Der Westwind blies eine Staubwolke über den Kamm, in der sich ein Reiter der Ranch näherte. Die Sonne stand hoch am Himmel und zwang Dave Holbrooke, zu blinzeln, während er dem Ankömmling entgegen blickte.
Die beiden Cowboys, die an den Pfosten standen wie Folterknechte, schauten nun ebenfalls in Richtung des Weges.
Der Delinquent hing derweil mit ausgebreiteten Armen an den Seilen wie ein Gekreuzigter ohne Kreuz, die Knie eine Elle über dem Boden, und rührte sich nicht mehr. Blut tropfte vom zerfleischten Rücken herab und versickerte im Staub.
Der Reiter näherte sich zügig, aber scheinbar ohne Eile dem Eingangstor, dessen Flügel wie immer offen standen. Er war groß, trug einen dunklen Stetson und eine abgewetzte, hüftlange Lederjacke. Sein Pferd, ein hochbeiniger Brauner mit auffälliger weißer Blesse zwischen den Augen, wirkte zwar ein wenig erschöpft, trug seinen Reiter aber mit jener Mischung aus Gleichmut und Disziplin heran, die eine Vergangenheit als Armeepferd vermuten ließ.
Die Cowboys legten die Hände auf die Griffe ihrer Revolver und schauten Dave Holbrooke fragend an, doch der schüttelte unmerklich den Kopf.
Sein Vater hatte ihm den fremden Besucher bereits am Morgen angekündigt.
Trotzdem starrte er den Mann feindselig an, als der sein Pferd vor ihm zügelte, und fragte: »Was wollen Sie, Mister?«
Der Reiter ließ sich Zeit mit einer Antwort, stattdessen warf er einen langen Blick auf den Besinnungslosen. »Was hat der Bursche denn verbrochen? Vieh gestohlen?«
»Er hat genug getan, um bestraft zu werden«, knurrte Dave Holbrooke unwillig und schob das breite, von einem dunklen Bart bedeckte Kinn nach vorn.
»Okay...«, brummte der Mann auf dem Braunen und stützte seine Hände auf das Sattelhorn. »Ihre Angelegenheit. Aber wenn Sie den Mann nicht umbringen wollen, hat er genug eingesteckt, meinen Sie nicht?«
"Überlassen Sie das ruhig mir«, schnappte Dave Holbrooke und hob dabei drohend die Peitsche. Der Wind hob seinen schwarzen Hut empor, und er griff hastig nach dem Stetson, um ihn sich tiefer ins Gesicht zu schieben. »Sagen Sie mir lieber, wer Sie sind und was Sie hier verloren haben.«
Der Blick des Reiters schien ihn zu durchbohren, und die Miene unter den graublauen Augen verfinsterte sich.
»Mein Name ist Lassiter, und ich bin auf Einladung von Leeland Holbrooke gekommen.«
Überraschenderweise hoben sich die Mundwinkel des Mannes unvermittelt um eine Nuance, doch Dave gefiel der etwas spöttische Gesichtsausdruck noch weniger als die grimmige Miene zuvor. »Schätze, Sie sind der Junior...«
Unwillkürlich straffte Dave Rücken und Schultern, bevor er einen Schritt vortrat und blaffte: »Der ältere Sohn , Mister. Es wäre besser, Sie bewiesen ein wenig Respekt, wenn Sie mit dem künftigen Herrn der Crossed-Nails- Ranch reden.«
Die Überraschung im Gesicht von Lassiter wirkte zu übertrieben, um aufrichtig gemeint zu sein.
»Oh, tatsächlich? Liegt Ihr Vater etwa bereits im Sterbebett? Das hat man mir gar nicht mitgeteilt.«
»Das tut er keinesfalls«, knurrte Dave und bemerkte die Blicke der Cowboys, die seine Worte offenbar ebenfalls konsterniert zur Kenntnis genommen hatten. Er bedachte die Männer mit einem strengen Blick.
»Was wollen Sie überhaupt von ihm?«
»Eigentlich will er etwas von mir, aber das würde ich gern persönlich mit Ihrem Vater besprechen.«
Lassiter deutete zu dem Mann, der zwischen den Pfosten hing und fragte: »Weiß Mr. Holbrooke eigentlich, was Sie hier treiben?«
Dave lachte auf. Ein kurzer, abgehackter Laut, wie von einem zuschnappenden Kampfhund. »Mein Vater weiß über absolut alles Bescheid, was hier auf der Ranch passiert, Mister.«
Eine Lüge, doch da sie von dem Ankömmling nicht zu entkräften war, grinste Dave herausfordernd und ließ seine Peitsche aufschwingen, bis die Spitze sich dicht vor den Hufen des Braunen zu Boden senkte.
Weder Pferd noch Reiter zeigten eine Reaktion auf die halbherzige Drohgebärde. Lassiter deutete auf das prachtvolle Ranchhaus, neben dem sich ein halbes Dutzend niedrigerer Gebäude aufreihte: die Scheune, mehrere Stallgebäude, eine Schmiede und Werkstatt sowie die Baracken der Cowboys.
»Ich nehme an, ich finde Ihren Vater da drüben«, stellte er fest, und als Dave widerwillig nickte, nahm er die Zügel in die Hand und setzte den Wallach in Bewegung.
Dave spuckte verächtlich zu Boden und schwang unschlüssig seine Peitsche, als sich Lassiter noch einmal zu Wort meldete.
