Schweitzer Fachinformationen
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Ebenso gut könnte man mit Jeromes E-Mails an seinen Vater beginnen:
An: HowardBelsey@fas.Wellington.edu
Von: Jeromeabroad@easymail.com
Datum: 5. November
Betreff:
Hallo Dad, ich mache einfach so weiter mit meinen E-Mails und erwarte nicht mehr, dass du darauf antwortest, obwohl ich natürlich hoffe, dass du es tust - falls das einen Sinn ergibt.
Erst einmal: Es gefällt mir hier. Ich arbeite in Monty Kipps' Büro (wusstest du eigentlich, dass er Sir Monty ist?), ganz in der Nähe von Green Park. Zusammen mit einem Mädchen aus Cornwall, sie heißt Emily und ist cool. Im Untergeschoss arbeiten drei weitere Yankee-Praktikanten (einer sogar aus Boston!), weswegen ich mich hier wie zu Hause fühle. Auch ich bin eine Art Praktikant, Aufgabengebiet Öffentlichkeitsarbeit. Ich organisiere seine Lunchtermine, bin für die gesamte Presse zuständig und rede mit Leuten am Telefon usw. Monty selbst ist viel mehr als bloß Professor, er sitzt in der Race Commission und kümmert sich um kirchliche Wohlfahrtseinrichtungen auf Barbados, Jamaika, Haiti usw. - was bedeutet, dass mir die Arbeit nicht so leicht ausgeht. Und weil der Laden insgesamt recht überschaubar ist, habe ich viel mit ihm persönlich zu tun. Ganz abgesehen davon, dass ich jetzt in seiner Familie lebe - ein Familienanschluss der anderen und wirklich völlig neuen Art. Jaja, die Familie . Da du nicht geantwortet hast, kann ich mir deine Reaktion vorstellen (nicht schwer, oder?). Aber es war zu der Zeit eben die einfachste Lösung. Als ich aus dem Einzimmer-Apartment in Marylebone rausgeflogen bin, haben mir die Kipps' ganz von sich aus angeboten, bei ihnen zu wohnen. Dazu bestand von ihrer Seite aus nicht die geringste Veranlassung, aber sie haben gefragt, und ich habe - dankbar - angenommen. Jetzt wohne ich schon eine Woche bei ihnen, und immer noch kein Wort von Miete o.Ä., was dir einiges über sie verrät. Ich weiß, du hättest es am liebsten, wenn ich sagen würde, es wäre der reine Albtraum, aber das ist es nicht. Im Gegenteil, ich finde es fantastisch hier, es ist geradezu ein neues Universum. Und das Haus ist - wow! Ein viktorianisches Reihenhaus in einer sogenannten »Terrace«, unscheinbar von außen, aber innen sehr weiträumig und total das edle Ambiente. Trotzdem kein bisschen großkotzig. Mir gefällt diese Bescheidenheit. Alles ganz in Weiß mit lauter antiken Sachen und handgearbeiteten Decken und Regalen aus dunklem Holz und Stuck und einer Treppe, die bis in den vierten Stock hochgeht. Und im ganzen Haus gibt es nur einen einzigen Fernseher, nämlich im Keller. Und selbst der ist nur für die Nachrichten und die Sachen, die Monty selber im Fernsehen macht, aber damit hat es sich dann. Manchmal denke ich, dieses Haus ist das genaue Gegenteil von unserem . Es liegt im Norden von London, in »Kilburn«, was erst einmal ziemlich idyllisch klingt. Aber, Mannomann, es ist alles andere als idyllisch, außer hier in unserer kleinen Seitenstraße, hier kriegt man von dem Krach rein gar nichts mehr mit, und man könnte sich in den Garten setzen, unter diesen riesigen, fast dreißig Meter hohen Baum, dessen Stamm über und über mit Efeu bewachsen ist . und man könnte lesen und sich gleichzeitig vorkommen wie in einem Roman . Der Herbst ist übrigens anders hier, nicht so ausgeprägt, obwohl die Bäume ihre Blätter früher verlieren, und alles ist irgendwie melancholischer.
Die Familie hier ist ein eigenes Thema und hat mehr Raum und Zeit verdient, als ich im Augenblick habe (gerade mal die Mittagspause). Deshalb in aller Kürze: Monty hat einen Sohn, Michael. Ein netter Typ, durchtrainiert, aber vermutlich etwas dröge. Dir zumindest wäre er bestimmt zu langweilig. Er ist Geschäftsmann, aber was er genau macht, habe ich noch nicht herausgefunden. Und groß ist er, sicher noch fünf Zentimeter größer als du. Alle in dieser Familie haben diesen karibisch-athletischen Körperbau, und Michael ist dazu deutlich über zwei Meter groß. Es gibt daneben noch eine Tochter, auch sie sehr groß und sehr schön, den Fotos nach zu urteilen. (Sie ist gerade unterwegs mit Interrail durch Europa, soll aber am Freitag zurückkommen.) Und Montys Frau Carlene - was soll ich sagen, sie ist perfekt. Sie stammt nicht aus Trinidad, sondern von einer kleinen Insel, Saint Soundso - ich habe das beim ersten Mal nicht richtig verstanden, und jetzt ist es zu spät. Sie meint, ich müsse mehr essen, und versucht dauernd, mich mit Essen vollzustopfen. Hier in der Familie redet man über Sport und Gott und Politik, und Carlene schwebt über allem wie ein Engel. Außerdem unterstützt sie mich bei meinen Gebeten. Sie versteht wirklich zu beten, und es ist zur Abwechslung mal sehr schön, wenn man beten kann, ohne dass jemand ins Zimmer platzt und (a) einen fahren lässt, (b) herumbrüllt, (c) mit einem die »verlogene Metaphysik« von Gebeten diskutiert, (d) laut singt oder (e) lacht.
