Schweitzer Fachinformationen
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Wie man die Welt sieht, hängt von dem ab, was man in ihr tun kann. Unser Handeln ist von Vorstellung en geprägt - den Gerüsten, die uns die Welt verständlich machen. Jedenfalls denke ich das seit Langem und habe deshalb in meinen Veröffentlichungen der letzten Jahrzehnte nicht nur einfach meine Ansichten dargelegt, sondern auch versucht, ein Rüstzeug anzubieten für alle, die über Geschichte, Macht, gesellschaftlichen Wandel und das Mögliche nachdenken. Genau das ist mein Anliegen mit diesen Essays, und während ich sie zusammenstellte, wurde mir klar, wie sehr meine Überzeugung - oder mein Arsenal - auch eine große Feier des Umwegs ist.
Wobei ich gegen das Simple, Unmittelbare, Offensichtliche, das Geradlinige und Vorhersagbare überhaupt nichts habe. Aber ich denke, dass vieles, womit wir konfrontiert sind und das wir erreichen wollen, die Hinwendung zu seinem Gegenteil, zumindest aber die Anerkennung seines Gegenteils erfordert. Deshalb bin ich die langen Wege nachgegangen, die in Veränderung münden, den häufig vergessenen Ereignissen und Ideen, die zu einem Umbruch, einem Durchbruch oder einer Revolution geführt haben, sowie den oft übersehenen, erst später zutage tretenden mittelbaren Folgen davon. Ich finde es großartig, wenn Bewegungen, die ihr erklärtes Ziel nicht erreichen, immerhin etwas bewirken oder anstoßen können, das manchmal genauso wichtig oder sogar wichtiger als das ursprüngliche Vorhaben ist. Und mir ist aufgefallen, dass Bewegungen auf dem langen Weg zum Sieg oft den Vorwurf zu hören bekommen, sie seien gescheitert, der Sieg dann aber doch eintritt.
Was das Siegen betrifft, so kann ich den «Erfolg ohne Sieg», wie Jules Lobel vom Center for Constitutional Rights das Phänomen nennt, nur begrüßen: Klagen, die zwar vor Gericht gescheitert sind, aber als Teil größerer Menschenrechtskampagnen die jeweilige Sache voranbringen. Ich habe die Langsamkeit, die Geduld, die Beharrlichkeit und die langfristige Sicht schätzen gelernt, weil sie wichtige Werkzeuge sind, mit denen man die Welt verändern oder sogar verstehen kann. Und ich bin zu einer Erzählerin geworden, die Beispiele für die Wirkung dieser Werkzeuge aufspürt, weil wir die Erzählung ändern und Erzählungen niederreißen müssen, denen wir in die Falle gegangen sind, um dann solche zu suchen, die zu unserer jeweiligen Realität passen, wenn wir unsere eigenen Kräfte und Möglichkeiten entdecken wollen.
Außerdem finde ich Kompliziertes schön. Finde es schön, den mühsamen Wegen zu folgen, die man zurücklegen muss, bis etwas Wirkung zeigt. Das verschachtelte Gefüge von Zusammenhang und Ursache zu betrachten. Die Kraft beharrlicher Geduld und langfristiger Sicht zu erleben. Zu begreifen, dass Veränderung oft in der Peripherie und mit Bewegungen und klugen Köpfen beginnt, die zuvor als unbedeutend abgetan worden sind, auch wenn der Wandel im Fortschreiten häufig zur Mitte hinrückt und seine Reise im Scheinwerferlicht beendet, das die Zentren der Macht bestrahlt. Finde es schön zu wissen, wie sehr Kultur - die meinem Verständnis nach tief im Untergrund unserer kollektiven Weltanschauungen wirkt - die Oberfläche formt, auf der sich Politik abspielt. Finde es schön und freue mich, dass eine Handlung auch dann enorm wichtig sein kann, wenn wir im Moment des Handelns noch gar nicht wissen, in welcher Hinsicht und weshalb (und dass der Wert solchen Tuns vielleicht erst Jahrzehnte oder ganze Menschenalter später ermessen werden kann, weil manche Bücher, Handlungen oder Ideen Geschenke an eine Nachwelt sind, die sich die Schenkenden gar nicht vorstellen konnten). Finde es schön, die kleinen Ereignisse - Begegnungen, Zufälle, Epiphanien - wertzuschätzen, die oft tiefgreifende Folgen haben. Die Wörter kurzsichtig und unausweichlich sind gängige Begriffe; ich hätte gern das Wort langsichtig für die Fähigkeit zu sehen, wie im Lauf der Zeit Muster entstehen, und, sagen wir, das Wort ausweichbar als Gegenteil von unausweichlich.
Apropos Ausweichbarkeit: Ich schätze die Unvorhersehbarkeit als die Kehrseite der Möglichkeit - wenn man schon weiß, was passieren wird, ist nichts weiter beziehungsweise nichts anderes möglich, was oft zu Rückzug und Passivität führt. Doch in den meisten Fällen weiß man es eben nicht; die Ausrufung von Unausweichlichkeit ist meistens eine falsche Prophezeiung. Hoffnung ist in diesem Sinn schlicht die Erkenntnis, dass die Ungewissheit eventuell Raum dafür lässt, sich zu den besten Möglichkeiten hin- und von den schlechtesten wegzubewegen, dass die Zukunft, anders, als ihr oft angedichtet wird, eben kein bereits existierender Ort ist, zu dem wir uns hinschleppen, sondern einer, den wir mit unseren Handlungen - oder oder unserem Nichtstun - in der Gegenwart erst erschaffen. Genauer gesagt besteht Hoffnung aus dieser Erkenntnis sowie der Bereitschaft, auf die besseren Möglichkeiten innerhalb des Spielraums des Ungewissen, des noch nicht Geschaffenen hinzuarbeiten. Mit den Worten Audre Lordes: «Nicht an der Gestaltung der Zukunft teilzuhaben bedeutet, sie aufzugeben. Lasst euch nicht zu Passivität verleiten, weder von einem falschen Gefühl der Sicherheit () noch von Resignation (). Jede von uns muss für sich herausfinden, was zu tun ist.»
