Der schlammverschmierte Stofffetzen in der Hand von Arthur Hilman schlug bei jedem Wort hin und her, das der Kurierreiter an seinen Begleiter richtete. Er war in Zorn geraten, nachdem ihm Letzterer mehrere Male widersprochen hatte. »Gott, Bill, natürlich hat das Tuch ihm gehört! Du kanntest Dan genauso gut wie ich.«
»Ich weiß nur, was ich sehe!«, beharrte Bill Tedford und schwang sich am Sattelhorn wieder aufs Pferd. Er war knappe zwanzig Jahre jünger als Arthur und von beneidenswert guter Gesundheit. »Er wäre nicht bei Sturm durch das Tecumseh Valley gefahren. Er hätte kehrtgemacht und wäre zur Station zurückgekommen.«
Die letzte Wechselstation der West Coast Stagecoach hatten sie bei Meile 47 passiert, und sie hatte so verlassen ausgesehen, dass Dan Brookers Teufelsritt in der vergangenen Woche fast glaubhaft erschien. Der Stationsmeister war ein kauziger Kerl namens George Hayes, der sich nicht einmal an Brooker hatte erinnern können.
»Dan hatte diese Fracht«, sagte Hilman und steckte das Halstuch in die Hosentasche. Er kannte Brooker seit einer halben Ewigkeit, und es sah diesem bärbeißigen Himmelhund ganz und gar nicht ähnlich, dass er sich wissentlich in Gefahr brachte. »Er hatte einen guten Grund, sich auf den Bock zu setzen.«
Die Fracht war von den Verantwortlichen der West Coast Stagecoach mit solcher Geheimniskrämerei bedacht worden, dass keiner der Kutscher sie beim Namen zu nennen wagte. Sie sprachen über die Kisten und die Ladung , nie jedoch darüber, was sich dahinter verbarg. Sie schwiegen über die Hunderte Flaschen, auf denen lediglich ein verschnörkeltes Etikett mit dem Wort Fireblood prangte.
»Keine Fracht ist es wert, dass man für sie stirbt.« Bill starrte zum Ufer des North Fork River hinunter. »Dan war ein gottesfürchtiger Mann. Er hätte keinen Leichtsinn begangen.«
Die West Coast Stagecoach war die letzte Kutschengesellschaft, die es im Arizona-Territorium noch aushielt, und sie hatte einen hohen Preis für ihren Wagemut gezahlt. Über zwei Dutzend Kutscher hatte sie in den letzten Jahren verloren, und die meisten waren bei Indianerangriffen gestorben. Es hätte Hilman nicht erstaunt, dass die Rothäute auch hinter dieser Barbarei steckten.
»Sieh dir die nächste Biegung an!«, brummte Hilman und führte das Pferd zum Wasser hinunter. Er ließ das Tier einen Augenblick lang trinken. »Von Nichols und Knox haben wir wenigstens die Skalpe gefunden. Sie hingen in den Sträuchern da drüben.«
Ohne die Miene zu verziehen, ritt Tedford am Ufersaum hinab und verschwand hinter der Biegung flussabwärts. Er war eine ehrliche Haut und ein guter Kutscher, fand Hilman, aber wenn es um die Seele anderer Menschen ging, war Bill ein grober Klotz. Er hatte Nichols' Witwe nicht einmal sein Beileid ausgesprochen, als sie unter Tränen im Bureau der West Coast Stagecoach gestanden hatte.
»Arthur!«
Die Stimme von Hilmans Gefährten schallte über das Wasser herauf. Sie klang hart und angespannt, wie am Zahltag oder nach dem Achsbruch im letzten Frühjahr, der sie einen halben Monatslohn gekostet hatte.
»Was ist los, Bill?«, rief Hilman und setzte den Fuß in den Steigbügel. Er ritt Tedfords Hufspuren nach, die bis zur Geröllzunge an der Flussbiegung reichten.
Hinter der Biegung lag das zerschmetterte Wrack.
Es war ganz ohne Zweifel die Kutsche von Dan Brooker, deren Hinterräder im Gegensatz zu allen anderen in strahlendem Gelb gestrichen waren. Sie war vom Fluss einmal um die eigene Achse gedreht und wie eine Seifenschachtel zwischen zwei mächtige Baumstämme gequetscht worden. Rings um das zerstörte Gespann lagen Frachtkisten, Gardinenreste und die herausgerissenen Polster verstreut.
»Sieht nicht gut aus!«, bemerkte Hilman zerknirscht und ritt um Brookers Kutsche herum. Er hatte auf einen tröstlicheren Fund gehofft. »Dan muss mit den Pferden in den Fluss gerutscht sein!«
Von Tedfords Wallach war nur der schlagende Schweif hinter den Kutschtrümmern zu sehen, die sich auf der seichten Uferbank übermannshoch aufgetürmt hatten. Als Hilman keine Antwort erhielt, holte er mit den Sporen aus und galoppierte um Brookers einstiges Heiligtum herum.
Tedford saß nicht im Sattel.
