglichkeit eines Studiums bietet, kommt es zu einem folgenreichen Streit.
Fesselnd, warmherzig und mit großer Liebe für ihre Heldin Erika erzählt Gabriele Sonnberger, wie es war, als Sudetendeutsche nach dem Krieg eine neue Heimat zu finden. In atmosphärischen Bildern lässt sie eine bewegte Zeit lebendig werden - voller Sehnsucht und Hoffnung auf eine verheißungsvolle Zukunft
Die drei Wachsoldaten standen um eine rostige Metalltonne, in der sie ein Feuer gemacht hatten, und hielten ihre Handflächen gegen die flackernde Wärme.
»Morgen um die Zeit lass ich mir von wem anderen einheizen.« Ein anzügliches Grinsen legte zwei schief auseinanderstehende Vorderzähne frei. »Dann sind wir das deutsche Pack hoffentlich wieder los.«
»Jämmerlicher Haufen.« Der korpulente Mann neben ihm spuckte in die Flammen. Mit einem Zischen verdampfte die Flüssigkeit, während er den fleischigen Nacken tiefer in den aufgestellten Kragen zog. Schneeflocken stoben unter seiner unwirschen Handbewegung hoch und taumelten kurz im Feuerschein, bevor sie sich auflösten. »Ab ins Arbeitslager nach Kamenice mit ihnen.«
Der dritte schob seine Fellmütze eine Handbreit aus der Stirn und kratzte an einer schorfigen Narbe, die seinen Haaransatz gezackt wirken ließ. »Was machen wir eigentlich mit denen, die für nichts mehr zu gebrauchen sind.«
Die anderen beiden stimmten in sein derbes Lachen ein.
»Ab nach Terezín.« Der Zahnlückige schnalzte mit der Zunge. »Wo die Deutschen hingehören.«
Theresienstadt.
Eines der berüchtigten Konzentrationslager der Nazis.
Keiner der Soldaten bemerkte die geduckte Gestalt, die neben der Zeltwand mit der Dunkelheit der beginnenden Nacht verschmolz. Eine Hand gegen die Lippen gepresst, krümmte sie sich noch enger zusammen. Das Schwarz der schreckgeweiteten Pupillen spiegelte das gelbrote Züngeln der Flammen, bevor sie das Kinn zur Brust zog und eilig durch den frischen Schnee ins Lager zurückschlich.
»Wir müssen von hier verschwinden! Noch heute Nacht!«
Erika atmete keuchend, als drückte ihr etwas die Kehle ab. Eilig war sie über ausgestreckte Beine und abgelegte Bündel geklettert, hatte eine Entschuldigung gemurmelt, weil sie im Halbdunkel gegen zusammengerollte Körper stieß, und war vor Erschöpfung sturen Blicken ausgewichen, die ihr folgten, weil es unter dem flatternden Zeltdach sonst nichts zu sehen gab. Zwei Wagenkolonnen hatten sich in einer endlosen Fahrt durch eine feindselige Landschaft gepflügt. Vor einer Stunde hatten die Soldaten ihre menschliche Fracht an einem Platz abgeladen, der in seiner Kargheit noch abweisender wirkte als die Mienen, mit denen die Männer die Leute von den Pritschen trieben. Drei riesige Zelte waren in einem offenen Dreieck um eine unebene Fläche angeordnet. Mit Flüchen und Tritten waren die Menschen auf die provisorischen Unterkünfte verteilt worden, wo sie seither aneinandergedrückt auf etwas warteten, das sie nicht benennen konnten.
Endlich hatte Erika sich zu der Ecke durchgekämpft, die ihr und ihren Begleiterinnen zugewiesen worden war. Nach allem, was dieser grauenvolle Tag schon für sie bereitgehalten hatte, war es eigentlich unvorstellbar, dass es noch schlimmer kommen könnte. Doch was sie eben mitgehört hatte, setzte dem Wahnsinn die Krone auf. Nicht genug, dass sie von tschechischen Soldaten wie Schlachtvieh aus ihrem Zuhause vertrieben worden waren, sollten sie nun auch noch getrennt voneinander in Arbeitslagern eingesperrt werden - oder womöglich noch Schlimmeres. Ihr Zittern ließ sich auch nicht unter Kontrolle bringen, als sich zwei warme Arme um sie legten.
