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Zuerst hatte er Nein gesagt. Nein, weil sie nicht die Mittel dafür hatten. Weil Wasser ein rares und kostbares Gut war, das man nicht zum Vergnügen benutzen durfte. Er hatte Nein gebrüllt, weil er die Vorstellung, den bitterarmen Bauern ein derart anstößiges Spektakel zu bieten, entsetzlich fand. Was würde man über die Erziehung denken, die er seinem Sohn angedeihen ließ, über den Umgang mit seiner Frau, wenn man sie halb nackt in einem Swimmingpool baden sähe? Er wäre nicht besser als die früheren Kolonisten oder diese dekadenten Bourgeois, von denen es im Land nur so wimmelte und die ungeniert ihren glänzenden Erfolg zur Schau stellten.
Doch Mathilde gab nicht auf. Sie wischte seine Einwände vom Tisch. Jahr für Jahr versuchte sie es wieder. Jeden Sommer, wenn der Chergui blies und die erdrückende Hitze an ihren Nerven zerrte, brachte sie erneut die Idee dieses Pools aufs Tapet, die ihrem Gatten so zuwider war. Sie dachte, er, der Nichtschwimmer, der sich vor dem Wasser fürchtete, könne sie nicht verstehen. Sie versuchte es sanft, gurrend, sie bettelte. Es war keine Schande zu zeigen, was sie erreicht hatten. Sie taten nichts Böses, es war ihr gutes Recht, das Leben zu genießen, nachdem sie ihre besten Jahre dem Krieg und dann dem Aufbau der Farm geopfert hatten. Mathilde wollte dieses Schwimmbad, sie wollte es zum Ausgleich für ihre verlorene Jugend. Sie hatten die vierzig hinter sich gelassen und mussten niemandem mehr etwas beweisen. Alle Landwirte der Umgebung, zumindest die, die ein modernes Leben führten, hatten einen Pool. Sollte sie sich lieber im öffentlichen Schwimmbad allen präsentieren?
Sie schmeichelte ihm. Sie lobte seine Erfolge bei der Erforschung neuer Olivensorten und beim Export von Zitrusfrüchten. Sie dachte, sie könnte ihn erweichen, indem sie so vor ihm stand, mit heißen, roten Wangen, schweißnassen Haaren, die ihr an den Schläfen klebten, Krampfadern an den Waden. Sie erinnerte ihn daran, dass sie alles, was sie verdient hatten, ihrer Arbeit, ihrer Beharrlichkeit verdankten. Und er verbesserte sie: »Ich bin es, der hier gearbeitet hat. Ich entscheide, wie wir das Geld verwenden.«
Als er dies sagte, weinte Mathilde nicht und wurde nicht wütend. Sie lächelte in sich hinein und dachte an alles, was sie für ihn getan hatte, für die Farm, für die Arbeiter, die sie in ihrer Ambulanz behandelte. An die Zeit, die sie damit verbracht hatte, ihre Kinder großzuziehen, sie zur Tanz- und zur Musikstunde zu fahren, mit ihnen Hausaufgaben zu machen. Seit ein paar Jahren hatte Amine ihr die Buchhaltung der Farm anvertraut. Sie schrieb die Rechnungen, bezahlte Löhne und Lieferanten. Und manchmal, ja, manchmal kam es vor, dass sie die Bilanz fälschte. Sie änderte eine Zeile, erfand einen zusätzlichen Arbeiter oder eine Bestellung, die es nie gegeben hatte. Und in einer Schublade, zu der nur sie den Schlüssel besaß, versteckte sie Bündel von Banknoten, die sie mit beigefarbenen Gummiringen zusammenrollte. Das machte sie schon so lange, dass sie sich nicht mehr dafür schämte und nicht mal mehr Angst hatte, bei dem Gedanken, sie könnte erwischt werden. Die Summe wuchs, und sie fand, das sei ihr wohlverdienter Anteil, eine Gebühr, die sie zur Entschädigung für ihre Demütigungen erhob. Und um sich zu rächen.
