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Der schonungslos ehrliche Erfahrungsbericht aus 15 Jahren Dienst bei der Bundespolizei
Als Beamter der Bundespolizei riskierte er für die Sicherheit der Gesellschaft Gesundheit und Leben, sah sich mit unzähligen Straftätern und zu vielen unlösbaren moralischen Konflikten konfrontiert. Täglich setzte er sich mit den Menschen auseinander, die unerlaubt nach Deutschland einreisten. Kein wirklicher Schutz für Schutzbedürftige, kein funktionierender Umgang mit den illegal Eingereisten, verzerrte Berichterstattung in der Presse und die frappierende Diskrepanz zwischen politischem Anspruch und polizeilicher Realität: Die Folgen von Richtungslosigkeit und gravierenden Fehlern in der Migrations- und Integrationspolitik Deutschlands bestimmten seinen Alltag. Bis es zu viel wurde. Jan Solwyn quittierte nach 15 Jahren desillusioniert von der Politik den Dienst. Jetzt liefert er einen schonungslos ehrlichen Bericht.
"Es sind vor allem die Reportageelemente, die das Buch so lesenswert machen, Erzählungen [...], die dem Leser eine seltene Perspektive auf das Thema Asylmigration bieten."
September 2015, Gleis 11 des Dortmunder Hauptbahnhofs, ca. 14 Uhr. Meine damalige Frau und ich hatten für einige Tage unsere Familien in unserer Heimatstadt in Westfalen besucht und uns dann auf den Rückweg nach Köln gemacht. In etwa 15 Metern Entfernung vernahm ich plötzlich eine laute Stimme: »Lass mich in Ruhe! Ich ruf' die Polizei!«
Eine brünette Frau, ca. Mitte 30, versuchte, sich durch den Einsatz ihrer Stimme und entsprechender Gesten einen Mann vom Leib zu halten. Er war dunkelhäutig, ich vermutete, dass er aus Ostafrika stammte. Der Bahnsteig war nicht sonderlich voll, es herrschte kein Berufsverkehr. Einige Menschen standen in unmittelbarer Nähe des Geschehens; ein paar sahen zu, die meisten taten so, als würden sie die Auseinandersetzung nicht bemerken. Meine Frau spürte, dass die Szene meine Aufmerksamkeit auf sich zog, und legte ihre Hand auf meine Schulter.
»Können wir bitte einfach nach Hause fahren? Das ist nicht deine Angelegenheit.«
»Du hast ja recht«, seufzte ich, »und ehrlich gesagt, brauch ich nach den vergangenen Wochen auch echt mal 'ne Pause.«
Plötzlich wandte sich der Mann von der Frau ab, machte ein paar ungelenk wirkende Schritte auf einen Mann mittleren Alters zu, der die Szene aus nächster Nähe beobachtet hatte, und stellte sich Nase an Nase vor ihn. Offenbar wechselten sie ein paar Worte, aufgrund der Entfernung konnte ich jedoch nicht verstehen, was sie sagten. Der andere Mann streckte die Arme mit geöffneten Handflächen neben seinen Kopf, drehte sich kopfschüttelnd um und entfernte sich schnellen Schrittes. Während sich die meisten umstehenden Personen von der Szenerie zurückgezogen hatten, war ich instinktiv einige Meter in Richtung des Geschehens gerückt. Ich vernahm noch die Stimme meiner Frau: »Lass uns hier weggehen«, als der Delinquent offenbar bemerkt hatte, dass mein Blick ihn fixierte.
Er wandte sich nun mir zu, wobei ich bemerkte, dass er stark schwankte. Er stand offenbar unter erheblichem Alkoholeinfluss. Er war etwa 1,75 groß, sehr schlank, fast hager, ich schätzte ihn auf ca. 20 Jahre. Nach fast sechs Jahren im Polizeidienst und entsprechend häufigem Kontakt mit Asylbewerbern aus Afrika war ich imstande, Menschen mit einer ziemlich geringen Fehlerquote anhand ihres Aussehens geografisch zu verorten. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit handelte es sich um einen Somali oder einen Eritreer. Im Augenwinkel sah ich, wie die umstehenden Menschen nun alle gebannt in meine Richtung starrten.
