»Diese verdammte Hitze!« Fluchend zerrte Ned den Hut von seinem Schädel und wischte sich mit einem fleckigen Tuch über die Stirn. »Die Sonne sengt einem noch die letzten Haare vom Kopf!«
»Die Mücken scheint sie nicht zu stören.« Vince klatschte mit der flachen Hand nach einem Blutsauger auf seinem Arm. »Diese Viecher fressen mich fast auf.«
Sein Begleiter äugte herüber, als er die Überreste des Insekts von seiner Haut klaubte. »Du hättest dich vor unserem Aufbruch auch mit Zwiebelsaft einreiben sollen. Der hilft. Die Biester mögen den Geruch nicht und bleiben einem fern.«
»Nicht nur die Mücken, schätze ich, sondern auch die Girls. No, Sir. Da lasse ich mich lieber stechen. Ich habe einiges vor, wenn wir nachher die Stadt erreichen. Du auch, oder nicht?«
»Ich möchte Gina im Badehaus besuchen.«
»Ist das die niedliche Rothaarige mit den drallen... Du weißt schon?« Vince hielt seine Hände ein gutes Stück von seinem Oberkörper entfernt in die Luft und ließ seine Augenbrauen ein Stück in Richtung Haaransatz wandern.
»Sie ist 'n Klassemädchen«, bejahte Ned.
»Vergiss aber nicht: Baden ist nicht gesund. Über das Wasser kann man sich alle möglichen Krankheiten holen.«
»Wer redet denn vom Baden?« Das Grinsen des Cowboys reichte mittlerweile von einem Ohr zum anderen.
Träge trotteten ihre Pferde nebeneinander her. Die Schweife der beiden Tiere spielten, um die Insekten zu vertreiben. In der Hitze waren sie kaum zu einer schnellen Gangart anzutreiben.
Ned und Vince gehörten zu einem Viehtrieb, der eine Herde Longhorns zur Eisenbahn in den Norden schaffen sollte. Sie waren stolz, bisher kaum Tiere verloren zu haben. In der vergangenen Nacht war allerdings ein Gewitter durchgezogen, und einige Dutzend Rinder waren panisch davongestürmt. Diese Ausreißer wollten sie nun suchen.
»Was hast du vor, sobald wir die Tiere abgeliefert haben?« Ned zog die Augenbrauen hoch.
»Weiß ich noch nicht. Ich kann dir nur sagen, was ich nicht tun werde: Auf keinen Fall betrinke ich mich wieder und lasse mir dann von irgendwelchen dahergelaufenen Halunken das Geld stehlen. Das passiert mir nicht wieder.«
»Komm doch mit ins Badehaus. Gina hat nette Kolleginnen.«
»Hab erst letzten Winter gebadet«, brummte Vince.
Ned verdrehte die Augen. »Hast du Angst, dass deine Haut zu dünn wird, wenn die Schmutzschicht runterkommt?«
»Stimmt das etwa nicht?«
»Nicht, wenn man es richtig macht. Die Girls wissen, was sie tun, glaub mir.«
»Die Girls schon, aber was ist mit dir?« Grinsend wich Vince nach links aus, als sein Begleiter nach ihm schlug. Dabei fiel sein Blick auf schwarze Schwaden, die vor ihnen über der Ebene waberten. »Ned? Sieh mal! Da vorn!«
»Was zum Geier ist das?« Ned kniff die Augen zusammen. Dann stieß er einen Fluch aus, bei dem sich die Ohrspitzen seines Begleiters rot färbten. Er zog seinen Sechsschüsser und malte damit vor seinem Oberkörper einen Halbkreis in die Luft.
»Sag mal: Worauf zielst du da eigentlich?«
»Auf alles«, knurrte Net. »Irgendetwas stimmt hier nämlich nicht. Riechst du das nicht?«
»Aber sicher. Kommt aus deinen Stiefeln, würde ich sagen.«
»Von wegen. Das ist Aas. Und nicht zu wenig.«
»Aas?« Vince richtete sich im Sattel auf und kniff die Augen zusammen. »Warte! Sind das da vorn etwa...«
»Fliegenschwärme!« Sein Begleiter senkte das Kinn.
»Aber das müssen Tausende und Abertausende sein. Was zieht die Biester denn bloß an?«
»Werden wir gleich sehen.« Ned drückte seinem Reittier die Schenkel in die Flanken. Der Pinto setzte sich höchst widerwillig in Bewegung. Vince folgte auf seiner Fuchsstute.
Wachsam behielt Vince die Umgebung im Auge. Dabei fielen ihm die Erhebungen auf, die aus dem Gras ragten wie Inseln.
Mit Fell bewachsene Inseln.
Mustangs!
Dutzende und Aberdutzende von ihnen!
Sie waren so tot, wie man nur sein konnte.
Wohin er auch sah, die Kadaver waren beinahe überall. Sie verströmten einen süßlichen Geruch, der sich in seine Atemwege fraß und dort festsetzte, als hätte er Widerhaken. Er wollte nach seiner Waffe greifen, aber sein Begleiter winkte ab.
»Die wirst du nicht brauchen«, murmelte er. »Hier ist nichts und niemand mehr, auf den du schießen könntest.«
»Bei allen Heiligen!« Vince würgte, weil es sauer in seiner Kehle hochstieg. »Was ist hier passiert?« Dieser Geruch! Sein Magen krampfte sich plötzlich zusammen und gab seinen Inhalt schwallartig frei. Er beugte sich hastig vor und würgte alles aus. Schließlich war es vorbei. Er wischte sich mit dem Handrücken über den Mund und sank matt auf seinem Sattel zusammen.
