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Aber nach all den Jahren Bullenschikane hatten Karl und seine Freund:innen mittlerweile ihren lang ersehnten Freiraum, wo sie im selbstverwalteten Jugendzentrum eigene Veranstaltungen organisieren konnten. Und Karl, dem es hier gut ging, muss ausgerechnet mit seiner Band einen Song einer rechten Band auf der Bühne zum Besten geben.
Es dauerte eine Weile bis sich die Wogen im Jugendhaus wieder glätteten, und alle mit Karl wieder ganz und gar im Reinen sein konnten.
Etwa fünf Jahre vergingen.
Das unter Denkmalschutz stehende selbstverwaltete Jugendzentrum wurde schon längst von den Cops gewaltsam geräumt. Weil man genau dort ein betreutes Jugendhaus hinhaben wollte. Mit Sozialarbeiter:innen und ausreichend staatlicher Kontrolle. So zumindest der Vorwand. In Wahrheit sollte aber nur die im Bebauungsplan der Stadt eingetragene Grünfläche abgeändert werden, wofür es gewöhnlich einen driftigen Grund braucht. Und den sollte das betreute Jugendhaus liefern. Das war der Trick reicher Spekulanten. Wenn genau dort später der Standort nicht mehr als Grünfläche eingetragen war, konnten sie endlich ihre lang ersehnten Banken- und Bürogebäude hochziehen.
Somit starb wieder ein kleines Stück Seele der Stadt, was in den nächsten Jahren immer rasanter passieren sollte.
Sein Bandprojekt hingegen war seither gewachsen. Europaweit hatten sie nun schon gespielt, und für das Genre Punk war die Band verhältnismäßig bekannt geworden. Nicht zuletzt weil Karl dafür auch viel Zeit investierte. Er selbst kümmerte sich um das Management der Band. Internetpräsenz, Designs von Alben, Merchandise, Videodrehs, Werbung, Konzert-/Tourplanung und so weiter.
Karl begriff schnell wie das Geschäft mit der Musik funktionierte, und wie abgekartet es eigentlich ist.
»Wusstest du das denn nicht? Alles was im Radio läuft wird vom Management bezahlt. Das ist nicht die Musik, die jeder hören will, weil sie so gut ist und den Leuten deswegen gefällt. Was glaubst du denn warum sich da immer nur die gleichen zwanzig Lieder ständig wiederholen, währenddessen es auf der Welt Millionen an Musikprojekten gibt?«, erläuterte ihm Mark.
Es war gerade My Space-Zeit, und an Facebook war noch gar nicht zu denken. Viele junge Künstler:innen nutzten das Angebot der kostenlosen Werbung für ihre Musikprojekte. So auch Karl mit seiner Band.
Sven, der Sänger, war in der Zwischenzeit im Knast, in dem er wegen Fahren ohne Ticket einsitzen musste, und sie spielten einige Touren und unzählige Konzerte. Nun begann langsam die Phase, die ein Teil der Band als Krise bezeichnen würde. Es wurde politisch.
Ivan Khutorskoi, ein Redskin aus Moskau, der sich in dieser Subkultur antifaschistisch engagierte, wurde damals vor seinem Wohnhaus von Faschisten erschossen. Er starb im Alter von 26 Jahren. Das löste weltweit Proteste und Gedenkveranstaltungen aus.
Die Faschisten waren dabei langsam von ihrem üblichen Schläger-Image wegkommen zu wollen, mit dem sie einfach nicht mehr punkten konnten. Sie wollten die Menschen jetzt dort abholen wo sie standen. In der bürgerlichen Mitte.
Nicht selten, wenn die Faschisten - die sich auf Punkkonzerte verirrt hatten - rausgeschmissen wurden, hieß es von manch anderen Konzertbesucher:innen: »Hey, warum schmeißt ihr den denn raus? Der is doch voll nett!«
Die Faschisten wiederum wussten das für sich nutzen. »Seht ihr?«, sagten sie: »Die eigentlichen Faschisten ist die Antifa, und nicht wir!«
So wurde unter anderem das Wort »Rotfaschist« in der unpolitischen Fraktion der Szene trendy. Es kamen immer mehr Skandale von sich offensichtlich in die Subkultur der Punk- und Skinheadszene einschleichenden Faschisten heraus. Unzählige Fotos unpolitischer »Helden der Szene« wurden nach und nach über linke Internetseiten veröffentlicht, und zeigten wie diese vermeintlichen Helden mit Faschisten Arm in Arm am Feiern waren.
Diese versuchten das natürlich stets zu relativieren.
Der ganzen Problematik innerhalb der Szene gab man einen Namen: Die rechtsoffene Grauzone. Das Problem war ja, dass man einzelne Akteure, die durchaus als Wegbereiter der Faschisten bezeichnet werden konnten, selbst nicht als organisierte Neonazis oder ähnliches zu bezeichnen waren. Schließlich ging es ja »nur« um Männerkult, Spaß und Saufen. Völlig egal mit wem, wo oder unter welchen Umständen. Ganz nach dem beliebten Motto »Nichts muss, aber alles kann.«
Die Faschisten witterten Morgenluft.
Der imaginäre gemeinsame Feind war die Antifa. Jene, die aus ihrer Sicht einfach nur die Spaßverderber waren.