Ich bin 1,85 groß und muss in der Rückschau ein wenig nostalgisch feststellen, dass ich im Sommer 2015 auf dem Höhepunkt meiner körperlichen Leistungsfähigkeit war, was man auch durch meine offen getragene schwarze Lederjacke erahnen konnte. Ich sah definitiv nicht aus wie jemand, mit dem man sich zum Spaß anlegen würde. Das war auch mir selbst bewusst, und irgendwie hoffte ich, dass mein Erscheinungsbild ihn davon abhalten würde, mit mir Streit zu suchen.
Demonstrativ blickte ich auf mein Handy und tippte darauf herum in der Hoffnung, dass er einfach weitergehen und mich in Ruhe lassen würde. Doch mein Plan ging nicht auf. Er blieb genau vor mir stehen, und eine schwere Alkoholfahne schlug mir entgegen.
»Was los?«, nuschelte er mir ins Gesicht.
Ich löste meinen Blick vom Handy und schaute ihn mit möglichst neutralem Gesichtsausdruck an.
»Nichts«, antwortete ich. »Haben wir ein Problem?«
»Was Problem?« Er machte eine Kopfbewegung in meine Richtung.
»Ob du ein Problem hast«, fragte ich nun mit deutlich lauterer Stimme.
»Was Problem?« Er kam mir zentimeterweise näher, sodass unsere Nasen sich fast berührten.
Ich rührte mich nicht von der Stelle und blickte ihm in seine geröteten Augen. Meine rechte Hand ließ mein Handy in die Hosentasche gleiten. Er war für meinen Geschmack eindeutig zu weit in meine persönliche Sphäre vorgedrungen, und ich schob ihn mit der linken Hand von mir weg. Er versuchte im Gegenzug, meinen Arm zu greifen, woraufhin ich ihm einen ordentlichen Impuls mit der offenen rechten Hand vor die Brust gab. Ein nicht alkoholisierter Mensch seiner Gewichtsklasse wäre vermutlich einen halben Meter zurückgestoßen worden, aufgrund seines Zustandes fiel er jedoch ziemlich ungeschickt rückwärts zu Boden. Ich sah im Hintergrund unser gesamtes »Publikum« an Bahnreisenden mittlerweile in gebührendem Sicherheitsabstand versammelt. Na klasse, genau das, was ich vermeiden wollte ., dachte ich.
Zwei Handlungsoptionen schossen mir durch den Kopf. Erste Möglichkeit: Ich gebe mich als Polizeibeamter zu erkennen und nehme ihn vorläufig fest. Unsere Bahnfahrt nach Köln wäre damit mindestens für die kommende Stunde gestorben. Zweite Möglichkeit: Ich hoffte, dass der Sturz ihn dazu bewog, wenigstens hier und heute keinen Streit mehr zu suchen. Ich würde mich mit meiner Frau, die die Szene konsterniert aus nächster Nähe beobachtete, schnell zum anderen Ende des Bahnsteigs begeben und hoffen, dass der RE1 pünktlich käme.
Ich entschied mich für Letzteres.
Ein nicht unwesentliches Argument dafür war meine Schulterverletzung. Etwa eine Woche zuvor hatte ich mir eine Tossy-Verletzung im rechten Schultereckgelenk zugezogen, und zudem kämpfte ich mit einer entzündeten Bizepssehne im selben Arm. Meine Schulter schmerzte schon im Ruhezustand, und mein gesamter Arm war in seiner Beweglichkeit eingeschränkt. Schon allein deshalb konnte ich mir eine Festnahme mit Widerstand nicht leisten. Gerade betrunkene und unter Drogeneinfluss stehende Menschen haben zwar meistens eine eingeschränkte Koordination und Reaktion und sind somit leicht zu Boden zu bringen, dafür haben sie aber ein erheblich eingeschränktes Schmerzempfinden und dazu eine erstaunliche rohe Körperkraft.