»Was ist denn los? Ich weiß, unsere Situation ist alles andere als angenehm. Aber deswegen können wir doch nicht einfach davonrennen. Wir wissen doch nicht einmal, wo wir hier sind. Beruhige dich erst einmal.«
Dora Schuster war von der wackligen Holzbank aufgesprungen. Wie Erika und ihre Tante Mimi war sie am Nachmittag auf einen der Pritschenwagen verladen worden, die auf dem Hauptplatz von Hohenfurth für den Abtransport der ausgewählten Bewohner bereitgestellt worden waren. Wie schon auf dem Lastwagen zog Dora nun Erika wieder zu sich unter ihren Mantel. »Meine Güte! Du bist ja tiefgefroren! Kein Wunder. Deine Bluse ist viel zu dünn für dieses Wetter.«
Jetzt schluchzte Erika auf, obwohl sie sich vorgenommen hatte, tapfer zu sein. Tante Mimis anhaltendes Weinen zerrte schon genug an ihren Nerven. Da wollte sie nicht zusätzlich Öl ins Feuer gießen. Aber ausgerechnet Doras Freundlichkeit brachte jetzt ihren Vorsatz zum Einsturz.
»Der Soldat, der uns abgeholt hat, hat mir meinen Mantel weggenommen. Weil ich meine Skischuhe nicht ausziehen wollte.« Stockend spie sie die Worte aus, während sie an sich herunterschaute. Wäre ihre Situation nicht so menschenverachtend gewesen, hätte sie lachen müssen. Ihre Füße steckten in den klobigen Skischuhen, während die nackten Arme und Beine aus der Sommerkleidung ragten, die sie am Morgen angezogen hatte, weil die Sonne gar so verlockend gelacht hatte. Sie konnte sich nicht daran erinnern, dass es zu Novemberbeginn jemals so warm gewesen wäre, seit sie 1929 mit fünf Jahren in den Böhmerwald gekommen war. Wie gewohnt war sie in die Apotheke gelaufen, hatte mit ihrem Chef und mit Emmi, ihrer besten Freundin, gewissenhaft ihre Arbeit erledigt. Alles war normal gewesen. Und keine zwölf Stunden später hockte sie mit ihrer Tante und einem Haufen weiterer trauriger Gestalten in einem Zeltlager im Nirgendwo, und sie alle hatten nichts mehr, außer dem, was sie am Leib trugen.
»Nicht einmal unsere Koffer durften wir behalten. Dabei wollte ich doch nur meine Papiere herausnehmen.« Jetzt rollten Tränen über Erikas Wangen. Dora zog sie noch fester an sich, doch die innere Kälte ließ sich nicht vertreiben.
»Deutsche brauchen keine Papiere«, hatte der Mann auf dem Laster gesagt und dabei gegrinst, als hätte er gerade einen besonders guten Einfall gehabt.
»Warum, sagst du, müssen wir hier weg?« Als wäre Tante Mimi eben erst aus einem tiefen Gedankengespinst erwacht, musterte sie ihre Ziehtochter mit wirrem Blick. »Du hast gesagt, wir müssen weg.«
Erika fixierte die Speichelblase, die sich in Tante Mimis Mundwinkel blähte, während die alte Frau weiter insistierte.
»Aber es ist dunkel und schneit wie verrückt.« Jetzt runzelte sie missbilligend die Stirn - gerade so, wie Erika es schon als Kind erlebt und sich gefürchtet hatte, weil die Tante nicht mit ihr zufrieden war.
