Nach der abendlichen Vorstellung besuchte er Isabell in ihrer Garderobe im vorderen Teil des bunt bemalten Wohnwagens, den sie sich mit einer jungen Kollegin teilte. Diese stellte ihn bei Isabell vor und winkte ihn dann heran. Der Rancher musste den Kopf einziehen, als er den Wohnwagen über eine Klappstiege betrat, denn er war ein Riese von Gestalt. Mindestens zwei Meter maß er und mochte gut zweihundertfünfzig Pfund auf die Waage bringen. Und mit seinen fünfundvierzig Jahren befand er sich im besten Mannesalter.
Isabells türkisfarbene Augen weiteten sich bei seinem Anblick fast erschrocken, denn von Stone ging etwas Animalisches und zugleich Beherrschendes aus. Neben ihm wirkte sie klein und zerbrechlich.
Immer noch trug sie ihr gewagtes Tanzkostüm, in dem sie an eine Haremsdame aus dem fernen Orient erinnerte. Sie saß mit dem Rücken zum Spiegel vor ihrem mit allerlei Utensilien übersäten Schminktisch. Ihre junge Kollegin war nach hinten in das Schlafgemach verschwunden.
»Sie möchten mich sprechen?«, fragte Isabell. »Leider kann ich Ihnen keinen Platz anbieten. Sie sehen ja, wie beengt es hier ist. Aber ich bin gern bereit, Ihnen ein Autogramm zu geben.«
Der Hüne räusperte sich. »Deswegen bin ich eigentlich nicht gekommen.«
»Warum dann?« Isabell spürte instinktiv, dass der Besucher sie am liebsten nackt ausgezogen und anschließend vernascht hätte. Die Art, wie er sie anblickte, war beunruhigend.
»Ich bewundere Sie«, antwortete Stone auf ihre Frage. »Sie sind nicht nur schön, sondern auch sehr begabt. Ihre Darbietung hat mir jedenfalls außerordentlich gut gefallen.«
»Das freut mich«, erwiderte Isabell, die es zwar gewohnt war, Komplimente zu erhalten, sich aber trotzdem geschmeichelt fühlte.
»Von einer Frau wie Ihnen habe ich schon immer geträumt«, erwiderte Stone. »Am liebsten würde ich Sie mit Schmuck überhäufen.«
»Tun Sie sich keinen Zwang an.« Die Tänzerin mit dem dunkelblonden Haar lächelte spöttisch.
»Lassen Sie sich überraschen. Ich mache keine leeren Versprechungen.« Während Stone sprach, ließ er Isabell keine Sekunde aus den Augen. Es waren verlangende Blicke, die ihr unter die Haut gingen. Sie war einiges gewöhnt und hatte mit liebestollen Männern ihre Erfahrungen gesammelt, dennoch errötete sie.
»Was wollen Sie wirklich?«, fragte sie ohne Umschweife.
Rex Stone verharrte einige Momente schweigend, als müsste er sich seine nächsten Worte erst zurechtlegen. Schließlich sagte er: »Ich möchte Ihnen ein Angebot machen .«
»Ein Angebot?«, wiederholte Isabell irritiert. »Und das wäre?«
Stone blickte kurz auf den Vorhang, der den vorderen Bereich des Wohnwagens vom hinteren Teil trennte und hinter dem das andere Mädchen ganz gewiss lauschte. Dann fuhr er, ohne seine kräftige Stimme auch nur um eine Spur zu dämpfen, ungeniert fort: »Ich möchte mit Ihnen schlafen, Isabell. Und ich bin bereit, mich das einiges kosten zu lassen. Ich biete Ihnen tausend Dollar für eine Liebesnacht.«
Die junge Schauspielerin war zu überrascht, um eine Antwort geben zu können.
»Ja, das wäre mir dieses Vergnügen wert«, bestätigte der Hüne und nickte ernst. »Ich weiß, das ist eine Menge Geld, aber ich bin kein armer Mann. Zwei Tagesritte von hier besitze ich eine große Ranch. Sie brauchen keine Sorge zu haben, dass ich Sie übers Ohr haue.«
»Ich . ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll«, kam es zögerlich über Isabells Lippen.
»Sie müssen mir nicht gleich eine Zusage machen«, versuchte Stone einzulenken, »denn ich bleibe einige Tage hier. Mir schwebt ein Treffen im hiesigen Hotel vor. Dort warten tausend Dollar auf Sie. Die können Sie doch sicher gut gebrauchen, nicht wahr?«
»Wer könnte das nicht?«, meinte sie kühl, aber mehr denn je unentschlossen. Sie war keine Dirne, die ihren Körper verkaufte. Genau genommen war das Anliegen des Ranchers sogar eine Unverschämtheit. Er war nicht unattraktiv, aber bildete er sich wirklich ein, mit seinen Dollars alles kaufen zu können? Zudem bestand für Isabell die Unsicherheit, dass er sie einfach flachlegen und dann lachend davonreiten würde. Nur ein Verrückter legte einen solchen Haufen Geld für eine Liebesnacht auf den Tisch. Jede Hure in der Stadt spreizte ihre Beine bereits für zehn Dollar.
»Werden Sie es sich überlegen?«, hakte der hochgewachsene Mann nach.
Isabell de Roquefort schaute ihn durchdringend an. »Sie sollten jetzt gehen, Mister Stone«, sagte sie nur und wandte sich wieder ihrem Schminkspiegel zu. Das enttäuschte Gesicht des Ranchers blieb ihr nicht verborgen. Doch wenn er es wirklich ehrlich meinte, ließ er es nicht bei der Abfuhr bewenden.
