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Von einer unsterblichen Liebe, Abschieden und neuem Lebensmut - eine ungewöhnliche Reise nach Helgoland und auf die Orkney-Inseln
Während Simon bei der kleinsten Welle seekrank wird, hat seine Frau Anja das Meer immer geliebt. Nur ihm und den Kindern zuliebe gab sie ihren Traum, Meeresbiologin zu werden, einst auf. Nun ist Anja tot und Simon am Boden zerstört. Ein Jahr braucht er, bis er sich aufraffen kann, Anjas letzten Wunsch zu erfüllen, sie "nach Hause" zu bringen. Ohne seiner allzeit besorgten Tochter etwas zu verraten, reist Simon mit seiner resoluten Haushaltshilfe Milena nach Helgoland. Dort, wo er und Anja sich vor Jahrzehnten ineinander verliebten, soll seine Frau ihre letzte Ruhe finden. Doch irgendetwas sagt Simon, dass es noch nicht der richtige Ort ist, um sich endgültig von ihr zu verabschieden. Auf der Suche nach dem Warum reisen er und Milena weiter ...
An diesem scheinbar gewöhnlichen Mittwochvormittag während seines routinemäßigen Besuches im Düsseldorfer Aquazoo beschloss Simon Barsch, dass es an der Zeit war, den letzten Wunsch seiner Frau zu erfüllen. Ziemlich genau ein Jahr hatte er damit gewartet. Hatte es immer wieder aufgeschoben und sich Ausreden einfallen lassen. Einfach aus der Angst heraus, was danach sein würde. Ob es dann überhaupt noch Sinn für ihn hatte weiterzuleben. Doch all das änderte natürlich nichts daran, dass er es versprochen hatte. Und an diesem Mittwochvormittag passierte es, dass er endlich beschloss, sein Versprechen einzulösen.
Wie so oft war er kurz nach Einlass einer der ersten Besucher im Aquazoo. Sachte, mit zusammengebissenen Zähnen und auf seinen Gehstock gestützt, ließ er sich auf die Bank vor dem Südseeaquarium sinken, seinen Stammplatz. Er ließ den Atem strömen, streckte sein schlimmes Bein aus und kam langsam zur Ruhe. Er mochte es, wenn kaum Besucher im Aquarium waren. Das gedämpfte blaue Licht und die sphärischen Geräusche entspannten ihn. Im Bein war nur noch ein dumpfes Pochen. Er hatte es vorerst geschafft.
Der Südseetank war einer der Lieblingsorte seiner Frau gewesen. Er versuchte, alles mit ihren Augen zu sehen. Vor seiner Nase leuchtete die farbenfrohe Unterwasserwelt der Südsee. Durch das Wasser schwebten gelbe Kugelfische, bunt gemusterte Kaiserfische, fremdartige gepunktete Rochen und ihre Lieblinge, die gestreiften Rotfeuerfische mit den langen Flossenstrahlen, die sie wie Lumpensegel durchs Wasser zogen.
Die Fische im Tank bewegten sich wie in einer Choreographie. Fließend und sacht, wie eine Welle im Ozean, schwammen sie an ihm vorbei. Leise, stumm und meditativ. Simon Barsch atmete tief aus, ließ die fremdartige Welt auf sich wirken und hing dabei seinen Gedanken nach.
An der Scheibe tauchte ein Zitronenkugelfisch auf. Es war ein alter Bekannter, ein vorwitziges Kerlchen, das gerne die Besucher angaffte. Schwer zu sagen, wer dann wen beobachtete. Mit seinen Glubschaugen musterte der Fisch ihn, als wüsste er nicht, was von dem alten Mann zu halten wäre. Zumindest konnte man sich das einbilden.
Simon wollte schon mit dem Finger gegen die Scheibe klopfen, als ihm einfiel, dass man das ja gar nicht durfte. Er wedelte stattdessen mit der Hand vor dem Glas herum, doch der Fisch ließ sich nicht verscheuchen. Eine Stimme ertönte.
»Wie ich sehe, haben Sie Bekanntschaft mit Jutta gemacht.«
Simon sah auf. Eine der Tierpflegerinnen war neben ihm aufgetaucht und grinste breit. Sie war jung, höchstens vierzig, und trug einen sportlichen Pferdeschwanz.