»Als ich vorhin auf der Toilette war, habe ich zufällig die Wächter draußen vor dem Zelt belauscht. Morgen sollen wir alle auf Arbeitslager verteilt werden. Und die Alten und Kranken werden separat untergebracht.« Erika brachte es nicht übers Herz, den Namen des Lagers zu erwähnen, in das die Arbeitsunfähigen überführt werden sollten. Doch auch so reichte die Information, um die alte Frau aus ihrer Lethargie zu reißen.
»Mich steckt niemand in ein Lager! Da müssen sie mich schon totschlagen! Erika, du darfst nicht zulassen, dass wir getrennt werden!«
Hektisch presste Erika den Zeigefinger auf ihre Lippen. »Sei still! Oder willst du die Wachen auf uns aufmerksam machen?«
Dora kam ihr zu Hilfe.
»Frau Minich, bitte beruhigen Sie sich. Niemand wird Sie von Ihrer Nichte trennen. Wir finden eine Lösung. Versprochen.«
Gleichzeitig suchte sie Erikas Blick, und aus ihren Augen sprach bange Sorge. Sie beugte sich näher zu ihr, damit die Tante sie nicht hörte.
»Was unternehmen wir denn jetzt? Wir können doch nicht tatenlos abwarten, bis sie uns abtransportieren?« Rote Kreise machten ihre blassen Wangen fleckig, und der stoßweise Atem erzeugte kleine weiße Wölkchen, die in der kalten Luft noch lange ihre Form behielten, bis sie zum Zeltdach hochstrebten und sich in der Nacht verloren. »Mein Mann ist noch nicht aus dem Krieg zurück. Wie sollen wir uns finden, wenn ich in einem Lager bin?« Hektisch fuhr sie sich über die Augen.
Besorgt schaute Erika zum Zeltausgang, hinter dem sie die Soldaten wusste. Dann straffte sie die Schultern.
»Ich lass mir was einfallen.«
Eisnadeln stachen in ihre Haut, als sie den Ledervorhang einen Spaltbreit öffnete. Instinktiv zuckte sie zurück. Musste sie wirklich schon wieder in diese Schneewüste hinaus? Die Soldaten standen noch um den Feuerkorb. Ein raues Lachen verbündete sich mit der Kälte, die sie die Zähne aufeinanderschlagen ließ. Es half nichts. Entschlossen stemmte sie sich gegen den Schneesturm und schlüpfte ins Freie. Der Zaun um das Lager war in größter Eile errichtet worden. An mehreren Stellen wurde der Maschendraht nur notdürftig mit Metallklammern zusammengehalten. Unter Erikas steifen Fingern löste sich die erste - und gleich darauf sprangen auch die darüberliegenden aus der Verankerung. Das klaffende Loch musste reichen, um sich hindurchzuzwängen. Kaum wieder im Zelt, bedeutete Erika den beiden Frauen, ihr zu folgen. So unbeholfen, wie die Tante durch die Dunkelheit tappte, würde sie jeden Moment irgendjemandem auf die Füße treten. Aber sie konnte sie ja deswegen nicht hier zurücklassen.
»Bleibt beim Eingang und wartet auf mein Zeichen.«
Erika schlug das Herz bis zum Hals. Endlich drehten ihr die Männer den Rücken zu. Geduckt huschte sie zum hinteren Ende ihres Zelts. Von hier aus konnte sie gerade noch die beiden kauernden Frauen erkennen.
Gerade hatte der Untersetzte offenbar einen Witz gemacht, denn die anderen schlugen sich laut lachend auf die Schenkel.
Erika ruderte mit dem Arm. Die erste Gestalt löste sich aus ihrer dunklen Umgebung und folgte der Spur, die Erikas Skischuhe hinterlassen hatten. Gleich darauf hechtete Dora keuchend neben sie in den Schnee. Fast gleichzeitig war in die Gruppe ums Feuer Bewegung gekommen. Der Mann mit der Narbe stellte den Kragen hoch und warf seinen...
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