Schweitzer Fachinformationen
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Kapitel 1
Vor der Mautstelle hatte sich eine lange Schlange gebildet. Der feine Regen formte auf meiner Windschutzscheibe dicke Tropfen, die sich in kleinen Rinnsalen sammelten. Schließlich kam der Verkehr ganz zum Stehen.
Mein Blick fiel auf die Broschüre, die neben mir auf dem Beifahrersitz lag. Ich griff danach und las: Kloster zum Heiligen Stephanus. Darunter glänzte das Foto eines alten Gemäuers, das, von Wiesen umgeben, am Ufer eines malerischen Flusses lag. Ein Ort der Ruhe und Erholung, Wallfahrts- und Besinnungszentrum, Meditationswochen und Exerzitien für Einzelne und Gruppen.
Am liebsten hätte ich das Auto gewendet und wäre wieder nach Hause gefahren. Aber ich war eingekeilt zwischen den anderen Fahrzeugen, die sich mit mir millimeterweise voranschoben. Vor etwa einem Monat hatte mein Pastor mir den Prospekt gegeben. "Tim, du musst mal raus hier", hatte er gesagt. "Nimm dir Zeit zum Trauern." Er hatte durchaus recht. Aber die feuchtkalten Wände eines weihrauchgeschwängerten Klosters waren das Letzte, wonach ich mich jetzt sehnte.
Meine Armbanduhr zeigte genau 11:11 Uhr, als mein alter Volvo die irdische Welt hinter sich ließ und eine gemauerte Toreinfahrt passierte, hinter der ein schmaler Kiesweg auf das Klostergebäude zuführte. Wie eine alte Burg erschien mir das verwitterte Anwesen. Mit einem letzten Blick auf meinen Wagen schritt ich durch den steinernen Torbogen und betrat die Eingangshalle.
Stille umfing mich. Die Wände waren mit edlem Holz getäfelt. An der Rezeption saß eine weißhaarige Dame. Sie blickte von ihrem Buch auf, musterte mich durch ihre Brille und fragte: "Was kann ich für Sie tun?"
"Ich will mich für ein paar Tage hier zurückziehen", antwortete ich und gab ihr die Hand. "Mein Name ist Tim Hudson."
"Schön, Sie kennenzulernen, Mr Hudson", erwiderte sie. Ihrem leichten Akzent nach kam sie aus Neuengland. "Sind Sie etwa der Tim Hudson, von dem es so viele Bücher gibt?"
"Na ja, ich habe ein paar Bücher geschrieben ..."
"Welch eine Ehre, Sie hier zu haben! Erst letzte Woche bin ich mit Gott ist auf deiner Seite fertig geworden. Ein schönes Buch! Meine Schwester in Seattle hat mir ein Buch von Ihnen zu Weihnachten geschenkt, und seitdem bin ich ein Fan. Ich freue mich riesig, dass Sie jetzt bei uns sind. Sind Sie als Redner gekommen?"
"Nein, ich bin hier als ..., ich brauche Zeit zum ..."
"... zum geistlichen Auftanken?", vollendete sie meinen Satz und kritzelte eine Notiz auf meine Akte.
"Ja, so könnte man es nennen. Verzeihen Sie, wie war Ihr Name bitte?"
"Ich bin Virginia. Ich freue mich so sehr, dass Sie hier sind. Sie haben sich einen schönen Ort ausgesucht, um sich zu erholen. Von den meisten Zimmern aus kann man den Fluss sehen. Wir haben herrliche Parkanlagen. Ach ja, würden Sie mir bitte Ihren Autoschlüssel geben? Einer der Brüder wird Ihren Wagen dann hinter das Kloster zum Parkplatz bringen."
Ich zog den Schlüssel aus meiner Hosentasche und betrachtete ihn nachdenklich, ehe ich ihn Virginia aushändigte.
"Sie haben fünf Übernachtungen in einer Einzelzelle gebucht, richtig?", fragte sie und hängte meinen Schlüsselbund an einen Haken hinter ihrem Tisch.
"Ja."
"Gut. Die Mahlzeiten sind immer um 8:00, um 12:00 und um 17:00 Uhr. Beim Essen wird nicht gesprochen. Einer der Brüder liest vor, entweder aus der Bibel oder aus einem Andachtsbuch. Die Morgenandacht ist um 6:30 Uhr, um 9:00 Uhr ist das Morgengebet, das Nachmittagsgebet ist um 15:00 Uhr und um 21:00 Uhr ist die Abendandacht. Sie treffen sich jeden Nachmittag um 14:00 Uhr mit Ihrem geistlichen Mentor, Bruder Taylor." "Mit wem treffe ich mich?" "Sie treffen sich mit Ihrem geistlichen Mentor ..." "Aber ich habe nicht um einen geistlichen Mentor gebeten."
"Das mag schon sein. Aber jedem unserer Gäste wird ein Mentor zugeordnet. Dafür berechnen wir Ihnen keine zusätzlichen Kosten. Sie können den Treffen natürlich auch fernbleiben, aber wir empfehlen allen unseren Besuchern sehr, von diesem Angebot Gebrauch zu machen. Fünf Tage in der Einsamkeit können sehr lang werden. Abgesehen davon schaden ein paar geistliche Impulse nie."
"Vermutlich haben Sie recht. Jetzt möchte ich mich aber gern ein bisschen ausruhen."
"Selbstverständlich. Sie haben Zelle Nummer 322. Nehmen Sie die linke Treppe nach oben. Bruder Taylor erwartet Sie dann in der Studierstube, Zelle 111, am Ende des Flurs."