»Wie bitte?«, fragte er irritiert. »Jutta?«
»So heißt Ihr kleiner Freund dort.«
»Sie meinen .«
»Der Kugelfisch.«
Er hatte die Pflegerin schon einige Male gesehen, meistens jedoch nur ihre Hände, die von dem unsichtbaren Arbeitsbereich oberhalb der Aquarien in einen Tank eintauchten, um ihn zu säubern oder Tiere zu füttern.
Das gelbe Kerlchen schwamm vor seinem Gesicht herum und beobachtete ihn.
»Er hat einen Namen?«
»Dieser schon. Er hat ihn gleich am ersten Tag bekommen, als er zu uns kam.«
Simon nahm das gelbe Wesen in Augenschein.
»Jutta . Ein seltsamer Name für einen Fisch.«
»Unsere damalige Chefin hieß Jutta. Und die guckte genauso in die Welt. Dösig und ein bisschen lahm.« Sie lachte auf. Ihr Lachen klang warm und freundlich. »Der arme Fisch! Unsere Chefin war alles andere als beliebt.« Sie legte den Finger an die Scheibe. »Hm, Jutta? Du bist uns nicht böse deshalb, oder?« Der Fisch schwamm dem Finger aufgeregt entgegen. »Du hast sonst nichts gemein mit deiner Namensvetterin. Das schwöre ich dir.«
»Sie sprechen nicht ernsthaft mit den Fischen?«
»Ich bin ja den ganzen Tag mit ihnen zusammen. Mit wem sollte ich sonst sprechen?«
»Aber sie verstehen Sie nicht. Die Fische, meine ich.«
Die Frau tat so, als spielte der Einwand keine Rolle.
»Ich kenne jeden einzelnen. Die meisten, seit sie auf der Welt sind. Die haben alle ihren eigenen Charakter. Das merkt man, wenn man lange mit ihnen zusammen ist. Einige sind gutmütig, andere verschlagen. Es gibt verspielte, träge, hinterlistige, traurige. Das ist wie bei uns Menschen. Keiner ist wie der andere.«
Die Pflegerin redete ja wie seine Frau! Anja hatte auch geglaubt, Meeresbewohner hätten ein eigenes Wesen. Eine Seele und einen Charakter. Dabei waren es doch nur Fische. Sie mochten ja lustig anzusehen sein, aber das war auch schon alles. Der gelbe Kugelfisch kreiste jenseits der Scheibe um den Finger der Pflegerin, als wollte er sich an ihn schmiegen. Ein merkwürdiges Bild.
Simon dachte über seine Frau nach.
»Aber Sie glauben nicht wirklich, dass Sie mit den Fischen in Kontakt treten können?«, fragte er.
»Das tue ich den ganzen Tag. Sie kennen mich genauso, wie ich sie kenne. Für mich ist das eine komische Frage.«
Sie betrachtete ihn eingehend.
»Ich hab Sie schon öfter gesehen. Sie kommen immer als einer der Ersten. Gleich wenn wir aufmachen. Lassen Sie mich raten: Sie sind im Ruhestand und haben endlich Zeit, regelmäßig in den Aquazoo zu kommen. Sie lieben das Meer, nicht wahr?«
Nun war er es, der laut lachte. Was für eine Idee.
»Nein. Ich liebe die Berge. Die Berge und das Wandern. Ich liebe meine Wildblumen. Gämsen und Steinadler. Meine Frau ist es, die das Meer liebt.«
Liebte, korrigierte er sich. Vergangenheitsform. Sie liebte das Meer. Er würde sich nie daran gewöhnen. Sein Lachen gefror, mit der Hand umklammerte er den Stock.
»Wo ist sie dann?«, fragte die Tierpflegerin. »Bringen Sie sie nicht mit?«
Simon wandte sich räuspernd ab. Fixierte den Tank.