Mathilde war gealtert, und es war zweifellos Amines Schuld, dass sie älter aussah, als sie war. Die Haut in ihrem Gesicht, die andauernd Wind und Sonne ausgesetzt war, wirkte ledrig. Stirn und Mundwinkel waren mit Falten überzogen. Selbst das Grün ihrer Augen hatte seinen Glanz eingebüßt, wie ein Kleid, das man zu viel getragen hatte. Sie war fülliger geworden. Um ihren Mann zu provozieren, schnappte sie sich an einem glutheißen Tag den Gartenschlauch und spritzte sich vor den Augen des Hausmädchens und der Arbeiter von Kopf bis Fuß nass. Unter dem Kleid, das ihr am Körper klebte, konnte man die harten Brustwarzen und das Schamhaar erkennen. An dem Tag fuhren sich die Arbeiter mit der Zunge über die schwarzen Zähne und beteten zu Gott, dass Amine nicht verrückt wurde. Warum tat eine erwachsene Frau so etwas? Sicher, man spritzte manchmal die Kinder nass, wenn sie kurz davor waren, in Ohnmacht zu fallen, wenn sie unter der sengenden Sonne delirierten. Man sagte ihnen, sie sollten Mund und Nase fest zukneifen, denn das Wasser aus dem Brunnen machte krank und konnte einen sogar umbringen. Mathilde war wie sie, und genau wie diese Kinder wurde auch sie niemals müde zu betteln. Sie erinnerte Amine an früheres Glück, die Ferien am Meer in Dragans Strandhaus in Mehdia. Und hatte Dragan sich im Übrigen nicht ein Schwimmbad an sein Haus in der Stadt bauen lassen? »Warum«, sagte sie, »sollte Corinne etwas haben, das ich nicht habe?«
Sie war überzeugt, dass dieses Argument Amine zur Kapitulation bewogen hatte. Sie hatte es mit dem Sadismus und der Unverfrorenheit eines Erpressers vorgebracht. Sie glaubte, dass ihr Mann mit Corinne im Laufe des Jahres 1967 einige Monate lang ein Verhältnis gehabt hatte. Davon war sie überzeugt, auch wenn sie nie andere Hinweise darauf gefunden hatte als einen flüchtigen Duft an seinen Hemden, eine Spur Lippenstift - jene trivialen und abscheulichen Hinweise, die das Erbe der Hausfrauen sind. Nein, sie hatte keine Beweise, und er hatte nie gestanden, aber es war nicht zu übersehen, dass zwischen den beiden ein Feuer loderte. Es würde nicht ewig anhalten, doch so lange musste sie es aushalten. Einmal hatte Mathilde ungeschickt versucht, sich Dragan anzuvertrauen. Aber der Arzt, der mit den Jahren noch gutmütiger und abgeklärter geworden war, tat, als verstünde er nicht. Er war nicht bereit, sich auf ihre Seite zu schlagen, sich zu derart kleinlichem Verhalten herabzulassen und neben der glühenden Mathilde einen seiner Ansicht nach nutzlosen Krieg zu führen. Mathilde erfuhr nie, wie viel Zeit Amine in den Armen dieser Frau verbracht hatte. Sie wusste nicht, ob Liebe im Spiel war, ob die beiden einander zärtliche Worte gesagt oder im Gegenteil - und schlimmer, vielleicht - eine stumme, körperliche Leidenschaft ausgelebt hatten.
