Schweitzer Fachinformationen
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2. Ein-Blick
Nachdem es im ersten Drittel des Buches einen komprimierten Überblick über die bisherige Forschung und Diskussion zur Hochsensibilität gab, bietet das zweite Drittel einen Einblick in das reale Leben und Erleben von Hochsensiblen. Grundlage dafür ist eine multimethodisch ausgerichtete empirische Tiefen-Analyse mit dem Titel «SENSOR-Studie», wie es sie unseres Wissens bisher noch nicht gibt.
Ein Befund der bisherigen Reflexionen war die Einsicht, dass es auch ein Vierteljahrhundert nach Entwicklung des Konzepts von Aron immer noch überraschend wenig wissenschaftliche Forschungen gibt, insbesondere in Deutschland. Dafür ist ein anderes «Genre» zu würdigen, was wissenschaftlich oft zu Unrecht belächelt wird. So ist die Selbstreflexion seit der Antike der Beginn aller Erkenntnis, symbolisch als Motto des griechischen Orakels von Delphi mit dem Credo «Erkenne Dich selbst!» – hier gibt es zumindest einige Selbstberichte auf dem Büchermarkt, wie z.B. «Sie nannten mich Sensibelchen» von Maike Wesa (2009), «Meine Hochsensibilität positiv gelebt – persönliche Einsichten aus einem langen, bewegten Leben» von Silvia Strauch (2016), «hochsensibel & selbstbestimmt – in einem Meer von Gefühlen» von Martin Nevoigt (2021) oder das 2022 erschienene Buch von Monika Rudolph «Schicksal hochsensibel? Eine Betroffene erzählt, wie sie ihre Depressionen überwunden und Mobbing erfolgreich bewältigt hat und diese besondere Empfindsamkeit heute ihr Leben bereichert».
Wie die genannten Titel schon erahnen lassen, handelt es sich um Berichte von Betroffenen, die individuelle Einblicke bieten, doch keine wissenschaftlich systematischen Auswertungen im Sinne z.B. von vergleichenden Analysen. Dies ist jedoch der Anspruch der vorliegenden Studie, die in sieben Abschnitten präsentiert wird. Methodisch wird zunächst das Projekt und die Entwicklung der Stichprobe vorgestellt. Im Zentrum der Auswertung stehen dann 12 Einzel-Porträts in drei Gruppen.
Am Ende werden darauf aufbauend zusammenfassende Auswertungen in zehn Schlüssel-Dimensionen präsentiert, bevor die Vorstellung und Interpretation der Ergebnisse in zehn Visionen mündet.
Vorstellung einer Tagebuch-Studie
Generell gibt es in der sozialwissenschaftlichen Forschung zwei grundlegende Wege, die häufig konkurrierend gesehen werden – quantitative und qualitative Methodik.
Dabei verfolgen sie unterschiedliche Ziele - zumindest unterschiedliche Wege zum Ziel der Erkenntnis. Während die quantitative Methodik eher Hypothesen überprüft, Zahlenmaterial sammelt, um alles statistisch auszuwerten und generalisierbares Wissen in der Breite zu erzeugen, geht es in der qualitativen Methodik eher um das Generieren von Hypothesen, wobei eher verbales Material gesammelt wird. Klassische Befragungsform ist hier das Interview, um Erkenntnisse in der Tiefe zu gewinnen.
Manchmal hat man den Eindruck, als wenn sich die entsprechenden Forscher gegenseitig bekämpfen und beschimpfen, z.B. als «Erbsenzähler» oder als «unwissenschaftlich». Statt die Forschung von Kollegen zu diskreditieren, die andere methodische Wege wählen, empfiehlt es sich, die Vorteile beider Wege zu vereinen, also den dritten Weg des multimethodischen Vorgehens zu wagen. Da es im Detail prinzipiell sehr viele Möglichkeiten auch innerhalb der beiden Hauptwege gibt, habe ich diesen Forschungsansatz als «Patchwork-Methodik» (Sohr 2000) tituliert.
Die bewährte Idee dient auch als Grundlage der SENSOR-Studie, die drei Wege der Erkenntnisgewinnung nutzt: Tagebücher, Interviews und Fragebogen.
Tagebücher
Herzstück des Instrumentariums unserer Studie ist die qualitative Methodik des Tagebuchschreibens. So waren die Akteure eingeladen, über eine Zeit von neun Monaten von April bis Dezember 2023 ein Hochsensibilitäts-Journal zu schreiben. Konkret ging es um die Reflexion von Gedanken und Erfahrungen im Alltag, bei denen die Akteure bemerken, dass sie hochsensibel sind und sich vielleicht von ihrer Umgebung unterscheiden. Dabei hatten die Akteure zehn Kategorien zur Auswahl, wobei sie auch noch weitere kreieren konnten – alle Kategorien-Codes auf einen Blick:
BERUF
Erlebnisse in Ausbildung, Studium und Beruf
FAMILIE
Erfahrungen z.B. mit Eltern, Geschwistern etc.
