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Eines Tages, es war zu der Zeit, als mein Bruder Johnny noch lebte, der eine Begabung für Mathematik und ein phänomenales Gedächtnis hatte, versuchten wir Kinder, das Datum unserer frühesten Erinnerungen herauszufinden. Bei mir handelte es sich um einen Sprung aus unserem Ponywagen, während dieser den St.-Mary-Cray-Hügel heraufkroch, und der damit endete, dass ich rücklings auf dem Weg landete. Ich hatte nicht genau zugeschaut und so war mir entgangen, dass Johnny und der Stallknecht immer in Fahrtrichtung absprangen. Auf diese Weise begann meine bewusste Lebensrückschau mit der ersten von einer langen Reihe schmerzhafter Landungen - gar kein schlechter Beginn!
Sidcup Place, in der Gemeinde Footscray in Kent, war ursprünglich ein kleines quadratisches Haus im Queen-Anne-Stil, dessen weitläufiger Garten zur Straße hin von einer hohen, efeubewachsenen Mauer geschützt war. In späteren Zeiten war es durch einen geräumigen Flügel erweitert worden, der sich die Gartenseite entlang erstreckte, wie eine mir damals endlos erscheinende Galerie, in der es sich herrlich toben und herumschreien ließ.
Es gab weiträumige Stallungen, und darüber erhob sich der uralte Kornspeicher, über den uns Kindern erzählt wurde, er sei durch und durch rattenverseucht - und das erfüllte seinen Zweck. Zur einen Seite des Kricketrasens standen eine riesige Akazie in nimmermüder Blüte und eine herrliche Zeder, zur anderen lag der Küchengarten, auf dessen hohe Mauern heimlich hinaufzuklettern und nach verbotenen Früchten zu angeln eine besondere Mutprobe war. Einmal erwischte uns der Gärtner, nahm die Leiter weg und drohte uns mit einer langen Gerte: »Jetzt hab ich euch, ihr Frettchen«, worauf ich Johnnys Beispiel folgte und, so klein ich auch war, in die rettende Tiefe sprang. Zwischen herabhängenden Weiden schipperten wir in Fässern und Bottichen auf dem Ententeich herum, an dessen Ufer Johnny und meine große Schwester Alice zusammen mit einem Freund in einer alten Ulme nach dem Vorbild des allseits beliebten Romans >Die Schweizer Familie Robinson< von Johann Wyss ein Baumhaus gebaut hatten, was uns den Spitznamen >The Smyth Family Robinson< einbrachte. Es hatte einen festen Boden und es gab jede Menge Bücher - wenn wir besonders brav waren, durften wir dort oben sogar Tee trinken.
Mein großer Bruder Johnny war mein Vorbild, denn ich bevorzugte seine Jungenspiele - eine Vorliebe, der er mit einer Mischung aus Missbilligung und Herablassung begegnete. Ich bemerkte bald, dass ich höher kletterte und waghalsiger war als er, was unsere Sympathie füreinander zuweilen etwas eintrübte; vielleicht fand er auch meine Art, wegen der mich meine Mutter >Sturmvogel< nannte, viel zu ungestüm, denn er war ruhiger und gesitteter.
Ich erinnere mich noch besonders gut an zwei Geschichten. Einmal versprach mir ein Schulfreund von Johnny ein Sixpencestück, wenn ich auf Fairylight, unserem kräftigen, muskulösen Hausschwein, über den Hof reiten würde. Aus irgendeinem Grund waren wir alle gerade blitzsauber, gestärkt und herausgeputzt, und als ich nach meiner Landung auf dem Misthaufen von der erbosten Kinderfrau in das Arbeitszimmer meines Vaters gezerrt wurde, geriet er völlig außer Fassung.
Ein andermal bestach ich, ebenfalls mit Sixpence, einen der Viehzüchter, damit er mich beim Schweineschlachten zusehen ließ - was meinen großen Bruder zutiefst erschütterte, denn ein solcher Anblick war doch reine Männersache! Das folgende Donnerwetter war im Prinzip überflüssig, denn noch Monate danach wurde ich grün im Gesicht, wenn ich irgendwo ein Schwein quieken hörte.
Ich glaube, wir waren ein ziemlich aufsässiger und streitlustiger Haufen. Mein Vater heftete sogar einmal einen Zettel an die Wand: »Wenn du nichts Nettes zu sagen hast, dann halt gefälligst den Mund!« Ein Diktum, das zwar ein hervorragendes Erfolgsrezept für den gesellschaftlichen Umgang war, aber völlig unbrauchbar in einer Kinderstube wie der unsrigen, in der die unvermeidlichen Wortgefechte fast immer zu Handgreiflichkeiten führten - wir liebten den offenen Kampf. Ich erinnere mich sogar daran, meine Schwester Mary mit einem Messer am Kinn verletzt zu haben, worauf sie mich mit einer Gabel bedrohte, die meinem Auge gefährlich nahekam.
