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Verhängnisvoll: Warum es Kühen auf der Alm besser geht als im Tal und wie ein hinreißendes, saftiges Büschel Gras großes Unheil herbeizulocken vermag
Giovanni liebt sie alle. Elsa, Violetta, Ariadne und Fiona sind seine Schönsten. Tatjana, Brünnhilde und Leonore die Jüngsten, Dorabella hat bereits einen Preis gewonnen und Alcina ist etwas ganz Besonderes. Zerlina, Carmen und Schneeflöckchen geben zwar die meiste Milch – aber am allerliebsten ist ihm Elvira. Die mit Abstand Herzallerliebste seiner kleinen, aber äußerst feinen Kuhherde.
Giovanni ist trotz seiner erst 36 Jahre schon lange Bauer, von klein auf hatte er die Rindviecher um sich. Das Leben rund um den Stall, zusammen mit seinen Mädels, ja, das ist sein Revier. Andere mögen sich den in Mode gekommenen und zugegeben äußerst kuschelig anmutenden Rindern aus dem schottischen Hochland zuwenden, manche schwören auf Angus-Viecher, weil sie das bessere Fleisch und deshalb pro Kilo ein paar Cent mehr liefern sollen. Giovanni mag es aber lieber traditionell: Er schwört auf seine braun-weißen Rinder. Nichts Außergewöhnliches, aber trotzdem erstklassig.
Seine Girls sind mit jenen Kühen verwandt, die er immer schon gekannt hat, die immer schon auf den Hängen seines Großvaters und Vaters gegrast haben, die er als Bub viele Sommer lang gehütet und die er lange Zeit Jahr für Jahr auf die Alm seiner Vorfahren getrieben hat. Durchschnittliche Milchleistung, durchschnittliche Fleischqualität, aber pflegeleicht und widerstandsfähig.
Man sagt immer, ein Bauer isst nicht, was er nicht kennt. Giovanni lässt sich schon im Stall auf keine Experimente ein.
Die braun-weiß gescheckten Damen lassen sich auf Giovannis Alm nichts abgehen. Majestätisch und unbeschreiblich lieblich zugleich thront dieser grüne Flecken über dem Tal – und auf ihm machen es sich Alcina und ihre Genossinnen so richtig bequem. Die Aussicht auf den nahen Ort im Tal ist unbeschreiblich, den Kühen freilich ist das egal. Sie grasen. Kosten die ersten Tage auf der Hochalm so richtig aus und kauen, was das Zeug hält.
Was sollen Kühe auch anderes tun. Die vier Mägen der schönen Damen müssen stets beschäftigt werden. Die Zähne tun pausenlos ihren Dienst, das frische Gras vom Berg ist nach der langen winterlichen Heu-Diät mit der Zugabe von Kraftfutter aus Südamerika – verantwortlich für eine miserable saisonale Ökobilanz auf Giovannis Hof –, endlich wieder ganz etwas anderes. Giovannis versammelte Rindviecher-Familie lässt es sich heute ganz besonders gut gehen. Grashalm für Grashalm, Blume für Blume, Kraut für Kraut finden ihren Weg von den Zähnen durch das Labyrinth der Mägen. Zermahlen, gekaut, geschluckt, wieder heraufgewürgt, noch mal gekaut. So lässt sich Zeit auch totschlagen.
Heute legt sich die versammelte Schar ordentlich ins Zeug – ganz so, als ob es schon lange nichts mehr zu mampfen gegeben hätte und es gilt, einen Vorrat für schlechtere Zeiten anzulegen. Das gute Dutzend hat sich auf der Weide aufgeteilt – natürlich auch die vier Kälber, die man an dieser Stelle nicht vergessen darf. Marcelline, Salome, Fenena, der kleine Bub heißt Kamerad.
Normalerweise steht die Herde nah beisammen. Heute, an ihrem dritten Tag auf der Weite der Alm, scheint es, als ob die Viecher nach den Monaten der Enge im Stall und nur spärlichen Ausflügen auf das Feld vor ihrem Hof die Unbegrenztheit der Alpen so richtig genießen und ihre Auslaufmöglichkeit ordentlich nutzen. Sie weiden weit verstreut in kleinen Gruppen. Es ist nicht gerade so, dass sie Klaustrophobikerinnen wären und Panik schieben im winterlichen Stall, aber Leonore und ihre Freundinnen wissen, was Lebensqualität und echte Freiheit ist. Ja, das wissen Giovannis Kühe ganz genau.
Elvira war einige Tage vor der Almauffahrt nicht bei allerbester Gesundheit, irgendetwas plagte sie. Sie fraß nicht mehr so viel, gab weniger Milch, Giovanni machte sich Sorgen. Aber einen Tag vor der Übersiedlung auf den Berg schien sich die Kuh schlagartig wieder erholt zu haben. Die Aussicht auf die Luftveränderung in exakt 1.666 Meter Seehöhe hat offensichtlich Wunder bewirkt. Als ob die Gute bereits geahnt hat, dass es endlich wieder auf den Berg geht, endlich in die Freiheit, endlich wieder ins lang ersehnte Kuhparadies. Wer weiß? Sicher wirkt sich die Macht des Frühlings auch auf Nutzvieh positiv aus. Vielleicht wissen die Viecher einfach, wann es wieder losgeht. Denn dumm sind sie nicht, die Kühe. Sollten Sie derartiges behaupten, würde Ihnen der Giovanni das richtig übelnehmen.