Die Hitze New Mexicos wollte das Land ersticken. Schier endlos dehnte sich die Wüste in alle Richtungen. Der Schweiß rann Lassiter in Strömen übers Gesicht; seine Kleidung klebte am Körper, als wäre sie mit ihm verwachsen.
In den flirrenden Schwaden, die über der Wüste lagen, glaubte er, einen Tupfen zu erkennen. Eine Stadt vielleicht oder ein Dorf, womöglich auch nur eine verlassene Ortschaft, die in den sengenden Strahlen der Sonne kochte. Alamogordo aber, wo er den nächsten Auftrag der Brigade Sieben entgegennehmen sollte, konnte es nicht sein. Seiner Schätzung nach lag die Stadt noch gut hundert Meilen entfernt.
Er wischte sich die salzige Nässe aus dem Gesicht und rieb sich über die Augen. Mehrmals musste er blinzeln, um wieder eine klare Sicht zu bekommen. Und als sein Blick aufs Neue geschärft war, musste er sich eingestehen, sich geirrt zu haben. Dieser Fleck in der weißen Einöde war weder eine Stadt noch ein Dorf - es war eine Gestalt, die schwerfällig durch den Sand kroch, ihn offenbar gesehen hatte und mit letzter Kraft eine Hand hob, um auf sich aufmerksam zu machen.
Lassiter trieb seinen Hengst an. Dieser Mensch, der ein paar Steinwürfe voraus alle Viere von sich streckte, benötigte dringend Hilfe. Als der Brigade-Agent nur noch wenige Yards entfernt war, erkannte er, wen er vor sich hatte. Der Anblick versetzte ihm einen Stich ins Herz.
Es war eine junge dunkelhaarige Frau, die lediglich noch Fetzen von Kleidung am Leib hatte. Ihre Bewegungen, mit denen sie sich über den Sand geschoben hatte, waren erlahmt. Die Hitze des feinkörnigen Untergrunds tat ein Übriges, sie zu schmoren und sie ihrer Kräfte zu berauben.
Der Mann der Brigade Sieben sprang aus dem Sattel, riss seine Feldflasche an sich und warf sich neben der Frau auf die Knie. Ihre Lippen waren spröde und aufgesprungen. Es musste eine Ewigkeit her sein, dass sie einen Tropfen Wasser getrunken hatte.
»Hilfe .«, röchelte sie brüchig. »Bitte . helfen Sie mir .«
Vorsichtig führte Lassiter die Wasserflasche an den Mund der Frau und beträufelte ihre Lippen. Gleich darauf benetzte er seine Hand und wischte ihr übers Gesicht. »Ich gebe Ihnen Wasser, aber Sie dürfen nicht zu hastig trinken«, sagte er. Schluck für Schluck flößte er der geschundenen Frau aus seiner Wasserflasche ein.
»Dieses Scheusal .«, ächzte sie. »Ich . ich bin ihm entkommen. Aber da sind noch viele andere .« Ihre Stimme versagte.
Lassiter bettete ihren Kopf auf seinem Unterarm. »Wie lautet der Name des Mannes, der Ihnen das angetan hat?«, fragte er. »Wo kann ich ihn finden?«
»Ranch .«, wisperte die Frau. Ihre Lider flatterten. Kraftlos strichen ihre zitternden Finger über die Wasserflasche. »Viele Männer . mit Waffen .« Sie schluckte hart. »Rawlins .«
Erneut wollte Lassiter ihr zu trinken geben, doch der Körper der Frau war bereits erschlafft.
Kalte Wut befiel den großen Mann. Sein brennender Blick war auf die Tote gerichtet, das Opfer eines skrupellosen Menschenhändlers. Das zumindest reimte sich Lassiter aus den Aussagen der Frau zusammen.
Der Auftrag der Brigade Sieben konnte warten. Erst musste dieser Kerl aus dem Verkehr gezogen werden, der unschuldige junge Frauen auf seiner Ranch gefangen hielt und ihnen womöglich Schreckliches antat.
Er nahm den Leichnam auf und legte ihn quer über sein Pferd. In der nächsten Stadt wollte Lassiter dafür sorgen, dass er würdevoll bestattet wurde.
Rex Stone war überzeugt, dass die schöne Tänzerin und Schauspielerin Isabell de Roquefort sein großzügiges Angebot annehmen würde. Denn welche Frau konnte schon auf die Chance, sich in einer Nacht tausend Dollar zu verdienen, verzichten? Für eine solche Summe würden wohl die meisten schwach werden und ihre moralischen Bedenken über Bord werfen. Stone malte sich bereits aus, wie er die Liebesnacht mit ihr bei Champagner und Kerzenlicht verbringen würde, sie entblätterte und im weichen Hotelbett genüsslich vernaschte.
Doch zu seinem Leidwesen sollte es nicht dazu kommen, denn Isabell wurde am nächsten Tag von Sheriff Gilford verhaftet. Ihr Manager Laster Babcock war nämlich erstochen in seinem Wagen aufgefunden worden, und der dringende Verdacht, ihn ermordet zu haben, war auf Isabell gefallen. Nicht nur war bei ihr blutbefleckte Kleidung, sondern auch die Tatwaffe gefunden worden - ein mexikanischer Dolch. Das hatte dem Sheriff für ihre Festnahme ausgereicht.
Isabell leugnete die Tat, aber das half...