Als langsam auch offensichtlich wurde, dass an diesen Verstrickungen nach rechts, dieser neuartigen Skinhead-Wunderwelt, auch Bands oder Bekannte von Karl und seiner eigenen Band beteiligt waren - mit denen sie selbst früher mal auf der Bühne standen oder auch feierten - sahen zumindest Karl und Sven sich spätestens jetzt dazu gezwungen als Band Position zu beziehen. Vorab mussten sie aber erstmal die eigene Konzertpolitik der Band in den Griff bekommen.
Mit dem Rest der Band galt es viele Diskussionen zu führen, da die beiden nicht mehr auf diesen oder jenen Konzerten auftreten wollten, wo besagte zwielichtige Bands mit ihnen zusammen auf der Bühne stehen würden, die ihre Messlatten woanders ansetzten als andere. Oder aber Veranstalter zugegen waren, von denen man mittlerweile wusste was diese, nicht nur geschäftsbedingt, neuerdings für merkwürdige Kontakte nach rechts pflegten.
Genau davon wollten sie sich distanzieren, und das auch wirksam öffentlich machen. Nicht mehr und nicht weniger.
Sven und Karl kannten sich schon ewig aus vergangenen Punkzeiten. Damals noch in der Innenstadt, als sie ständig und abwechselnd Stress mit Faschisten und Bullen hatten.
Mit weiteren drei Freunden, teilweise Punks wie sie, kleideten sie sich mal alle für eine antifaschistische Aktion wie Skinheads und nutzten die Gunst der Stunde um es den Faschisten mal heimzuzahlen. Karl, der sich dafür nicht seinen Iro abrasieren wollte, den er derzeit noch ganz stolz auf dem Kopf trug, zog sich hierfür eine Mütze auf. Der Rest war dann Skinheadkleidung. Sie näherten sich einem Drogeriemarkt, der den Faschisten derzeit als Treffpunkt diente. Die ganze Aktion dauerte nicht länger als zwei Minuten, und die vier Freunde zogen auch schon wieder ab. Sie rannten zu ihrem um die Ecke geparkten Auto und fuhren eiligst davon. Noch heute erinnern sich Karl und Sven gern daran wie unglaublich lebendig sie sich damals im Auto auf der Rückfahrt fühlten. Waren sie doch reichlich aufgeregt bevor sie das alles durchzogen. Sie hatten diese Aktion eine ganze Woche vorbereitet und genau auf diesen Zeitpunkt gewartet.
»Diese Schweine! Selbst vor meiner Haustüre standen sie mal eines Nachts!«, brüllte Karl noch im Auto, als die vier Freunde längst wieder auf der Autobahn waren.
Zur aktuellen Lage der Subkultur wurde auch endlich ein Statement der Band verfasst, welches sie lang in der Gruppe besprochen hatten und in dem sie klarstellten, dass sie zu gegebenen Anlass fortan ihre Konzertpolitik ändern werden und mit bestimmten Bands oder auf bestimmten Festivals nicht mehr auftreten werden.
Damit schlugen sie für sie unerwartet hohe Wellen und hatten den Eindruck in ein noch viel größeres Wespennest gestochen zu haben als sie vorher angenommen hatten. Mit diesem Statement polarisierte die Band. Und neben einigen Respektbekundungen, gab es zahlreiche Anfeindungen.
Die Band hatte sich diesbezüglich gerade gemacht.
Die Anfeindungen kannte Karl schon viel zu gut. Dass sie von den Rechten kamen war zu erwarten. Fast schlimmer hingegen aber waren jene Figuren, die trotz allem weiter in ihrer Komfortzone ausharren wollten und sich faktenresistent gaben.
Insbesondere gegen Karl veranstalteten sie eine regelrechte Hetzjagd. Weil dieser sich auch zu allem öffentlich äußerte und über die Problematik offen im Internet diskutierte.
Alex, ein Freund von Karl, der politisch mit ihm auf Linie war, beschrieb das ganze Phänomen in einem Telefonat der beiden mal so:
»Weißt du Karl, derjenige, der auf die Scheiße hinweist, ist für die Leute manchmal viel schlimmer als die Scheiße um die es eigentlich geht. Weil sie nicht aufwachen wollen und lieber in ihrer Scheinwelt und Bequemlichkeitszone verweilen wollen.«
Ein paar Jahre später kam Pegida. Eine AFD wird es bald in den Bundestag schaffen. Reichsbürger werden von sich reden machen. Rechte Esoteriker werden noch viel Geld mit irgendwelchem Klimbim machen, den sie Menschen andrehen, die glauben dass sie von »Chemtrails« vergiftet werden. Eine breite, konfuse Querdenker-Bewegung wird sich bald bilden, die bis in Karls eigene Familie hineinreichen wird. Sein eigener Opa wird bald denken, dass der deutsche Bundestag eigentlich von Kommunisten unterwandert ist, deren einziges Ziel es ist Deutschland kaputt zu machen. Wilde Verschwörungstheorien werden bald Hochkonjunktur haben. Der Rechtsruck in Europa geht weiter, und der Polizeistaat wird mit all der Hilfe dieser reaktionären Akteure noch viel weitreichender ausgebaut werden, als er es derzeit ohnehin schon war.
Was zur Hölle ist denn eigentlich so schlimm daran Kommunist zu sein?, fragte sich Karl damals irgendwann mal.
Er fing an linke Literatur zu lesen, und politisierte sich weiter.
Parallel zu den eben genannten Entwicklungen wurde der NSU (Nationalsozialistischer Untergrund) entdeckt, beziehungsweise enttarnte sich selbst. Diese Faschisten konnten über zehn Jahre lang in Deutschland aus dem Untergrund heraus drei Sprengstoffanschläge, fünfzehn...
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