Vor allem an Elvira hat der junge Bauer einen Narren gefressen. »The best cow in town«, pflegt er sie immer zu nennen. Das große, weiße, ein wenig gelockte Haarbüschel zwischen ihren Ohren erinnerte Giovanni gleich nach ihrer Geburt an die Schmalzlocke Elvis Presleys. Es war freilich nicht nur diese kleine Ähnlichkeit mit dem »King«, die die gescheckte Kuh zu Giovannis kauender Königin werden ließ. Es stimmt einfach die Chemie zwischen den beiden, wie man so sagt. Die zwei – das Rind und ihr Bauer – schlossen eine ganz besondere Freundschaft.
Ein guter Landwirt redet mit allen seinen Viechern, davon ist Giovanni überzeugt. Deshalb spricht auch er zu seinen Rindern und Hennen genauso wie zu Kater Giuseppe, der sich im Winter aus dem nur durch die Körperwärme der Kühe geheizten Stall und der eiskalten Tenne zurückzieht und sich zu ihm an den warmen Ofen in die gute Stube gesellt. Er palavert mit der alten Dachsdame, die unter dem Holzstoß hinter dem Stall im Tal haust, hat für die Dohlen, die seine Alm Jahr für Jahr wagemutig umkreisen und ihm spektakuläre Flugkunststücke zum Besten geben, immer ein gutes Wort übrig und verfuhr auch mit seinen Schweinen, als er seinerzeit noch ein paar im Stall hatte, übertrieben höflich.
Bei Elvira aber ist das etwas anderes. Sie nimmt in seiner eigentümlichen Familie eine Sonderstellung ein. Wenn er sie aus dem Stall treibt, bekommt sie zu aufmunternden Worten stets einen zusätzlichen liebevollen Klaps. Er hat sie sogar zur Anführerin der Herde erkoren. Das ist aber sinnlos. Als ob die Kühe die Rangfolge nicht untereinander ausmachen würden. Dieses demokratische Recht lassen sich die Rindviecher natürlich von ihrem Bauern nicht nehmen.
Für Giovanni jedenfalls ist sie die Chefin. Da fährt der Zug drüber. Er beschenkt Elvira mit Streicheleinheiten en masse und versucht, sie bei jeder Fütterung zu verwöhnen. Als ob Heu nicht einfach nur Heu wäre.
Für die nächste Zeit ist jedenfalls das langweilige, in den kalten Monaten ewig trockene Heu passé. Frisches Gras steht auf dem saisonalen Speiseplan. Frische wohlriechende Kräuter, frisches eiskaltes Quellwasser und frische Luft in Hülle und Fülle. Bio, wo immer man hinschaut!
Die Sommerfrische hat heuer früh begonnen. Der Schnee war schnell weg, der Winter wieder einer von jener Sorte, die den Klimawandel-Schwarzmalern so richtig in den Kram passt: Kein Schnee zu Weihnachten, kaum Schnee im Jänner, gar kein Schnee mehr nach Lichtmess. Narzisse und Krokus schossen sehr zeitig aus dem Boden und die Pollenallergiker hatten schon früh allen Grund zum Jammern. Die versteckten Ostereier in den auflebenden Gärten im Tal waren kaum alle gefunden, da packte Giovanni seine sieben Zwetschgen und nahm seine 13 Mädchen und die Kälber rauf in die Freiheit der Almhöhe.
»Genießt es«, pflegt Giovanni jeden Morgen laut zu sagen, wenn er seine Herde aus dem Stall treibt. Dann ist für ihn die Zeit des Ausmistens angebrochen. Die Milch ist bereits im Kübel, vielleicht ist heute auch ein bisschen Zeit zum Ausspannen drin, denkt er sich jeden Tag aufs Neue – aber leider geht die Arbeit auf der Alm nie aus.
Der Bauer jedenfalls genießt sein Leben fern des Tales. Giovanni lebt von seinem dreckigen Dutzend, und das gar nicht mal so schlecht. Er schickt seine Mädels auf die Weide – und die sichern damit seine Existenz. Das Milchgeld macht den Großteil des Einkommens aus, das der kleine Betrieb abwirft – mit so manchen Überweisungen der Europäischen Union, versteht sich. Auch Holz aus dem Wald bringt gutes Geld. Die Eier von glücklichen, quietschfidelen Hühnern aus Freilandhaltung stößt er wie im Abhofverkauf zu wahren Wucherpreisen an wohlbetuchte Biofanatiker in den umliegenden Städten ab, mitsamt selbstgemachter Butter und etwas Käse sowie ein wenig Honig, den sein Steckenpferd, die Imkerei, abwirft. Und – so ist nun einmal der Lauf der Dinge – von Zeit zu Zeit überweist ihm auch der Metzger aus dem großen Schlachthof für einen seiner Lieblinge gutes Geld auf das Konto, für das er noch nie – und da ist er zu Recht stolz darauf – Verzugszinsen zu zahlen hatte. Nicht einmal während der schlimmen und gerade erst durchtauchten europäischen Wirtschaftskrise.
Sie glauben, das sei schon alles? Natürlich besitzt der Bauer noch weitere Geldquellen: Im Winter lässt er den Tourismusverein freilich nicht gratis die Loipe über seine Felder ziehen, und manchmal verkauft er kleine Teile seines stolzen Besitzes als Baugrund – vorwiegend an Zweitwohnsitzler.
Erstens zahlen die gut und ohne viel zu murren, und zweitens geben sie, sobald das Haus einmal bezugsfertig ist, eine Ruh. Vorzugweise wohnen sie ja nur ein paar Wochen pro Saison in den Bergen, verstecken sich dann hinter Jahr für Jahr in den Himmel wachsenden Thujen und machen sich bald wieder unbemerkt aus dem Staub. Außerdem sind sie wie verrückt nach Giovannis Lebensmitteln und dem selbstgebrannten Schnaps....
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