FREUNDE
Begegnungen mit Freundinnen und Freunden
GESUND
Gefühle im Bereich ganzheitlicher Gesundheit
NATUR
Erleben z.B. mit Wasser, Wald, Bergen, Tieren
PARTNER
Emotionen in Partnerschaft und Sexualität
POLITIK
Gedanken zu Klima, Krieg, Gesellschaft etc.
SELBST
Persönliche Reflexion und Wahrnehmung
SOZIAL
Konfrontation in weiteren sozialen Räumen
SPIRIT
Spiritualität, Religion, Philosophie
ZUGABEN
Potentielle weitere Themen
Wie die Auswertung dokumentiert, wurden alle Kategorien recht ausgeglichen bedient, was auch als Ausdruck der Relevanz bzw. Legitimation jeder einzelnen Dimension bilanziert werden kann.
Interviews
Nach der Vollendung des Tagebuchjahres wurden die Akteure eingeladen, die Tagebücher-Erfahrungen in einem Einzel-Interview zu reflektieren, also in Form eines weiteren qualitativen Zugangs. Bemerkenswert erscheint, dass alle Akteure ein großes Interesse daran signalisierten. Auch das Interview folgte einer Grundstruktur in Form eines Leitfadens mit einigen Schlüsselfragen:
• Seit wann ist Dir bewusst, dass Du HS bist?
• Erinnerungen an Erlebnisse aus der Kindheit?
• Erinnerungen an Erlebnisse aus der Jugend?
• Erinnerungen an Erlebnisse als Erwachsene?
• Wesentliche Selbsterkenntnisse des Projekts?
• Nachfragen zu den einzelnen Projekt-Themen?
• Vorstellung und Reflexion der Test-Befunde?
• Gemeinsame Essenz eigener Projekt-Rolle?
Die Interviews dauerten etwa eine Stunde pro Person, wobei für die einzelnen Fragen jeweils gut fünf Minuten zur Verfügung standen (etwas mehr bei der Nachfrage zu individuellen Projektthemen und zur Reflexion der Testbefunde). Die Interviews konnten im Januar 2024 durchgeführt werden.
Fragebogen
Flankiert wurden die beiden qualitativen Erkenntniswege noch durch einige quantitative Daten mittels Fragebogen, die ab der zweiten Hälfte des Tagebuch-Zeitraums zum Zuge kamen. Gegenstand waren 11 Kern-Konstrukte, erfasst durch 11 Instrumente, operationalisiert in 225 Items:
• Hochsensibilität - dreifach gemessen mit 27 Items nach Aron, 29 Items nach Parlow und 25 Items nach Sohr (vgl. 1.7 mit jeweils fünf Items zu den fünf Kerndimensionen, zusammengefasst in den Kriterien SOZIAL, NATURE, SELBST, GLOBAL und SPIRIT)
• Introversion – 24 Items nach EPI-Test von Eysenck
• Neurotizismus – 24 Items nach EPI-Test von Eysenck
• Kontrollerleben – 24 Items nach IPC-Test nach Rotter
• Selbstwirksamkeit – 10 Items nach Schwarzer & Jerusalem
• Seelische Gesundheit – 20 Items im Fragebogen nach Becker
• Liebesfähigkeit – 11 Items nach dem Fragebogen von Becker
• Wohlbefinden – Ein-Item-Frage nach der Skala nach Fordyce
• Zufriedenheit – 11 Items nach dem Fragebogen von Fahrenberg
• Persönlichkeit – 10 Items des BIG5-Fragebogens nach Rammstedt
• Positivität – 10 Items nach dem Fragebogen von Sohr & Abbattista
Ein wertvoller Vorteil der meisten ausgewählten Konstrukte und Instrumente bestand darin, dass es sich hierbei um wissenschaftlich etablierte Skalen mit vorliegenden Normwerten handelte, so dass die Stichprobe der Hochsensiblen auch mit «Normalsensiblen» verglichen werden konnte. Wie die Stichprobe der Hochsensiblen gewonnen werden konnte, beschreibt der nächste Abschnitt.
Entwicklung des Forschungsteams
Gemäß unserem Postulat der Patchwork-Methodik, dass die Akteure bei einer qualitativen Methodik nicht nur Datenlieferanten und «Versuchskaninchen», sondern Experten ihres Lebens und so auch des Themas sind, fungieren sie als aktiv Mitforschende eines gemeinsamen Forschungsteams. Diese Kern-Gruppe bildete sich nach einigen Wochen in einem Prozess von drei Phasen heraus, die als Initiierung,...
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