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Kapitel 1
ANGST
Ich habe mich immer selbst für einen Feigling gehalten. Der Großteil meiner Kindheitserinnerungen hat damit zu tun, dass ich mich vor irgendetwas fürchte. Ich hatte Angst vor anderen Kindern, Angst davor, verletzt zu werden oder mich zu blamieren, Angst davor, als Schwächling angesehen zu werden.
Doch meistens hatte ich Angst vor meinem Vater.
Als ich neun war, schaute ich zu, wie mein Vater meiner Mutter einen so harten Schlag gegen den Kopf verpasste, dass sie umfiel. Ich sah, wie sie Blut spuckte. Dieser Augenblick im Schlafzimmer meiner Eltern hat wohl mehr als jeder andere mein heutiges Leben geprägt.
Bei allem, was ich seit damals erreicht habe - die Auszeichnungen und Lobeshymnen, das Rampenlicht und die Aufmerksamkeit, die Rollen und die Lacher -, hat es eine unterschwellige Abfolge an Entschuldigungen meiner Mutter gegenüber gegeben, an jenem Tag nichts getan zu haben. Ich hatte sie im Stich gelassen. Ich hatte mich nicht gegen meinen Vater erhoben.
Ich war ein Feigling gewesen.
Was Sie als »Will Smith« kennen - der Alienkiller-MC, der überlebensgroße Kinoheld - ist größtenteils ein Konstrukt. Eine sorgfältig entworfene und fein geschliffene Gestalt, um mich zu schützen. Um mich vor der Welt verbergen zu können. Um den Feigling zu verstecken.
***
Mein Vater war mein Held.
Er hieß Willard Carroll Smith, aber wir alle nannten ihn nur »Daddio«.
Daddio wurde in den 1940ern in North Philadelphia geboren und wuchs dort auf den rauen, schroffen Straßen auf. Daddios Vater, mein Großvater, hatte einen kleinen Fischmarkt. Er musste jeden Tag von 4 Uhr früh bis spät in die Nacht arbeiten. Meine Großmutter war Krankenschwester und hatte in der Klinik häufig die Nachtschicht. Daddio verbrachte also einen Großteil seiner Kindheit allein und ohne elterliche Aufsicht. Die Straßen von North Philly hatten eine eigene Art, die Menschen zu verhärten. Entweder man wurde zu einem miesen Dreckskerl oder die Nachbarschaft zerbrach einen. Daddio fing mit elf an zu rauchen und mit vierzehn an zu trinken. Und er legte sich eine trotzige, aggressive Haltung zu, die er sein ganzes Leben lang beibehielt.
Als er vierzehn war, kratzten meine Großeltern, die sich Sorgen machten, wohin das Leben ihres Sohnes führen würde, alles Geld zusammen und schickten ihn auf ein landwirtschaftliches Internat im ländlichen Pennsylvania, wo die Kinder Anbaumethoden und einfache Handwerkstechniken erlernten. Es war eine strenge, traditionelle Schule, und meine Großeltern hofften, sie würde meinem Vater die dringend nötige Struktur und Disziplin vermitteln, die er im Leben brauchte.
Doch niemand sollte meinem Vater sagen, was er zu tun hatte. Abgesehen von der Beschäftigung mit Traktormotoren hatte er keinen Bock auf das, was er als »diesen hinterwäldlerischen Scheiß« abtat. Er schwänzte den Unterricht, er rauchte und trank weiter.
Mit sechzehn hatte Daddio die Schnauze voll von der Schule und wollte nach Hause. Er beschloss, sich rauswerfen zu lassen. Er störte den Unterricht, missachtete die Regeln und legte sich mit allen an, die eine gewisse Befehlsgewalt innehatten. Als die Schulverwaltung ihn tatsächlich nach Hause schicken wollte, weigerten sich seine Eltern allerdings, ihn wieder aufzunehmen. »Wir haben für das ganze Schuljahr bezahlt«, sagten sie. »Sie werden dafür bezahlt, sich um ihn zu kümmern, also kümmern Sie sich auch um ihn.« Daddio steckte in der Klemme.
Aber Daddio hatte es faustdick hinter den Ohren, er würde einen Ausweg finden: An seinem siebzehnten Geburtstag schlich er sich davon, lief zehn Kilometer bis zum nächsten Rekrutierungsbüro und verpflichtete sich bei der United States Air Force. Klassisch Daddio - er war derart wild entschlossen, sich den Autoritäten zu widersetzen und gegen seine Eltern und die Schule zu rebellieren, dass er vom Regen des Landwirtschaftsinternats direkt in die Traufe der US-Armee sprang und damit in genau jener Struktur und Disziplin landete, die seine Eltern ihm so verzweifelt nahebringen wollten.
Und wie sich herausstellte, liebte er es. Beim Militär entdeckte er die alles verändernde Kraft von Ordnung und Disziplin, zwei Werte, die er später als jene Leitplanken hochhielt, die ihn vor den schlimmsten Seiten seiner Selbst bewahrten. Morgens um 4 Uhr aufstehen, den ganzen Vormittag trainieren, den ganzen Tag arbeiten, die ganze Nacht über lernen - er hatte seinen Weg gefunden. Mein Vater stellte fest, dass er mehr wegstecken und länger durchhalten konnte als alle anderen, und das machte ihn stolz. Das war ein weiterer Aspekt seiner Trotzhaltung. Niemand konnte ihn dazu zwingen, sich von einer Trompete wecken zu lassen, er war ja schon wach.