Er hockte vornübergebeugt an einer Frachtkiste und durchstöberte deren Inhalt. Seine Hände flogen so rasch über die Flaschenhälse und die Korken darin, dass Hilman verdutzt die Brauen hob. »Was treibst du da? Stöberst du in Dans Frachtkisten?«
Der andere Kutscher kehrte ihm weiter den Rücken zu. »Geht dich nichts an, Arthur! An deiner Stelle würd' ich verschwinden!«
Die kühle Schärfe in Tedfords Ton ließ Hilman zusammenfahren. Er dirigierte das Pferd mit einem Zügelruck um die Kutsche herum.
Im nächsten Augenblick wirbelte Tedford zu ihm herum.
Er hielt den Colt in der Rechten und stieß mit dem Fuß die beiden Fireblood -Flaschen zur Seite, die er soeben entkorkt hatte. Sein Daumen spannte langsam den Hahn des Revolvers.
»Was ist in dich gefahren?«, stieß Hilman hervor und ließ das Pferd einige Tritte zurückweichen. »Verdammt, stöberst du in Dans Ladung?«
Schweigend legte Tedford mit dem Colt auf den älteren Kutscher an. Er stieg über die offenen Flaschen hinweg, aus denen eine schwarze Substanz troff. »Wie ich schon sagte, dich geht diese Sache nichts an.«
»Mich geht Dans Schicksal etwas an«, widersprach Hilman und ahnte zugleich, dass damit das seinige besiegelt war. »Bill . Du und ich -«
Zwei bellende Schüsse stahlen Hilman die restlichen Worte, ehe sie ihm über die Lippen kommen konnten.
Durch den orientalischen Salon des Red Shadow tönte das Keuchen der schwarzhaarigen Kalifornierin, die nur noch ihren Gürtel aus silbernen Schellen am Leib und einen hauchdünnen Schleier über dem Gesicht trug. Sie lag bäuchlings auf einer silberdurchwirkten Decke und warf den Kopf zu Lassiter herum.
»Noch eine Runde?«, fragte der Mann der Brigade Sieben und verlagerte das Gewicht von einem Fuß auf den anderen. Er trieb es seit einer guten Stunde mit dem Barmädchen. »Oder hast du genug?«
»Von dir?«, flüsterte Shoann Petfield und lachte vor Vergnügen. »Wie könnte eine Frau von dir genug bekommen, Liebster?«
Sie gab noch einige andere Schmeicheleien zum Besten, von denen Lassiter wusste, dass sie damit auch andere Männer um den Finger wickelte, und winkelte beide Beine an. Sie griff nach Lassiters Händen und führte sie an ihre Brüste. »Nur noch einmal, Lassiter . Ich weiß, dass du bald fort musst.«
Irgendwann vor einem Jahr hatte Lassiter Shoann zuletzt gesehen, als er wegen eines Sträflingstransports, der im Tecumseh Valley überfallen worden war, in der Gegend gewesen war. Er hatte eine Bande von Wegelagerern ausgehoben, die sich ein prächtiges Sümmchen damit verdiente, Zuchthausinsassen zu befreien und deren Gewährsmännern Lösegeld abzupressen.
»Nicht vor dem Morgengrauen«, sagte Lassiter und drückte Shoanns Beine auseinander. Er stieß sanft und bestimmt zu. »Es gibt eine Sache, die ich in Borkman vorher erledigen muss.«
Der volle Busen des Barmädchens, der vor einer Stunde noch in einer Korsage gesteckt hatte, schwang bei jedem Stoß hin und her. Die Korsage hing derweil über der Stuhllehne, neben Lassiters Holstergurt mit dem glänzenden Remington darin und der staubigen Lederjacke, die er auf der Straße getragen hatte. Unter dem Stuhl lagen Lassiters Unterhose und Shoanns Miederhöschen verstreut.
»Du hast mir gefehlt«, flüsterte Shoann und krallte sich an Lassiters Händen fest, die ihre Schenkel hielten. »Ich hatte das ganze Jahr über Männer, die gut zahlten. Aber keiner war wie du.«
Die Nägel der schönen Kalifornierin gruben sich in Lassiters Rücken, glitten zu seinen Lenden hinunter und hinterließen dünne Kratzer in der Haut.
»Fester!«, flehte Shoann und schloss die Augen. Sie hatte ein ausnehmend schönes Gesicht, schmal geschnitten und rassig, umrahmt von schwarzen Locken. »Nicht nachlassen, Lassiter . Nicht nachlassen!«
Wieder und wieder schrie Lassiters Geliebte vor Lust auf, und als sie es nicht mehr aushielt, biss sie sich auf die Unterlippe und gab nur noch ein schwaches Wimmern von sich. Im nächsten Augenblick kam sie zum Höhepunkt, nur Sekunden vor Lassiter. Er sank neben ihr auf den Diwan.
Shoann wandte den Kopf und blickte ihn herausfordernd an. »Was gibt es in einer Stadt wie Borkman Dringendes zu erledigen?«
Aus dem Telegramm der Brigade Sieben war nicht hervorgegangen, aus welchen Gründen Mittelsmann Stan Simmons Lassiter sprechen wollte. Der Bankinhaber hatte lediglich darauf gedrungen, dass das Gespräch baldmöglichst stattfinden solle. Die Abschrift des Kabeltelegramms hatte Lassiter in Tackville erreicht, das keine vierzig Meilen südlich von Borkman lag.
»Bloß ein paar Geschäfte«, knurrte Lassiter und griff, um nicht weiter antworten zu müssen, nach der Wochenschrift, die...