»Bevor ich die Ranch verlasse, werde ich nach dem Mann sehen, den Sie da gerade gefoltert haben, Holbrooke. Und es wäre besser, wenn ich ihn lebendig und mit versorgten Wunden antreffe. Sonst schicke ich Ihnen den Sheriff auf den Hals, mein Wort drauf.«
Wütend und verblüfft fuhr Dave herum, doch Lassiter trabte bereits über den Hof zum Haus hinüber, ohne ihn noch eines Blickes zu würdigen.
Laut Maxim Geordee, dem Kontaktmann der Brigade Sieben, war Leeland Holbrooke dreiundsechzig Jahre alt. Der Mann allerdings, der Lassiter in dem düsteren Kaminzimmer empfing, sah aus wie ein Greis.
Ein dunkelhäutiger Hausdiener hatte ihn empfangen und durch das Vestibül geleitet, deren holzvertäfelte Wände mit ausgestopften Tierschädeln dekoriert waren. Neben Büffel, Berglöwe und Longhorn-Stier blickten auch exotischere Gattungen aus gläsernen Augen auf den Brigadeagenten herab: Er sah einen Tigerkopf, eine andere gescheckte Raubkatze, wohl ein Jaguar, und das schlanke, von gedrehten, spitz nach oben verlaufenden Hörnern gekrönte Haupt einer Art von Rotwild, die ihm völlig unbekannt war; außerdem einen mächtigen Elchschädel.
Auf die Frage nach einem Drink hatte er schweigend abgelehnt, denn die Atmosphäre des Hauses wirkte alles andere als einladend auf ihn, und alles, was er bisher über die Holbrookes wusste, ließ ihn eine abwehrende Haltung einnehmen und den Wunsch verspüren, so bald wie möglich wieder von hier zu verschwinden.
Am liebsten hätte er den Auftrag abgelehnt, doch Maxim Geordee hatte noch etwas gut bei ihm, außerdem war die Mission aus Washington autorisiert worden, so dass er schon triftige Gründe hätte vorbringen müssen, um sich zu verweigern.
»Bitte, Lassiter«, ließ sich der Rancher vernehmen, als er durch die Tür in den düsteren Salon trat, und winkte mit einer Hand, unter der Adern und Knochen so klar zu erkennen waren, als würde die Haut aus Papier bestehen.
»Nehmen Sie Platz. Es freut mich, dass Sie so schnell kommen konnten.«
Lassiter nahm erst den Hut ab und beschloss dann, auch seine Jacke abzulegen, denn in dem Raum herrschte eine brütende Hitze. Trotzdem loderte ein Feuer im Kamin, und Leeland Holbrooke hatte eine Decke über den Beinen ausgebreitet. Lassiter zog sich einen der Lehnstühle heran, und als er Platz nahm und der Rancher ihn zufrieden anlächelte, blickte er dem Tod ins Gesicht.
Die pergamentartige, von Runzeln und Flecken bedeckte Gesichtshaut des Mannes spannte sich über den Wangenknochen, der scharf geschnittenen, vorspringenden Nase und dem nachlässig rasierten Kinn, unter dem der lange Hals in schlaffen Falten lag, die von einem gestärkten Hemdkragen zusammengehalten wurden. Auf der hohen Stirn hielten nur noch ein paar weiße Haarsträhnen die Stellung, doch die buschigen Locken vor den Ohren, die bis über die breiten, markanten Kiefer verliefen, versuchten das wettzumachen.
Das einzige in diesem vom Siechtum gezeichneten Antlitz, das dem Paroli bot, waren Leeland Holbrookes stechende hellblaue Augen, welche seinen Besucher nun mit einer Wachsamkeit und Energie musterten, die in krassem Gegensatz zu dessen sonstigem Erscheinungsbild standen.
Lassiter begegnete dem Blick des Patriarchen unverwandt, bevor er nach einer Weile die Geduld verlor und brummte: »Ich habe einen langen Ritt hinter mir, Sir. Mr. Geordee sagte mir, Ihr Anliegen sei wichtig und Eile geboten. Daher wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie mir verraten würden, warum ich hier bin.«
Holbrooke nickte und hob das Glas, um daran zu nippen. »Sind Sie sicher, dass Sie keinen Drink wollen, Lassiter?«
Seine Stimme klang fast so hoch wie die eines Kindes und war dünn und brüchig, doch Lassiter hegte den Verdacht, dass Holbrooke es damit übertrieb. »Das ist ein dreißig Jahre alter Single Malt, und es sind einige Leute dafür gestorben, damit ich ein paar Flaschen davon in meiner Bar stehen haben kann.«
Lassiter schüttelte den Kopf. Obwohl er wahrlich kein Kostverächter war, wenn es um derart edle Tropfen ging, hatte ihm Holbrookes Andeutung einen triftigen Grund geliefert, um von dem Rinderbaron keinen Drink anzunehmen.
»Besser, wir kommen zur Sache.«
»Wie Sie meinen.«
Holbrooke schnaubte und griff nach einem Taschentuch. Als er sich Lippen und Nase abtupfte, ließ er Lassiter die kleinen roten Flecken sehen, was nur scheinbar unabsichtlich geschah, ehe er das Taschentuch wieder in seiner Jackentasche verschwinden ließ.
»Ich muss Ihnen wohl kaum erklären, dass es um meine Gesundheit nicht zum Besten steht, Mr. Lassiter«, krächzte Holbrooke, hustete und zuckte dann ergeben mit den Achseln. »Es gibt so einige Brandherde in meinem Inneren, die sich darum streiten, wer mir...