Die Treppe war aus Stein. Alles hier war aus Stein. Mein Zimmer, nein, meine Zelle war etwa drei Meter lang und zwei Meter breit. "Buchstäblich eine Zelle", murmelte ich und blieb zögernd an der Tür stehen. Der kahle Raum enthielt ein schmales Bett, einen Tisch mit einem hölzernen Stuhl und einen Kleiderschrank. Ich stellte meinen Koffer ab und ging zum Fenster, zog den Vorhang zurück und - starrte auf eine Backsteinwand. Tolle Aussicht, dachte ich sarkastisch. Welch ein Vorrecht! Fünf Tage lang werde ich jetzt diese Mauer genießen. Ich ließ mich auf das Bett fallen, sah mich ein letztes Mal in meiner Zelle um und schlief ein.
Obwohl ich mir keinen Wecker gestellt hatte, erwachte ich um 13:45 Uhr. Zögernd ging ich die Treppe hinunter und den Gang entlang, bis ich ganz am Ende des Flurs vor Zelle 111 stand.
Auf mein Klopfen ertönte eine tiefe Stimme: "Einen Augenblick bitte." Kurz darauf wurde die Tür von innen geöffnet, und vor mir stand ein Mann, der etwa Mitte 40 war, kaum älter als ich.
"Ich bin Bruder Taylor. Komm doch rein. Du bist bestimmt Tim."
"Ja", antwortete ich und betrat den Raum, der an allen vier Wänden von Bücherregalen gesäumt war. "Sind das viele Bücher!", staunte ich.
"Ja, die Bücher gehören zum Klosterbesitz."
Ich stand unsicher mitten im Raum.
"Bitte setz dich doch, Tim", sagte er freundlich, deutete auf einen gepolsterten Stuhl und setzte sich mir gegenüber auf einen Holzstuhl.
Selbst im Sitzen hatte er eine beeindruckende Statur. Er war nicht übermäßig groß, hatte aber Muskeln wie ein Ringer und dichtes, allerdings schon etwas ergrautes Haar. Was bringt einen Mann dazu, Mönch zu werden?, überlegte ich, während er mich betrachtete. Unter seiner Kutte lugten Laufschuhe und Jogginghosen hervor. Er folgte meinem Blick und ein Lächeln umspielte seine Mundwinkel.
Schließlich ertrug ich das Schweigen nicht länger und sagte den erstbesten Satz, der mir einfiel: "Schön ist es hier."
"Ja, wirklich."
Es war so unerträglich still; ich hörte das Ticken meiner Uhr.
"Meine Fahrt hierher hat fünf Stunden gedauert. Ich komme aus Connecticut und verdiene mir mein Geld mit Bücherschreiben."
"Ach, wirklich? Was für Bücher schreibst du denn?", fragte er und beugte sich interessiert nach vorn. "Bücher über geistliches Wachstum."
Wieder hüllte er sich in Schweigen. Die Tatsache, einem Autor gegenüberzusitzen, schien ihn nicht sonderlich zu beeindrucken. Er hatte die Hände im Schoß gefaltet und sah mich einfach nur an. Die Stille war mir äußerst unangenehm.
Endlich stellte er eine Frage: "Tim, wie würdest du dein derzeitiges geistliches Leben beschreiben?"
"Hm, na ja, es ist ganz okay, denke ich. Ein bisschen Ruhe wird mir guttun."
"Kannst du mir deine Beziehung zu Gott schildern?"
"Also, ich weiß nicht, ist das jetzt nicht ein bisschen zu persönlich? Könnten wir nicht zuerst über das Wetter reden, bevor ich mein Innerstes hier ausbreite?"
"Ich fürchte, dafür haben wir keine Zeit."
"Ich bin fünf Tage hier; ich habe jede Menge Zeit."
"Wirklich?"
"Was meinst du?"
"Tim, es gibt einen bestimmten Grund, warum du hierhergekommen bist. Niemand nimmt sich einfach mal so fünf Tage frei, um hier im Kloster zu sein. Ich versuche es noch einmal anders: Was ist dein Kummer?"
"Also, man könnte sagen, ich bin ein Heuchler geworden." Jetzt konnte ich ihm nicht mehr in die Augen sehen, sondern schaute aus dem Fenster.
"Inwiefern?"
"Ich kann selbst nicht mehr glauben, was ich geschrieben habe."
"Was hast du denn geschrieben?"
"Ich habe ein Buch darüber geschrieben, dass Gott ein guter Gott ist. Darin fordere ich die Leser auf, ihr Leben Gott anzuvertrauen. Ich habe geschrieben, dass Gott gerecht und barmherzig ist. Aber jetzt ..."
"Was ist jetzt?"
"Ich kann es selbst nicht mehr glauben."
>"Was?"
"Dass Gott ... gut ist."
"Wieso nicht?"
Ich starrte auf meine Schuhe und holte tief Luft. "Weil er nicht gut ist, deshalb!" Ich spürte, wie mir die Zornesröte ins Gesicht stieg.
"Nicht gut?"
Ich schloss die Augen und atmete wieder tief durch. Mein Herz begann, wild zu klopfen. Da war so viel Zorn in mir, tief verborgen, ich hatte ihn noch nie ausgesprochen, nicht einmal mir selbst gegenüber hatte ich mir diese Gefühle eingestanden. Jetzt brachen sie aus mir heraus.
"Es ist jetzt vier Jahre her, dass meine Frau und ich voller Freude ein kleines Mädchen erwarteten. Wir hatten schon einen fröhlichen, aufgeweckten, gesunden Vierjährigen, und jetzt sollte er ein Schwesterchen bekommen. Ich hatte einige Bücher geschrieben, die recht erfolgreich waren. Alles lief perfekt, ich hatte eine wunderbare Frau, einen süßen kleinen Sohn, beruflichen Erfolg, und bald würde noch das Baby dazukommen. Das Leben war schön. Aber wenige Wochen vor der...
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