KAPITEL 2
Diagnostik ist eine Kunst
Gelungene Diagnostik fängt mit Zuhören an
Tierarztpraxen und Tierkliniken sind heutzutage diagnostisch und behandlungstechnisch modern ausgestattet und nutzen zahlreiche Verfahren zur Bestimmung von allerlei Krankheitsgeschehen. Gute Medizin braucht zunächst gute Diagnostik. Denn diese ist entscheidend für die weitere Vorgehensweise bei der Behandlung, und eine gelungene Diagnostik wiederum fängt mit guter Kommunikation an.
Klingt simpel? Ist es aber nicht. Denn Zuhören ist etwas, worin viele Veterinäre schlichtweg nicht ausreichend ausgebildet sind.
Unsere tierischen Gefährten können sich bekanntlich (menschen-)sprachlich nicht ausdrücken. Das erschwert manchmal gerade bei Krebs einen zutreffenden Einblick. Aber sie kommunizieren auf andere Art und Weise, und ein aufmerksamer Beobachter kann Signale, Hinweise aus Untersuchungen sowie ungewöhnliches Verhalten sehr wohl einordnen und gemeinsam mit dem Tierarzt interpretieren, sodass sich ein Gesamtbild ergibt. Nur: Viele Tierärzte hören leider nicht richtig zu, was der Halter zu berichten hat oder das Tier durch Verhalten zeigt. Aufgrund ihres Wissens- und Kompetenzvorsprungs werden Ärzte häufig dazu verleitet, mehr zu reden als zuzuhören. Und ist der Kunde nicht zu ihm gekommen, um etwas zu erfahren - von ihm, dem Mediziner? Oft genug konnte ich beobachten, dass mein Gesprächspartner bereits seine Schlüsse gezogen hatte, bevor ich überhaupt zu Ende gesprochen hatte. Zeit- und Kostendruck, berufliche Abstumpfung, Ablenkungen, mangelnde Qualifikation oder geringes Einfühlungsvermögen - mögliche Gründe für unzureichende Diagnosen gibt es viele. Doch keine Disbalance entsteht ohne Grund. Gute Diagnostik bedeutet das Durchschauen einer Krankheit, um sie von den Ursachen her zu verstehen.
Haben Sie den Mut, eine ausführliche Untersuchung und ausreichende Beratung einzufordern. Lassen Sie sich bei Bedarf das »Fachchinesisch« so lange erklären, bis Sie alles verstanden haben. Im Idealfall und bei ausreichender Empathie Ihres Tierarztes umfasst gerade eine onkologische Beratung auch Ihre eigenen Sorgen und Nöte! Das erfordert, dass Sie bzw. Ihr Tier als Patient und Gesprächspartner auf Augenhöhe wahrgenommen werden. Sollte dies nicht der Fall sein, sind Sie eventuell in der falschen Praxis.
Tipp
Durch reine »Anschauung« oder durch Erfahrungswerte eines Tierarztes kann keine eindeutige Diagnose bzw. Tumorbestimmung valide erstellt werden. Lassen Sie sich nicht verunsichern, bestehen Sie auf einer genauen Diagnostik.
Was ist ein Tumor und was ist Krebs? - Verfahren zur Diagnostik
Ein Tumor ist nicht automatisch gleichbedeutend mit Krebs, sondern zunächst einmal wertfrei zu betrachten. Per definitionem ist ein Tumor eine Schwellung, Geschwulst oder Wucherung, also eine Zubildung von Körpergewebe (Neoplasie). Dieses würde auch für ein Ödem (Flüssigkeitsansammlung), einen Abszess oder für eine entzündliche Schwellung gelten. Neoplasien können jede Art von Körpergewebe betreffen - das Entscheide ist nun, ob sie gutartig oder bösartig sind. Letztendlich werden nur bösartige Tumore umgangssprachlich als »Krebs« bezeichnet. Wichtig bei einem Verdacht ist es also, möglichst zeitnah festzustellen, worum es sich tatsächlich handelt. Hierzu kommen in der tiermedizinischen Praxis die im Folgenden beschriebenen Verfahren zum Einsatz. Es wird übrigens dringend empfohlen - sofern möglich und sinnvoll -, vor jeder Tumorbehandlung eine Untersuchung des Gewebes vorzunehmen und nicht »einfach daraufloszuoperieren«. Denn die pathologische Diagnose ist oftmals eine Abkürzung. Sie kann Leid, Aufwand und Kosten ersparen und ist nicht selten lebensrettend. Für die Erstbeurteilung sind eine Feinnadeluntersuchung und/oder eine Biopsie direkt vor Ort durchführbar und bei entsprechender Ausstattung sowie onkologischer Expertise des Tierarztes auch sofort beurteilbar. Ansonsten - wie auch in uneindeutiger Darstellung der Probe oder zur Absicherung der Diagnostik - erfolgt die Einsendung an ein spezialisiertes Labor.
