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gonosznak látszott, pedig csak öreg volt[1]
ANNA T. SZABÓ
Die Finsternis war violett und flirrend, opak, granatrot und blau zugleich, summend, gesprenkelt, blind, dicht, tief und doch voller Glanz. Sie wimmelte von kleinem Getier, Zweigen, Zittern, Adern, helleren Stellen. Die Flecken, kaum zu unterscheiden, waren die bauchigen Wände und die Decke eines Zimmers, ein Bett, ein Nachttisch, eine Kommode, eine Tür und ein Fenster. Die Dunkelheit knisterte. Regte sich, murmelte. Schnarchte. Es war ein nasales, dumpfes und raues Schnarchen. Knarrend, würgend und röchelnd. Die Quelle dieser Geräusche war das Bett, die Gestalt, die darin schlief. Eine massige alte Frau. Bernadeta. Sie hatte die Augen geschlossen, ihre wimpernlosen Eidechsenlider, und den Mund geöffnet, die Lippen lila und feucht, die langen fettigen Haare über das Kissen gebreitet. Sie war hässlich. Das jedenfalls fand die andere Frau, Margarida, die neben ihr auf einem Rohrstuhl saß, die Hände im Schoß gefaltet, und Däumchen drehte.
Bernadeta, im Bett, holte stockend Luft, das heisere Schnarchen brach ab, und sie hörte auf zu atmen. Draußen ertönte der Schrei einer Eule, dann Stille. Margarida hielt die Daumenmühle an. Sie reckte den Hals, beobachtete die Alte und dachte für einen Moment, es sei so weit. Dass die Zeit gekommen war. Doch Bernadetas dunkler Kehle entrang sich ein Seufzer, sie schöpfte Atem und begann von neuem. Und Margarida lehnte sich wieder auf ihrem Stuhl zurück und ließ weiter die Finger kreisen. Sie war eine magere Greisin mit einem Spatzenkopf, strengen Augen, hartem Mund, schlaffen Wangen, dürrem Hals und gebeugtem Rücken. Und sie betete. Die ganze Nacht betete sie, die arme Margarida. Denn der Herr gebot, Fürbitte zu leisten und Fürbitte zu verlangen. Da Margarida auf die Fürbitte anderer aber nicht zählen konnte, weil die Zunge ihrer Verwandten, sofern sie eine besaßen, ein Klumpen war, von dem nichts Gutes zu erwarten war, betete sie selbst. In der Hoffnung, dass Gott, wenn sie genug betete, sie früher oder später erhören würde. Und sie unter all den Sünden und all den Sünderinnen herauskennen würde. Er würde sie in seine väterlichen Arme schließen und sagen, dass er sie niemals hätte im Stich lassen dürfen, »Töchterlein«, dass Margarida fromm und gut und ihr alles vergeben sei. Was sie getan hatte und was die anderen getan hatten.
Zuerst betete sie für die, die nicht da waren. Für die, die gegangen und nicht wiedergekommen waren. Für ihren Mann Francesc. Für ihre Söhne Bartomeu, Esteve und Guilla. Und für ihren Vater Bernadí. Für Martí den Schmuser und Martí den Lahmen betete sie nicht, weil sie mit denen nichts zu schaffen hatte. Danach für die Frauen des Hauses. Für ihre Mutter Joana, obwohl die gemein war, und für ihre Schwester Blanca, obwohl die nicht bei Trost war. Für ihre Nichte Àngela, auch wenn es Verschwendung war, für Àngela zu beten, und für ihre Urgroßnichte Dolça, auch wenn Dolça in der Hölle schmoren und man sie unter den Steinen schreien hören müsste, weil sie das Kind ihres Vaters war. Und sogar für Elisabet betete sie, obwohl die nicht einmal zur Familie gehörte, aber jedes für Elisabet gebetete Vaterunser zählte dreifach. Für Bernadeta betete sie auch. Doch vor allem ließ sie die Alte, die schlief wie eine vom Baum gefallene faule Frucht, nicht aus den Augen. Denn wenn Bernadeta starb, wollte Margarida dabei sein. Und sie wollte es mitansehen. Sie wollte zusehen, wie Bernadeta die göttliche Gunst und Erlösung versagt wurden, weil sie sich so oft mit dem Teufel eingelassen hatte.
Margarida hatte den Tod freudig erwartet. Ihren eigenen. Sie hatte sich ihr Hinscheiden als leuchtende Explosion vorgestellt, als ein glorreiches Erschauern, eine unendliche Lust, eine atemberaubende Ekstase zum Klang der Lauten und Trompeten einer Heerschar von Engeln. Halleluja! Gelobt sei der ewige Ratschluss des Allmächtigen! Gepriesen sei Unser Schöpfer! Sie hatte es sich so oft ausgemalt, dass es sich anfühlte, als hätte sie es erlebt. Die Himmelstore, wie sie sich vor ihr auftaten. Die Cherubim, wie sie sangen. Sie hatten rosige, volle Lippen, samtige Wangen, die Augen feucht vor Glück. Sie waren barfuß und trugen goldene Kronen und Seidengewänder, die über der Brust mit ebenfalls goldenen Bändern geschnürt wurden. Und inmitten der Engel stand der Herrgott. Der Herrgott, dessen Antlitz mit dem von Francesc verschmolz, mit einem Grübchen am Kinn, rauen Händen voller Ringe, die ihr Gesicht umfassten, um sie zu küssen, wie ihr Mann sie am Tag ihrer Hochzeit geküsst hatte. »Willkommen in der Glückseligkeit«, sagte Er. Und als Margarida in dem gleißenden Licht, das von großer Freude ausgeht, den Mund des Herrn wieder vor sich sah, die Augen des Herrn wie zwei Kellen, da betrachtete Er sie so genau und aus solcher Nähe, dass Er alles sehen konnte, was die arme Frau im Übermaß hatte durchmachen müssen, und weinte Tränen, die aussahen wie Milch.