Das Unbehagen an der Ungewissheit manifestiert sich als Fatalismus, Pessimismus, Untergangserwartung, Verzweiflung - manchmal aber auch als Optimismus -, wenn es so tut, als wüssten wir genau, was geschehen wird. Es reduziert die Unermesslichkeit des Unbekannten auf das Bekannte, auf die falsche Gewissheit, die vorgibt zu wissen, um ignorieren zu können, dass sie nichts weiß. Das Wahrscheinliche trifft zwar oft ein, das Unwahrscheinliche aber immerhin noch so häufig, dass wir es nicht ausblenden dürfen. Was im Rückblick offensichtlich, vorhersehbar, unausweichlich erscheint, galt zuvor oft als unwahrscheinlich oder unmöglich. Die genaue Erinnerung daran hilft, auch beim nächsten Mal etwas angeblich Unmögliches anzupacken. Falsches (oder gar nicht erst stattfindendes) Erinnern dagegen bringt uns im Umgang mit der Zukunft nicht weiter.
Die Erinnerung ist vor allem dann eine Kraft, wenn sie die großen Muster, den sich langsam vollziehenden Wandel erkennt, während gezieltes Vergessen und Amnesie von Schwäche zeugen. Gespräche zwischen den Generationen, historische Kenntnisse und die gewohnheitsmäßige Suche nach Kontext tragen zu dieser Kraft bei. Howard Zinn, der große Historiker des Möglichen, sagte in diesem Zusammenhang Folgendes: «Wir neigen zu der Annahme, dass es so, wie es ist, bleiben wird. Wir vergessen, wie oft es schon vorkam, dass uns der plötzlich einsetzende Zerfall von Institutionen, ein verblüffendes Umdenken, unerwartet ausbrechende Aufstände gegen Tyranneien, der rapide Zusammenbruch vermeintlich unbezwingbarer Machtstrukturen überrascht haben. An der Geschichte der letzten hundert Jahre springt vor allem ihre absolute Unvorhersehbarkeit ins Auge.» Ich suche andere Sichtweisen, würdige die Wege, die von Ideen eingeschlagen werden, und hebe hervor, dass Hoffnung fast immer auf dem Erinnern gründet, weil man die Zukunft nicht sehen, aber Muster und Möglichkeiten verstehen kann, wenn man die Vergangenheit kennt.
Ich habe Veränderungen in der Gesellschaft, in Politik und Wissenschaft erlebt, die in meiner Jugend nicht nur als unwahrscheinlich gegolten hätten, sondern geradezu unvorstellbar gewesen wären, und weiß von vielen solcher Veränderungen, weil ich eine gewissenhafte Geschichtsschülerin bin. In der Welt, in der wir leben, geht es so turbulent zu, wie es sich kaum ein Science-Fiction-Roman erdenken konnte (zwar weniger Raketenrucksäcke, dafür mehr geschlechtliche Vielfalt, weniger Raumfahrt, dafür mehr Raum für andere Möglichkeiten des Menschseins, für andere Fragen danach, wer und was wichtig ist). Ich teile mittlerweile Howard Zinns Sichtweise, wonach die Zukunft zwar ungewiss ist, die Vergangenheit aber erkennen lässt, dass ganz normale Leute weltverändernde Kampagnen gestartet haben, von denen viele unvorhersehbar gewesen waren. Die zunächst unscheinbar wirkenden Bewegungen, die 1989 die autoritären Regime in Osteuropa stürzten, überraschten sogar die Beteiligten selbst. Niemand sah im vergangenen Jahrtausend voraus, dass indigene Völker auf dem amerikanischen Kontinent Einfluss und Sichtbarkeit zurückgewinnen, ihre Rechte und die Geltung ihrer Weltbilder weitgehend anerkannt würden. Dass wir von Bewegungen früherer Jahrzehnte profitieren und sich diese Bewegungen entsprechend ihren zunehmenden Einsichten verändert haben, zeigt, dass der Prozess andauert und wir ohnehin immer mitten in der Sache stecken.
Das Unbehagen an zeitweiliger Ungewissheit, das sich als falsche Gewissheit in Bezug auf die Zukunft äußert, hat, wie mir inzwischen klar ist, sein Pendant im Unbehagen an Ambiguität, Komplexität, Widersprüchlichkeit und Undurchsichtigkeit, das als Drang zutage tritt, die Realität in luftdichte Kategorien zu stopfen. Kategorien lassen sich nicht vermeiden - die Sprache selbst besteht daraus -, doch man sollte zugestehen, dass sie durchlässig und begrenzt sind. Manchmal verdeutlicht man das Wesen einer Sache, indem man ihr ein Etikett anheftet oder sie mit etwas anderem vergleicht. Allerdings kann es dadurch auch undeutlicher werden, weil die Unterschiede ebenfalls wichtig sind und durch die Etikettierung oder den Vergleich verloren gehen oder weil...
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