Feinnadeluntersuchung Spezielle Untersuchungsmethode mit einer sehr dünnen Nadel. Die verdächtige Stelle wird punktiert, um Zellen der Umfangsvermehrung zu entnehmen. Diese Zellen werden mit Färbemethoden aufbereitet und anschließend unter dem Mikroskop beurteilt. Die Technik ist schmerzfrei und kann schnell und ohne Narkose durchgeführt werden. In manchen Fällen kann damit direkt eine Diagnose gestellt werden. Andernfalls können Malignitätskennzeichen der Zellen einen ersten Verdacht ergeben. Die Feinnadeluntersuchung wird bei fast allen Veränderungen (bis auf Mammatumore und Übergangszellkarzinomen der Blase beim Hund) durchgeführt.
Biopsie Chirurgischer Eingriff zur Entnahme und Untersuchung einer kleinen Menge von Gewebe. Bei dieser Technik wird durch Einnadelbiopsie (true cut) oder Stanzbiopsie (punch biopsy) ein Gewebestück aus der veränderten Stelle entnommen. Diese Technik ist auch bei fraglichen Veränderungen, bei denen die Feinnadeluntersuchung nicht eindeutig war, besonders hilfreich. Manchmal werden auch ganze Gewebeanteile entnommen, zum Beispiel bei veränderten Lymphknoten wird der gesamte Lymphknoten entfernt.
Der feingewebliche (histologische) Befund der gewonnenen Probe kann in der Regel die folgenden Fragen beantworten:
- Enthält die Gewebeprobe Malignitätskennzeichen?
- Falls sie bösartig ist: Von welcher Zellart geht der Krebs aus?
- Welchen Reifegrad hat der Tumor; das sogenannte »Grading« (von englisch »to grade«; einteilen)
- Welche Hinweise auf die Wachstumsgeschwindigkeit des Tumors ergeben sich (Lebenserwartung)?
Steht die Bewertung der Probe fest und bestätigt sich der Verdacht auf Malignität, sollten weitere Untersuchungen auf Metastasen und die Beteiligung diverser Lymphknoten erfolgen. Lokale Metastasen entstehen in unmittelbarer Nähe des Primärtumors durch Verschleppung von bösartigen Zellen in das umgebende Gewebe. Regionäre Metastasen entstehen, wenn sich Tumorzellenverbände entlang der Lymphbahnen oder in Lymphknoten festsetzen. Fernmetastasen entstehen analog dazu, wenn Tumorzellenverbände in Blutgefäße abschuppen und sich in entfernten Organen absiedeln. Eine umfassende Untersuchung beinhaltet in der Regel deshalb auch Röntgenbilder des Brustraums und wird kombiniert mit einer Ultraschalluntersuchung des Bauchraums zur Beurteilung des Zustands weiterer Organe wie Leber, Milz, Nieren sowie der abdominalen Lymphknoten.
Für die weitere Untersuchung sind folgende Verfahren gängig:
- Röntgenuntersuchung
- Ultraschall (Sonografie)
- Endoskopie (Spiegelung)
- Computertomografie (CT), ggf. mit Kontrastmittel, oder
- Magnetresonanztomografie (MRT), ggf. mit Kontrastmittel
Für die abschließende Therapieempfehlung ist dann letztendlich das sogenannte Staging des Tumors entscheidend. Hierzu werden verschiedene Tumoreigenschaften beurteilt und man bedient sich einer bestimmten Form der Klassifikation.
Stadieneinteilung und Klassifikation
Das Verfahren zum Staging nennt sich TNM-Klassifikation und beruht auf den Empfehlungen des American Joint Committee of Cancer (AJCC). Vor einer Operation erfolgt eine vorläufige Einstufung; präzise kann die Ausbreitung und Bösartigkeit jedoch erst nach der Entfernung und der mikroskopischen Untersuchung des operierten Gewebes eingeschätzt werden. Je nachdem spricht man dann von verschiedenen Stadien des Krebses. Die Klassifikation steht hier für:
- die Größe und Ausbreitung des Primärtumors = T
- Fehlen/Vorhandensein von örtlich oder benachbarten Lymphknotenmetastasen = N
- das Vorhandensein von Fernmetastasen = M
Die Ziffern hinter den Buchstaben geben genauere Hinweise auf die Ausdehnung des Tumors (T 1-4), Zahl und Lage der befallenen Lymphknoten (N 0-2) und das Vorhandensein oder Fehlen von entfernten Metastasen (M 0 und M 1). Beispiel: T1 N0 M0 würde bedeuten, dass es sich um einen kleinen Tumor ohne Lymphknotenbefall und ohne Metastasen handelt.
TNM-System (nach P. Denoix, 1946)
T = Primärtumor
T 0
Kein Primärtumor nachweisbar
T 1-4
Primärtumor von zunehmender Größe bzw. Eindringtiefe
N = Zustand der Lymphkonten in Tumornähe
N 0
kein Lymphknotenbefall nachweisbar
N1-3
Zunehmender Befall von Lymphknoten in Tumornähe
M = Auftreten von Fernmetastasen
M 0
Keine Fernmetastasen nachweisbar
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