Wir wurden natürlich für unser Benehmen zur Rechenschaft gezogen und des Öfteren hart bestraft, wobei Ohrfeigen damals als ungefährlich galten und von meiner Mutter mit ihrem Sinn fürs Dramatische perfekt eingesetzt wurden. Mit zusammengepressten Lippen holte sie aus, hielt die Handfläche nahe vor unsere Augen, so als wolle sie sagen: »Schau sie gut an! Gleich wirst Du sie zu spüren bekommen« - und peng hatte man eins auf die Ohren bekommen!
Die einzige der sechs Smyth-Töchter jedoch, die einmal richtig verprügelt wurde, war ich. Es geschah, nachdem ich beim Stibitzen von Malzbonbons erwischt worden war und dennoch den Diebstahl hartnäckig leugnete. Mein Vater schlug mit Großmamas Stricknadeln zu, den langen mit dem Elfenbeinknopf an einem Ende. Er war eigentlich kein brutaler Mann und die Gegner der körperlichen Züchtigung werden sagen, dass es die Schläge selbst waren, die ihn immer mehr in Rage brachten, denn als ich schrie, sagte er nur: »Je mehr Lärm du machst, desto mehr schlage ich zu.« Und er schlug so hart zu, dass Alice, die bei einer Tante zu Besuch gewesen war, noch nach zwei Wochen beim Baden die Striemen bemerkte. Ich sagte ihr, sie kämen vom Sitzen auf meinem Reifunterrock. Noch Jahre später war meiner Mutter der Gedanke an diese Züchtigung unerträglich, aber ich für meinen Teil kann sagen, dass sie keine tiefe Verletzung bei mir hinterlassen hat.
Es wird niemanden verwundern, dass ich nichts für Puppen übrighatte, aber eigenartigerweise galt das auch für meine ältere Schwester Mary. Natürlich besaßen wir welche, aber sie waren meist unter strikter Quarantäne, weil wir ihnen immer hoch ansteckende Krankheiten andichteten. Die Tatsache, dass sie uns einfach nur langweilten, hätte zu viele Diskussionen heraufbeschworen, also erschien uns dies der plausibelste Grund, um die Puppen loszuwerden.
Damals wurde oft mein geliebtes Kricket gespielt, aber leider nicht auf Kindergeburtstagen. Ich hasste diese Gartenpartys, denn man wurde zu den unpassendsten Tageszeiten furchtbar fein gemacht, musste sich wie eine kleine Lady benehmen und nur dumm herumstehen; was bedeutete, dass der männliche Teil der Gesellschaft, der im Privaten nicht ohne uns auskam, uns in der Öffentlichkeit einfach überging - genau wie das viel später während der langen Kämpfe für das Frauenwahlrecht der Fall war. Und man kann sich vorstellen, wie sehr das schon damals einen tomboy, ein burschikoses Mädchen wie mich, geärgert hat.
Die folgende Episode aus meiner Kindheit wurde aus dem ersten Teil meiner Autobiografie, die während des Krieges 1917 in Paris erschien, auf ausdrücklichen Wunsch des englischen Verlegers, der dort auf Fronturlaub war (und vielleicht noch unter dem Kriegstrauma litt) gestrichen, obwohl zwei gute Bekannte ihn beschworen, sie unbedingt zu veröffentlichen, weil sie so herrlich komisch sei.
Wir Puritaner verschließen für gewöhnlich jegliche einsilbigen oder sonst haarsträubenden Wörter tief in unserer Brust. Aber nun, fast zwanzig Jahre später, versichern mir meine literarischen Freunde, dass die Prüderie der Vergangenheit angehört. >Stimmt das wirklich?<, fragte ich mich, gab es da nicht vor Kurzem diese Verurteilung eines Lyrikers, dessen Verleger seine Gedichte aus eben diesem Grund nicht nur ablehnte, sondern ihn schließlich hinter Gitter brachte? Und in mir steigt das Bild einer Dame von unvorteilhaftem Äußeren auf, wie sie für ihre Ausdrucksweise, die alles andere als ladylike ist, an den Pranger gestellt wird. Aber das wäre doch etwas - mit einem Doktortitel in Musik unerkannt vorgeladen zu werden! Inmitten dieser hinreißenden Roben bei Gericht zu sitzen, so ganz dem Protokollbüro des Lord Chamberlain zu entsprechen .
Risiko oder nicht, welche Konsequenzen auch folgen mögen, ich kann diese Geschichte, auch >Der Wasserfall< tituliert, nicht länger für mich behalten: Wie die meisten kleinen Mädchen beneidete ich die Jungen in vieler Hinsicht, aber hauptsächlich wegen ihrer Kleidung, die jene Schwierigkeiten oder Gefahren gar nicht erst aufkommen ließ, die das Leben ihrer athletischen Schwestern überall und immer behinderten. Was für ein Segen, beim Bäumeklettern nicht dem Risiko ausgesetzt zu sein, plötzlich an deiner Schärpe mitten in der Luft festzuhängen; oder über einen Schubkarren zu springen, ohne dass sich dein Zeh im Kleidersaum verfängt; oder ungehindert von Unterröcken durchs Gebüsch zu kriechen; oder hinzufallen, ohne der zusätzlichen Blamage darüber ausgesetzt zu sein, was unsere französische Gouvernante eine entblößende >exposition geben< nannte! Wie wunderbar...
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