So viel zu Carlene Kipps. Sag Mum, dass sie backt. Nur dass sie backt, mehr nicht. Und dann lass sie in ihrem eigenen Saft schmoren und mach dir einen schönen Tag.
Aber auch für dich habe ich eine wichtige Botschaft. In dieser Familie wird morgens GEMEINSAM gefrühstückt, und man unterhält sich MITEINANDER, und dann fährt man ZUSAMMEN in die Stadt. (Na, alles mitbekommen? Oder willst du dir das notieren?) Ich weiß, ich weiß, das ist jetzt sehr schwer, und du müsstest etwas dazulernen. Aber ich bin eben noch nie einer Familie begegnet, in der man so sehr zusammenhält wie in dieser.
Ich hoffe, du ziehst aus alledem den richtigen Schluss: dass nämlich deine Dauerfehde mit diesem Mann letztlich Zeitverschwendung ist. Der Einzige, der Krieg führt, bist du. Monty steigt auf so etwas grundsätzlich nicht ein. Außerdem kennst du ihn nicht einmal, nur aus der Zeitung und bescheuerten Briefen. Ehrlich, so kann man auch seine Energie vergeuden. Wie ja überhaupt die meiste Gemeinheit in der Welt nur fehlgeleitete Energie ist. Aber egal, ich muss jetzt Schluss machen, die Arbeit ruft.
Liebe Grüße an Mom und Levi - und mit Einschränkung auch an Zora.
Und nicht vergessen: Ich mag dich eigentlich (und bete auch für dich).
Puh, noch nie so eine lange Mail geschrieben.
Jerome xxoxxxx
Datum: 14. November
Betreff: Noch einmal hallo
Dad,
danke, dass du die Einzelheiten betr. Dissertation an mich weitergeleitet hast. Aber könntest du in der John Brown anrufen und mir eine Verlängerung der Abgabefrist besorgen? Langsam verstehe ich, warum sich Zora in Wellington eingeschrieben hat. Wenn Daddy selber Professor ist, kannst du ruhig mal etwas später abgeben . Ich habe deine Mail-Anfrage gelesen und dann wie ein Blöder nach einem Anhang gesucht (z.B. einem Brief???), aber ich nehme an, du bist immer noch zu beschäftigt/sauer/etc. für eine Antwort. Wie auch immer, ich bin es jedenfalls nicht. Wie geht es mit deinem Buch voran? Mom sagte, du kämst nicht richtig in die Gänge. Ist dir endlich der Nachweis gelungen, dass Rembrandt im Grunde gar nicht malen konnte?
Mit den Kipps' verstehe ich mich immer besser. Am Dienstag waren wir alle im Theater (mittlerweile ist der ganze Clan beisammen) und haben uns eine Tanztruppe aus Südafrika angesehen, und auf der Rückfahrt in der »Tube« fingen wir an, eine Melodie aus der Show zu summen. Und nach und nach - Carlene hat vorgesungen (sie hat eine tolle Stimme) - wurde daraus ein richtiges Lied, an dem sich sogar Monty beteiligte, denn er ist ganz und gar nicht der »autoaggressive Psychopath«, für den du ihn hältst. Es war wirklich ein sehr schönes Erlebnis, wir in dieser U-Bahn, die irgendwann überirdisch weiterfährt, und das letzte Stück, das wir dann durch den leichten Nieselregen zu diesem schönen Haus zurückgingen, wo es selbstgemachtes Hühnchen-Curry gab. Aber ich ahne, was du jetzt für ein Gesicht ziehst, und höre lieber auf.
Was noch passiert ist: Monty versucht, in mir die große Schwäche aller Belseys auszugleichen: logisches Denken, indem er mir Schach beibringt. Und heute war ich zum ersten Mal nicht schon nach sechs Zügen schachmatt, obwohl ich am Ende natürlich verloren habe. Überhaupt hält man mich bei Kipps' für einen Träumer, der nichts richtig auf die Reihe kriegt. Keine Ahnung, was sie sagen würden, wenn sie erführen, dass ich bei den Belseys noch geradezu als Wittgenstein gelte. Ich glaube, sie finden mich irgendwie amüsant, und Carlene unterhält sich gern in der Küche mit mir, wo mein Ordnungssinn aber als etwas Positives gesehen wird und nicht als Ausdruck eines analretentiven Syndroms . Ich muss allerdings zugeben, es ist schon etwas seltsam, wenn man morgens aufwacht, und alles ist still (und im Flur wird nur GEFLÜSTERT, um die anderen nicht aufzuwecken), oder wenn man mal nicht Levis zusammengerolltes, nasses Handtuch ins Kreuz kriegt und keine Zora da ist, die das ganze Haus zusammenbrüllt. Mom schrieb, Levi hätte die Zahl seiner Kopfbedeckungen nun auf VIER erhöht (Scullcap, Basecap, Kapuzenshirt plus Kapuze vom Dufflecoat), das Ganze noch mit Kopfhörer, sodass man von seinem Gesicht gerade noch die Augen sieht. Bitte gib ihm einen Kuss von mir. Und küss auch Mom von mir und denk daran, morgen in einer Woche ist ihr Geburtstag. Ein Kuss auch für Zora, die bitte Matthäus 24 lesen möge. Ich weiß, dass sie ohne tägliche Bibellektüre nicht leben...
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