Aber ach, herrje!, was für eine Enttäuschung. Denn als Margarida starb, die Hände gefaltet, die Fingernägel erst rosa, dann weiß, mit offenem Mund und schneeigen Augen, die schon die ewigen Wonnen schauten, vollkommen bereit, keuchend, sehnsuchtsvoll und hingegeben, waren da weder Cherubim noch Trompeten, keine leuchtende Explosion, kein glorreiches Erschauern, keine unendliche Lust, keine atemberaubende Ekstase. Nur eine Gruppe dreckiger, abstoßender Weiber. Grotesk und ordinär. Weiter nichts. So trüb das klingt. Als nämlich ihr kleines Herz, Margaridas Dreiviertelherz, erschöpft und ausgelaugt sagte, mir reicht's!, das war's, lebt wohl!, fand sie sich im Kreis ihrer Familie wieder. Und anstelle des Himmelreichs und der Engel und der Hände Gottes, die ihr die Tränen abwischten, war sie umringt von ihrer Mutter Joana, die aussah wie eine zahnlose Stute, ihrer Schwester Blanca, der Einzigen, die zu sehen sie sich ein bisschen freute, wenn auch nicht allzu sehr, ihrer Nichte Àngela, der im Tod ihr Wildschweingesicht geblieben war, und Elisabet, der Margarida, wäre sie nicht so schwach und benommen gewesen, alle Haare vom Kopf gerissen hätte. Aber die waren doch tot! Alle vier. Heilige Mutter Gottes, manch eine war schon seit vielen Jahren tot. Seelen in Verdammnis! Margarida warf sich herum und bekam vor Entsetzen kein Wort heraus. Doch es hätte sie sowieso niemand gehört, denn ihre Verwandten kreischten, »Margarida, Margarida, MARGARIDA!«, wobei sie sie unter den Achseln fassten und lachend hochhoben, und ihre Mutter lächelte sie an, dass die Zahnlücken zu sehen waren, und sagte, »Willkommen, Margarida, willkommen daheim!«, als öffnete ihr der Teufel persönlich das Tor zur Hölle. Die arme Margarida, noch lauwarm, starrte aus schmalen Augen in die Runde. Wie abscheulich sie waren, grauenhaft!, grässlicher noch als in ihrer Erinnerung, und sie glaubte zu träumen, denn es konnte doch nicht wahr sein, dass sie gestorben war, das war es nicht, so lief das nicht, auf keinen Fall, nein, nein, nein, bitte nicht, oh Herr, um der Liebe Gottes willen, bei der Jungfrau und allen Heiligen und allen Engeln.
Ginge es nach Margarida, würden sie kein Fest feiern, wenn Bernadeta starb, was ziemlich bald geschehen dürfte. Alles, was ihre tranige Sippschaft in letzter Zeit im Sinn hatte und besprach, das Besteck, das Zicklein, die Weinkelche mit dem blauen Stiel, die Krapfen oder das Schmorfleisch, drehte sich um das Fest, das Fest, das Fest und nichts als das vermaledeite Fest. Joana saß in der Küche, in ihre Ecke gekauert, und kommandierte die anderen herum, nach hier und nach da, tut dies und tut jenes, und die Frauen geisterten einträchtig durchs Haus. Wenn es nach Margarida ginge, würden sie der Alten bei ihrem Tod einen schlichten, nüchternen, ehrenvollen und heiteren Empfang bereiten. Nicht so wie ihr.
Was hatte sie geweint. Was hatte die arme Margarida geweint, als sie, statt in den Himmel aufzufahren und vom Seelenhirten begrüßt zu werden, von den leidigen Quälgeistern ihrer eigenen Familie so die Treppe hinuntergezerrt wurde, dass sie sie ebenso gut hätten hinunterstoßen können. Sie schleppten sie in die Küche und setzten sie an die mit Tellern, Gläsern und Schüsseln gedeckte Tafel. Und dann öffneten sie die Münder und tranken und aßen und grölten und klatschten in die Hände und prosteten und jubelten und sprangen auf und reckten die Hälse und warfen die Arme hoch. Das ekelhafte Essen, das sie Margarida vorgesetzt hatten, schwamm in immer mehr Tränen. Wie eine Suppe. Doch versuchte nicht eine ihrer Angehörigen, sie zu trösten. Keine einzige. Nicht einmal ihre Mutter. Die Mutter, deren Leib sie einst entrissen worden war. Die wollte nichts als feiern und krakeelen und saufen und Witze reißen und den Hintern schwingen, diese Mutter. Nichts als Zoten und Radau, diese Joana. Sie war auf ihre Bank gestiegen. Margarida sah ihr fassungslos zu. Die anderen kreischten und feuerten sie an. Sie tanzte! Als hätte sie kein Gedächtnis oder wollte nichts davon wissen. Als erinnerte sie sich nicht an das, woran sie sich nicht erinnern wollte. Als hätte in dieser schauerlichen Küche voller Gespenster das Vergangene keine Bedeutung mehr. Ihr ganzes Leben. Die Töchter und die Mütter.
Das Gemäuer ächzte, als knirschten ihm die Knochen. Die anschließende lange Stille wurde von der Eule draußen unterbrochen, dann folgte wieder Stille. Die Nacht hatte sich im Haus zusammengerollt wie ein kleines Raubtier, und die Schatten spazierten ohne Füße durch die Räume. Jeder Winkel hatte seine eigene Finsternis, schwer, hohl und tief. Bernadetas Schlafzimmer...
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