»Geht's besser?«, fragte Ned mit einem prüfenden Blick.
»Sehe ich etwa so aus?«, schnaufte er gereizt.
»Könnte ich nicht behaupten. Du siehst aus wie verspeist und wieder ausgespuckt. Zweimal.«
Vince brummte etwas Undeutliches. Ihm war hundeelend zumute. Er zog seine Bandana vor Mund und Nase und erschauerte. Irgendjemand hatte diese Herde erschossen. Mit Kugeln, nicht mit Pfeilen. Daran ließen die Wunden der Tiere keinen Zweifel. So verstreut, wie sie lagen, hatten die Mustangs noch versucht, zu fliehen. Genutzt hatte es ihnen jedoch nichts.
Der Trail führte mitten durch die tote Herde. Schweigend ritten die beiden Cowboys weiter. Ihre Pferde tänzelten und schnaubten nervös. Ihre Ohren spielten. Mit kräftigem Schenkeldruck hielten die Männer ihre Tiere unter Kontrolle.
Inmitten der toten Pferde lagen drei Indianer.
Mit verkrümmten Gliedern und gebrochenem Blick.
»Noch keinen ganzen Tag tot«, stellte Ned fest. »Cheyenne, würde ich sagen.«
»Ich dachte, es gäbe Frieden mit den Cheyenne.«
»Das dachten diese Männer hier wohl auch. Anscheinend lagen wir alle falsch.« Ned rieb sich das Kinn. Es gab ein schabendes Geräusch. »Das gefällt mir nicht, Vince.«
Vince schnaufte zustimmend.
Die Eisenbahn wurde immer weiter in das Land der Cheyenne hineingetrieben. Die Indianer bekämpften den Bau seit Jahren und metzelten weiße Siedler nieder. Lediglich mit den Cowboys hatten sie sich arrangiert. Sie durften ihr Gebiet mit den Herden passieren, solange sie ihnen hin und wieder Rinder abgaben. Es war ein ungeschriebenes Gesetz, das Vince nachts besser schlafen ließ. Aber angesichts dieses Gemetzels musste er sich fragen: Wie lange würde es noch gelten? Die Cheyenne würden den Tod ihrer Brüder und den Verlust ihrer Pferde gewiss nicht kampflos hinnehmen. Und was war mit den Verträgen, die der Gouverneur mit ihnen ausgehandelt hatte? Waren die nun das Papier nicht mehr wert, auf dem sie unterzeichnet worden waren?
»Wer hat diese Männer erschossen, Ned? Was meinst du?«
»Weiß ich nicht, aber wer auch immer es war, er hat uns keinen Gefallen getan. Gouverneur Hopkins hat sich für den Frieden eingesetzt, und jetzt wird es weiteres Blutvergießen geben. Das ist mal sicher.«
»Womöglich nicht. Es gibt Verträge mit den Indianern.«
»Die werden nun nicht mehr gelten.«
»Warum glaubst du das?«
»Weil jemand diese Herde abgeschlachtet hat. Es waren Weiße, den Spuren nach. Ohne ihre Mustangs sind die Cheyenne schwächer. Im Kampf und bei der Jagd. Dieser Verlust wird sie erheblich treffen. Ganz zu schweigen vom Tod der drei Krieger. Das bedeutet nichts Gutes, das kannst du mir glauben.«
»Also hat jemand die Tiere erschossen, um die Indianer zu schwächen?«
»Darauf kannst du deine Stiefel verwetten.«
»Aber wer?«
»Kann ich nicht sagen.« Ned kniff die Augen zusammen und schaute sich misstrauisch um.
Weit und breit gab es kein Leben mehr.
»Sollen wir die toten Krieger begraben?«, schlug Vince vor.
»Ich glaube nicht, dass ihren Brüdern das gefallen würde. Sie haben ihre eigenen Rituale, und von denen haben wir nicht die geringste Ahnung. Besser, wir lassen sie hier, sodass sie von ihren Leuten gefunden werden können.«
»Es gefällt mir nicht, sie hier zurückzulassen. Was, wenn sich Kojoten über sie hermachen?«
»Mir gefällt es auch nicht, aber was sollen wir sonst tun?«
»Warte, ich habe eine Idee.« Vince stieg von seinem Pferd und schleifte die Toten an den Armen über den Boden, bis sie nebeneinanderlagen. Dann rollte er seine Decke aus und breitete sie über ihnen aus.
»Das wird das Raubzeug nicht abhalten«, gab Ned zu bedenken. »Das weißt du.«
»Vielleicht doch.«
Ned schüttelte bedächtig den Kopf, sagte aber nichts mehr. Das war auch nicht nötig. Sie sahen sich an und verständigten sich wortlos darauf, weiterzureiten. Hier konnten sie nichts mehr ausrichten. Außerdem mussten sie weiter nach ihren verlorenen Longhorns suchen.
Vince stieg wieder in den Sattel und ritt neben Ned weiter in Richtung Nordosten. Sie folgten der Spur, welche die Ausreißer in das hohe Gras getrampelt hatten.
Nach wenigen Meilen kam ihnen ein einzelner Reiter entgegen. Alarmiert machten sie ihre Waffen schussbereit.
Im Näherkommen zeigte sich jedoch, dass...