»Sie arbeiten mit Strömungspumpen, sehe ich. So schafft man Bedingungen wie in einem Ozean.«
»Ja, das stimmt.«
»Ich denke, fürs heimische Aquarium gibt es so was nicht, oder?«
»Doch, das gibt es schon. Unsere sind leistungsfähiger. Aber theoretisch kann man das auch zu Hause machen.«
»Verstehe. Interessant.«
Dass die Pflegerin ihn durchschaut hatte, erkannte er an ihren Augen. Sie wusste, was los war. Er war nicht gut darin, sich zu verstellen. Doch was hätte er sonst sagen sollen? Die Wahrheit etwa? Das war unmöglich. Also sagte er lieber nichts.
»Wir haben einen Neuzugang«, meinte die Pflegerin. »Den kennen Sie nicht, darauf wette ich. Kommen Sie. Ich mache Sie miteinander bekannt.«
»Aber müssen Sie denn nicht zurück an Ihre Arbeit?«
»Ach, so viel Zeit habe ich. Kommen Sie schon. Er ist im Süßwassertank, bei den Tieren aus dem Amazonasbecken.«
Mühsam erhob er sich. Sein Bein schmerzte, doch es war schon besser als vorhin. Die Pflegerin trat diskret zurück und wartete, ob er Hilfe brauchte. Er schaffte es allein. Es war nicht weit bis zu dem Aquarium, in dem die Amazonasfische schwammen.
Es liegt am Wetterumschwung, dachte er, dann sind die Schmerzen immer am schlimmsten. Das Ganze verdankte er dem Unfall vor vier Jahren. Ein Auto hatte ihn an einem Fußgängerweg seitlich erwischt. Die meisten Brüche waren wieder verheilt, manchmal konnte er fast normal gehen, doch wenn das Wetter umschlug, so wie heute, würde er sich das Bein am liebsten mit Stumpf und Stiel rausreißen.
»Was sind denn die Lieblingsfische Ihrer Frau?«, fragte die Pflegerin.
»Sie liebt einfach alles, was im Meer rumschwimmt. Ich würde sagen, Hauptsache, es ist ein Fisch. Jeder Meeresbewohner hat einen Platz in ihrem Herzen. Fragen Sie mich nicht, weshalb, aber das war schon immer so.«
Auf gewisse Weise, dachte er jetzt, war Anja ebenfalls wie das Meer. Ihr Wesen war fließend, so wie das Wasser. Weich und offen. Sanft, rauschend und mühelos.
Seltsam, dass ihm das nicht eher aufgefallen war.
»Ich finde Ihre Frau schon jetzt sympathisch«, lachte die Pflegerin. »Ich liebe auch alles, was mit dem Meer zu tun hat. Das ist ganz normal für mich.«
»Sie hat zu Robben geforscht. In ihrem Studium.«
Sie wandte sich erstaunt um. »Ist das wahr?«
»Das war Anfang der Siebziger. Sie hat Meeresbiologie studiert. Robben waren ihr Spezialgebiet. Sie hat ihre Examensarbeit über den Robbenschutz geschrieben.«
»Dann ist Ihre Frau eine Kollegin? In welchem Bereich hat sie gearbeitet?«
»Wir . wir haben geheiratet, nach ihrem Studium. Und dann kamen schon die Kinder.«
Er war verlegen. Er hörte ja selbst, wie das in den Ohren einer modernen Frau klingen musste.
»Später hat sie als Biologielehrerin gearbeitet«, verteidigte er sich. »Das hat ihr gefallen, den Kindern die Natur nahezubringen.«
Die Pflegerin schenkte ihm ein mysteriöses Lächeln, das er nicht deuten konnte.
»Da vorn«, wies sie die Richtung. »Sehen Sie ihn? Der grüne Barsch? Ein Prachtexemplar, finden Sie nicht?«
Wie auf Zuruf schwebte ein mächtiger Fisch an der Scheibe vorüber, mit grün gestreiftem Leib und orangefarbenen Flossen, mit großem Maul und tiefliegenden Augen. Ein ziemliches Ungetüm.
»Das ist ein Humboldt-Kammbarsch«, erklärte sie. »Er gehört zur Familie der Buntbarsche und kommt im nördlichen Amazonasbecken vor.«
Der Fisch zog in gleichmäßigem Tempo seine Bahnen, ohne sie zu bemerken.
»Er würdigt uns keines Blickes«, lachte sie. »Das ist typisch für ihn.«
»Weshalb ist das typisch?«
»Wir gaffenden Menschen, wir sind unter seinem...
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