Amine sah mit zunehmendem Alter immer besser aus. Sein Haar war an den Schläfen weiß geworden, und er hatte sich einen schmalen, graumelierten Schnurrbar à la Omar Sharif wachsen lassen. Wie die Kinostars trug er eine Sonnenbrille, die er so gut wie nie ablegte. Doch nicht nur sein gebräuntes Gesicht, das markante Kinn, die weißen Zähne, die er entblößte, wenn er - selten genug - lächelte, machten seinen Reiz aus. Das Alter brachte seine Männlichkeit zu voller Reife. Seine Bewegungen wurden weicher, seine Stimme tiefer. Seine etwas steife Art hielt man nun für Zurückhaltung, sein ernstes Gesicht ließ an jene scheinbar teilnahmslos im Sand liegenden Raubkatzen denken, die sich mit einem Satz auf ihre Beute stürzen konnten. Ihm war nicht wirklich bewusst, welche Anziehungskraft er besaß, er entdeckte sie nach und nach, während sie sich, quasi ohne sein Zutun, entfaltete. Und diese Art Verwunderung über sich selbst erklärte zweifellos seinen Erfolg bei den Frauen.
Amine hatte an Selbstsicherheit gewonnen und war zu Geld gekommen. Er lag nachts nicht mehr wach und starrte an die Decke, während er seine Schulden überschlug. Er träumte nicht mehr von seinem bevorstehenden Ruin, dem sozialen Abstieg seiner Kinder, der Demütigung, die sie erdulden müssten. Amine schlief. Die Alpträume ließen ihn in Ruhe, und in der Stadt war er zu einer geachteten Persönlichkeit geworden. Sie wurden mittlerweile zu Empfängen eingeladen, man wollte sie kennen, mit ihnen verkehren. 1965 bot man ihnen an, dem Rotary Club beizutreten, und Mathilde wusste, dass dies nicht ihretwegen, sondern wegen ihres Mannes geschah und dass die Ehefrauen daran nicht ganz unbeteiligt waren. Man umgab den wortkargen Amine mit aller Fürsorge. Die Frauen forderten ihn zum Tanzen auf, legten ihre Wange an seine, zogen seine Hand auf ihre Hüften, und auch wenn er nicht wusste, was er sagen sollte, auch wenn er nicht tanzen konnte, dachte er doch manchmal, dass so ein Leben möglich war, ein Leben, leicht wie der Champagner, den er in ihrem Atem roch. Während der Feste verabscheute Mathilde sich. Sie fand, dass sie zu viel redete, zu viel trank, und bereute ihr Verhalten anschließend noch tagelang. Sie bildete sich ein, man würde sie verurteilen, dumm und unnütz finden und dafür verachten, dass sie ihrem Mann seine Untreue durchgehen ließ.
Wenn die Mitglieder des Rotary Clubs sich um Amine bemühten, sich derart wohlwollend und aufmerksam zeigten, so lag dies auch daran, dass er Marokkaner war und der Club durch die Aufnahme eines Arabers beweisen wollte, dass die Zeit der Kolonisierung, die Zeit des Nebeneinanderher-Lebens vorbei war. Sicher hatten etliche im Herbst 1956 dem Land den Rücken gekehrt, als die aufgepeitschte Menge in den Straßen ihrem blutrünstigen Zorn freien Lauf gelassen hatte. Die Ziegelei war in Brand gesteckt worden, Menschen waren auf offener Straße getötet worden, und die Fremden hatten begriffen, dass sie hier nicht mehr zu Hause waren. Manche hatten die Koffer gepackt und ihre Wohnungen einfach zurückgelassen, deren Möbel verstaubten, bis eine marokkanische Familie sie ihnen abkaufte. Grundbesitzer verzichteten auf ihre Ländereien und die jahrelange Arbeit, die sie geleistet hatten. Amine fragte sich, ob diejenigen, die nach Hause zurückkehrten, die Ängstlichsten oder die Weitsichtigsten unter ihnen waren. Doch diese Ausreisewelle hielt nicht lange an. Sie markierte nur den Übergang zu einem neuen Gleichgewicht, ehe das Leben wieder in seine gewohnten Bahnen fand. Zehn Jahre nach der Unabhängigkeit musste Mathilde zugeben, dass Meknès sich nicht sonderlich verändert hatte. Niemand kannte die neuen arabischen Straßennamen, und man...
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