Der Mann hatte sich mittlerweile wieder aufgerappelt. Ich vermittelte ihm mit Stimme und Gesten, dass er ruhig bleiben solle, und nahm die Hand meiner Frau, um schnell zum anderen Ende des Bahnsteigs zu gehen. Als wir uns gerade in Bewegung setzen wollten, tat er einen Sprung auf mich zu und versuchte, mich mit seinem Kopf auf Brust- oder Bauchhöhe zu treffen. Ich ließ die Hand meiner Frau los und umfasste mit meinem linken Arm seinen Hals, während er versuchte, mich mit ungezielten Faustschlägen zu treffen. Dann riss ich ihn mit beiden Händen mit mir zu Boden, wobei wir unsanft aufschlugen und uns ineinander verkeilten. Gegen seinen erheblichen Widerstand schaffte ich es, ihn auf dem Bauch liegend zu fixieren, zog meinen Dienstausweis aus der Hosentasche, hielt ihn ihm vor die Nase und schrie ihn an: »Polizei! Police!«
Er schrie unbeeindruckt zurück: »Was Problem? Fuck you! Scheiße Polizei!«
Ich richtete ihn im Transportgriff auf und ging so schnell ich konnte mit ihm Richtung Abgang zum Bahnhofstunnel. Dabei kamen wir an einem ca. 45-jährigen Mann vorbei, der lautstark die umstehenden Passanten anschrie: »Hier wird ein Ausländer angegriffen und ihr steht hier nur rum! Rassismus! Warum hilft ihm denn keiner?«
Als hätte ich es nicht geahnt, dass genau so etwas passieren würde! Ich war heilfroh, als ich endlich vom Gleis in den Bahnhofstunnel abtauchte und mir zwei Mitarbeiter der DB-Sicherheit entgegenkamen, denen ich zurief, dass ich Polizeibeamter bin. Sie legten dem Delinquenten Handfesseln an und halfen mir, ihn zur Wache am Haupteingang zu verbringen. Meine Frau kam in einigem Abstand mit unseren Koffern hinterher.
Auf der Wache angekommen, konnte er identifiziert werden. Ich hatte mich nicht getäuscht, es handelte sich um einen nach eigenen Angaben 18-jährigen Eritreer, der im Herbst 2013 mit einem gefälschten französischen Reisepass ins Bundesgebiet eingereist war und im November 2013 einen Asylantrag gestellt hatte. Gemeldet war er in einer Unterkunft für Asylbewerber in Gevelsberg (ca. 35 Kilometer südlich von Dortmund). Seit seiner Einreise war er bereits mehrfach wegen Gewalt- und Eigentumsdelikten straffällig geworden. Ein durchgeführter Atemalkoholtest ergab 2,16 Promille. Weiterhin fragten die Kollegen mich sofort, ob ich gekratzt, gebissen oder angespuckt worden sei, da er laut Personaldaten an ansteckenden Krankheiten leide. Glücklicherweise konnte ich das nach einer kurzen Überprüfung meiner Haut an exponierten Stellen verneinen.
Während ich mit dem diensthabenden Gruppenleiter die Formalitäten besprach, hörte ich, wie es in der Gewahrsamszelle nebenan mehrfach zu heftigen körperlichen Auseinandersetzungen zwischen dem Eritreer und den Kollegen kam. Im Bericht konnte ich später lesen, dass er versucht hatte, die Zellentür einzutreten und die herbeieilenden Beamten körperlich anzugreifen. Bereits zu diesem Zeitpunkt, während mein Adrenalinpegel langsam wieder auf Normalniveau sank, merkte ich, dass meine rechte Schulter höllisch zu schmerzen begann. Mir war klar, dass sich die bestehende Verletzung bei der Festnahme verschlimmert hatte.
Mein erster Gedanke, als ich endlich in den Zug nach Köln einstieg, war bezeichnenderweise, dass ich mir große Sorgen machte, ob jemand den Vorfall mit seinem Handy gefilmt hatte. In dem Fall wäre die Wahrscheinlichkeit nicht gering, dass ich der ungewollte Protagonist des Videos »Deutscher in Lederjacke verprügelt afrikanischen Flüchtling am Bahnhof« auf YouTube und Facebook werden würde. Bei dem Gedanken wurde mir schlecht. Zu meinem Glück ist der Fall nie einer breiteren Öffentlichkeit bekannt geworden.
Ich habe den Delinquenten seit diesem Tag nie wiedergesehen, weiß jedoch durch das polizeiliche Fahndungssystem INPOL, dass er in den folgenden Jahren regelmäßig in mehreren...
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