Bei seiner leidenschaftlichen Arbeitseinstellung, seiner endlosen Energie und nicht zu leugnenden Intelligenz hätte er eigentlich schnell aufsteigen müssen. Allerdings gab es da zwei Probleme. Erstens verfügte er über ein äußerst zorniges Naturell, und wenn man bei etwas falsch lag, ob nun Vorgesetzter oder nicht, weigerte sich Daddio, es zu tun. Zweitens trank er. Mein Vater war eine der gewitztesten Personen, die ich je kennengelernt habe, aber wenn er wütend oder betrunken war, dann verwandelte er sich in einen Trottel. Dann brach er seine eigenen Regeln, umging seine eigenen Zielsetzungen und zerstörte, was ihm lieb war.
Nach etwa zwei Jahren beim Militär machte sich diese selbstzerstörerische Ader unter dem Schleier von Ordnung bemerkbar und sorgte für das Ende seiner Laufbahn.
Eines Nachts hatten die Jungs seiner Einheit und er gespielt. (Daddio konnte gut mit Würfeln umgehen.) Er nahm den Kerlen fast tausend Dollar ab. Nachdem er den Gewinn in seinem Spind verstaut hatte, machte er sich auf die Suche nach etwas zu essen. Doch als er aus der Kantine zurückkam, hatten die Jungs sich das Geld zurückgeklaut. In seinem Zorn betrank sich Daddio bis zu einem Wutanfall, zückte die Dienstwaffe und veranstaltete ein Riesenspektakel in der Kaserne. Niemand wurde verletzt, aber die Air Force hatte genug und schmiss ihn raus. Er konnte von Glück reden, dass sie ihn nicht vors Kriegsgericht stellten; er wurde entlassen, in einen Bus gesetzt und gebeten, sich nie mehr blicken zu lassen.
Diese Extreme zogen sich durch sein ganzes Leben. Daddio verlangte von sich und allen Menschen ringsherum unnachgiebig absolute Perfektion, doch nach zu vielen Drinks oder im Zorn hinterließ er nichts als verbrannte Erde.
Daddio zog zurück nach Philly, nahm einen Job in einem Stahlwerk an und schrieb sich an der Abendschule ein. Er belegte Kurse in Ingenieurswesen und zeigte eine echte Begabung für Elektrik und Kältetechnik. Als er im Stahlwerk zum dritten oder vierten Mal wegen seiner Hautfarbe bei einer Beförderung übergangen worden war, verließ er einfach seinen Arbeitsplatz und kehrte nie wieder zurück. Er kannte sich mit Kühltechnik aus und beschloss, sein eigenes Geschäft zu gründen.
Daddio war großartig. Wie viele Söhne himmelte ich meinen Vater an, aber er machte mir auch Angst. Er war eines der größten Geschenke in meinem Leben, aber auch einer der größten Auslöser von Kummer und Schmerz.
Meine Mutter - Carolyn Elaine Bright - stammt aus Pittsburgh und wuchs in Homewood auf, einer vorwiegend Schwarzen Gegend im Osten der Stadt.
Meine Mutter, alias »Mom-Mom«, ist redegewandt und kultiviert. Sie ist zierlich und hat lange Pianistinnenfinger, die bestens dazu geeignet sind, eine bezaubernde Version von »Für Elise« zu spielen. Sie war eine ausgezeichnete Schülerin an der Westinghouse High School und eine der ersten Schwarzen Frauen, die jemals an der Carnegie Mellon University studiert haben. Mom-Mom sagte häufig, Wissen sei das Einzige, was die Welt einem nicht nehmen könne. Deshalb waren ihr nur drei Dinge wichtig: Bildung, Bildung und noch mal Bildung. Außerdem interessierte sie sich für die Wirtschaftswelt - Banken, Finanzen, Verkäufe, Verträge. Mom-Mom verfügte immer über eigenes Geld.
Wie so oft in jenen Tagen schritt auch für meine Mutter das Leben schnell voran. Sie heiratete ihren ersten Mann mit zwanzig, bekam eine Tochter und war keine drei Jahre später wieder geschieden. Mit fünfundzwanzig schlug sie sich als alleinerziehende Mutter durch; womöglich war sie die gebildetste Afroamerikanerin von ganz Pittsburgh, und doch musste sie Jobs annehmen, die weit unter ihren wahren Fähigkeiten lagen. Sie fühlte sich eingesperrt und suchte nach größeren Herausforderungen, also schnappte sie sich ihr Kind und zog zu ihrer Mutter, meiner Großmutter Gigi (sprich: Dschidschi), nach Philadelphia.
Meine Eltern lernten sich im Sommer 1964 kennten. Mom-Mom arbeitete als Notarin bei der Fidelity Bank in Philly. Sie war mit ein paar Freundinnen auf dem Weg zu einer Party, als eine von ihnen meinte, sie müsse einfach diesen Mann treffen. Sein Name sei Will Smith.
Mom-Mom ist in vielerlei Hinsicht das völlige Gegenteil meines Vaters. Daddio war der ungestüme charismatische Typ, der alle Aufmerksamkeit auf sich zog, Mom-Mom ist still und zurückhaltend; nicht, weil sie schüchtern wäre, sondern weil sie »nur dann etwas sagt, wenn es die Stille verbessert«. Sie liebt Wörter und benutzt sie sorgsam, sie drückt sich kultiviert aus. Daddio hingegen war laut und warf mit dem Fünfzigerjahre-Jargon einer Nachbarschaftsratte aus North Philly um sich. Er liebte die Poesie dieser Ausdrucksweise. Ich hörte einmal, wie er einen Mann als »dreckige Ratte, schwanzlutschenden, nichtsnutzigen, räudigen Schweineficker« titulierte.
Mom-Mom...
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